Niklas nutzt Gebärden seit seiner Kindergartenzeit. Damals begann er mit selbst ausgedachten Zeichen, die stetig mehr wurden. Schließlich lernten wir die Gebärden der offiziellen Deutschen Gebärdensprache (DGS) und kommunizierten mit ihnen per lautsprachbegleitendem Gebärden.
Wenn Du mehr über diese Anfangszeit und die Unterscheidung verschiedener Gebärdensysteme lesen möchtest, findest du weitere Beiträge auf Ellas Blog:
Autismus und Gebärdensprache – wie alles begann
DGS, LBG, LUG, GuK – was bedeutet das alles? – Autismus und Gebärdensprache
Schulbegleitung mit Gebärdensprachkompetenz
Häufig werde ich gefragt, wie wir das Gebärden in den Alltag integrieren. Inzwischen ist uns das Gebärden so in Fleisch und Blut übergegangen (rw), dass wir uns das gar nicht mehr bewusst vornehmen. Es ist normal geworden, dass wir miteinander gebärden.
Tipp 1: Das Gebärden wird am besten gefördert, wenn die ganze Familie und die Bezugspersonen mitgebärden. Es geht nicht darum, dass das Kind alleine eine neue Sprache wie ein Hilfsmittel erlernt, mit dem die anderen Personen nichts zu tun haben. Eine Sprache ist etwas interaktives und macht am meisten Freude, wenn alle sie mitlernen. Das ist befriedigend, erfüllend und macht auch Spaß.
Daher ermuntere ich immer gerne alle Beteiligten, einfach mitzugebärden und die Gebärden nicht nur als Mittel zum Zweck für das Kind, sondern als Lebensbestandteil zu betrachten. Gebärde mit deinem Kind gemeinsam. Das verbindet und zeigt auch nach außen, dass ihr einander versteht.
Viele Menschen werden das staunend bemerken – so ist es jedenfalls bei uns – Niklas kann vieles nicht, das andere Menschen um ihn herum ganz selbstverständlich können. Aber er kann dafür gebärden und das können viele andere nicht. Es ist eine Kompetenz, mit der er positiv auffällt und das ist im Leben unserer Kinder von unschätzbarem Wert.
Tipp 2: Zusätzlich könntet ihr Zeiten einführen, in denen gezielt neue Gebärden gelernt werden. Das kann mit Anleitung geschehen, wenn ihr z.B. eine Schulbegleitung habt, die im Rahmen der Verhinderungspflege auch die Famlie zuhause anleitet. Oder ihr nutzt die SignBoxen oder andere Lehrmaterialien, mit denen ihr selbständig euren gemeinsamen Wortschatz vergrößert.
Tipp 3: Gerade am Anfang kann das Lernen auch mit Handpuppen unterstützt werden. Das genaue beobachten und imitieren der Gebärden kann am Anfang, wenn es noch ungewohnt ist, anstrengend sein. Mit einer Handpuppe kannst du die Reize, die dein Kind aufnehmen muss, minimieren, da sie keine Mimik hat und berechenbarer ist.
Tipp 4: Kombiniere das Lernen von Gebärden mit Bildern, mit Sprechen und mit Lesen. Bestimmte Wörter kannst du dein Kind auch „erleben“ lassen, indem ihr die Gegenstände, um die es geht, ertastet, schmeckt oder daran riecht. Das Aufnehmen von Informationen über mehrere Sinneskanäle fördert das Lernen.
Tipp 5: Manche nutzen auch gerne eine Gebärden-App, mit der im Alltag mal schnell ein Wort nachgeschlagen werden kann, das noch nicht im Wortschatz präsent ist.
Tipp 6: Mache die Gebärden in eurem Alltag deutlich sichtbar, z.B. mit Gebärdenpostern an der Wand oder thematisch sortierten Gebärdenbildern in der Küche oder im Badezimmer.
Das hat auch einen positiven Effekt auf Besucher, die zu euch kommen. So ein Gebärdenposter ist sofort ein Aufhänger für ein Gespräch über das Gebärden – dein Kind steht auf diese Weise mit etwas Positivem im Mittelpunkt und andere Personen können leichter dazu angeregt werden, mitzugebärden.
Tipp 7: Es gibt auch DVDs mit Geschichten, die per Gebärden begleitet werden. Auch das ist eine schöne Möglichkeit, dem Gebärden einen festen Platz im Alltag einzuräumen. Eine Geschichte mit Gebärden ist auch eine schöne Möglichkeit, spielerisch auszuprobieren, ob dein Kind sich für Gebärden interessiert.
Tipp 8: Dasselbe gilt für Musikvideos. Du findest im Internet einige Videos mit aktuellen Songs, die von GebärdensprachlerInnen übersetzt werden. Das macht vielen Kindern und Jugendlichen Spaß.
Tipp 9: Wenn sich das Gebärden für dein Kind als eine Kommunikationsmöglichkeit herauskristallisiert, denke über eine Schulbegleitung mit Gebärdensprachkompetenz nach. Niklas wurde die Hälfte seiner Schulzeit auf diese Weise gefördert, machte große Fortschritte und gewann ein großes Stück Lebensqualität.
Die Gebärdensprache, die aus dem Bedarf und der Kultur der Gehörlosen entstanden ist, ist übrigens eine sehr ehrliche und direkte Sprache: es wird gesagt, was gemeint ist und nicht diplomatisch verpackt. Auch dies kommt Autistinnen und Autisten sehr entgegen, die auf eine eindeutige Sprache angewiesen sind.
Fazit:
Das Gebärden ist eine tolle Möglichkeit, um sich miteinander zu verständigen, wenn die gesprochene Sprache nicht möglich ist. Es ist aber auch für sprechende Autistinnen und Autisten von Vorteil, einige Gebärden zu beherrschen, weil auch grundsätzlich vorhandenes Sprachvermögen bei Überforderung, Überlastung oder in schwierigen Situationen phasenweise nicht möglich sein kann.
Wichtig ist es, mit dem Kind gemeinsam zu gebärden und vorzuleben, was ein Leben mit Gebärdensprache bedeutet. Dabei kann es nicht um reines Vokabellernen des Kindes gehen, das womöglich noch an Bedingungen geknüpft ist (gebärde erst dies, dann bekommst du jenes), sondern darum aus dem Lebenskontext heraus gemeinsam zu lernen.
Ich kann dir aus unserer Erfahrung sagen, dass es ein wenig Geduld braucht, um mit dem Gebärden zu starten. Auch müsst ihr euch vielleicht gegen Vorurteile zur Wehr setzen, da einige Menschen meinen, dass Gebärden für Autistinnen und Autisten wegen Schwierigkeiten mit Blickkontakt und Mimik nicht geeignet seien. Ob dein Kind mit Gebärden zurechtkommt, ob es Spaß daran hat und wie es dich und andere Menschen dabei anschaut und womöglich auf eine Art und Weise lernt, die wir nicht nachvollziehen können, kannst du nur herausfinden, wenn ihr es versucht.
Lass dich nicht von vorneherein entmutigen, sondern gehe mit Freude an das Thema heran.
Niklas brauchte anfangs Monate, um eine Gebärde zu imitieren. Heute gebärdet er sofort nach, was ihm gezeigt wird. Für ihn und uns ist es ein riesiges Stück Lebensqualität.
„Auch müsst ihr euch vielleicht gegen Vorurteile zur Wehr setzen, da einige Menschen meinen, dass Gebärden für Autistinnen und Autisten wegen Schwierigkeiten mit Blickkontakt und Mimik nicht geeignet seien.“
Für mich persönlich ist die Gebärdensprache jetzt nicht geeignet, denn ich finde sie recht schwer und anstrengend. Also das hat bei mir jetzt schon was mit der Schwierigkeit der Mimik und des Blickkontaktes zu tun.
(Mein Sohn kommt da aber schon ein wenig besser mit zurecht als ich jetzt. Denn er kommt auf der Arbeitsstelle auch mit einigen wenigen Menschen zusammen, die ebenfalls gebärden und da bemüht er sich schon auch mit den Gebärdenden zu kommunizieren.)
Jeder Mensch ist nun mal anders und das trifft auf Autisten natürlich auch zu.
Daher betrachte ich persönlich es jetzt nicht wirklich als ein Vorurteil wenn manch andere Menschen zum Teil ebenfalls zu dieser Schlussfolgerung kommen.
Dennoch bin auch ich der Meinung dass man nun nicht gleich vorweg davon ausgehen sollte (davon ausgehen darf) dass Gebärdensprache grundsätzlich nicht geeignet sei für Autisten. Das halte ich schlichtweg für falsch und dann wäre es so gesehen wirklich ein Vorurteil.
Liebe Ella,
ich bin sehr froh, dass du das Thema mit den Vorurteilen so deutlich benennst. Ich glaube nämlich, dass Gebärden vielen Nichtsprechern vorenthalten wird, weil sie entweder denken, dass sei nur was für Gehörlose, oder eben weil es aufgrund von Klischees nicht mit Autisten in Verbindung gebracht wird oder weil es, so hart es klingt, viele von den sog. Experten einfach selbst nicht können.
Dank deiner Anregungen in deinen Büchern habe ich es mit meinem nichtsprechenden Sohn mit Gebärden versucht und es ist grandios, was wir erleben und niemand hätte gedacht, dass er das kann, weil es Vorbehalte gab, er könne das nicht, weil er keinen Blickkontakt hält oder nicht imitieren könne. Er lernt das auf seine Weise und wir leben es ihm vor. Ich danke Dir so sehr, das sich diesen Impuls bei dir bekommen konnte und du nicht müde wirst, darüber aufzuklären.
Margot