Heute gibt es ein ganz besonderes Interview für euch: Ich habe mit Christiane Dieckmann gesprochen, die sich mit großer Leidenschaft für das Thema Unterstützte Kommunikation einsetzt.
Christiane ist nicht nur Sonderpädagogin und Expertin auf diesem Gebiet, sondern auch Mutter einer Tochter mit Rett-Syndrom, was ihren Weg zur Unterstützten Kommunikation sehr persönlich geprägt hat.
Sie erzählt uns, wie sie selbst zu diesem Thema gekommen ist, welche Herausforderungen sie erlebt und welche wertvollen Erfahrungen sie gesammelt hat.
©Quelle: Christiane Dieckmann, vielen Dank!
Liebe Christiane, erzähl doch bitte kurz, wer du bist und wie du zur Unterstützten Kommunikation gekommen bist. Was hat dich dazu bewogen, dich so intensiv mit diesem Thema zu beschäftigen?
Liebe Silke,
ich freue mich sehr über deine Interviewanfrage und dein Interesse an meinem Herzensthema, der Unterstützten Kommunikation. Für deine Leserschaft stelle ich mich gerne vor.
Mein Name ist Christiane Dieckmann. Ich bin Sonderpädagogin, habe in Würzburg Pädagogik bei Lern – und Sprachbehinderung studiert und leite als Sonderschulrektorin seit 2016 die Schule für Kranke in Rummelsberg. Ich bin LUK – Kommunikationspädagogin, Referentin der Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation (GesUK), habe 10 Jahre als Dozentin für den Lehrgang Unterstützte Kommunikation der Universität zu Köln gearbeitet, halte Vorträge für verschiedene Universitäten und Institutionen und berate erwachsene Personen im MZEB Rummelsberg zum Thema Unterstützte Kommunikation.
Den Weg der Unterstützten Kommunikation habe ich aus einem sehr persönlichen Grund eingeschlagen:
2002 habe ich eine Tochter bekommen, bei der mit knapp zwei Jahren das Rett – Syndrom diagnostiziert wurde. Da mir bereits vor der Diagnosestellung klar war, dass meine Tochter im Vergleich zu ihrem nur etwas älteren Bruder mehr Unterstützung benötigt, habe ich mich nach Überwindung der ersten Schockstarre sehr schnell auf den Weg gemacht, nach der bestmögliche Förderung zu suchen. Da das Rett– Syndrom eine komplexe Entwicklungsstörung ist, das bis auf die Sinne, alle Bereiche betrifft, musste auch das zukünftige Förderkonzept passend und umfänglich sein.
Während für den motorischen/körperlichen Bereich ausreichend Konzepte (Physiotherapie nach Bobath, Pörnbacher und Vojta) und Therapeuten zur Verfügung standen, sah es im Bereich der kognitiven Förderung völlig anders aus. Aufgrund meines Studiums und der Literatur, die ich zur Diagnose Rett – Syndrom gelesen hatte, wusste ich, dass die kognitive Förderung untrennbar von der Förderung der Kommunikation ist.
Da meine Tochter syndromtypisch keine Lautsprache entwickelte, habe ich wenige Wochen nach der Diagnosefindung damit begonnen, mich mit dem Thema Unterstützte Kommunikation zu beschäftigen.
Die positive Entwicklung meiner Tochter gepaart mit dem Mangel an Therapeuten und Pädagogen, die sich mit Unterstützter Kommunikation auskannten, hat mich dazu bewogen, immer tiefer in das Thema einzudringen.
Was bedeutet Unterstützte Kommunikation? Wie wird es definiert und was kann man sich konkret darunter vorstellen?
Unterstützte Kommunikation umfasst ein breites Spektrum an Medien und Methoden, die es Menschen, die über keine oder einer sehr eingeschränkter Lautsprache verfügen, ermöglichen, sich mitzuteilen und die somit eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben erhalten. Die Konzepte der Unterstützten Kommunikation richten sich sowohl an Menschen, die diese als Ersatz oder Ergänzung zu ihrer eingeschränkten Lautsprache nutzen, als auch an deren Bezugspersonen bzw. das Kommunikationsumfeld.
Welche Erfahrungen haben dich besonders geprägt in deiner Arbeit mit Unterstützter Kommunikation?
Die größte Motivation, immer tiefer in dieses Thema einzusteigen, waren die Signale, die mir meine Tochter gegeben hat. Sie hat mit Hilfe einfachster Kommunikationshilfen sehr schnell gezeigt, dass sie Zusammenhänge versteht, eine Auswahl aus verschiedenen Angeboten treffen kann und Freude hat, ihr Umfeld zu beeinflussen.
Aufgrund der Komplexität ihrer Beeinträchtigung war ich gezwungen, mich mit den unterschiedlichsten Medien und Methoden auseinanderzusetzen und immer wieder neue Wege auszuprobieren. Jeder kleinste Fortschritt hat mich bestätigt und motiviert.
Durch meine Tochter und den Einstieg in dieses Thema habe ich mich schließlich auch beruflich umorientiert. Jetzt arbeite ich in der Krankenhausschule mit Kindern und Jugendlichen, die sehr unterschiedliche Bedarfe im Bereich der Unterstützten Kommunikation haben. Meine Schülerinnen und Schüler und deren Eltern spüren sehr schnell, dass ich sie ernst nehme und ihnen ohne Vorbehalte begegne. Ich lasse mich nicht durch das Erscheinungsbild oder eine Diagnose davon abhalten, einer Person grundsätzlich Entwicklung und das Bedürfnis nach Kommunikation zu „unterstellen“.
Diese Haltung ist in der Regel mein Türöffner für die anschließende Förderung und Beratung.
Welche besonderen Bedürfnisse haben Menschen, die nonverbal kommunizieren?
Und was muss man deiner Erfahrung nach besonders bei Autistinnen und Autisten berücksichtigen?
Personen, die nonverbal kommunizieren, sind darauf angewiesen, dass sich ihr Umfeld darauf einstellt und ein Entwicklungsangebot so gestaltet, dass diese Person ihre Fähigkeiten zeigen kann. Das umfasst sowohl das Verhalten der Kommunikationspartner, die sogenannten Partnerstrategien, als auch die passenden Medien. Und ganz besonders wichtig ist, dass das Interesse und die Beziehung berücksichtigt werden.
Zu Autistinnen und Autisten möchte ich keine allgemeinen Ratschläge geben, da das Spektrum so breit ist und bei der Wahl der passenden Kommunikationswege immer auf die individuellen Bedürfnisse und Voraussetzungen eingegangen werden muss.
Wie können Eltern und Fachkräfte die besten Kommunikationsmethoden für nonverbale Autisten herausfinden? Gibt es dabei häufig gemachte Fehler, die man vermeiden sollte?
Und gibt es Kommunikationsmethoden, die gerne übersehen werden?
Ich empfehle Eltern und Fachkräften Fortbildungen, zum Beispiel von der Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation, dem FBZUK – Universität Köln (Forschungs – und Beratungszentrum) oder auch die Angebote auf der Homepage der „UK – Couch“. Dort findet man Fachleute, die unterschiedliche Fortbildungsformate anbieten, von Einführungskursen, Vorträge zu Spezialthemen und auch Intensivkurse, die mehrere Module umfassen.
Um den richtigen Kommunikationsweg für eine Person zu finden benötigt man einen „Werkzeugkasten“, den man sich durch Fortbildungen, Erfahrungen und im Austausch mit anderen Eltern und spezialisierten Pädagoginnen und Pädagogen aneignen kann. Und dann muss man oft verschiedene Werkzeuge ausprobieren, um dann ein entsprechendes Gerüst zu bauen, dass als Entwicklungshilfe dient.
Das größte Problem sehe ich darin, wenn ein „Werkzeugkasten“ zu einseitig ist oder die Handlungsweisen zu eingefahren sind. Damit meine ich, dass bestimmte Methoden, auch wenn sie speziell für autistische Personen entwickelt wurden, nicht unbedingt für alle gleich passen. Genaue Beobachtung, diagnostisches Herantasten und Entwicklung einer Förderidee stehen für mich im Vordergrund, nicht das Anwenden einer bestimmten Methode oder der Einsatz bestimmter Medien.
Übersehen wird eventuell, dass Kommunikation nicht mit dem ersten Wort oder der ersten Symbolkarte, der ersten Gebärde etc. beginnt, sondern schon sehr viel früher. Methoden wie Intensive Interaktion setzen an genau diesen Vorausläuferfähigkeiten an.
Welche Herausforderungen siehst du bei der Umsetzung von Unterstützter Kommunikation in Schulen und Kindergärten, insbesondere für nonverbale Kinder?
Gibt es Lösungsansätze für diese Herausforderungen, die du gerne weitergeben möchtest?
In Schulen und Kindergärten ist das Thema Unterstützte Kommunikation immer noch nicht selbstverständlich. Leider ist immer noch die Einstellung verbreitet, dass Unterstützte Kommunikation eine „Therapie“ ist oder nur in bestimmten Förderstunden stattfinden kann. Das führt dazu, dass übersehen wir, dass Unterstützte Kommunikation in erster Linie Kommunikation ist und somit ständig und überall stattfinden muss.
Und immer, wenn aufgrund einer Beeinträchtigung die Lautsprache nicht ausreicht, um ein Bedürfnis mitzuteilen, zu kommentieren, eine Frage zu stellen, eine Auswahl zu treffen, über eine Handlung zu bestimmen, eine Person oder einen Gegenstand zu benennen etc. dann muss Unterstütze Kommunikation praktiziert werden; also immer – überall und jederzeit. Das Partizipationsmodell gibt dazu eine Struktur vor, die für alle Einrichtungen gelten soll.
Gibt es besondere Momente mit deiner Tochter, in denen du gesehen hast, wie Unterstützte Kommunikation ihr geholfen hat, sich auszudrücken oder verstanden zu werden?
Den Restaurantbesuch, bei dem meine Tochter mit ihrem Talker sich selbst eine Pizza bestellt hat, werde ich nie vergessen. Ihr Strahlen und der Stolz waren für mich eine große Belohnung für all die Bemühungen.
Eine weitere Situation, in der sie uns unglaublich verblüfft hat, war nach einem Streit, den wir mit ihr hatten, wo sie sich mit ihrem Talker entschuldigt hat.
Und die besonders peinlichen Situationen, über die wir heute herzliche lachen können, bleiben uns natürlich auch im Gedächtnis: Bei einem Arztbesuch hat sie ihre Unlust mit den Worten „so eine Scheiße“ ausgedrückt und bei der Ansprache der Institutionsleitung ihrer Schule hat sie laut und deutlich mit ihrem Talker „so langweilig“ gesagt. Ich saß daneben mit leicht rotem Kopf aber voller Stolz im Herzen.
Oft hört man die Sorge, dass Unterstützte Kommunikation den Erwerb von Lautsprache behindern könnte. Was ist deine Erfahrung dazu?
Zu diesen Sorgen oder Einwänden, die ins Reich der Märchen gehören, gibt es Studien, die belegen, dass Unterstützte Kommunikation die Lautsprachentwicklung niemals behindert, sondern eher als Entwicklungsmotor dient, der kognitive und soziale Entwicklung oftmals erst ermöglicht.
Gibt es Situationen, in denen sprechende Autisten durch die Nutzung von Unterstützter Kommunikation eine wertvolle Ergänzung zu ihrer Lautsprache finden könnten?
Es gibt eine Vielzahl an Visualisierungshilfen, die das umfangreiche Symbolmaterial aus dem Bereich der Unterstützen Kommunikation nutzen. Diese Hilfen werden nicht im eigentlichen Sinne zur Kommunikation genutzt, sondern unterstützen auch sprechende Autisten bei der Orientierung im Raum, bei Handlungsabläufen, Zeiteinteilungen, Planung von Aktivitäten etc. Das bekannteste System ist TEACCH. Zur Unterstützung sozialer Interaktionen werden Social Scripts, Erzählhilfen oder auch Konsequenzpläne eingesetzt.
Was denkst du, sind die größten Missverständnisse über nonverbale Autisten und ihre Fähigkeit, sich auszudrücken?
Irene Leber, eine sehr erfahrene UK – Referentin, hat in einem Vortrag zum Thema UK – Diagnostik den Satz gesagt: „Ich kann nur sehen, was ein Mensch kann, nicht, was er nicht kann.“
Sie weist mit dieser Aussage daraufhin, dass wir bei Menschen mit Beeinträchtigungen, die auch noch nonverbal sind, sehr schnell den Schluss ziehen, dass bei diesen Personen eine gravierende kognitive Störung in Form einer erheblichen Intelligenzminderung vorliegen muss.
Ob und wie ausgeprägt eine Intelligenzstörung vorliegt, kann in der Regel nicht eindeutig diagnostisch geklärt werden, weil es dazu keine standardisierten Tests gibt.
Häufig werden nonverbale Personen unterschätzt, was zur Folge hat, dass diesem Personenkreis kein adäquates Angebot zur Kommunikationsförderung bereitgestellt wird. Was wiederum fatal ist, denn nur mit einem passenden Angebot können diese Personen lernen und sich weiterentwickeln. Sie sind völlig auf ihr Umfeld angewiesen; nur was ihnen angeboten wird, können sie lernen, was ihnen nicht bereitgestellt wird, bleibt für diesen Personenkreis unerreichbar.
Nonverbalen Autisten benötigen Zugang zur Kommunikation und Interaktion und müssen die Möglichkeit erhalten, verschiedene Kommunikationswege auszuprobieren. Dazu stehen viele Methoden wie zum Beispiel Intensive Interaktion zur Verfügung und natürlich die gesamte Bandbreite der Kommunikationshilfen. Dein Sohn nutzt Gebärden, andere nutzen Konzepte mit Symbolkarten oder auch technische Hilfen wie einfache oder auch komplexe Sprachausgabegeräte.
Wenn du einen Wunsch für die Zukunft der Unterstützten Kommunikation frei hättest, was wäre das?
Ich würde mir wünschen, das UK ein fester und selbstverständlicher Bestandteil aller Studiengänge und Ausbildungen in Pädagogik, Pflege und Medizin wird.
Welche Schritte empfiehlst du Eltern zusammenfassend auf dem Weg zur Unterstützten Kommunikation?
Bilden sie sich fort und fordern sie die entsprechende Unterstützung für ihr Kind ein. Lassen sie sich nicht von eingefahrenen Strukturen abschrecken.
Ist dir sonst noch etwas besonders wichtig?
Unterstützte Kommunikation hat für mich in erster Linie etwas mit einer bestimmten Haltung zu tun und der Einstellung, dass man sich auf einen lebensbegleitenden Weg begibt. Den richtigen Einstieg zu finden, ist nicht immer einfach und die Langstrecke bewältigt man nur im Team.
Liebe Christiane, ganz herzlichen Dank für deinen fachlichen Input, den du so klar auf den Punkt gebracht hast. Ich freue mich riesig darüber, dass ich dir als Expertin meine Fragen stellen durfte.
Alles Gute für dich und deine Familie ♥
Christiane Dieckmann
Sonderpädagogin und UK-Expertin,
autorisierte GesUK – Referentin,
LUK Kommunikationspädagogin/Referentin,
Mutter einer erwachsenen Tochter mit Rett-Syndrom
Christiane arbeitet aktuell an der Erstellung von Onlinekursen zu den Themen:
– Das Rett.Syndrom
und
– Vertiefungskurs: Rett-Snydrom – Unterstützte Kommunikation
Gerne werde ich in meinem Newsletter darüber berichten, wenn die Kurse erhältlich sind und dann auch an dieser Stelle verlinken.
Kontakt:
info@seiltanz-nfe
www.seiltanz-nfe.de
Zum Weiterlesen:
Unterstützte Kommunikation mit zweisprachigen Themenmappen – Erfahrungsbericht
Autismus und Gebärdensprache – wie alles begann