Wenn wir über das Autismus-Spektrum sprechen, geht es mir nicht nur darum, Informationen zu verbreiten, sondern auch darum, für Wertschätzung und Verständnis zu sensibilisieren – für Autistinnen und Autisten, aber auch für ihre Familien.
Es geht um Selbstreflexion, die Bereitschaft, innezuhalten und über unsere eigenen Annahmen und Vorurteile nachzudenken. Und es geht darum, Wege zu finden, wie wir zusammen eine Welt gestalten können, die auf Lebensqualität, individuellen Lösungen und Selbstbestimmung basiert.
Hier liest du:
Die Werte auf Ellas Blog
Werte sind wie das Fundament eines Hauses – sie geben Struktur, Stabilität und erinnern immer wieder daran, warum wir tun, was wir tun. Ebenso zeigen sie nach außen, wofür jemand steht und mit welcher Motivation etwas publiziert wird, so wie hier auf Ellas Blog.
Genauso wie ein Haus im Laufe der Zeit renoviert und erweitert wird, sind die Werte für meine Arbeit mit der Zeit gewachsen und haben sich entwickelt. Manche Formulierungen, die folgen, mögen strikt klingen und polarisieren vielleicht hier und da.
Das ist mir bewusst, aber auch Sinn und Zweck von Werten, die meiner Arbeit zugrunde liegen. Es geht mir nicht darum, es einer gängigen Norm oder Mehrheit Recht zu machen, sondern darum die Erfahrungen jahrelanger Präsenz in der „Autismusszene“ in meine Arbeit einfließen zu lassen und damit auch denjenigen Raum zu geben, die oft nicht gehört werden.
Wertschätzung für Autistinnen und Autisten sowie deren Familien
Wertschätzung für Autistinnen und Autisten sowie deren Familien ist mir ein besonders großes Anliegen. Nicht nur aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schmerzhaft es sein kann, wenn unsere Kinder und man selbst misstrauisch und kritisch beäugt wird, Kompetenzen abgesprochen werden und damit die Grundlage für ein wohlwollendes Miteinander entzogen wird.
Hinter jedem von uns steckt eine individuelle Persönlichkeit, die es zu verstehen und zu würdigen gilt. Häufig geht es auch einfach nur darum, das Gefühl zu haben, gesehen zu werden.
Wertschätzung bedeutet für mich in diesem Zusammenhang mehr als nur oberflächliche Anerkennung. Es bedeutet, Verständnis und Empathie für die Herausforderungen und Stärken jedes Einzelnen zu entwickeln. Es bedeutet, sich Zeit zu nehmen, zuzuhören und die Welt durch die Augen des anderen zu sehen, um so eine Brücke des Verständnisses und der Verbundenheit zu bauen.
Es ist mir ein großes Anliegen, dass gerade Entscheidungsträger oder mit unseren Kindern fachlich arbeitende Personen auf diese Weise jeden Einzelnen und auch uns Eltern sehen. Deshalb freue ich mich immer wieder sehr, dass ich auch von fachlicher Seite angeschrieben werde und die Perspektive aus Eltern- bzw. Familiensicht vermitteln und aufklären darf.
Selbstreflexion aller Beteiligten
Regelmäßige Selbstreflexion halte ich für einen zentralen Wert beim Zusammenleben und Arbeiten mit Autistinnen und Autisten. Es geht darum, dass wir alle, die wir in der Aufklärung und Förderung von Autistinnen und Autisten aktiv sind – egal ob Eltern, Fachleute oder Entscheidungsträger und auch AutistInnen – bereit sind, einen kritischen Blick auf uns selbst zu werfen und unsere eigenen Annahmen, Vorurteile und Handlungen zu hinterfragen.
Für Eltern autistischer Kinder bedeutet Selbstreflexion, sich immer wieder die Frage zu stellen, ob wir unsere Kinder wirklich verstehen, ob wir ihre Bedürfnisse wahrnehmen, sie ihn ihrer Selbstbestimmung stärken und ob wir sie auf ihrem individuellen Entwicklungsweg bestmöglich unterstützen. Es bedeutet auch, sich bewusst zu machen, welche Erwartungen wir an unsere Kinder haben und ob diese wirklich ihren eigenen Interessen und Fähigkeiten entsprechen oder ob wir einer von außen vorgegebenen Erwartung nachlaufen.
Erwartungshaltungen können und dürfen sich im Laufe der Zeit verändern, das ist ein Zeichen dafür, dass wir alle dazu lernen. Dazu gehört natürlich auch das Reflektieren unserer Interaktion mit anderen, regelmäßig darüber nachzudenken, ob sie wertschätzend und wohlwollend ist.
Autistinnen und Autisten, die zum Teil wertvolle Aufklärungsarbeit leisten und therapeutisch oder beratend tätig sind, bringen oft ein einzigartiges Insider-Wissen und eine persönliche Perspektive mit, die für die Arbeit im Autismusbereich von unschätzbarem Wert ist.
Doch auch sie dürfen sich, wie alle anderen, regelmäßig selbst reflektieren und eigene Überzeugungen, Meinungen und Sichtweisen kritisch hinterfragen und im jeweiligen Kontext (neu) betrachten.
Aber auch Fachleute und Entscheidungsträger sind gefordert, sich selbstkritisch zu hinterfragen. Sie sollten sich fragen, ob ihre Herangehensweise und ihre Entscheidungen wirklich im besten Interesse der autistischen Menschen und ihrer Familien liegen oder ob vorgegebenen Normen entsprochen werden soll. Dabei ist es wichtig, dass sie offen für neue Erkenntnisse und Perspektiven sind und bereit sind, ihre Denkweisen und Handlungsweisen anzupassen, wenn nötig.
Es ist auch entscheidend, die Kompetenz von AutistInnen und Angehörigen zu respektieren und in Entscheidungen einzubeziehen. Denn Autismus kann man nicht eindimensional betrachten, es kann nur das Beste für alle Beteiligten erreicht werden, wenn alle gehört werden – das ist meine feste Überzeugung.
Nur durch Selbstreflexion können wir unser eigenes Verhalten und unsere eigenen Einstellungen ändern und somit einen positiven Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität autistischer Menschen und ihrer Familien leisten. Dies von allen Beteiligten zu erwarten, ist meiner Ansicht nach Bestandteil von der vielfach zurecht geforderten Kommunikation „auf Augenhöhe“.
Ich möchte daher dazu ermutigen, sich regelmäßig die Zeit zu nehmen, um innezuhalten und sich selbst zu hinterfragen. Denn nur so können wir gemeinsam wachsen und lernen – im Sinne einer inklusiven und unterstützenden Gesellschaft. Es ist ein Zeichen von Stärke, Denkweisen zu ändern und Handlungsweisen entsprechend anzupassen.
Ressourcen- und lösungsorientierte Herangehensweise ohne Schuldzuweisungen
Statt uns auf Probleme zu konzentrieren oder Schuld zuzuweisen, ist mir wichtig, den Fokus darauf zu legen, vorhandene Ressourcen zu erkennen und zu nutzen, um gemeinsam Lösungen zu finden.
Diese Herangehensweise bedeutet, dass wir jeden Menschen – egal ob autistisch oder nicht – als einzigartiges Individuum betrachten, das über einzigartige Stärken und Fähigkeiten verfügt. Anstatt Defizite zu betonen, dürfen wir nach Möglichkeiten suchen, wie Stärken genutzt werden können, um Herausforderungen zu bewältigen und Ziele zu erreichen.
Häufig wird nach Schuldigen oder Verantwortlichen für bestimmte Probleme gesucht. Es ist zum Beispiel gängige, traurige Praxis den Grund für Verhaltensauffälligkeiten bei der Erziehung der Eltern zu sehen und den „schwarzen Peter“ erstmal dorthin zu schieben, anstatt nach konstruktiven, gemeinsamen Lösungen zu suchen. Viele Herausforderungen sind systembedingt oder auf nicht angepasste Rahmenbedingungen zurückzuführen. Dabei hilft kein Gegeneinander, sondern nur ein Miteinander, um Lösungen zu finden.
Indem wir uns auf Ressourcen konzentrieren und Schuldzuweisungen vermeiden, schaffen wir eine Atmosphäre des Vertrauens und der Zusammenarbeit, in der jede und jeder sein Bestes geben kann, um gemeinsam positive Veränderungen zu bewirken.
Fokus auf Lebensqualität, individuelle Lösungen und Selbstbestimmung
Das ist ein Wert, der sich definitiv im Laufe der Jahre entwickelt hat. Ich möchte sagen, es ist eigentlich auch der wichtigste Wert, der alles andere einbezieht.
Jeder Mensch hat unabhängig von seiner neurologischen Ausstattung das Recht, ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben zu führen. Und niemand darf das in Frage stellen.
Deshalb lege ich großen Wert darauf, individuelle Lösungen zu entwickeln, die den Bedürfnissen und Wünschen jedes Einzelnen gerecht werden. Statt starre und einheitliche Ansätze zu verfolgen, sollten wir nach maßgeschneiderten Lösungen suchen, die den persönlichen Umständen und Vorlieben jedes autistischen Menschen entsprechen.
Und nein – das ist kein Luxus, sondern etwas, das wir uns alle wünschen. Warum sollte das für unsere autistischen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen nicht gelten?
Es ist lediglich Umdenken (und nicht immer viel Geld) erforderlich, um es allen Beteiligten leichter zu machen, diese selbstbestimmten Wege zu suchen, zu finden und dann auch gehen zu können.
Zentral dabei ist die Betonung der Selbstbestimmung. Ich glaube fest daran, dass mein in allen Belangen unterstützungsbedürftiger Sohn (und natürlich alle anderen) gerade deshalb die Möglichkeit haben muss, so selbstbestimmt wie möglich zu leben. Denn in seiner Selbständigkeit eingeschränkt zu sein, bedeutet nicht, nicht selbstbestimmt leben zu können oder zu dürfen.
Diese Selbstbestimmung muss sich auf alle Lebensbereiche erstrecken, wie z.B. Bildung, Arbeit, Wohnen oder Freizeitgestaltung. Ein Instrument dafür ist das Persönliche Budget, das noch viel zu häufig ausgeredet wird oder wozu Hürden aufgebaut werden, die nicht sein müssten.
Letztendlich geht es darum, die Lebensqualität aller autistischen Menschen und deren Familien zu verbessern und ihnen die Möglichkeit zu geben, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen. Indem wir den Fokus auf Lebensqualität, individuelle Lösungen und Selbstbestimmung legen, setzen wir uns für eine Umgebung ein, in der jeder sein volles Potenzial entfalten kann – ich hoffe, dass ich noch eine ganze Weile mit Aufklärung und Erfahrung dazu beitragen kann.
Von der Theorie zur Praxis
Die Werte, die ich euch hier vorgestellt habe erinnern mich immer wieder daran, dass meine Arbeit nicht nur darin besteht, Informationen zu verbreiten, sondern auch Sensibilität für die Bedürfnisse und die Individualität autistischer Menschen und ihrer Familien zu schaffen.
Ich würde mir sehr wünschen, wenn sich auch andere damit identifizieren könnten, auch wenn mir natürlich klar ist, dass jede und jeder ganz eigene Werte und eine eigene Perspektive hat.
Wie auch immer, ist es entscheidend, dass sich alle Beteiligten darüber bewusst sind, dass wir das Beste für Autistinnen, Autisten und deren Familien und damit auch für alle Personen, die mit ihnen arbeiten, erreichen, wenn wir gemeinsam an Lösungen arbeiten.
Durch Selbstreflexion und die Akzeptanz der Selbstbestimmung jedes Einzelnen können wir gemeinsam ein Umfeld gestalten, das geprägt ist von Respekt, Verständnis und Wertschätzung für die Vielfalt des Autismus-Spektrums. Indem wir uns auf die Stärken und Ressourcen konzentrieren und Schuldzuweisungen vermeiden, schaffen wir eine Atmosphäre des Vertrauens und der Zusammenarbeit, in der alle ihr volles Potenzial entfalten können.
Dabei sollten diese Werte natürlich keine theoretischen Konzepte bleiben, sondern dürfen täglich in unseren Handeln gelebt werden.
Ich danke allen, die sich für Autistinnen, Autisten und deren Familien einsetzen, von Herzen.
zum Weiterlesen:
Leitfaden für wertschätzende und unterstützende Zusammenarbeit von Familie und Fachleuten