Tatsächlich liegt der Beginn meiner persönlichen Reise in die Welt der Frühförderung schon mehr als 20 Jahre zurück. Damals, voller naiver Hoffnung, dachte ich, ein paar Sitzungen würden genügen – sechs Mal zur Therapie, und dann wäre alles wieder in Ordnung. Wie sehr ich mich geirrt hatte! Zu diesem Zeitpunkt standen wir noch ganz am Anfang, ohne eine konkrete Diagnose, nur mit einem Bündel an Fragen und tiefer Ungewissheit im Gepäck (rw).
Über unsere Geschichte hinaus durfte ich im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte Anteil an den Erfahrungen, Wünschen, Hoffnungen und Sorgen anderer Familien nehmen. Aus diesem Fundus an Erfahrungen ist dieser Blogbeitrag entstanden, der hoffentlich Eltern und auch den Mitarbeitenden in den Frühförderstellen eine kleine Orientierung geben kann.
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persönlicher Rückblick
Die Zeit der Frühförderung war nicht nur eine Phase der Unterstützung und Förderung für Niklas, sondern auch der Rahmen, in dem wir uns der Diagnosestellung näherten. Es war eine Zeit voller Hoffnungen und Ängste, ein emotionales Auf und Ab.
Die Therapeutinnen und das gesamte Team der Frühförderstelle waren nicht nur für mein Kind da, sondern auch für mich. Sie hatten nicht nur mit den Herausforderungen von Niklas zu tun, sondern auch mit meinen eigenen Ängsten, Fragen und manchmal auch mit meiner zeitweisen Verzweiflung.
Rückblickend bin ich sehr dankbar für die einfühlsame Begleitung und die wertvolle Unterstützung, die wir erfahren durften. Besonders am Herzen liegt mir die Förderung der Gebärdensprache, die für uns ein unschätzbares Stück Lebensqualität wurde. Ebenso bin ich dankbar dafür, dass wir in dieser sensiblen Phase nicht mit Methoden wie ABA oder heilsversprechenden Anwendungen konfrontiert wurden. Wir hatten mit Menschen zu tun, die diesen Maßnahmen zum Glück auch nichts abgewinnen und diese ethisch nicht vertreten konnten.
Die Zeit mit der Frühförderung war mehr als nur ein Weg der Unterstützung – sie war ein Weg des gemeinsamen Wachsens und Lernens, die für uns eine sehr wichtige Grundlage für alles weitere bildete.
Wünsche und Hoffnungen von Eltern
Wenn Eltern ganz neu in die Frühförderung kommen, haben sie einen Rucksack voller Hoffnungen und Erwartungen dabei.
Weit vorne steht der tiefe Wunsch nach Verständnis – Verständnis für die einzigartigen Herausforderungen und Bedürfnisse ihres Kindes, aber auch für ihre eigene Situation als Familie, die ganz anders ist, als man sich das ausgemalt hatte. Sie sehnen sich nach Personen, die nicht nur mit fachlicher Kompetenz glänzen, sondern auch mit offenen Herzen und offenen Ohr (rw) für sie da sind.
Genauso wichtig ist die Hoffnung auf Unterstützung. Unterstützung, die über therapeutische Maßnahmen hinausgeht und die Familie als Ganzes im Blick hat. Eltern wünschen sich Partner an ihrer Seite, die sie in schwierigen Momenten auffangen und in guten Momenten mit ihnen feiern. Sie suchen nach Menschen, die ihnen praktische Werkzeuge an die Hand geben, um den Alltag zu meistern, und die ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind.
Nicht zuletzt hegen Eltern die Hoffnung auf positive Veränderungen, kleine Schritte, die das Leben ihres Kindes und das der ganzen Familie bereichern. Sei es durch die Förderung von Kommunikationsfähigkeiten, durch kleine Fortschritte in der Selbstständigkeit oder einfach durch ein glücklicheres, ausgeglicheneres Kind – diese positiven Veränderungen sind es, die Eltern Kraft für den weiteren Weg geben.
So wie ich damals dachte, dass nach sechs Mal Therapie alles normal sein würde, hegen diese Sehnsucht nach Normalität auch viele andere Eltern. Aber was bedeutet ein sog. normales Leben eigentlich? Und ist das wirklich erstrebenswert? Das Reflektieren dieser Fragen setzt bei den meisten erst später ein – denn auch das zu realisieren, ist ein Prozess.
Diese erstrebenswerte Normalität bedeutet für viele Eltern zu diesem Zeitpunkt, dass ihr Kind am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann (eine Kita besuchen und vielleicht in einem Verein und in Spielgruppen aktiv sein), Freundschaften schließen (sich mit Freunden treffen, zu Geburtstagen eingeladen werden, auf dem Spielplatz spielen) oder in der Schule mitkommen (sich in der Schule wohlfühlen, Freunde finden, Freude am Lernen entwickeln).
Diese „ganz normalen“ Dinge, die absolut nachvollziehbar sind, bleiben vielen Kindern zunächst oder auch lange Zeit oder sogar dauerhaft verwehrt und nicht nur Eltern, die am Anfang der Reise stehen, tut das besonders weh, da wir uns für unsere Kinder Gesundheit, Teilhabe und Glück wünschen.
In dieser Zeit wird man auch damit konfrontiert, dass manche Wünsche und Hoffnungen dauerhaft nicht erfüllbar sein werden. Vielleicht ist es der Wunsch, dass das eigene Kind eines Tages ganz ohne Unterstützung auskommen wird, oder die Hoffnung, dass das Kind laufen lernen oder sprechen können wird oder noch andere Meilensteine, die sich in der Entwicklung nicht beeinträchtigter Kinder im Laufe der Zeit eben einstellen.
Diese Konfrontation mit der Realität kann enorme Auswirkungen auf die Familie haben. Es kann zu Gefühlen der Trauer, Enttäuschung oder gar Schuld führen, die wir Eltern zunächst mit uns selbst auszumachen versuchen, ohne es unsere Kinder und andere Personen spüren zu lassen. Es erfordert ein stetiges Balancieren zwischen Hoffnung und Akzeptanz, zwischen dem Wunsch nach einem „normalen“ Leben und der Wertschätzung des einzigartigen Weges, den das eigene Kind beschreitet.
Dieses „es mit sich selbst ausmachen“ gelingt auf Dauer meistens nicht und wir müssen es auch nicht alleine schaffen. Deshalb ist es unglaublich wichtig, dass wir in dieser sensiblen Phase gut begleitet werden und Hilfe annehmen. Auch deshalb hat die Begleitung durch die Frühförderung großen Anteil an der Entwicklung des Kindes, aber auch an der der Eltern und der gesamten Familie.
Was Frühförderung leisten kann und was nicht
Auch wenn ich selbst nicht in einer Frühförderstelle arbeite und keine fachliche Kompetenz in dieser Hinsicht vorweisen kann, habe ich mich intensiv mit diesem Bereich auseinandergesetzt, um euch, lieben Eltern, wichtige Einblicke und Verständnis rund um die Frühförderung eurer Kinder zu geben. Meine Ausführungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, ich bin sicher, dass Frühförder-Profis noch Ergänzungen haben und lade dazu ein, dies gerne in den Kommentaren zu tun.
Frühförderung ist wie ein bunter Strauß voller Unterstützungsangebote, die speziell darauf ausgelegt sind, deinem Kind in seiner Entwicklung unter die Arme zu greifen. Von der Unterstützung in der Bewegung bis hin zur Sprachentwicklung – das Ziel ist, deinem Kind zu helfen, seine individuellen Fähigkeiten zu entfalten und den Weg für die Zukunft zu ebnen.
Die Frühförderung ist also ein umfassendes Angebot, das darauf abzielt, Kinder mit Entwicklungsverzögerungen oder Behinderungen frühzeitig zu unterstützen. Sie umfasst eine Vielzahl von Therapieangeboten wie z.B. Physio- und Ergotherapie, Moto- und Logopädie, Psychomotorik und vieles mehr, je nach Profil der jeweiligen Frühförderstelle.
Zentrales Ziel ist es, den Kindern zu ermöglichen, ihre Potentiale bestmöglich zu entfalten, ihnen den Einstieg in den Kindergarten oder die Schule zu erleichtern und Teilhabe zu ermöglichen.
Die Gestaltung der individuellen Frühförderung deines Kindes ist ein Prozess und kann sich daher auch immer wieder verändern. Gewöhnlich startet alles mit einem ausführlichen Gespräch, in dem deine Beobachtungen, Sorgen und Wünsche für dein Kind im Mittelpunkt stehen und Fachkräfte aus der Frühförderung ihre Expertise einbringen.
Gemeinsam werden dann die Entwicklungsziele festgelegt, die auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten deines Kindes zugeschnitten sind. Regelmäßiger Austausch und Anpassungen sind wichtig, um sicherzustellen, dass die Förderung aktuell an den Bedürfnissen deines Kindes und deiner Familie ausgerichtet bleibt. Es ist eine Partnerschaft, in der deine Stimme zählt und deine aktive Beteiligung mitentscheidend ist.
So sehr wir uns auch wünschen, dass die Frühförderung alle Hürden beseitigen kann, müssen wir aber auch erkennen, dass sie ihre Grenzen hat. Sie ist eine starke Stütze, aber nicht alle Herausforderungen lassen sich vollständig überwinden. Es geht darum, deinem Kind die bestmögliche Unterstützung zu bieten, auch wenn nicht jedes Ziel (sofort) erreichbar ist. Das Verstehen dieser Grenzen hilft dabei, die Fortschritte unserer Kinder in einem realistischen Licht zu sehen und die Entwicklungsschritte zu feiern, die für unser eigenes Kind ein wirkliches Fest bedeuten – auch das ist übrigens ein Prozess.
Herausforderung: unrealistische Erwartungen
Eine der größten Herausforderungen für Eltern und Fachkräfte ist es, realistische Erwartungen an die Ergebnisse der Frühförderung zu haben. Unrealistisch hohe Erwartungen können zu Enttäuschungen führen und den familiären Alltag zusätzlich belasten.
Es ist wichtig, eine Balance zu finden zwischen dem Glauben an die Möglichkeiten des Kindes und der Akzeptanz seiner individuellen Grenzen. Realistische Erwartungen helfen dabei, Fortschritte wertzuschätzen, auch wenn sie klein erscheinen mögen, und fördern eine positive, unterstützende Atmosphäre in der Familie.
Auch für Fachkräfte ist es eine Herausforderung, mit überzogenen Erwartungen seitens der Eltern konfrontiert zu werden. Häufig sind es die Hoffnung und der tiefe Wunsch, das Beste für das Kind zu erreichen, die Eltern dazu bringen, sehr hohe Ziele zu setzen. Manchmal sind es auch Unwissenheit über Diagnosen und den Verlauf von Entwicklungsstörungen oder Behinderungen und die Wirksamkeit von Therapien, die zu unrealistischen Vorstellungen führen.
Auch wenn Frühförderstellen eine wichtige Unterstützung bieten, gibt es Bereiche, die außerhalb ihrer Reichweite liegen. So liegt beispielsweise die Diagnosestellung in der Hand spezialisierter Fachkräfte, und Frühförderstellen können hier vornehmlich beratend wirken. Die emotionale Verarbeitung und Akzeptanz einer Diagnose ist ein tief persönlicher Prozess für die Familie, bei dem Fachkräfte zwar unterstützend, aber nicht bestimmend sein können.
Der Wunsch vieler Eltern nach einer „Heilung“ oder einem „normalen“ Leben für ihr Kind ist zunächst nachvollziehbar, doch müssen sich alle Beteiligten darauf einstellen, dass Frühförderung vorrangig auf die bestmögliche Entwicklung des Kindes abzielt und keine Heilung als Ziel hat.
In diesem Zusammenhang werden Eltern manchmal von anderer Seite mit Therapieansätzen konfrontiert, die zweifelhaft oder sogar unseriös sein können. Es ist wichtig, dass wir Eltern verstehen, dass nicht alle Methoden, die von den unterschiedlichsten Personen an uns herangetragen werden, sinnvoll und ethisch vertretbar sind. Für Frühförderstellen ist es häufig schwierig, genau dies zu vermitteln.
Die Frage nach der Qualität und Quantität der Förderung ist ein weiterer Punkt, bei dem Erwartungen und Realität manchmal auseinandergehen. Trotz des Bestrebens, individuell abgestimmte und hochwertige Förderung anzubieten, sind die Möglichkeiten der Frühförderstellen durch Ressourcen und Kapazitäten begrenzt.
Auch die Unterstützung der Familie und die Umsetzung der Fördermaßnahmen im Alltag sind Bereiche, in denen die Verantwortung hauptsächlich bei den Familien liegt, auch wenn Frühförderstellen beratend zur Seite stehen.
Schließlich ist die Versorgung in Kitas und Schulen ein entscheidender Faktor für die Entwicklung des Kindes. Frühförderstellen können Übergänge begleiten und Empfehlungen aussprechen, aber in die Entscheidungen und Maßnahmen der Bildungseinrichtungen nicht eingreifen. Das ist oft sehr frustrierend und belastend für Familien und insgesamt im Moment leider ein riesengroßes Problem.
Was Eltern sich wünschen und brauchen
Die meisten Eltern brauchen an den richtigen Stellen Einfühlungsvermögen ihres Gegenübers, insbesondere in Momenten, die emotional herausfordernd sein können. Gleichzeitig ist es wichtig, Eltern durch gezielte Aufklärung zu führen, damit sie verstehen, wie sie ihr Kind unterstützen können und welche Rolle sie im Entwicklungsprozess spielen. Dazu wünschen sich auch viele Eltern, dass genauer erklärt wird, warum welche Übungen zum Beispiel wichtig sind und welches Ziel sie haben.
Unrealistische Erwartungen seitens der Eltern erfordern eine sensible Handhabung. Eine offene und ehrliche Kommunikation darüber, was realistischerweise durch Frühförderung erreicht werden kann, hilft dabei, diese Erwartungen anzupassen und gleichzeitig die Hoffnung und Motivation der Eltern aufrechtzuerhalten. Es ist zudem von großer Bedeutung, den Eltern Orientierung und Struktur zu geben, um ihnen Sicherheit im Förderprozess ihres Kindes zu vermitteln.
Dabei kann es sehr hilfreich sein, Kontakt zu anderen Eltern, Selbsthilfegruppen oder gerne auch Ellas Blog herzustellen. Manchmal sind unbequeme Wahrheiten leichter zu akzeptieren, wenn man sie von Menschen hört, die im sprichwörtlich gleichen Boot (rw) sitzen.
Die Kommunikation zwischen Fachkräften und Eltern sollte regelmäßig und über verschiedene Kanäle wie E-Mails, Förderhefte oder persönliche Gespräche erfolgen. Dies ermöglicht es den Eltern, Themen in Ruhe zu reflektieren bzw. zu verarbeiten, Fragen zu stellen und ihre Anliegen zu teilen, was wiederum für eine transparente und vertrauensvolle Zusammenarbeit unerlässlich ist.
Eltern wünschen sich auch, dass trotz aller Herausforderungen, die zu bewältigen sind, die Stärken und Ressourcen der Kinder hervorgehoben werden. Gerade in diesem Alter fallen so viele Defizite auf, die immer wieder zur Sprache kommen, dass es sowohl für Eltern, als auch natürlich für unsere Kinder, sehr wichtig und ermutigend ist, wenn auch über die Stärken gesprochen wird und diese genutzt werden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Anleitung der Eltern beim Aufbau eines unterstützenden Netzwerks, das nicht nur den Austausch mit anderen betroffenen Familien ermöglicht, sondern auch den Zugang zu weiterführenden Beratungsangeboten und Selbsthilfegruppen bietet.
Wichtig ist es, den Eltern zu versichern, dass sie und ihr Kind nicht allein sind und dass die Förderung stets darauf ausgerichtet ist, das Beste aus der Situation herauszuholen. Viele Familien brauchen vor allem Verständnis für ihre Situation und auch die Anerkennung der Anstrengungen der gesamten Familie. Das trägt zu einer vertrauensvollen Grundlage bei, auf der auch weniger schöne oder belastende Wahrheiten ausgesprochen werden können.
Noch zwei Dinge
Liebe Eltern, ich möchte euch noch ans Herz legen, wie entscheidend eure aktive Beteiligung und das Anwenden der in der Frühförderung erlernten Methoden im familiären Alltag für die Entwicklung eurer Kinder ist. Ihr sollt nicht zu Therapeutinnen und Therapeuten werden, weil ihr schließlich die Eltern seid. Aber es gibt viele kleine Methoden, bei denen es nicht um Therapie an sich geht, sondern darum, diese als hilfreiche tägliche Routinen in euren Alltag einzubinden. Es geht häufig um Ansätze, die ein unterstützendes Umfeld innerhalb eurer Familie schaffen. Das wiederum hilft euren Kindern, Schritt für Schritt voranzukommen. Eure Rolle in diesem Prozess ist unschätzbar und macht einen echten Unterschied im Fortschritt eurer Kinder.
Liebe Fachkräfte: Auch wenn wir Eltern es nicht immer in Worte fassen können und es im Trubel des Alltags vergessen zu sagen, so sind wir doch sehr dankbar für euren Einsatz. Eure Arbeit, euer Verständnis und eure Unterstützung sind für uns und unsere Kinder von unschätzbarem Wert. Wir schätzen eure Geduld und euer Engagement, uns auf diesem Weg zu begleiten und uns zu helfen, das Beste für unsere Kinder zu erreichen. Danke dafür.
Ich hoffe, dieser Beitrag gibt ein paar Anstöße für eure wertvolle, gemeinsame Zusammenarbeit.
Zum Weiterlesen:
Leitfaden für unterstützende Zusammenarbeit von Familie und Fachleuten
Welche Therapie ist für mein Kind die richtige?
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