Antworten auf eure Fragen (Teil2): zwischen Glücksmomenten und Stolpersteinen

veröffentlicht im Februar 2024


Über die Jubiläumsumfrage erreichten mich unzählige persönliche Fragen. Im ersten Teil der Antworten hatte ich bereits viel darüber geschrieben, wie man seine Kraft erhalten und in Balance bleiben kann.
Hier folgen nun noch ein paar andere Fragen, auf die ich euch sehr gerne noch antworten möchte.

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Was war die schlimmste und was die glücklichste Erfahrung in Bezug auf den Autismus deines Sohnes?

Die schlimmsten Erfahrungen haben mit Ausgrenzung zu tun: eine Pädagogin, die meinte, dass Inklusion nicht angebracht sei, weil Behinderte stinken…… ein alter Mann, der an der Supermarktkasse meinte, dass man „sowas“ früher weggesperrt hätte….. und Ausgrenzung im „vermeintlich Kleinen“, wenn Teilhabe unmöglich gemacht wurde von Menschen, die es eigentlich besser wissen müssten.

Die glücklichsten Erfahrungen sind, wenn Niklas Menschen erobert und sie in sein Herz schließt und umgekehrt. Ich weiß nicht, wie er das immer wieder schafft, Menschen für sich einzunehmen. Das ist wunderbar zu sehen und lässt mich positiver in die Zukunft sehen.
Für mich persönlich sind es die Momente, in denen er „Mama“ sagt, mich umarmt oder laut loslacht. Es sind die Kleinigkeiten, die zeigen, dass es ihm gut geht und dann geht`s mir auch gut.

Gibt es etwas am Autismus deines Sohnes, was du bewunderst oder besonders gut findest?

Ja, in der Tat. Ich bewundere seine Geduld mit uns, wenn wir ihn manchmal nicht gleich verstehen.
Ich bewundere seine Tapferkeit, denn er hat schon viel aushalten müssen. Damit meine ich Verletzungen wie z.B. einen gebrochenen Arm oder das Entfernen der Weisheitszähne, aber auch belastende Situationen in der Schule oder der Förderstätte, wenn er selbst oder Mitschüler bzw. Freunde in Not waren.
Ich liebe seinen Humor, mit dem er Menschen für sich gewinnt und für den er auch in den schwierigsten Situationen empfänglich ist. Wenn alles zu spät ist, kann man es bei ihm immer mit einem noch so blöden Witz versuchen ;-)
Ich bewundere seine Gabe, Menschen für sich einzunehmen und sie „um seinen kleinen Finger zu wickeln“ (rw). Man kann ihm nicht lange böse sein, weil er so ein großes Herz hat und niemanden vergisst, der gut zu ihm ist.
Ich bewundere seinen Fleiß, die Gebärdensprache zu lernen, die sein und unser Leben absolut bereichert. Es war seine Idee, nicht unsere – dafür bin ich ihm zutiefst dankbar.
Ich bewundere seine Willensstärke und seine Cleverness, die mich zwar manchmal an den Rand von allem möglichen führen, mir aber auch zeigt, dass er sich zu wehren und zu behaupten weiß, wenn ich nicht bei ihm bin.

Wird Niklas immer bei euch leben? Wo siehst du deinen Sohn in 20 Jahren?

Das ist eine Frage, die sicherlich viele Eltern beschäftigt, eng verbunden mit der Sorge, wie lange man selbst in der Lage sein wird, sich um alles zu kümmern. Niklas hat ja schon den Schritt gewagt und lebt zeitweise in seiner eigenen Wohnung, mit dauerhafter Assistenz natürlich. Wir Eltern sind Teil des Team und wollen das auch noch sehr lange sein, denn wir möchten weiterhin viel Anteil an seinem Alltag und auch Niklas möchte viel Kontakt zu seiner Familie haben. Das klappt im Moment ziemlich gut und wir sind sehr glücklich über das tolle Team, das uns dabei unterstützt. Hier ist übrigens die Website zum Wohnprojekt.

Wo wir in 20 Jahren stehen, wer weiß das schon? Wichtig ist uns, dass Niklas seinen Weg findet, der ihm Freude macht und zu ihm passt. Selbstbestimmung und Lebensqualität stehen ganz oben. Das halte ich für essentiell, ganz gleich, wo man im Autismus-Spektum zuhause ist.
Ich verstehe den Wunsch, Lösungen für die Ewigkeit zu kreieren, das habe ich auch immer so gewollt, um Sicherheit und Kontrolle über alles zu haben. Aber das ist nicht möglich und ich denke, dass wir Eltern es aushalten müssen, dass sich Situationen und Bedürfnisse immer wieder verändern können – das ist ganz unabhängig davon, wie und wo unsere Kinder leben. Bedürfnisse verändern sich und ich sehe es als unsere Aufgabe an, diese wahr- und ernstzunehmen und unsere Kinder dabei zu unterstützen, ihren selbstbestimmten Weg zu gehen. Es ist ein dynamischer Prozess. Wir lernen ständig dazu, probieren Neues aus und passen uns an.

Hast du Wünsche für das weitere und vor allem höhere Erwachsenenalter deines Sohnes? Wie soll sein Netzwerk aussehen, wenn Großeltern und Eltern mal nicht mehr da sind?

Mit dem individuellen Wohnprojekt haben wir den Grundstein für sein Netzwerk gelegt. Das fühlt sich jetzt schon an wie eine erweiterte Familie.
Dieses Netzwerk, das wir Stück für Stück weiter aufbauen, ist wie ein Sicherheitsnetz, das nicht nur ihn, sondern auch mich ein bisschen beruhigt. Es nimmt die Sorge vor der Zukunft, weil ich sehe, wie Beziehungen wachsen. Und das Schöne ist, dass dieses Netzwerk aus Menschen besteht, die wirklich verstehen, was es heißt, Teil von etwas Besonderem zu sein – es entsteht ein Zusammenwirken von Menschen, die nicht nur da sind, weil sie müssen, sondern weil sie wollen.

Die Sorge um die Zukunft ist natürlich immer da und die wäre es bei jeder Wohnform. Ein heute bezogener Wohnplatz ist schon lange keine Garantie mehr für eine dauerhafte Lösung, das zeigen die aktuellen Entwicklungen auf dramtische Weise. Es kam auch die Frage von euch, warum wir schon so rechtzeitig mit dem Aufbau einer individuellen Wohnform begonnen haben und woher wir wussten, dass das notwendig ist? Da mein Mann und ich beide ehrenamtlich sehr aktiv sind und ich über Ellas Blog viele Schicksale mitbekomme, die sich um das Thema Wohnplätze drehen, war uns klar, dass wir einen neuen, innovativen und selbstbestimmten Weg gehen möchten. Zu diesem Aspekt habe ich ausführlicher in diesem Beitrag geschrieben.
Wir spüren gemeinsam mit Niklas, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das gibt mir die Zuversicht, dass egal was kommt, mein Sohn nie allein sein wird. Er wird immer sein ganz persönliches Team haben und natürlich die jüngere Generation innerhalb der Familie, zuallererst seine Schwester.

Mut macht übrigens auch, dass es inzwischen immer häufiger Familien gibt, die diesen selbstbestimmten Weg mit dem Persönlichen Budget gehen. Wenn man sich in dieser Hinsicht zusamnenschließt, entsteht ein wertvolles und einander stärkendes Zusammenwirken, auch wenn es aktuell noch viel Pionierarbeit bedeutet.

Was hat dir als Mutter am meisten geholfen von Seiten Autismus-Förderung? Was hättest du dir von dieser Seite noch gewünscht?

Wenn etwas wirklich geholfen hat, dann wenn es eine Brücke zwischen uns Eltern und den Fachleuten gab, die nicht nur Wissen, sondern auch Verständnis und Empathie rüberbrachten. Das Gefühl, dass da jemand ist, der nicht nur Bücherwissen an den Tag legt und genormte Abläufe durchzieht, sondern auch versteht, warum er tut, was er tut, individuell auf Niklas eingeht und uns das auch vermitteln konnte.
Es ist wichtig, dass wir Eltern nicht nur als Zuschauer am Rand stehen, sondern mitten im Geschehen sind, verstanden und wertgeschätzt in unserer Rolle. Immer wenn das möglich war, gab es auch ein konstruktives Miteinander, das nicht zuletzt Niklas zugute kam.
Wichtig dafür ist, dass Eltern mündige Entscheider werden, dafür möchte ich hier gerne nochmal die Kriterien für Therapieangebote verlinken, die weiterhelfen können, reflektierte Entscheidungen zu treffen.

Ganz allgemein wäre es wünschenswert, wenn Familien eine Person an die Seite gestellt wird, die dabei unterstützt, den Überblick zu behalten. Denn das ist im Trubel des Alltags und bei all den Stimmen, die auf uns einwirken, häufig sehr schwierig. Diese Person sollte nicht bestimmen, was zu tun ist, sondern dabei helfen, mündige und individuelle Entscheidungen zu treffen.
Es sollte außerdem eine Person sein, die Eltern, die noch ganz am Anfang der Reise stehen, frühzeitig vermittelt, dass es nicht darum geht, Kinder vom Autismus „zu heilen“, sondern darum, Strategien zu erlernen, mit denen Lebensqualität verbessert werden kann.

Ich hätte mir also mehr Klarheit und Orientierung gewünscht, ohne dass Intressenskonflikte und Machtgefälle ausgespielt werden. Wir hatten in dieser Hinsicht wirklich Glück, aber ich nehme das als einen riesengroßen Faktor bei vielen Familien wahr.

Wie gehst du mit herausforderndem Verhalten um?

Nachdem ich zu diesem Thema einen ganzen Kurs erstellt habe, antworte ich hier recht knapp.
Ich gehe davon aus, dass jedes sog. herausfordernde Verhalten einen Grund hat. Unsere Kinder würden sich anders verhalten, wenn sie könnten. Sie verhalten sich nicht herausfordernd, weil sie einfach Lust dazu haben. Deshalb spreche ich auch lieber von Hilfe suchendem Verhalten – das Verhalten ist Ausdruck dafür, dass wir dabei helfen müssen, besser zu kommunizieren, Rahmenbedingungen anzupassen und weiteres. Die Verantwortung liegt also in erster Linie bei uns Bezugspersonen, die Situationen derart zu verbessern, damit unsere Kinder überhaupt die Möglichkeit haben, sich anders zu verhalten.

In den jeweiligen Situationen ist es meiner Erfahrung nach sehr wichtig, ruhig zu bleiben und viel Geduld zu entwickeln. Nur dann können wir die Sicherheit und das Verständnis vermitteln, das unsere Kinder in diesen Momenten brauchen.
Wenn das Schlimmste vorüber ist, geht es darum in Ruhe zu überlegen, woran es gelegen hat, was der Auslöser war und dies für die Zukunft zu verbessern, damit das Verhalten nicht mehr auftreten muss.
Das ist jetzt ganz knapp beschrieben, wenn dich das näher interessiert, schau dir gerne die Inhalte des Kurses an.

Wie hast du die Pubertät deines Sohnes erlebt?

Die Pubertät war natürlich auch eine Reise, eine Achterbahnfahrt der Gefühle und Entwicklungen, sowohl für Niklas als auch für mich. Was ich sagen kann, ohne zu sehr in persönliche Details zu gehen, ist, dass es eine Zeit des Lernens und Wachsens war, für uns alle in der Familie. Es gab Momente, die waren herausfordernd, aber dann gab es auch diese unglaublich schönen Momente, in denen viel Nähe möglich war.

Bei Niklas war spürbar , wie sehr er mit seiner Wahrnehmung zu kämpfen hatte. Zu beobachten, wie er Stück für Stück Strategien für Selbstregulation erlernte, war berührend und natürlich mit vielen Aufs und Abs verbunden. Es war schön zu sehen, wie er langsam aber sicher lernte, durch dieses Gewirr von Eindrücken zu navigieren und seinen eigenen Weg zu finden, sich zu beruhigen oder Helfendes bei uns einzufordern. Dazu gehörte auch viel Nähe, die er in dieser Zeit bewusst suchte, um Sicherheit zu erfahren.
Im Beitrag „Autismus und Pubertät – neben Verwirrung auch viele Chancen“ habe ich ausführlicher darüber geschrieben.

Fragen zur Arbeit mit Ellas Blog

Tatsächlich interessieren sich auch einige von euch dafür, wie das eigentlich mit so einem Blog funktioniert: „Wie schaffst du es, nebenbei auch noch den Blog zu führen und so viel zu schreiben?“ und „Wieviele Stunden pro Tag musst du in deinen Blog investieren?“ und „Ist Ellas Blog inzwischen dein Beruf?“ und „Was hat Ellas Blog so erfolgreich gemacht?“

Ein paar Antworten dazu: Schreiben war schon immer meine Leidenschaft und als ich durch Niklas zum Thema Autismus kam, lag es für mich nahe, auch darüber zu schreiben. Wie das alles begann und warum ich den Blog startete, kannst du im Jubiläumsbeitrag nachlesen.
Irgendwann war die Resonanz so groß und die Zeit, die ich investierte so viel, dass ich mich bewusst entscheiden musste, Ellas Blog als Hobby weiterzuführen oder einen Beruf daraus zu machen. Ich entschied mich für die Selbständigkeit und damit für die Umsetzung vieler weiterer Ideen, auch nachzulesen im Jubiläumsbeitrag.
Viele von euch gehen einer Arbeit nach und für mich ist Ellas Blog meine Arbeit mit allen unternehmerischen Pflichten und Herausforderungen und meinem Wunsch, trotzdem ganz vieles kostenlos zu belassen. Das ist ein dynamischer Prozess und es macht mir immer noch unglaublich viel Spaß, Ellas Blog mit allen kostenlosen und kostenpflichtigen Anteilen weiterzuentwickeln.
Wieviele Stunden ich dafür benötige? Das kann ich so pauschal nicht sagen – es gibt Zeiten, da arbeite ich in jeder freien Minute und dann geht es auch wieder ruhiger zu oder ich nehme mir bewusst Auszeiten. Manchmal kann ich auch nicht so viel umsetzen, wie ich gerne würde, weil Niklas mich verstärkt braucht. Arbeit findet auch nicht nur am PC statt, sondern viel in meinem Kopf, wenn ich Ideen ausbrüte und deren Umsetzung bereits austüftele, bevor ich wieder praktisch am Schreibtisch arbeiten kann.

Was Ellas Blog erfolgreich gemacht hat? Nun, Erfolg ist ja auch relativ – was ist Erfolg? Wenn wir darüber sprechen, warum Ellas Blog auch noch nach 10 Jahren gelesen wird, denke ich, dass eine der größten Komponenten die dauerhafte Präsenz bzw. das Durchhaltevermögen ist. Um das aufzubringen, braucht man Zeit, ein Netzwerk (wie oben beschrieben), man muss für das Thema brennen und man braucht in gewisser Weise auch Resilienz, weil nicht alle toll finden, was man so macht und das auch mal in unangemessener Weise zum Ausdruck gebracht wird. Ich konnte mich bisher nach Tiefschlägen zum Glück immer wieder erholen.
Ein weiterer Faktor ist die Professionalisierung. Das brachte viele Themen mit sich, die man von außen nicht sieht: Rechtliches, Datenschutzt, Software, Einarbeiten in Tools, Steuerliches usw. Das hat alles nichts mit dem Thema Autismus zu tun, muss aber berücksichtigt werden, damit so ein Angebot Bestand haben kann.
Und der wichtigste Aspekt ist vielleicht, dass es zwar häufig um unser Leben in den Beiträgen ging, aber mit den Jahren immer mehr die Situation von Familien allgemein zur Sprache kam. Das ist dann die Mischung aus einem persönlichen Blog (der Ellas Blog immer noch ist) und einem allgemein aufklärenden Medium.

Weitere Fragen

Es kamen einige Fragen von euch zu „Geschwisterkindern“, auf die ich gerne eingehen werde. Allerdings ist das so ein wichtiges Thema, das ich ihm gerne einen ausführlichen Blogbeitrag widmen möchte. Also habt bitte noch etwas Geduld, dann wird es mehr dazu geben.

Es gab weitere Fragen zu unserer Familie, zu unserem Alltag, zu unserer Partnerschaft als Eltern und dazu, wie es meiner Tochter mit alledem erging. Ich bin noch nicht sicher und werde das noch abschließend mit meiner Familie besprechen, ob und wie ich das beantworten kann. Womöglich werde ich es im Forum plus thematisieren, weil es hier zu persönlich ist. Dafür bitte ich euch um Verständnis.

Damit bin ich jetzt in einem ersten Durchgang mit euren Fragen durch und bedanke mich nochmal ganz herzlich für euer Interesse und euer Mitmachen. Einige Fragestellungen werde ich mit der Zeit noch ausführlicher in Blogbeiträgen behandeln, bleibt also gerne dran, abonniert den Newsletter, wenn noch nicht geschehen und dann freue ich mich, wenn wir uns weiterhin lesen.
Herzlichst, eure Silke alias Ella ♥

Hier geht`s zum ersten Teil meiner Antworten auf Eure Fragen

Zum Weiterlesen:

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Es ist immer wieder überwältigend, was wir als Eltern autistischer Kinder bedenken, organisieren und verarbeiten müssen. Neben viel Wissen und Erfahrungen, die du hier im Blog findest, ist eine solidarische Gemeinschaft unglaublich hilfreich. Das Forum plus ist ein geschützter Bereich nur für Eltern autistischer Kinder. Hier findest du außer praktischen Tipps viel Verständnis und Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen wie Du.

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