Was verändert sich mit einem autistischen Kind?

veröffentlicht im Juli 2018


Bestimmt kennen einige von euch diese Frage: „Was hat sich denn bei dir durch dein autistisches Kind verändert?“ Spontan denke ich dann: „Unglaublich viel“, aber wenn ich es erzählen möchte, dann weiß ich gar nicht, wo ich anfangen und aufhören soll.

Manches fällt mir auf Anhieb gar nicht ein, weil es so normal und alltäglich geworden ist. Und die Antwort auf diese Frage hat sich bei mir im Laufe der Jahre verändert, weil man einiges erst nach einer gewissen Zeit reflektieren kann.

Prioritäten verschieben sich mehr als ohnehin schon, wenn aus einem Paar eine Familie wird. Diesen Satz, den man werdenden Eltern sagt: „Hauptsache gesund“, sage ich so nicht mehr. Ich sage: „Hauptsache glücklich“. Im Laufe der Jahre habe ich so viele Familien mit Kindern, die sehr unterschiedliche Handicaps haben, kennenlernen dürfen. Es ist äußerst inspirierend  für das eigene Leben zu sehen, worin individuelles Glück liegen kann…

Gebärdenhände

Geduld haben und alles etwas langsamer angehen zu lassen, war noch nie meine Stärke. Ob ich wollte oder nicht, musste ich das für Teilbereiche meines Lebens lernen. Es gibt Bereiche, in denen ich mich umso mehr mit  Tempo und Zielstrebigkeit austobe, aber was Niklas und das Familienleben angeht, durfte ich etwas mehr Gelassenheit gewinnen.

Kommunikation zu schätzen wissen – und zwar die Tatsache, sich überhaupt adäquat austauschen zu können, aber dabei auch zu überdenken, welche Werte mit Kommunikation vermittelt werden. Das ist etwas, für das ich früher keinen Blick hatte und für das ich nun sehr dankbar bin.

Ebenso habe ich Strukturen und Rituale als wertvoll kennengelernt – und zwar nicht nur für Niklas, sondern auch für mich selbst. Sie tragen dazu bei, die nötige Gelassenheit entwickeln zu können und auch im Denken Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen.

Als Elternteil eines behinderten Kindes hat man häufig das Gefühl, nicht genug zu tun, die Gelassenheit ist an solchen Tagen dahin und die Selbstkritik größer als alles andere. Die Verantwortung wiegt manchmal schwer und sorgt für das stetige Auf und Ab in in unserem Leben. Manchmal wünsche ich mir ein Stückchen von früherer Leichtigkeit zurück.

Buchcover

Ohne Niklas hätte ich Vieles nicht gelernt, nicht kennengelernt, vielen wunderbaren Menschen wäre ich nicht begegnet und ich hätte einige Entscheidungen in meinem Leben nicht getroffen, womit mir auch Vieles vorenthalten geblieben wäre. Ich hätte aber auch viel Schlimmes nicht erleben müssen, viele Tränen nicht geweint, manch Einschränkung nicht hinnehmen müssen, müsste gewisse Zukunftsängste nicht aushalten.
Aber das Wichtigste: ich hätte ihn nicht. Er und seine Schwester sind das Wertvollste in meinem Leben, keinen von beiden möchte ich jemals missen müssen.

Die Frage, was sich mit einem autistischen Kind verändert hat, habe ich in meinem Buch „Ein Kind mit Autismus zu begleiten, ist auch eine Reise zu sich selbst“ ausführlicher beantwortet, denn die Gedanken in diesem Beitrag sind natürlich nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was die Veränderungen ausmachen.
Außerdem sind im Buch viele Antworten anderer Eltern versammelt, die sich in einer Fragebogenaktion zum Buch einbrachten.

Gerne könnt Ihr auch in den Kommentaren schreiben, was sich bei Euch verändert hat. Das wäre sehr spannend.

Falls Du alles Wichtige zum Thema Autismus wissen möchtest, ist der „Basiskurs Autismus“ sicherlich eine Hilfe für Dich. Du kannst ihn jederzeit beginnen und bist bei diesem Onlinekurs auch örtlich flexibel.

Zum Weiterlesen:

KOMMENTARE

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  1. Durch meinen Sohn, hat sich mein Leben sehr Verändert.

    Ich habe die ersten Jahre Sehr Isoliert gelebt. Er hat mir aber auch den Blick für Detaild gegeben. Ich achte seid dem unbewusst viel genauer auf Dinge.

    Mir selber fehlt im Leben oft die Spontanität.

    Er zeigt jedem Menschen Ehrlichkeit, mag es auch noch so komisch ankommen

  2. Hallo,
    wir haben gleich zwei autistische Kinder, einen 12 jährigen Jungen mit frühkindlichem Autismus und eine17 jährige Tochter mit Asperger und einer Soziophobie. Leider bin ich (Vater) vor einigen Jahren auch noch sehr schwer krank geworden, so dass alles an meiner Frau hängen bleibt. Was uns so sehr ärgert ist, dass man vom Staat total alleine gelassen wird und es keine zentrale Anlaufstelle gibt. Sogar für die Schulbegleitung unseres Sohnes mussten wir vor dem Sozialgericht kämpfen. Traurig in so einem reichen Land wie Deutschland, das die UN Carta vor 20 Jahren unterschrieben hat!

  3. Durch die Schwierigkeiten und Auffälligkeiten meines Sohnes lang vor der Diagnosestellung (2013 Asperger mit 11 3/4 Jahren) und den vielfältigen Fehldiagnosen davor bin ich zu meinem jetzigen Beruf gekommen. Einen (großen?) Teil meiner persönlichen Weiterentwicklung, meine Strukturierung, mein Fachwissen und dass ich „mit Begeisterung unbequem bin“ habe ich meinem Sohn zu verdanken.
    Ich bemerke jedoch zunehmend, dass ich selbst immer weniger spontan sein kann, es verlernt habe. Hier hat sicherlich auch beigetragen, dass meine älteste Tochter zunehmend Auffälligkeiten zeigte und mit fast 21 Jahren vor etlichen Monaten die Diagnose atypischer Autismus erhielt.
    Der Stress und Energieaufwand der letzten Jahre hat natürlich seine Spuren hinterlassen.
    Zukunftsängste versuche ich ganz schnell in einen Schuhkarton zu stecken und erst mal ganz weit hinten im Keller zu verstauen – da hab ich jetzt gar keine Zeit für ;)
    Wesentlich mehr Sorge bereitet mir, dass meine jüngste Tochter (14 Jahre) nicht auf der Strecke bleibt. Sie beschwert sich zeitweise schon sehr über ihre „durchgeknallten“ nervigen Geschwister – kann ich durchaus verstehen und nachvollziehen.
    Am meisten aufregen kann ich mich aber, wenn man tut und macht und echt Verbesserungen und große Erfolge in der Entwicklung der autistischen Kinder erzielt, und dann zu hören bekommt, dass der Autist doch alles kann und offensichtlich keine Unterstützung braucht, also „normal“ ist. Das zu Hause aber die Probleme verbalisiert werden und sich die Defizite zeigen, das glaubt niemand bzw. es kommen Aussagen im Sinne von „ach ja, das macht mein Pubertier doch auch …“.
    Und der ständige Kampf mit den Behörden (hier vor allem Versorgungsamt wegen SBA und auch Arbeitsamt) zermürbt.
    Die vielen schönen, glücklichen und oft extrem witzigen Momente im Leben mit autistischen Kindern (Pardon! Jungen Erwachsenen mittlerweile) entschädigen für ganz viel!!!
    Müssen möchte ich keines meiner drei Kinder – auch wenn ich mir gelegentlich wünsche, dass ein Modelle mit Ausschaltknopf hätte bestellen sollen :):):)

  4. Hallo,

    gute Frage, was sich verändert hat. Mein zehnjähriger Sohn hat eine ASS-Diagnose, und ich merke, dass ich die Welt, vor allem der Kommunikation, mit anderen Augen sehe.

    Auf der anderen Seite merke ich auch, dass mir diese „Art“ schon immer irgendwie besser lag als die Welt der Umschreibungen, der Andeutungen, der blumigen Umgehungen, die es in der Sprache doch immer gibt.

    Mein bester Freund seit der Schulzeit ist Asperger Autist und ich fand ihn immer … erholsam. Angenehm, denn bei ihm gab es nie Hintergedanken, nur Ehrlichkeit.

    Ich stelle jetzt, je mehr ich selbst mich über Autismus und speziell Asperger informiere, sehr fest, dass bei mir stark autistische „Vorlieben“ herrschen. Ich frage mich da oft, wo bei einem Menschen dann der „Autismus“ anfängt oder aufhört. Klar ist: mein Sohn erkennt Untertöne nicht, vor allem liest er nicht im Gesicht seines Gegenübers wenn der gestresst oder verlegen ist – das kann er nicht sehen, während mir das immer leicht fiel. Dafür hatte ich schon als Kind unzählige Zwänge und hatte immer Schwierigkeiten damit Freundschaften zu halten. Ich liebe es Menschen zu treffen, mit ihnen zusammen zu sein… aber schon Verabredungen machen mich nervös, egal wie sehr ich denjenigen mag. Ich sehe darin sehr eindeutig etwas Autistisches. Ich stehe dann unter Dauerstress.

    Meinem Sohn bin ich dankbar. Er hat mir die Augen geöffnet.

    LG

    GretchenM

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