Autismus und Pflege – Was ich mir am internationalen Tag der Pflege wünsche

veröffentlicht im Mai 2024


Am 12. Mai ist der internationale Tag der Pflege.

Das Datum wurde in Gedenken an die britische Krankenschwester Florence Nightingale gewählt. Der 12. Mai war ihr Geburtstag im Jahr 1820. Sie hatte in ihrer Zeit maßgeblich dazu beigetragen, dass die Krankenpflege zu einem anerkannten Beruf werden konnte und setzte sich dafür ein, dass es Standards bei der Pflege einzuhalten gibt und diese bei der Ausbildung vermittelt werden. Florence erhielt selbst einige Auszeichnungen und die Florence-Nightingale-Medaille, die höchste Auszeichnung, die man in der Pflege bekommen kann, wurde nach ihr benannt.

Nie war das Thema Pflege so in aller Munde wie im Moment, da die Corona-Pandemie unser aller Leben geprägt hat und ein massiver Mitarbeiter- und Fachkräftemangel herrscht, insbesondere auch in der Pflege.
Nie wurde so deutlich, dass die Pflegeberufe endlich mehr Anerkennung verdienen.

Allerdings wurde auch noch nie so deutlich wie während der Pandemie und darüber hinaus, dass pflegende Angehörige, die einen Großteil der Pflege stemmen, von der Gesellschaft und der Politik übersehen werden.

Manche Autistinnen und Autisten haben einen hohen Betreuungs- und Pflegebedarf, werden z.B. in die Pflegegrad 4 oder 5 eingestuft und bedürfen meist lebenslanger Unterstützung.
Wenn ich an die vielen Menschen denke, die in die Pflege von Niklas miteinbezogen sind, bin ich sehr dankbar. Er braucht mit seinen 24 Jahren umfassende Unterstützung in diesem Bereich.
Bei einem mittlerweile erwachsenen jungen Mann ist das ein sensibles Thema, da es manchmal mit dem steigenden Wunsch nach Selbständigkeit und Abnabelung kollidiert. Auf Menschen zu treffen, die ihn liebevoll und gerne begleiten, ist toll, aber alles andere als selbstverständlich.

Manche Familien machen schlechte Erfahrungen, die Kinder werden nicht sorgfältig genug gesäubert, erhalten nicht genug zu essen, manche werden grob angefasst oder bekommen vermittelt, dass sie lästig sind. Wenn das eigene Kind respektlos behandelt wird, tut das nicht nur dem Kind weh, sondern auch den Eltern. Die Tatsache, dass man fremden Menschen ein Leben lang Vertrauensvorschuss geben muss, weil das eigene Kind wohl nie selbständig leben können wird, ist dadurch nicht leichter verkraftbar.

Wenn man sich das Thema aus der Perspektive der Pflegenden anschaut, kann und muss man auch für Vieles Verständnis haben: Personalmangel, Zeitdruck, steigende Bürokratie sind nur einige Schlagworte in diesem Bereich.
Da es hier aber nicht um die Versorgung von Immobilien oder irgendwelchen Gerätschaften geht, sondern um einen Menschen, den man liebt – das eigene Kind, vielleicht die Eltern oder Geschwister, der Lebenspartner – je nachdem, wer auf Pflege angewiesen ist, gibt man sich nicht mit Kompromissen zufrieden. Wie könnte man das?
Viele Eltern behinderter Kinder pflegen daher selbst im wahrsten Sinne des Wortes „bis zum Umfallen“ weiter, weil sie aufgrund negativer Erfahrungen verlernt oder aufgehört haben, anderen Menschen zu vertrauen und weil es schlicht häufig keine angemessene Alternative gibt.

Wie anfangs erwähnt, läuft es an vielen Orten aber auch gut, und umso dankbarer sind Familien dann, weil sie eben wissen, dass es auch anders sein könnte. Danke all denen, die die professionelle Pflege und Assistenz qualifiziert, liebevoll und respektvoll tätigen.

Zum internationalen Tag der Pflege habe ich einige Wünsche:

Die Berufstätigkeit innerhalb der Pflege sollte unbedingt mehr gewertschätzt werden.

Sowohl eine höhere Entlohnung, als auch die gesellschaftliche Anerkennung müssen dringend steigen.
Nur so kann dem dramatischen Pflegenotstand entgegengewirkt werden.
Das schrieb ich bereits vor einigen Jahren in einem anderen Beitrag und nie zuvor war es aktueller und offensichtlicher als heute, dass dieses Thema alle Menschen betrifft und dringend ein nachhaltiges Umdenken nötig ist.
In einem anderen Zusammenhang hörte ich neulich einen Politiker sagen: „Wer noch nicht verstanden hat, dass man sich hierum mehr kümmern muss, hat den Ernst der Lage nicht begriffen.“ Wie gesagt, ging es dabei um ein anderes Ressort. Aber selbiges könnte – nein muss! – man auch über die Pflege sagen.

Es braucht verbindliche Pflegepersonal-Schlüssel, um einerseits die Pflege sicherzustellen und andererseits die Pflegenden zu entlasten. Viele zerbrechen an der Verantwortung und der körperlichen Belastung, die bei zu geringen Personalschlüsseln nicht mehr zu tragen bzw. zu leisten sind.

Für Eltern, die ihre Kinder, Jugendlichen und erwachsenen Kinder zuhause pflegen, braucht es u.a. Folgendes:

Bild Team

Die Möglichkeiten, Kurzzeitpflege in Anspruch nehmen zu können, sollten dringend verbessert werden. Pflegende Eltern sind oft ausgebrannt, nonstop im Einsatz und auch körperlich gefordert. Nicht zuletzt leiden viele unter ständigem Schlafmangel über Jahrzehnte hinweg.
Kurzzeitpflegeplätze für autistische Kinder, Jugendliche und Erwachsene gibt es so gut wie überhaupt nicht. Manchmal wird Familien, die ihr 10jähriges Kind für ein paar Tage extern gut versorgt wissen möchten, ein Platz im Seniorenheim angeboten. Keine Frage, dass das inakzeptabel ist.
Es braucht hier dringend mehr Möglichkeiten, die für Entlastung sorgen und es möglich machen, dass auch pflegeintensive Kinder ohne schlechtes Gewissen eine Weile außerhalb ihrer Familien Zeit verbringen können, ohne dass sofort eine komplette Heimunterbringung notwendig wird.
Die wenigen tollen Angebote, die es in diesem Bereich gibt, haben zu wenige Plätze und sind daher zu schnell ausgebucht.

Es wäre wichtig, mehr Beratungs- und Vermittlungsstellen einzurichten, die qualifiziert zum Thema Autismus geschulte Assistenz vermitteln. Manche Familien wissen nicht, wie sie die ihnen zustehende Verhinderungspflege oder Entlastungsleistungen einsetzen können, weil sie schlicht niemanden finden, der die Aufgabe stundenweise übernehmen kann und möchte.

Viele Eltern brauchen ausführliche Beratung über die Beantragung von Pflegegraden und allen damit zusammenhängenden weiteren Vergünstigungen und Budgets, die in Anspruch genommen werden können.
Es ist inakzeptabel, dass Familien meistens nur auf Nachfrage über ihre Rechte informiert werden. Diese sollten unaufgefordert über die Kranken- und Pflegekassen genannt werden.

Die Realität zeigt leider, dass pflegende Angehörige – egal, ob sie einen Ehepartner pflegen, ob sich Menschen um ihre dementen Eltern kümmern oder ob Eltern ihre behinderten Kinder pflegen – überhaupt keine Lobby haben.
Weit mehr als Zweidrittel aller Pflegebedürftigen werden zuhause versorgt. Leider führt das nicht dazu, dass die Pflegenden angemessene Unterstützung und Wertschätzung erhalten.

Ich habe manchmal große Angst davor, dass mein Sohn, der immer auf Pflege und Assistenz angewiesen sein wird, dies irgendwann nicht für sich erlebt und dann niemand da sein wird, der ihn versteht und für seine Belange eintritt.

Ich habe manchmal große Sorge, was sein wird, wenn wir Eltern nicht mehr in der Lage sein werden, uns so intensiv zu kümmern. Wird man uns sehen? Wird man uns helfen? Wird man denen helfen, die unsere Aufgaben womöglich übernehmen?
Die vergangene Pandemie, in der Pflegende Angehörige als nicht systemrelevant betrachtet wurden, und die aktuelle Politik lassen mich daran zweifeln.

Aber dann habe ich auch wieder große Hoffnung, dass meine Befürchtungen unbegründet sind, wenn ich ganz großartigen Menschen begegnen darf, die Niklas annehmen wie er ist, ihn liebevoll umsorgen und ihn und auch uns Eltern nach Kräften unterstützen.
Danke dafür.

Du bist selbst pflegende Angehörige, weil dein autistisches Kind einen hohen Betreuungs- und Pflegeaufwand hat? Dann schau dir gerne das Angebot zum Forum +plus+ an. Vielleicht findest du dort etwas, das du schon lange gesucht hast.

Zum Weiterlesen:
Häusliche Pflege und Systemrelevanz – wie Corona eine nicht vorhandene Lobby sichtbar macht

Vergesst nicht die pflegenden Angehörigen und ihre Kinder zuhause

Behinderte Kinder nonstop zuhause bedeutet Aufsicht, Betreuung, Beschäftigung, Pflege und Nachtdienste

Zum Weiterlesen:

KOMMENTARE

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird NICHT veröffentlicht. Alle Pflichtfelder sind mit einem * markiert.

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

Das Forum plus ist der Mitgliederbereich von Ellas Blog

Es ist immer wieder überwältigend, was wir als Eltern autistischer Kinder bedenken, organisieren und verarbeiten müssen. Neben viel Wissen und Erfahrungen, die du hier im Blog findest, ist eine solidarische Gemeinschaft unglaublich hilfreich. Das Forum plus ist ein geschützter Bereich nur für Eltern autistischer Kinder. Hier findest du außer praktischen Tipps viel Verständnis und Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen wie Du.

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner

Die beliebte Online-Schatzkiste

Hier kannst du an der Online-Sammlung vieler Merkblätter, Checklisten und Umsetzungshilfen teilhaben.
Kein mühsames Zusammensuchen von Informationen, sondern viele Basics und bewährte Materialien.

Skip to content