Wir kennen sie alle: die Meinung anderer Menschen oder sogar der Ratschlag, der uns zuteil wird, obwohl wir ihn gar nicht wollten.
Gerade wenn diese ungebetenen Einmischungen unsere autistischen Kinder und Angehörigen betreffen, führt es häufig dazu, dass wir uns und unsere Kinder unverstanden und sogar angegriffen fühlen.
Woran liegt das?
Ganz unabhängig vom Thema Autismus sind wir nicht an jedermanns und jederfraus Meinung interessiert. Sicher gibt es Menschen, die wir schätzen, die uns nahestehen, von denen wir gerne einen Rat annehmen. Aber auch da ist es eigentlich nicht so, dass man mit der „Tür ins Haus fällt“ (rw) und mit seinen Lösungsvorschlägen vorprescht, ohne vorher sicher zu gehen, dass der oder die andere sie überhaupt hören möchte.
Wenn es nun auch noch um unsere Kinder geht, betrifft das einen sensiblen Punkt, bei dem wir nochmal mehr auswählen, wem wir eigentlich zuhören möchten und wem nicht.
Häufig geht man innerlich erstmal einen Schritt zurück (rw) und ist in Hab-acht-Stellung, denn es könnte ja wieder mal einer der Erziehungsvorwürfe oder unterschwelligen Schuldzuweisungen kommen.
Das ist bei vielen von uns so, weil wir schon häufig genau diese Erfahrung gemacht haben – sowohl von fachlicher Seite, die uns Inkompetenz, zu wenig Konsequenz und mangelnde Kooperationsbereitschaft vorwirft oder auch von unserem Umfeld, das mit hochgezogenen Augebrauen, Seufzern, Kopfschütteln oder Achselzucken zumindest nonverbal, aber häufig auch direkt ausspricht, dass es doch an unserer Erziehung liegen müsse, dass die Dinge nicht „normal“ laufen. „Man sieht dem Kind ja sonst nichts an. Das sind alles nur Ausreden.“ Hast du schon gehört? Ja, da bist du nicht alleine.
Ratschläge können aber auch sehr wertvoll sein und es wäre schade, wenn wir davor völlig den Blick verschließen.
Es kommt eben immer darauf an, von wem er kommt und wie er vorgebracht wird.
Es gibt Fachleute, die sehr wohl die Kompetenz von Eltern respektieren und an einem guten Austausch interessiert sind. Es lohnt sich, diesen Personen zuzuhören und etwas Ratsames herauszuziehen, wenn sie ihr Wissen nicht als Non-plus-ultra hinstellen. Die Erfahrungswerte, die sie durch den Blick auf viele andere Familien mitbringen, kann hilfreich für dich sein.
Natürlich gibt es auch andere Eltern, die einen ähnlichen Erfahrungshorizont haben wie du und da ist es allemal hilfreich zuzuhören, vor allem, wenn es um Lösungsstrategien im Alltag geht.
Allerdings „ticken da auch nicht alle gleich“ (rw), auch wenn man meinen könnte, dass man in der selben Situation ist. Familien leben unterschiedliche Werte. Nicht jeder Weg ist geeignet für jede Familie. Insofern kann man auch hier nicht jede Erfahrung direkt übertragen. Aber du wirst sicherlich ein Gespür dafür entwickeln, welche Menschen dieselben Wünsche und Werte haben.
Wenn du die Möglichkeit hast, hole dir auch Erfahrungswissen von Autistinnen und Autisten aktiv ein. Von ihnen kannst du gute Ratschläge bekommen, wobei die Menschen im Spektrum so unterschiedlich sind, dass auch hier Tipps nicht 1:1 übertragbar sind. Aber du wirst mit der Zeit wissen, wo sich Überschneidungen mit deinem Kind ergeben.
Auch andere Eltern, Freunde, Bekannte, die kein autistisches Kind haben, können natürlich hilfreiche Ratschläge geben, wenn sie sich auf das Thema Autismus eingelassen und verstanden haben, dass man mit gewöhnlichen pädagogischen Ratschlägen üblicherweise nicht weiterkommt. Manchmal hilft ja auch einfach ein bisschen Verständnis – es muss nicht immer der schlaue Rat sein.
Manchmal entgeht uns auch ein guter Ratschlag.
Das ist dann der Fall, wenn wir es mit Menschen zu tun haben, die gute Ratgeber sind, aber zu bescheiden und vorsichtig, um mit ihren Hinweisen an dich heranzutreten.
Wenn du das Gefühl hast, so jemandem zu begegnen, dann frage aktiv nach einem Rat, wenn du ihn brauchst und von dieser Person möchtest.
Es gibt viele, sehr kompetente Menschen, die gerne weiterhelfen werden.
Oder es ist so, dass du aufgrund schlechter Erfahrungen nicht mehr zuhörst und nicht mehr offen bist für gute Hinweise. Dann entgeht dir womöglich auch ein guter Ratschlag. Versuche daher immer wieder neu abzuwägen, wer weiterhelfen könnte. Aber verschwende deine Energie nicht mit Menschen, die nicht dazu lernen möchten und die sich nicht auf das Thema Autismus einlassen.
Wie du bei ungebetenen Ratschlägen reagieren kannst
Wenn du mal wieder einen Hinweis beommst, um den du nicht gebeten hattest und der jeglichen Hintergrundwissens, was eure Situation angeht, entbehrt, dann kannst du dich freundlich dagegen verwehren. Denn du bist natürlich keinesfalls verpflichtet, Ratschläge anzunehmen, nur um niemanden vor den Kopf zu stoßen (rw).
Sage zum Beispiel: „Vielen Dank für deinen Rat, aber ich bin im Moment nicht daran interessiert. Ich werde gerne auf dich zukommen, wenn ich deinen Rat möchte.“
Oder: „Ich weiß, du meinst es gut, aber zu diesem Thema hole ich mir lieber Rat von Menschen, die unsere Situation besser nachvollziehen können und über das entsprechende Hintergrundwissen verfügen.“
Falls der jenige mit seinem Rat übergriffig geworden ist, kannst du auch sagen: „Ich möchte mit dir nicht weiter darüber sprechen und das Gespräch beenden.“
Oder du stellst deinem Gegenüber eine Frage, wenn du die Nerven für ein weiteres Gespräch hast: „Von wo hast du denn dein Wissen über Autismus bezogen?“
Und gut ist es auch, wenn du dann noch ein Fremdwort mit einfließen lässt, zum Beispiel: „Hast du dich schon mal mit der Kohärenzschwäche von Autistinnen und Autisten beschäftigt?“ Das lässt viele verstummen.
Wenn du dich gegen einen ungeeigneten Rat von Fachleuten verwehren möchtest, sage zum Beispiel: „Vielen Dank für Ihre Meinung. Ich werde mir aber noch eine zusätzliche Einschätzung dazu einholen.“
Oder: „Ich schätze Ihre Kompetenz, sehe aber auch, dass das Gesagte nicht mit unserer Erfahrung im Alltag zusammen zu bringen ist. Ich würde gerne noch eine/n Kolleg/in dazu hören.“
Sag, wie du dich fühlst
Du brauchst dir keine Überempfindlichkeit oder Verbortheit vorwerfen zu lassen, wenn du dich gegen ungebetene Ratschläge verwehrst.
Du kannst auch ganz klar sagen, dass du dich überrumpelt, nicht verstanden und bevormundet fühlst, wenn dies wiederholt vorkommt. Damit greifst du niemanden an, sondern schilderst, wie es dir damit geht.
Häufig ist es gut, das zu benennen, weil der Rat-Gebende oft gar nicht merkt, wie übergriffig er sich benimmt. Er glaubt sogar, etwas Gutes zu tun und zu helfen, weil sie oder er davon überzeugt ist, es gut oder besser zu wissen und seine Erfahrungen auf dein Leben übertragen zu können. Dabei merkt er nicht, wie das bei dir ankommt und wie ungeeignet seine Haltung ist, wenn es darum geht Verständnis auszudrücken und wirkliche Hilfestellung zu leisten.
Sag also, wie du dich fühlst und dass du nicht an weiteren Ratschlägen interessiert bist. Wenn du es mit einem reflektierten Menschen zu tun hast, wird sie oder er darüber nachdenken.
Und sprich Menschen direkt an, von denen du gerne einen Ratschläg hättest, damit dir wertvolle Hilfestellung nicht entgeht.
Übrigens ist es auch gut, darüber nachzudenken, wann wir vielleicht selbst ungebetene Ratschläge geben. Andere werden es wohlwollend bemerken, dass du wertvolle Hilfestellung geben kannst, ohne dich dabei aufzudrängen.
Zum Weiterlesen:
Sieben Vorschläge, was man Eltern autistischer Kinder sagen kann