Diese Situation kennt ihr bestimmt sehr gut. Man sitzt als Elternteil mit TherapeutInnen, ÄrztInnen, Lehrkräften oder anderen Fachleuten zusammen und bespricht ein Problem, das mit dem eigenen autistischen Kind zusammenhängt. Solange alle einer Meinung sind, ist alles gut. Sobald du als Elternteil die Dinge anders siehst, wird dir die Kompetenz abgesprochen. „Sie sind zu emotional. Außerdem haben Sie das nicht studiert. Sie können das nicht beurteilen.“
Vielleicht kennst du auch diese Situation. Du sitzt als AutistIn mit einer der oben genannten Fachkräfte zusammen und besprichst ein Thema. Sobald du einen Vorschlag kritisch hinterfragst, wird dir deine Kompetenz in eigener Sache abgesprochen. „Sie können das nicht beurteilen, Ihre verquere Sicht der Dinge ist Teil Ihrer Behinderung.“
Vielleicht bist du ehrenamtlich engagiert und setzt dich für die Belange von AutistInnen und deren Familien ein. Bei der Betrachtung von Themen wie zum Beispiel Inklusion, Selbständigkeit und Therapiemethoden hat man dabei immer mit Fachleuten, AutstInnen und Angehörigen zu tun. Sobald Kritik von Seiten der Nicht-Fachleute kommt, wird häufig die Kompetenz abgesprochen, weiter mitreden zu können. Bis zu einem gewissen Punkt sei das ja ganz nett und in Ordnung, aber irgendwann übersteige das Thema dann doch den Wissensstand der „Betroffenen“. Außerdem habe man ja eine nur eingeschränkte Sicht auf die Thematik und damit nicht die Weitsicht, die nötig ist.
Hat nicht jede/r der Beteiligten nur eine von mehreren Perspektiven und damit eine eingeschränkte Sicht auf die Thematik?
Bevor es weitergeht, möchte ich an dieser Stelle betonen: es gibt viele, viele Fachleute, die ganz tolle Arbeit leisten.
Ich hatte und habe mit vielen Kontakt, die nicht so sind, wie oben beschrieben. Es gibt sie die Menschen, die die Kompetenz aller Beteiligten ernst nehmen. Und das ist wunderbar.

Du darfst mitreden, aber bitteschön nur bis hierhin und nicht weiter
Mir wurde allerdings erst diese Woche wieder bewusst, dass ich bei manchen Menschen bis zu einem bestimmten Punkt durchaus etwas beitragen darf. Aber bitteschön nicht weiter als gewünscht und bitteschön auch auf keinen Fall Koryphäen in Frage stellen.
Ich war bitter enttäuscht, weil wie so oft meine Gutgläubigkeit, gehört zu werden, ernst genommen zu werden und etwas bewegen zu können, an einer Barriere abprallte. Ich wurde mal wieder eines Besseren belehrt.
Diese Barriere kennzeichnet den Punkt, an dem man als AutistIn oder Angehöriger etwas beitragen darf, aber darüber hinaus nicht kompetent genug und emotional zu stark involviert sei.
Es gibt diejenigen, die entweder offen kommunizieren, dass sie die alleinige Deutungshoheit haben oder diejenigen, die dies unterschwellig transportieren und dabei noch der festen Überzeugung sind, dass sie alle Beteiligten gleichberechtigt behandeln würden.
Vielleicht mag sich jede/r mal ernsthaft fragen und sich dann eine ehrlich Antwort geben, die ja niemand hören muss, ob sie oder er wirklich die Angehörigenkompetenz und die Kompetenz von AutistInnen in eigener Sache respektiert oder ob dieser Respekt seine Grenze erreicht, wenn es unbequem wird oder eigene Überzeugungen in Frage gestellt werden müssen.
Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass viele zwar meinen, sie seien auf ein paritätisches Miteinander bedacht, und nicht merken, wie ihre inneren Glaubenssätze ihr Handeln in eine ganz andere Richtung prägen.
Wir Angehörigen merken das. Und ich weiß von vielen AutistInnen, dass auch sie das spüren.
Wir fühlen es ganz genau, wenn wir nur bis zu einem gewissen Grad respektiert werden und dann Schluss ist.
Da mag der Umgang noch so freundlich sein und man mag uns anlächeln. Das ist etwas, das sehr sensibel ist und sich einprägt. Es enttäuscht und es macht uns vorsichtig und trägt nicht dazu bei, dass ein besseres Miteinander möglich wird. Es lässt uns Systeme, Gruppierungen und Mitgliedschaften hinterfragen.
Es schafft Distanz und verhindert Vertrauen.
Häufig wird damit argumentiert, dass es ja so viele unbequeme und unmögliche Eltern gibt, die unrealistische Dinge fordern und alles verzerrt sehen – klar gibt es die. Und es gibt auch unbequeme und unmögliche Fachleute. Und es gibt auch unbequeme und unmögliche AutistInnen.
Auf allen Seiten gibt es die. Das darf man auch sagen.
Und? Sollte das dazu führen, dass man eine Gruppe als Ganzes nicht mehr ernst nimmt? Und sollte eine falsche Aussage, ein unpassendes Zitat, eine unseriöse angeführte Quelle dazu führen, dass man als komplett inkompetent hingestellt wird?
Ich glaube, damit ist niemandem gedient.
Pseudo-Augenhöhe nimmt Ressourcen
Liebe Fachleute, ich meine das nicht böse. Ich weiß, dass viele unter euch supertolle Arbeit machen und ich darf es täglich erfahren. Und Ihr seid auch nicht gemeint.
Aber diejenigen, die dies womöglich anders sehen, bitte ich ihre Haltung gegenüber Angehörigen und AutistInnen zu hinterfragen.
Lapidar dahin gesagte Sätze.
Nebenbei weggewischte Bedenken.
Erfahrungswerte, die als unwissenschaftliche Einzelwahrheiten abgetan werden.
Ein Pseudo-auf-Augenhöhe-agieren.
All das ist nicht nur schlimm, sondern nimmt auch Ressourcen, ganz wertvolle und authentische Ressourcen im Bereich der Aufklärungsarbeit und auch in der praktischen Arbeit zuhause in den Familien.
Das alles hat auch nichts mit Empowerment und Inklusion zu tun.
Ich „knabbere diese Woche wieder daran“, weil nicht ernst genommen zu werden und zu wissen, dass man zwar etwas sagen darf, aber die eigenen Argumente von vorneherein als nicht bedeutsam für mögliche Veränderungen angesehen werden, das zermürbt und verletzt.
Gerne wird gesagt, dass Eltern und AutistInnen zu emotional seien, wenn sie Argumente wie Werte, Ethik und Persönlichkeitsrechte anführen.
Gerne werden ganze Argumentationslinien und Diskurse mit einem Kopfschütteln und dem Hinweis auf die Emotionalität der „Betroffenen“ weggewischt.
Emotionen gibt es auf allen Seiten. Sie schließen Sachlichkeit nicht aus und sie sind kein Argument, um aus Diskursen auszusteigen.
Im übrigen ist das Thema „Emotionen“ entgegen aller Klischees gerade im Bereich Autismus eines der wichtigsten.
Das Stärken der Eltern als eine der wichtigsten Säulen
Und nun kehre ich noch einmal die Angehörigenperspektive, die ich innehabe und die diesen persönlichen Blog prägt, heraus:
Ich bin der festen Überzeugung, dass das Stärken der Eltern eine der allerwichtigsten Säulen im Bereich Autismus ist.
Damit meine ich ein Stärken hin zur Akzeptanz der Autismus-Diagnose beim eigenen Kind. Ich werde mit meiner Arbeit weiterhin das dazu beitragen, was möglich ist.
Erst wenn Eltern die Diagnose akzeptiert haben, können wir unsere Kinder hin zu mehr Lebensqualität unterstützen, ohne sie einer Norm anpassen zu wollen. Dafür braucht es Aufklärung und ganz viel moralische Stütze, denn in unserer Gesellschaft ist es meist alles andere als einfach, ein behindertes Kind großzuziehen und darüber hinaus im Erwachsenenalter zu begleiten.
Das ist übrigens ein Erfahrungswissen, dass man an keiner Uni lernen kann.
Wir brauchen fachliche Unterstützung, aber nicht den Hinweis, dass wir, wenn es kompliziert wird, ja doch keine Ahnung haben.
Wir brauchen moralische Unterstützung, um Krisen meistern und Entwicklungsschritte mit unseren Kindern durchleben zu können.
Was wir nicht brauchen, ist ein Belächeln, weil wir mit Kritik, ehrenamtlichem Engagement oder mit dem Infragestellen von angeblich evidenten Methoden unsere Kompetenzen überschreiten.
Wir schätzen es, wenn wir wertvolle und kompetente Hilfestellungen erfahren.
Wir sind glücklich, wenn unser Kind mit seiner Persönlichkeit respektiert wird.
Und wir sind dankbar, wenn sich ein Team findet, in dem jeder seine Stärken einbringen kann.
Liebe Eltern, freut euch über tolle Fachleute, wertschätzt sie und sagt ihnen auch, dass sie super Arbeit machen.
Aber bleibt skeptisch, wenn euer Bauchgefühl sich meldet und euch warnt. Ihr dürft Vorgehensweisen, Empfehlungen, Therapien, ärztliche Anregungen und pädagogische Maßnahmen hinterfragen. Eignet euch so viel Wissen wie möglich an, nutzt es und lasst euch nicht belächeln und mundtot machen.
Ihr macht eine so tolle Arbeit, die es verdient, dass sie mit Respekt unterstützt wird.
Und ihr habt so tolle Kinder, die als AutistInnen respektiert und wertschätzend gefördert werden müssen. Lasst euch das von niemandem ausreden.
Zum Weiterlesen:
Warum es so wichtig ist, dass AutistInnen, Fachleute und Eltern zusammenarbeiten
Prüfkriterien für therapeutische Angebote
Über das Beurteilen von Leben, Herablassung und das Credo der Evidenz