„Kann er sich nicht mal überwinden?“ – „Nein, kann er nicht. Und muss er auch nicht.“

veröffentlicht im Mai 2019


Brücke
Quelle: pixabay, User MabelAmber

Bestimmt kennt Ihr diese Situationen auch, in denen andere von außen in die Erziehung reinreden, ihre ungebetenen Ratschläge verteilen und dann zum Beispiel äußern: „Das sollte er jetzt aber mal versuchen.“ Oder „Kann er sich nicht mal überwinden und seine Wohlfühlzone verlassen?“ Oder „Ich finde es schade, dass er dies und das nicht macht. Es würde ihm bestimmt Freude machen, wenn er sich überwindet.“
Wirklich?
Wer bestimmt das?
Wessen Maßstäbe sind das?

Natürlich finde ich es auch schade, dass manches einfach nicht geht. Aber nur weil ich das schade finde, muss ich meinem autistischen Kind nicht meine Sicht von Vergnügen, Erfüllung und Grenzen überwinden aufdrücken.
Und auch andere Menschen sollen das endlich lassen.

Viele Eltern, die ich mittlerweile kennengelernt habe, sehen das ganz genauso und kämpfen ständig dagegen an, dass Außenstehende ihren Kindern Aktivitäten oder das Ausweiten von Grenzen diktieren wollen, die diese aber nicht nur nicht wollen, sondern nicht verkraften können.
Es geht nicht nur darum, dass dazu keine Lust vorhanden wäre, sondern es geht darum, dass manches schlicht nicht geht, weil die Reizüberflutung zu groß wäre und weil der Preis dafür einfach zu hoch ist.
Denn – klar – man könnte manche Unternehmung einfach mal durchziehen, Geschrei, Getrampel, Ohrenschlagen und dergleichen in der Hoffnung ignorieren, dass er sich schon irgendwann ausgetobt und beruhigt haben wird.
Aber dass das ruhiger werden mit Resignation und Erschöpfung zu tun hat und stunden-, tage-, wochenlange Auswirkungen nach sich zieht, das kann sich kein Außenstehender vorstellen. Und dass ein solch ignorantes Verhalten Vertrauen zerstört, das behutsam aufgebaut wurde, das verstehen auch viele nicht.

„Ach, es wird so schlimm schon nicht sein.“
„Sieh doch nicht so schwarz, sowas habe ich noch nie erlebt.“
Ja – genau – weil viele nur einzelne Lebensbereiche sehen und nicht miterleben, wie sich die Verzweiflung und Erschöpfung auf weitere Bereiche überträgt, wie lange es dauert, bis wieder ein Level erreicht ist, auf dem Kind, Eltern und die gesamte Familie einen guten Alltag leben können.

„Manches muss man einfach mal ausprobieren“, höre ich.
Nein – muss man nicht – ich muss auch nicht alles mal ausprobiert haben. Und auch mein autistischer Sohn nicht.
Das habe ich zu respektieren und das haben auch Außenstehende zu respektieren!
Das zu äußern, macht Eltern nicht zu überfürsorglichen Helikoptereltern, sondern zeigt, dass sie verantwortlich handeln, aus Fehlern lernen und die Bedürfnisse ihrer Kinder ernst nehmen.

Ich wünsche mir, dass das erkannt und respektiert wird und nicht immer wieder nichtautistische Maßstäbe an mein Kind und viele andere Autisten herangetragen werden.
Häufig geht es darum, Brücken zu bauen und Alternativen anzubieten. Das sollte gerade in einer inklusiven Gesellschaft etwas sein, um das man nicht extra bitten muss.

Zum Weiterlesen:
Barrierefreiheit für Autistinnen und Autisten


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KOMMENTARE

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  1. Du sprichst mir aus der Seele. Ständig er muss er sollte er kann doch nicht ständig…. .
    Warum kommt das nicht an bei anderen dass es nichts mit null bock zu tun hat. Es geht um das Befinden.
    Ein Mensch der Höhenangst hat zwingt man ja auch nicht in die Penthouse Wohnung zu ziehen um die Aussicht zu genießen.
    Warum wird das ständig von Autisten verlangt oder erzwungen. Oder sie werden abgestempelt als Psychofall.
    Ich finde es sollte schleunigst eine Aufklärung in sämtlichen Bereichen statt finden und eine Akzeptanzhaltung gefordert werden.

    1. Ich weiß jetzt nicht ob es hier hingehört, aber ich finde das es generell gerade Mode zu sein scheint, nicht auf die Bedürfnisse der anderen einzugehen.
      Wie in dem Beispiel, bei Höhenangst schicke ich ja auch keinen in die Höhe, zumindest wenn er nicht unbedingt möchte.
      Wenn jemand sagt, ich mag nicht oder ich kann nicht, sollte es doch einfach mal akzeptiert werden. Ohne Sprüche oder Belehrungen.
      Brücken können gebaut werden. Aber nur wenn es auch erwünscht ist.
      Und Mitleid braucht derjenige in dem Moment auch nicht.
      Jeder hat seine eigenen Interessen und sein eigens Tempo. Und das ist gut so!

  2. Ich stimme euch vollkommen zu Silke und Jasmin … es ist wirklich höchste Zeit endlich richtig Aufzuklären !

    Aber – ein kleines Aber habe ich zu diesem grossen wichtigen Thema – nämlich die Diangnose ist Bedingung !

    Da es mir täglich im Umgang begegnet habe ich den Post geteilt und meinen Kommentar gleich dazu als Vorwort – welches ich hier einfach kopiere … bin gespannt welche Kommentare – von ‚quasi Unbeteiligten‘ die es ja garnicht geben kann – dazu geschrieben werden:

  3. Hallo Ihr Lieben, ich persönlich finde solche Aussagen von Sonderpädagogen besonders schön. Wir Ecken regelmäßig bei Lehrkräften und Schulleitung an, weil auch mein Sohn nicht mal eben … aber müsste doch usw. Ich bin ganz bei Dir Silke, vorallem, weil ich durch meinen Job als Inklusionsassistent auch sehe wie es besser geht. Ich wünsche Euch allen weiterhin viel Kraft Eure Konder in ihrem
    sein zu unterstützen und zu Stärke ! LG Stephy

  4. Danke für diesen Beitrag, liebe Silke!
    Ich werde ihn mir ausdrucken und gewissen Leuten in die Hand drücken.

    Durfte mir auch schon mal sagen lassen, von einer übereifrigen Schulbegleitung, ich würde der Weiterentwicklung meiner Tochter im Weg stehen.
    Weil man muß Sachen halt einfach ausprobieren.
    Es interessiert nicht, daß wir Eltern wissen, was unsere Tochter ausprobieren kann, wozu ihre Energie ausreicht, und was man besser bleiben lässt. Was man vielleicht erst in einem, in zwei Jahren ausprobiert, weil das Kind dann in gewissen Bereichen „gereift“ ist. Was jetzt einfach noch nicht geht.

    Zitat: „Aber sie müssen ihrem Kind einfach mehr zutrauen.“
    Es hat nichts mit „nicht zutrauen zu tun, wenn ich weiß, wieviel mein Kind kompensiert und sich nichts anmerken lässt.“

    Und, Zitat ehemalige Schulbegleitung: „Manchmal muß man halt in der Schule etwas ausprobieren, da kann man nicht immer darauf Rücksicht nehmen, was dann daheim ist.“
    Weil: In der Schule ist doch immer alles bestens.
    -> Autist kompensiert und unterdrückt. Bricht daheim zusammen. Bekommen aber nur wir Eltern mit.

    Sogar im Josefinum Augsburg war die Psychologin der Meinung: Unsere Töchter sind normal begabt, daher können und müssen sie lernen, den Schulweg Schritt für Schritt alleine zu meistern. … Müssen. … Wir Eltern stünden der Weiterentwicklung unserer Töchter im Weg. …
    Man wird nicht ernst genommen.
    Weder die Kinder, noch die Eltern.

    1. Hallo Tanja, ich bin auch in Augsburg und habe die gleichen Probleme. Mein Sohn kompensiert super und die Lehrerin nimmt die Diagnose als sehr weit hergeholt, weil er ja soooo beliebt ist. Und warum lass ich mein Kind bei Durchfall zu Hause, er solle sich der Prüfungsangst stellen. Vielleicht können wir uns austauschen.

    2. Hallo an Alle..
      Es tut sooo gut zu lesen, dass es Eltern gibt die für das selbe kämpfen..nämlich für ihre wundervollen Kinder.
      Gerade heute erst hatte ich wieder 2 Gespräche in der Schule… unser ganzes Dilemma mag ich hier gar nicht runter rasseln..ihr kennt es sicher… unsere Tochter ist nun seid einem Jahr auf der Sonderschule, weil das System mit ihr nicht klar kommt..so viel zum Thema Inklusion..Inklusion funktioniert in deren Augen nur, wenn man es so macht wie sie es für richtig halten. Wir haben Sprüche gehört wie: sie sind ja erst ganz am Anfang ( Diagnose mit 12), so autistisch ist sie ja gar nicht, sie muss dies und sie muss das, sie ruht sich auf ihrer Diagnose aus…

      Hallo ihr NT’s da draußen…Autismus ist angeboren..hat schon mal einem von Euch in den Sinn, dass wir als Eltern intuitiv sehr vieles richtig gemacht haben? Nämlich an der Seite unseres Kindes uns durch geboxt, sie unterstützt und nicht in eine Form gepresst…
      Der erste Spruch der mir nach der Diagnose einfiel: mein Kind ist autistisch..was kann deins?

      Wir lieben Sie mit ihrer Besonderheit..ja es ist oft anstrengend aber die Bereicherung macht es allemal wett…

  5. Danke, ich erlebe das bei meiner Tochter immer wieder und sie hat keinen Autismus sondern ist nur sehr eigen in ihren Denk- und Handlungsstrukturen. Ich finde sie wunderbar so wie sie ist mit ihren Eigenheiten. Aber ich höre genau die gleichen Dinge… ich bekomme dann immer gesagt das ich als Pädagogin doch wissen müsste das mein Kind ein bißchen zu seinem Glück gezwungen werden müsste. Aber dieser Satz impliziert das Scheitern… das Unglücklich sein… und ich weiß genau was du meinst… ich ziehe den Hut vor Euch mutigen Müttern die ihrem Herzen folgen.. Danke für den tollen Text..

  6. Wow, ich bin tief gerührt von deinem Text. Auch bei uns war und ist es noch immer so. Ständig bekommt
    man zu hören: „er muss…“ , „er soll endlich..“, „ihr seid die Eltern und müsst ihm sagen wo es langgeht“.
    Sogar die Therapeuten und Fachpsychologen meinen, wir müssen unseren Sohn zwingen (wie denn? mit Erpressung, PC-Verbot, Liebesentzug, ?) an bestimmten Dingen teilzunehmen (z.B. Jugend- und Sportgruppen, regelmäßige Aktivitäten, …) damit er sozial integriert wird. Oder man bekommt zu hören, dass es ihm bestimmt gut tun würde, wenn er in einer Wohngruppe mit anderen Jugendlichen wohnt, damit er selbstständiger wird. Unser Sohn (18) kann sich derzeit noch nicht vorstellen, von zuhause auszuziehen. Er wird seinen Weg gehen, davon bin ich überzeugt. Aber warum wird auf seine Bedürfnisse keine Rücksicht genommen? Traurig ist, dass selbst Menschen, die uns nahe stehen, glauben, dass man mit Zwang etwas erreichen kann. Ich fühle mich oft so unverstanden und bin wirklich sehr dankbar für diesen Blog.

    1. Hallo Andrea,
      Genau dasselbe habe ich auch erlebt, das macht alles noch anstrengender.
      Ich habe mir immer gedacht, ich unterstütze meinen Sohn solange, wie er es braucht – und musste dafür viel Kritik einstecken.
      Jetzt ist er 28! und körperlich endlich soweit gesund und jetzt beginnt er von sich aus „auszuschwärmen“.
      Mach dir keinen Stress und stärke deinem Sohn den Rücken solange er es braucht.
      Ganz liebe Grüsse
      Margarete

  7. Ich bin so froh deine Seite gefunden zu haben. Ich sehe hier , ich bin nicht allein. Ich habe so oft an mir und meinen Entscheidungen gezweifelt weil andere mir erzählen wollten was richtig ist .
    Bei Bekannten kann ich das noch mit Unwissenheit entschuldigen . Am schlimmsten sind aber die Fachkräfte die anscheinend denken durch ihre Ausbildung mein Kind zu kennen und zu wissen wo es was zu verbessern gibt. Und die lassen sich noch nicht mal erklären ja manche lassen mich noch nicht mal reden . Ich sag hier bewusst nicht die lassen mich nicht ausreden nein sie lassen mich wirklich noch nicht mal reden. Und manchmal krieg ich Bauchschmerzen wenn ich daran denke dass mein Kind einen großen Teil des Tages ihrem Wirken ausgesetzt ist. Und was schon ein falsch formuliertes Wort auslösen kann.
    Das schlimmste ist dass sie noch nicht mal sehen dass sie es sind die ihn unter Druck setzen mit Dingen die für andere kein Problem sind aber für mein Kind schon sondern denken der Druck käme von daheim wegen anderen Dingen bei denen vielleicht andere Eltern ihren Kindern Druck machen , wir als Eltern mit jahrelanger Erfahrung aber noch nicht mal auf die Idee kommen dass man deswegen Druck machen könnte. Bzw. Die alles versuchen um Druck raus zu nehmen.
    Mich macht das traurig, sehr traurig. Und ich bin froh hier Menschen gefunden zu haben denen es genauso oder ähnlich geht.
    Danke dass es euch gibt!

  8. Oh wie wahr, leider ?.
    Wir kämpfen über 2 Jahre dafür, dass unser Sohn nicht mehr in die Regelschule gehen muss. Zum Glück haben wir einen Psychiater der dies genauso sieht, aber das Schulamt und die Sonderpädagogin wehren sich mit allen Mitteln ihm das Ruhen der Schulpflicht auszustellen.
    Wir lassen ihn seit 18 Monaten an der webindividualschule unterrichten,- auf unsere privaten kosten, da das Jugendamt solange nicht zählt, bis er das Ruhen von der Schulpflicht hat.
    Die Ämter und die Sonderpädagogin,- die auch die Autismusbeauftragte hier ist, wollen ihn zwingen in die Regelschule zu gehen.
    Er müsse das praktisch beweisen, dass es nicht geht ??.
    Das er nach zu großen Veränderungen, unbekanntem und neuem Stunden oder Tage krank ist, keine Energie mehr hat für anderes, interessiert keinen.
    Die Sonderpädagogin hat ihn mal gezwungen mit ihr zu reden, obwohl er nicht wollte. Danach war er eine Woche körperlich krank und danach noch Wochen innerlich wieder so verunsichert, dass wir erst wieder langsam sein Vertrauen aufbauen mussten.
    Sie meinte nur dazu, dass kann so garnicht sein, dann müsste er doch besser mal in eine Klinik und danach in eine Wohngruppe gehen, wenn sie nicht dafür sorgen können, dass er das lernt ?.
    Was soll solch ein Verhalten?
    Wie soll man sich nur dagegen wehren?
    Wer hilft einem?
    Wenn wir nicht auch noch seit einem Jahr einen Anwalt bezahlen würden, wäre alles noch viel schlimmer. Aber auch dem sind die Hände sehr gebunden.
    Armes Deutschland

  9. „Manches muss man einfach mal ausprobieren“
    Ja das stimmt.
    Ein Mensch mit oder ohne Autismus macht es sein leben lang.
    Nur gibt es da einen ganz wichtigen und entscheidenden Punkt!!! Nur derjenige selbst darf darüber entscheiden ob er oder sie etwas ausprobieren möchte!!!
    Wer von uns möchte sich vorschreiben lassen wo seine Grenzen sind? Also ich nicht und das sagt mir mein gesunder Menschenverstand dass ich nicht dazu befugt bin es für einen Menschen zu entscheiden.
    Das steht mir als Mutter nicht zu und erst recht nicht irgendeinen Therapeuten oder Lehrer oder sonst jemanden.
    Jeder Mensch ob mit oder ohne Behinderung sollte das Recht haben sich seine Grenzen selbst zu setzen!
    Und wen ich schon selbst weiß eine Sache tut mir nicht gut oder ich habe Angst davor dann ist doch das die natürlichste Reaktion eben nicht in diese Situation zu geraten.
    Zumal es oft Situationen sind die ich überhaupt nicht brauche .
    Beispiel: mein Sohn ist frühkindlicher Autist.
    Er bekommt Panikattaken wenn wir ihm Urlaub eine Schloß oder Burgbesichtigung machen wollen.
    Seit dem wir das wissen ist das für uns selbstverständlich, dass wir ihm das nicht zumuten wollen.
    Warum auch ?
    Was würde es bringen?
    Ist das lebensnotwendig?
    Natürlich gibt es auch Situationen wo wir als Eltern über den Willen unseres Sohnes entscheiden.
    Beispielsweise wir stehen an einer Straße und es kommt ein Auto, unser Sohn will aber genau in dem Moment die Straße überqueren.
    Ist doch logisch dass wir das nicht zulassen und er unseren Willen einfach befolgen muss.
    Aber das ist doch was ganz anders.
    Darum mein Appell an alle Eltern: lass euch nichts aufzwingen, hört auf eures Herz.
    Das macht ihr intuitiv richtig denn kein Therapeut oder sonst jemand auf der Welt kennt eures Kind besser als ihr.
    Das kann man auch nicht studieren und das ist auch der Vorteil von uns gegenüber anderen die es vermeintlich besser wissen wollen als wir.
    Diese Tatsache sollte euch Mut machen eure Meinung zu vertreten denn wir die Eltern sind in der Beziehung die wahren Experten.
    Liebste Silke und auch ihr alle da draußen die wie ich auch immer für unsere Kinder das beste wollen und auch unsere Meinung uns sagen trauen, macht weiter so!!!

  10. Mhhh – der Artikel und die Kommentare machen mich sehr nachdenklich.
    Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass Autisten schon lernen sollen/müssen/können ihre Grenzen zu erweitern, da es im späteren Leben (vor allem wenn wir Eltern dann nicht mehr als Unterstützung da sein können) sonst sehr schwierig werden kann.
    Es kommt auf das wie – wann – wieviel an.
    Meine persönliche Erfahrung mit meinen beiden Autisten (Sohn: Asperger, A. fast 18 Jahre und Tochter: Atypischer A. 22 Jahre) zeigt mir, dass dies im „sicheren“ Privatrahmen mit Einfühlungsvermögen und Respektieren der Individualität des Kindes\Jugendlichen gut geht. Vor allem wohl auch, weil beide wissen, dass sie den Zeitpunkt des Entwicklungsschritts bestimmen dürfen.
    Der Bereich Schule schaut da anders aus – hier wird die Entwicklung erzwungen und bleibt deshalb aus.

    Trotz aller Rücksicht auf die Bedürfnisse meiner Autisten war und ist es mir wichtig, dass auch die Wünsche und Bedürfnisse von mir, meinem Mann und unserer jüngsten Tochter nicht nur gesehen, sondern gelebt werden. Und da müssen meine Autisten auch kompromissbereit sein und an ihre Grenzen gehen. Es funktioniert nicht immer, aber immer öfter. Manche Dinge unternehmen wir getrennt, aber gemeinsame Ausflüge stehen hoch im Kurs.

    Die Aussagen zu „Wohngruppe, Selbständig werden etc.“ bekomme ich aktuell bei meinem Sohn zu hören. Die Ausbildung in einem BBW wird als das „non plus ultra“ für Autisten dargestellt, weil Sozialtraining, Therapie und Arzt/Psychologe (freie Arztwahl???). gleich dabei ist. Will er aber nicht! Er will zu Hause wohnen bleiben (vorerst) und seine gewohnten Strukturen samt Ärzten etc. behalten. Und das ist gut so! Vom sicheren Hafen aus kann er langsam das Lernen was er jetzt noch nicht kann. – oder eine Alternative dazu entwickeln. Warum muss z. B. ein Autist partout lernen in dem einzig verfügbaren überfüllten Bus zu fahren (Wohnort seeehhhr ländlich)??? Auf dem Land ist doch ein Führerschein sinnvoller.

  11. Hallo Bärbel,
    ICH reagiere z.B. mittlerweile einfach über, wenn ich höre..das muss sie lernen..fürs spätere Leben…
    Und ich war zuerst kurz versucht, deinen Beitrag nicht weiter zu lesen ?
    Glücklicherweise habe ich ihn weiter gelesen. Natürlich weiß auch ich und wahrscheinlich wir alle, dass es Dinge/Situationen ect. gibt, die auch ein Autist lernen muss damit er Leben kann..es ist immer nur abzuwägen..so wie du es auch beschrieben hast, ob es Lebensnotwendig oder ein can have ist. Zu vielen Dingen die für NP’s normal sind, wichtig vielleicht um gesellschaftlich etablierter sein zu können, zukunftsorientiert agieren zu können, sind für Autisten deshalb vielleicht gar nicht notwendig weil er minimalistisch ist. Und, ebenso von dir beschrieben, gibt es viele Alternativen. Und das finde ich persönlich entscheidend. Es gibt bei mir deshal das Wort muss nicht mehr, weil meine Tochter bei diesem Wort schon fast den Meltdown erreicht…wir können..und wenn nicht, dann finden wir eine andere Lösung…

    1. Ich finde es aus gut wenn das Kind in seiner gewohnten Umgebung bleibt.
      Familiäre Sicherheit ist wichtig.
      Mit der Zeit lernt man damit umzugehen.
      Das einzige was darunter leidet sind Freundschaften, denn die werden mit der Zeit immer weniger.
      Das Angebot unserer Förderschule war am Anfang sehr glaubhaft. Kleine Klassen, pädagogisches Personal, die gleich Klassenlehrerin 4 Jahre lang extra Lernraum im Klassenzimmer u.s.w……..

      Realität gewesen…
      Erst 8 Kinder in der Klasse.
      Dann 15 Kinder in der Klasse.
      Ständiger Lehrerwechsel, teils kamen Lehrer erst 8.20 obwohl schon 8.00 Schule wäre. Kaum Aufsichtspersonal (Kaffeemaschine War anscheinend wichtiger)
      Der extra Lernraum hatte keine Fenster und war mit allerlei Gerümpel zugestellt.
      In 2 Jahren 2x Klassenlehrerwechsel.
      Schülerklassen wahllos durcheinander gewürfelt.
      Einmal 1-2 dann 1-4
      Die Krönung war 2 Jahre Klassenlehrerin für unser Kind noch gehabt die unser Kind nie als Autist sah bzw. wahrgenommen hat und jetzt immer noch Autismusberatung beim Schulamt BFZ macht.
      So merkt mann das man sich im Kreis dreht.
      Bevor ich mein Kind noch einmal auf eine Förderschule gebe gehe ich lieber gegen das ganze System vor.
      Nach wechsel von Förder- auf Grundschule war es zwar nicht Perfekt aber als Eltern wurden wir besser war genommen und passte die Bedürfnisse an.

  12. Mir fällt dazu ein, dass ich an der Förderschule auch oft gehört habe: so geht das nicht, er muss.. was sollte ich machen, eine neue Software einlegen? Tut mir leid, auch bei diesem Kind gab es zur Geburt keine Gebrauchsanweisung mit.

    Nur, wenn es SO nicht geht, wie kann es denn anders gehen? und wer arbeitet mit ihm daran? Denn seltsamerweise hat keiner daran gearbeitet, dass und wie es anders gehen kann, es wurde immer nur bis zum nächsten Knall gewartet, um das Kind wieder zwangszubeurlauben. Die damalige Klassenlehrerin hat mir ,die ich mir oft Gedanken zu Vorfällen gemacht habe und über mögliche Gründe, warum etwas passiert ist, sprechen wollte ,gesagt: “ das KANN sein, aber das wissen wir zu 100% ja nicht“
    Ähm, soll ich jetzt warten, bis es zu 100% passt? Das wird doch nie passieren.

    Nach dem Wechsel an eine Ersatzschule, wird viel mehr auf Bedürfnisse eingegangen, was ihm sehr gut tut.

    Aber auch im privaten Umfeld gibt es die Forderung: übt doch mal ,mit ihm die Toilette zu benutzen, hätte man doch schon zu Kigazeiten umsetzen müssen. Naja, ist aber irgendwie in der Entwicklung noch nicht dran, es geht vorwärts, aber im eigenen Tempo.
    und diese Floskel verstehen auch viele nicht

  13. Ich kann mich da nur anschließen… Achselzucken und das Zwingen in „normale“ Schemata. Totales Unverständnis in der Schule = Schulwechsel und inzwischen totale Prüfungsangst … Mir kommt es vor, dass man an allen Fronten kämpfen muss. Alleinerziehend, was alles nicht einfacher macht. Nun steht Studium an, wie das alles klappen soll, keine Ahnung, da dort noch mehr mit dem Strom mitgeschwommen werden muss, auch wenn es manchmal nicht geht. Wie oft habe ich in Gesprächen mit Lehrern erwähnt, dass man von einem Rollstuhlfahrer keinen Marathonlauf erwartet. Bei Autisten ist das aber so, natürlich in anderer Form. Das mündliche Abi war für meinen Sohn der absolute Tiefpunkt… Da wollte die Schule von nichts gewusst haben, obwohl eine dicke Schülerakte existert. Die neue Schulleiterin hat sich einfach nicht dafür interessiert und war froh, als mein Sohn dann „durch“ war, egal, mit welchem Ergebnis. Und der Prüfer hat ihn voll ins offene Messer laufen lassen…

  14. Ein toller Blogbeitrag!
    Erschreckend zu lesen ist aber das diese Situation viele zu genüge kennen…wir auch.
    Besonders wenn solche Aussagen von „Fachpersonal“ kommen.

    Ja sicher, man muss an bestimmten Sachen Schritt für Schritt arbeiten, aber das WIE und WANN ist doch entscheidend.

    Besonders schlimm fand ich die Aussagen immer zur Diagnose – egal ob vom Fachpersonal oder Verwandschaft/Bekanntschaft – da das Kind recht gut kompensiert hat denkt Jeder dann müsste doch auch Dies und Jenes gehen oder aber er hätte dies doch garnicht.
    Mal ganz salopp gesagt (bitte nicht falsch verstehen): würde das Kind bei Überlastung wippend in der Ecke stehen, sich die Ohren zu halten und vor sich her summen, dann würde keiner auf die Idee kommen „oh prima und morgen gehen wir noch einen Schritt weiter“ – kompensiert das Kind aber gut, ist dann am Nachmittag total angespannt und dann vermutlich „krank“ dann ist es die Helikoptermutter…
    Danke

  15. Hallo,

    ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht, wobei bei meiner Tochter bisher „nur“ die Verdachtsdiagnose Autismus vorliegt. Es ist jedoch mittlerweile durch mehrere medizinische Instanzen bestätigt worden, dass sie in mehreren Bereichen entwicklungsverzögert ist und für mich war eben schon lange ein diffuses Gefühl da, dass sie sich irgendwie anders entwickelt als andere Kinder. Aber auch wenn es „nur eine globale Entwicklungsverzögerung“ sein sollte – ich kann mit kaum jemandem darüber reden bzw. es gibt kaum Leute, die meine Sorgen verstehen oder irgendwie nachvollziehen können. Im Endeffekt ist es oft so, dass, wenn ich davon erzähle, Leute immer so antworten „aber so sieht sie gar nicht aus“, „für mich sieht das gar nicht nach Autismus aus“ „sie ist doch ganz normal“… Hier dachte ich anfangs immer, dass mich diese Leute sicher nur aufbauen wollen, aber mittlerweile spreche ich nicht mehr darüber, weil ich eigentlich nur noch das Gefühl habe, nicht ernstgenommen zu werden.
    Bei uns heißt es dann auch oft, dass wir härter durchgreifen müssen und wenn sie wieder einen starken „Ausraster“ (so nenne ich es, weil ich ja einfach nicht genau sagen kann) hatte und ich darauf angesprochen werde, dass sie eben einfach mal strengere Grenzen spüren müsste, versuche ich in letzter Zeit immer auf Durchzug zu schalten.

    Bei uns ist es so bzw. das ist der Grund, weshalb wir überhaupt erst in diverse Praxen und Zentren gegangen sind, dass Emilia in die erste logopädische Behandlungsstunde kam, da eine starke Sprachentwicklungsstörung vermutet wurde, die über ca. 3 Monate auch als solche eingestuft wurde und dann plötzlich so schnell besser wurde, dass die Logopädin mittlerweile nicht mehr von Sprachentwicklungsstörung spricht. Emilias Schwierigkeiten beziehen sich generell auf die Kommunikation, nonverbal und verbal, sie spricht oft echolalisch, antwortet nicht oder unpassend, und es sind auch stärkere kognitive Auffälligkeiten vorhanden. Näheres müssen wir abwarten. Jedenfalls habe ich weiterhin das Gefühl, dass sie auf dem Spektrum ist. Und diese Ungewissheit, die ja eigentlich nicht noch vorherrscht, macht mich (das gilt für mich persönlich) sehr unsicher – vor allem, wenn dann von außen immer kommt, dass sie doch wie ein ganz normales sehr schüchternes und ängstliches kleines Mädchen erscheint, die dann aber wiederum auch als ungezogen angesehen wird, weil sie nicht oder sehr selten antwortet, wenn sie etwas gefragt wird, z.B. von Nachbarn.

    Ich möchte mich nicht mit anderen Eltern hier auf eine Stufe stellen, eben weil wir keine sichere Diagnose haben, dennoch denke ich, dass ich alles sehr gut nachvollziehen kann, was ihr beschreibt und freue mich, hier Leute zu treffen/ zu lesen, die ähnliches erleben.

    Alles Gute und liebe Grüße,
    Judyta

    1. Ich war als Kind auch ein sehr ängstliches Kind, meine Zwillingsschwester war da ganz anders (dennoch haben wir beide die Diagnose Asperger Syndrom) Ich bin sogar einmal schreiend nach Hause gerannt als es plötzlich anfing zu regnen und ich die Tropfen auf meinem Kopf spürte. Ein anderes mal wollte ich die Straße nicht überqueren und blieb einfach in der Mitte stehen weil sich dort ein trockenes Blatt bewegte und ich deshalb nicht weiter gehen wollte. (Aber ich war nicht in der Lage das zu sagen.)

      Auf die Einen wirkte ich sehr ängstlich auf andere wieder eher nur schüchtern und wiederum andere fanden mich einfach nur frech. Mal hieß es schlecht erzogen und ein anderes mal einfach nur bockig. :D

      Wenn ich mal auf eine Frage keine Antwort wusste, weil ich die Frage nicht verstand, dann habe ich auch einfach geschwiegen. In dem Alter habe ich einfach auf manche Fragen gar nicht gewusst was ich antworten sollte. Erwachsene sind da oft sehr sonderbar, haben einfach kein Gespür für ihr Gegenüber. Mal kommen sie mit Sprüchen wie: „Reden ist Silber und Schweigen ist Gold“ und ein anderes mal kommen sie mit sonderbaren Vorhaltungen weil man keine Antwort weiß und deshalb nicht antwortet. ;)

      Ich würde mich vom Umfeld nicht weiter verrückt machen lassen und ebenfalls weiter Näheres in Ruhe abwarten.

      Ähnliches habe ich ja auch mit meinem Sohn erlebt der jedoch erst mit über 20 Jahren die Diagnose Asperger Syndrom erhalten hat. Da habe ich leider auch ständig „tolle“ Ratschläge vom Umfeld erhalten und kann daher gut nachvollziehen wie nervig und frustrierend das sein kann.

  16. Sehr geehrte Silke,
    hab auch meinerseits nochmals vielen Dank für Deinen wertvollen Beitrag.
    Ich kann aus erwachsener Perspektive einer von Autismus Betroffenen nur bejahend hinzufügen, dass es auch bei hochfunktionalen Autisten immer wieder, wenn auch durchaus im Grunde mit positiver (aber hier absolut unpassender) Absicht von vielen Seiten her geraten wird, „dass man sich eben einfach mal überwinden solle“/ „es aushalten und durchhalten solle und am Ende merken, dass es gar nicht so schlimm war“ (v.a. Thema Reizüberflutung und soziale Reizüberflutung in persönlichen Gesprächen durch nicht automatisch von einem autistischen Gehirn verarbeitbare nonverbale Signalen uvm.) –

    Ich stelle hier gern die folgende Frage:
    Wird hier „Stress“ und Anstrengung verwechselt mit Angst davor?
    Wird geglaubt, dass man „Stress“ (und in der Folge Overload und Meltdown!) durch ein Gewöhnungstraining mildern kann?
    Wird davon ausgegangen, dass man eine Situation, die man unter absolutem Stress am Limit seiner Kräfte durchhält, dann als „positive neue Erfahrung“ abspeichert, wenn das Hirn dabei absolut im Notzustand ist und man womöglich noch dissoziiert und wie in Trance kaum etwas um sich herum mitbekommt?

    Meiner Ansicht nach müsste es – wenn man wirklich etwas verändern möchte und es der Betroffene auch möchte und es zum Ziel ein persönliches Wohlgefühl und neue Freiheitsgrade hat! – vielmehr um die Lösung oder zumindest Milderung der Ursachen gehen, denn es hat doch einen Grund, weshalb man so gestresst wird von den Reizen, die neurotypische Menschen ausblenden oder nicht derart intensiv wahrnehmen.
    Und meines Erachtens geht es hier viel um das (zu hohe) Grundstresslevel per se. Und dieses können wir viel besser und viel nachhaltiger und viel liebevoller senken, wenn wir es nicht mit der Brechstange, mit Gewalt oder „Überwindung“ (was für mich immer ein Kampf gegen eigene natürliche und sinnvolle Grenzen des aktuellen Möglichkeitsraumes darstellt) tun.

    (Ich kann hier nur von HFA und Asperger-Autisten sprechen – und eigentlich streng genommen nur von mir und den paar Erfahrungen, die ich von Betroffenen bereits selbst gehört habe und auf Basis der Neurobiologie, vornehmlich der, wie ich finde wundervollen Arbeiten von Prof. Gerald Hüther zu Stress und den Gründen dafür.)

    Mir jedenfalls hilft eine solche liebevolle und achtsame Herangehensweise in meinem Alltag und Leben sehr gut und ich möchte auch von meiner Seite her nochmal alle auch selbst betroffenen Autisten ermutigen, NICHT gegen die eigenen Grenzen zu arbeiten, sondern zu schauen, was man BRAUCHT, um sich generell wohler und sicherer zu fühlen – Kompetenzen, Wissen, Halt, Geburgenheit o.ä. – es ist ganz individuell) – und wie im Beitrag von Silke zu lesen ist – es MUSS auch nicht, nur weil es „normal“ wäre oder es den Maßstab neurotypischer Menschen bedient.

    Danke Silke!

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Es ist immer wieder überwältigend, was wir als Eltern autistischer Kinder bedenken, organisieren und verarbeiten müssen. Neben viel Wissen und Erfahrungen, die du hier im Blog findest, ist eine solidarische Gemeinschaft unglaublich hilfreich. Das Forum plus ist ein geschützter Bereich nur für Eltern autistischer Kinder. Hier findest du außer praktischen Tipps viel Verständnis und Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen wie Du.

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