Meistens hat man beim Thema „Barrierefreiheit“ bauliche und allgemein materielle Anforderungen im Blick, um Menschen mit körperlichen Behinderungen Teilhabe zu ermöglichen.
Barrierefreiheit im Bereich Autismus beinhaltet vor allem sensorische und strukturelle Bedürfnisse, die es zu erkennen und zu erfüllen gilt.
Weil Autismus keine körperlich sichtbare Beeinträchtigung ist, werden die Barrieren, mit denen AutistInnen im Alltag konfrontiert werden, von der Umwelt als solche meistens nicht wahrgenommen. Daher ist es notwendig, über die Bedürfnisse, Besonderheiten und Schwierigkeiten auch im Bereich Autismus aufzuklären.
Sicher kann auch dann nicht verallgemeinert werden, was Barrieren sind und was nicht, denn trotz vieler Übereinstimmungen nimmt jeder Mensch individuell wahr, was er für sein Leben annehmen, auf gesunde Weise zeitweise kompensieren und händeln kann.
Aber trotz individueller Unterschiede gibt es umgekehrt auch viele Gemeinsamkeiten, die herausgearbeitet werden können, um eine Grundhaltung bei Mitmenschen zu erzeugen, die verstehen will und die dann auch besser verstehen kann. Im besten Fall findet dann auch ein Abbau von Barrieren statt.
Um was geht es dabei genau? Ich möchte einige Beispiele nennen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, aber einen ersten Eindruck davon vermitteln, was Barrierefreiheit für Autistinnen und Autisten beinhaltet.
Geräuschkulisse und Orientierung in öffentlichen Einrichtungen und bei Veranstaltungen
Ob in Restaurants, Cafés, Kinos, Wartezimmern, bei Veranstaltungen von Vereinen, in Parks oder Schwimmbädern – überall wird man heutzutage mit einer Flut von sich überlagernden Geräuschen konfrontiert. Ich als Nichtautistin fühle mich davon oft überfordert und ergreife nicht selten die Flucht in ruhigere Gefilde. Nur findet man die nicht so leicht.
Wie muss es erst einer Autistin oder einem Autisten gehen, der aufgrund von Reizüberflutung möglicherweise noch die Orientierung verliert und keine Chance mehr auf einen kontrollierten Rückzug oder Ausgleich hat?
Nachdem es immer mehr Menschen mit Autismus-Diagnosen gibt und darüber hinaus auch Menschen mit anderen Behinderungen oder Krankheiten auf eine reizarme Umgebung angewiesen sind, um sich im Alltag zurechtzufinden, wäre es wünschenswert, wenn solche Bereiche bewusst geschaffen werden:
separate Räume, in denen keine Radios laut im Hintergrund laufen, Bereiche in Kaufhäusern, in denen nicht die Reklame in Neonfarben blinkt, und Zonen, in denen nicht jederzeit Handys mit unterschiedlicher Lautstärke und Melodie loslärmen, Bereiche in Grünanlagen, in denen Stille herrscht, …
Es wäre schön und nicht zuletzt für jeden von uns ein Gewinn, sichere Ruheoasen überall in der Gesellschaft vorzufinden. Diese sollten dann gut ausgewiesen und ohne Überwindung weiterer Barrieren (nachfragen müssen, Schlüssel abholen,…) zu finden und zu nutzen sein.
Gleiches gilt auch für (Programm-)Abläufe und Strukturen von Veranstaltungen und Räumlichkeiten – diese sollten transparent gehalten sein und visualisiert werden.
Arztbesuche
Für die meisten AutistInnen und ihre Angehörigen bedeutet das Bewältigen von Arztbesuchen eine ganz besondere Herausforderung.
Den Anfang nehmen die Schwierigkeiten bereits bei der Planung eines Termins und setzen sich fort über das Prozedere der Anmeldung vor Ort, das Warten bis hin zur Behandlung selbst.
Gerade für Personen mit einer sogenannten seelischen oder zusätzlich geistigen Behinderung sollte der Zugang zum Gesundheitssystem so leicht wie möglich gestaltet sein. Besonders sie sind es, die oftmals Hilfe benötigen und nicht wissen, wie sie die in unserem Land äußerst bürokratisch organisierten Abläufe bewältigen sollen.
Aus diesem Grund hatte ich bereits in der Vergangenheit eine Checkliste für Arztbesuche (bei den kostenlosen Materialien) erstellt, die Tipps für AutistInnen, Eltern und Ärzte mit Praxisteam enthalten.
Das Berücksichtigen der Anregungen würde ein großes Stück Barrierefreiheit im Bereich Autismus bedeuten.
Kommunikation mit Ämtern und Institutionen
Hier möchte ich den Aspekt des Telefonierens herausgreifen. Für viele AutistInnen ist das Telefonieren eine große Herausforderung, die viel Überwindung und Kraft kostet. Dabei gäbe es oftmals Alternativen zu Aufforderungen wie: „Rufen Sie Herrn soundso an“, oder „Ich rufe Sie dann im Laufe der nächsten Woche zurück.“
Diese für neurotypische Menschen gängigen Sätze sind für AutistInnen häufig viel zu unspezifisch und verwirrend.
Näheres dazu im Blogbeitrag „Ich rufe dann mal an“ – Telefonieren mit AutistInnen“. Dort finden sich weitere Hinweise auf Schwierigkeiten und Lösungsansätze.
Respektieren von Kompetenzen
Ich empfinde es als außerordentliche und völlig unnötige Barriere, dass es immer wieder zu Kompetenzgerangel unter AutistInnen, Eltern und Fachleuten kommt. Da werden Vorwürfe laut, der eine hätte keine Ahnung vom anderen, keine Fachkompetenz zum Thema und überhaupt keinerlei Berechtigung, etwas Qualifiziertes beizutragen. Dabei ist offensichtlich, dass jeder seine ganz eigene Kompetenz mitbringt und nur alle gemeinsam das Bestmögliche für AutistInnen erreichen können.
Wenn AutistInnen auf Assistenz bzw. Begleitung angewiesen sind, schmälert dieser Umstand in keiner Weise ihr Wissen, ihre Lebenserfahrung und ihre Fähigkeit sich zu engagieren und für die eigenen Belange und die Belange anderer Menschen aus dem Autismus-Spektrum einzutreten.
An dieser Stelle möchte ich dazu auf meinen bereits verfassten Beitrag „Autismus und Therapie – wie Eltern zu kompetenten Entscheidern werden“ verweisen. Dort wird das notwendige Zusammenspiel aller Beteiligten näher beleuchtet.
Individuell angepasste Bildungsmöglichkeiten
Über die Kämpfe um Eingliederungshilfe, Schulbegleitung und Nachteilsausgleiche könnte man ganze Bücher schreiben. AutistInnen, Eltern, Bezugspersonen und PädagogInnen sehen sich hier einem System gegenüber, das oftmals skeptisch und misstrauisch agiert, wenn entsprechende Anträge gestellt werden.
Anstatt davon auszugehen, dass sich alle freuen würden, wenn diese Anträge und Hilfen gar nicht erst notwendig wären, wird (subtil) unterstellt, dass Maßnahmen beantragt werden, um einen größtmöglichen Vorteil zu erzielen.
Diese Haltung empfinde ich als Barriere und zwar als eine enorm große.
Sie nimmt Kraft, weil sie bürokratischen Aufwand und Nervenkrieg nach sich zieht. Kraft, die an anderen Stellen viel sinnvoller eingesetzt werden kann.
Sie kostet Zeit und nimmt Kontinuität – qualitativ angemessen betreute Zeit, die unsere Kinder für ihre Entwicklung brauchen, und Kontinuität, die ihnen Stabilität und Vertrauen ermöglicht: Grundlagen für eine nachhaltig positive Entwicklung und damit im Interesse aller Beteiligten, auch der Kostenträger.
Ich wünsche mir sehr, dass diese Barriere verschwindet, und – wie schon an einigen vorbildlichen Stellen praktiziert – insgesamt wohlwollender und individueller auf die Bedürfnisse von autistischen Kindern und Erwachsenen in Bildungseinrichtungen eingegangen wird.
Dabei müssen Entwicklungen in alle Richtungen berücksichtigt und nicht nur Ist-Zustände beurteilt werden, ohne allerdings Betroffene zum Beispiel mit ständig neuen Verifizierungsanforderungen von Diagnosen zu schikanieren.
gesellschaftliche Konventionen
Wie oft benutzen wir das Wörtchen „man“?
Hinter diesem „man“ verbirgt sich meistens das, was wir im Großen und Ganzen innerhalb unseres Kulturkreises als sogenanntes „gutes Benehmen“ oder übereinstimmende Werte begreifen. Eine vermeintliche Mehrheit hat dies irgendwann einmal bewusst oder unbewusst definiert und so werden sie von Generation zu Generation weitergeben – manche Konventionen halten sich stabil, andere verändern sich übereinstimmend mit dem Zeitgeist. Und immer gibt es auch Gruppen, die sich mit bestehenden gesellschaftlichen Regeln nicht wohlfühlen.
Solange niemand Nachteile davon trägt, niemand verletzt oder diskriminiert wird, wenn ein anderer diese „Regeln“ für sich nicht als sinnvoll erachtet, sollten sie nicht zu Barrieren werden.
Wenn mir jemand nicht die Hand geben möchte, sondern mir vielleicht lieber nur freundlich zunickt oder einfach „Guten Tag“ sagt, dann ist das vollkommen in Ordnung (vielleicht setzt es sich seit der Corona-Pandemie durch….)
Wenn mir jemand nicht gerne in die Augen sieht, sondern lieber aus dem Fenster schaut, während er sich mit mir unterhält, dann ist das auch in Ordnung. Die Aufmerksamkeit, die einem von einer Person zuteil wird, hängt von weiteren Faktoren ab und sollte nicht auf diesen Blickkontakt reduziert werden.
Wenn jemand keine Lust hat, sich mit mir über die Wettervorhersage zu unterhalten, sondern es vorzieht, lieber zu schweigen als ein solches Small-Talk-Thema zu bedienen, ist auch das in Ordnung.
Tut es mir weh? Diskriminiert es mich? Beschneidet es meine Freiheit? Drei mal „Nein“.
Ich wünsche mir, dass es hier mehr Toleranz gibt und das Andere als Bereicherung und Möglichkeit angesehen wird, vielleicht sogar eigene Handlungsmuster überdacht werden.
Vollständige Barrierefreiheit gibt es nicht
Viele der genannten Möglichkeiten, Barrieren abzubauen und AutistInnen sowie ihren Familien das Leben innerhalb der Gesellschaft zu erleichtern, bringen einen großen Gewinn an Lebensqualität.
Die pauschale Floskel, dass man generell behindert wird, aber nicht behindert ist, ist meiner Meinung nach jedoch nicht richtig. Es bleiben Einschränkungen, für die kein Mitmensch und keine Gesellschaft etwas kann – nämlich Einschränkungen, die Behinderungen an sich mitbringen.
Zum Beispiel kann niemand etwas dafür und niemand kann etwas daran ändern, dass es meinem Kind bei strahlendem Sonnenschein schlecht geht. Die Sonne wird weiter scheinen, wenn sie am Himmel steht und keine Wolke in Sicht ist.
Auch kann niemand etwas dafür, wenn mein Kind nicht gut in der Lage ist, das Haus zu verlassen, weil im Frühling zu viele Vögel zwitschern. Die Vögel werden weiter ihre Nester bauen und ihren Nachwuchs ausbrüten.
Wenn dann noch dazu kommt, dass Hilfsmittel wie Sonnenbrille und Gehörschutz als Fremdkörper verweigert werden, wird es schwierig, auch im Kleinen (z.B. innerhalb der Familie) Barrierefreiheit zu gewährleisten.
Manche Dinge kann man ändern, manche eben nicht. Und dann kommt die Akzeptanz der eigenen Situation – ob als AutistIn, Eltern oder Familie – ins Spiel.
Das Annehmen einer besonderen Lebenssituation aufgrund einer Behinderung, mit der man sich arrangiert, ohne dem vermeintlichen Idealbild der Normalität hinterherzulaufen und ohne für jedes Detail seine Mitmenschen und die Gesellschaft verantwortlich zu machen. Wenn du dir darüber viele Gedanken machst und dich dazu gerne innerhalb einer geschützten Gemeinschaft austauschen möchtest, schau mal hier.
Aus der Akzeptanz der eigenen Lebenssituation inklusive Chancen und Grenzen folgt das selbstbewusste Einfordern von Barrierefreiheit in Bereichen, die durchaus in gesellschaftlicher Verantwortung liegen und der im Sinne einer inklusiven Gesellschaft unbedingt nachgekommen werden muss.
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Ich war erst heute mal wieder seit langer Zeit im Supermarkt einkaufen und das war einfach der reinste Horror für mich.
Laute Ansagen über Mikrofon im ständigen Wechsel mit grauenvoll dudelnder Musik so wie laufend eine Werbung nach der anderen. Und das in einer Lautstärke die für mich unerträglich war.
Ich gehe nun schon extra ganz in der Früh einkaufen da ich davon ausgehe dass zu dieser Zeit eben noch nicht Musik oder Werbung dem Kunden vorgespielt wird.
Aber seit Corona scheinen nun vermehrt Leute um diese Zeit einkaufen zu gehen und schon prasselt einem auch wieder um diese Uhrzeit ständiges Werbe Gequatsche um die Ohren. Musik darf natürlich nicht fehlen da die den Kunden ja in Kauflaune bringen soll.
Zudem sind des öfteren auch die Gänge haufenweise mit neuen Waren oder Leeren Kartons zugestellt/verbaut so das ich gezwungen bin ständig Umwege zu laufen was den Einkauf für mich dadurch noch länger werden lässt und das ständige Suchen (Waren werden immer wieder woanders hin gelegt) mir dann endgültig den Rest gibt.
Ich konnte mich kaum auf den Einkauf konzentrieren. (Fluchtmodus angesagt)
Arztbesuche und Krankenhausaufenthalt
Kaum noch an Horror zu überbieten.
Früher nahmen das KH Personal und auch die Ärzte insgesamt auf seine Patienten noch einigermaßen Rücksicht. Davon ist heute leider nichts mehr zu spüren.
Ich musste zweimal kurz hintereinander dieses Jahr ins Krankenhaus da zwei wichtige Operationen anstanden. Vor den Operationen habe ich keine Angst gehabt aber Ärzte und Pflegepersonal haben mich dermaßen gestresst dass ich kurz davor war das Krankenhaus wieder zu verlassen, ohne OP. (Fluchtmodus springt an)
Es war für mich die reinste Katastrophe, denn der Stress (dazu 3 Bett Zimmer) sorgte bei mir für hohen Blutdruck der durch das ständige erneute Messen ging er dann noch mehr in die Höhe.
Die Leute interessierte es dort überhaupt nicht was ich versuchte ihnen klar zu machen.
Einziege Antwort des Personals: Sie sind falsch eingestellt und müssen erneut eingestellt werden.
Hinzu kam dass ich mal wegen einer 24 Stunden Blutdruck Messung sehr schlechte Erfahrung gemacht habe (dat Dingen war zu stramm eingestellt und sorgte nicht nur für schreckliche Schmerzen sondern auch noch dass mir die Hand dermaßen anschwoll dass ich dachte die platzt jeden Augenblick.)
Seit dieser Zeit lasse ich niemanden mehr an meinen Arm den Blutdruck messen. Auch selber kann ich das nicht mehr ertragen, mich hat das regelrecht traumatisiert.
Dann wurde ich auch noch mit Schmerztabletten zugedröhnt obwohl ich kaum Schmerzen verspürte. Das war so schrecklich und man unterstellte mir noch dass ich wohl Schmerz resistent wäre (kaum bedeutet für die gleich keine).
Daher waren die wohl der Meinung das sie das für mich beurteilen müssten, so nach dem Motto das können Sie nicht beurteilen wir aber schon.
Es ist traurig dass man Autisten (vor allen Dingen älteren Autisten) kaum noch „Beachtung“ schenkt und schon gar nicht auf deren Bedürfnisse eingeht.
Diese Erfahrung habe ich leider machen müssen und ich bin es leid ständig erklären zu müssen warum dieses und jenes bei mir anders ist.
Da muss sich in der Gesellschaft aber noch gewaltig etwas tun.