Kürzlich erzählte mir Kaja über ihre zwiespältigen Erfahrungen und Gefühle mit den Eltern der Mitschüler ihres autistischen Sohnes. Dabei geht es häufig um die kleinen Zwischentöne und Nuancen in der Ausdrucksweise (alle Namen geändert).
Martin ist Autist und besucht die vierte Klasse einer Grundschule. Schon von Beginn an gab es irritierende Bemerkungen von anderen Eltern. So wurde Kaja „im Vertrauen“ nahegelegt, sich bitte nicht als Klassenelternsprecherin zur Wahl zu stellen, weil andere Eltern Probleme mit ihrem Kind hätten, es aber nicht äußern möchten.
Insgesamt würde dieses Kind doch für viel Unruhe sorgen.
Kaja macht die Erfahrung, dass zwar gewisse „Alibifragen“ kommen, wie man sie und Martin unterstützen könne, dann aber Kontakte in der Freizeit nach der Schule zu ihrem Sohn von den anderen Eltern offensichtlich unterbunden werden.
Es sind die kleinen zwischenmenschlichen Erlebnisse und Töne, die uns Eltern autistischer Kinder hellhörig werden lassen und die auch Kaja sehr genau wahrnimmt: Ihr Sohn ist freundlich-distanziert geduldet, aber wirkliche Akzeptanz gibt es nicht. Er ist der komische Junge, der doch eigentlich „ganz normal“ wirkt, dem der Autismus auch mal abgesprochen wird, „weil er ja in die Augen sieht“ und der so gar nicht in die Vorstellung der anderen passt.
Autismus existiert in der Vorstellung mancher Menschen häufig in einer bestimmten Art und Weise, genährt durch einseitige Aufklärung oder Klischees, und wenn Autismus sich in anderer Weise zeigt, wird er gerne mal abgesprochen oder bagatellisiert.
Erst kürzlich gabe es wieder eine Situation, die Vorurteile gegen Martin schürte. Ein Schulausflug stand auf der Kippe (rw). Als Begründung wurde angeführt, dass Martins Schulbegleiterin nicht mitgehen könne und daher der Ausflug für alle Kinder nicht möglich sei.
Fakt ist jedoch, dass Martin für diesen Ausflug keine individuelle Begleitung brauchte, sondern die Schulbegleiterin sich bereit erklärt hatte, als Unterstützung für die gesamte Klasse mitzufahren. Diese Aufgabe hätte sonst ein anderes Elternteil übernehmen müssen. Nun wurde es so hingestellt, als ob der Ausflug für alle nicht stattfinden kann, weil Martins Schulbegleitung doch nicht konnte.
Man hätte also formulieren müssen, dass eine Begleitperson für den Ausflug leider ausfällt und dass bitte ein anderes Elternteil unterstützen möge, damit der Ausflug stattfinden kann – nicht, dass die Schulbegleiterin ausfällt.
Wieder eine dieser vermeintlichen Kleinigkeiten, eine dieser zwischenmenschlichen Botschaften, die die anderen Eltern in ihrer Skepsis bestätigten: dieses schwierige Kind macht alles noch schwieriger. „Alle Kinder können jetzt nicht fahren, weil die Schulbegleiterin für dieses schwierige Kind nicht mitfährt.“
Nun könnte manch einer einwenden, dass das spitzfindig ist, die Worte so auf die Goldwaage zu legen (rw).
Aber nein – gerade diese Nuancen führen häufig dazu, dass Ausgrenzung stattfindet – gewollt oder auch unbeabsichtigt.
„Achtet auf Eure Worte“, möchte Kaja ihren Miteltern am liebsten sagen, aber auch das wird mit der Zeit immer schwieriger, denn die Energiereserven werden kleiner, solche Diskussionen rauben Kraft, die an anderen Stellen dringend gebraucht wird und sachlich zu bleiben, wenn es um das eigene Kind geht, ist nicht immer einfach. Viele halten dann, wie Kaja, lieber den Mund und konzentrieren sich auf ihre eigentlichen Herausforderungen.
Sensibel mit Worten umzugehen, darauf zu achten, dass Tatsachen nicht verdreht werden und auch nicht die Vorlage für Missinterpretationen geben, ist enorm wichtig – gerade wenn es darum geht, Ausgrenzung und Mobbing entgegenzuwirken und Akzeptanz erreichen.
Zum Weiterlesen:
„Ihr Kind kann nicht (mehr) in unsere Schule kommen“ // Autismus und Schule – eure Erfahrungen
„Kann er sich nicht mal überwinden?“ – „Nein, kann er nicht. Und muss er auch nicht.“