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Autismus und Epilepsie – ein Erfahrungsbericht

veröffentlicht von Silke Bauerfeind im Oktober 2016


Christopher ist 14 Jahre alt und Autist. Er hatte vor einem halben Jahr seinen ersten epileptischen Anfall. Mit seinem Vater durfte ich ein Interview führen und habe sein Einverständnis, seine Erzählungen und Erfahrungen an euch weiterzugeben.
(Namen wurden geändert.)

Darf ich vorstellen: Christopher, Autist, Salamiliebhaber und Gerechtigkeitsfreak
Christopher ist 14 Jahre alt und als atypischer Autist diagnostiziert worden. Bis er drei Jahre alt war verlief die Entwicklung altersgemäß, dann wurde plötzlich alles anders. Er sprach nicht mehr und zog sich nach und nach zurück.
Christopher versteht alles, was gesprochen wird, er selbst spricht aber nicht, sondern schreibt auf einer Buchstabentafel oder dem PC oder zeigt seinen Eltern per Hinführen und Deuten, was er möchte. Er hat einen großen Betreuungsbedarf im Alltag, braucht Hilfe beim Essen, Trinken, beim An- und Ausziehen, beim Waschen und den Toilettengängen.
Seine Eltern geben ihm so viel Struktur wie möglich, damit er sich nach einem anstrengenden Schultag erholen kann.
„Was macht Christopher, wenn er aus der Schule kommt?“, fragte ich seinen Vater Michael und die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Kühlschrank auf und Essen.“
Er hat einen gesegneten Appetit, bevorzugt Wurst, Salami, Bifi (etwa 20 pro Woche :-) ), Salamipizza und Weintrauben.
Danach gehört es zu seinem täglichen Ritual, dass er in seinem Zimmer Barbie-Filme ansieht. „Die mochte er schon immer“, erzählt sein Vater „manchmal läuft der Film nur nebenbei, zeitweise auch ohne Ton, dafür dudelt dann parallel zum Film Antenne Bayern im Radio. Das mag er und das Laufen der vertrauten Filme beruhigt ihn.“
Sonst schaut er auch noch gerne Wimmelbücher mit vielen Bildern an und blättert durch Prospekte.
Am Wochenende schläft Christopher gerne lange aus. Die Familie geht gemeinsam an Seen spazieren, im Wald oder zu einer Eisdiele. Christopher mag auch Rolltreppen, U-Bahnen und generell Orte, die schattig sind. „Helles Licht und Hitze kann er nicht gut vertragen“, erzählt Michael.
Besuche bei anderen Familien finden kaum statt. „Unser Alltag passt schon“, sagt Michael „der Freundeskreis hat sich reduziert, die Kinder der Anderen haben andere Interessen und können mit Christopher nichts anfangen. Es wird immer weniger und wir haben auch keine Lust, dem hinterherzurennen.“ Christopher mag ohnehin keine Unruhe, keine lauten Unternehmungen und keinen Streit. „Wir haben uns als Familie zu dritt arrangiert“, sagt Michael.
Innerhalb der Familie gibt es allerdings schon Kontakt, vor allem zu Christophers Tante.
Ich frage nach, ob sich alte Freunde nach Christopher erkundigen: „Manchmal wird scheinheilig nachgefragt, wahrscheinlich um das schlechte Gewissen zu beruhigen. Aber da kommt nicht wirklich was.“

Es ist schön dabei zuzuhören, wie Michael von den Stärken seines Sohnes erzählt:
„Er hat eine hohe Auffassungsgabe und kann gut zuhören. Er sieht alles und ist ein Gerechtigkeitsfreak. Er will, dass es allen gut geht und sorgt sich um seine Mitschüler, wenn sie krank sind.“
Michael berichtet, dass sein Sohn, wie viele Autisten mit hohem Betreuungsbedarf, sehr häufig unterschätzt wird. „Dabei kriegt er einfach alles mit, das glaubt immer keiner.“
Michael erzählt, dass über die Verhinderungspflege ab und zu Betreuer etwas mit Christopher unternehmen und dass das eine schöne Abwechslung für alle ist. Leider springen immer wieder Betreuer ab. So traut sich eine Begleiterin die Aufsicht nicht mehr zu, seit Christopher kürzlich seine ersten epileptischen Anfälle hatte.

Der erste epileptische Anfall und was danach passierte
Ich frage nach, wie die Eltern bemerkten, dass Christopher einen epileptischen Anfall hatte.
Beim ersten Mal habe er nicht mehr richtig geatmet, nur ganz flach, habe gezappelt und sei blau angelaufen. Der Notarzt wurde gerufen und spritzte Christopher ein Notfallmedikament. Im Krankenhaus folgte dann eine kurze Aufklärung. Christophers Eltern wurde erklärt, dass ein erster Anfall einmalig bleiben kann. Da Folgeuntersuchungen wie MRT und EEG ohne Sedierung bei Christopher ohnehin nicht möglich sind, wurden sie wieder nach Hause entlassen, als es ihm besser ging.

epilepsie2

„Wir haben dann viel gelesen, uns informiert und gehofft, dass es nicht wieder passiert“, erzählt Michael, aber leider kam es anders und einige Wochen später hatte Christopher seinen zweiten epileptischen Anfall. Dabei fiel er so unglücklich, dass er sich auch noch das Schlüsselbein brach. Ein Notfallmedikament konnten die Eltern sofort selbst geben, da sie dieses nach dem ersten Anfall für alle Fälle bereits bekommen hatten. Außerdem hatten sie gelernt, dass sie Christopher bei einem Anfall seitlich lagern müssen. Und so konnten sie ihm sofort helfen. Der Notarzt kam natürlich trotzdem und wieder ging es anschließend ins Krankenhaus, wo nun doch weitere Untersuchungen stattfinden sollten.

Der Schulterbruch wurde mit einem Schlingenverband versorgt und nach einem guten Gespräch mit einer aufgeschlossenen Oberärztin, die gelernt hatte, auch der Kompetenz von Eltern Gehör zu schenken, wurden unter Narkose ein MRT gemacht und ein EEG geschrieben. Beide Untersuchungen bestätigten die Epilepsie.
Es stellte sich heraus, dass ein Gehirnzweig nicht altersgemäß entwickelt ist und sich bereits in einem frühen kindlichen Stadium nicht weiter ausgebildet hatte. Mit der Pubertät und der hohen Hormonausschüttung in diesem Alter kommt es nun zum Krampfen, da das Gehirn in diesem Bereich nicht entsprechend entwickelt ist.
Der Stop des Wachstums in diesem Hirnareal könnte möglicherweise auch Christophers atypischen Autismus erklären bzw. die Tatsache, dass seine Entwicklung mit drei Jahren plötzlich anders verlief. Der Autismus sei somit ein Symptom einer nicht normalen Gehirnentwicklung – das sei aber Spekulation und ein kausaler Zusammenhang könne nicht bewiesen werden.

Christophers Vater erzählt, dass der Krankenhausaufenthalt schließlich gut verlief, sein Sohn sogar ein Einzelzimmer bekam, weil Ärzte und Pflegepersonal nach aufklärenden Gesprächen mit den Eltern einsahen, dass ein Mehrbettzimmer für Christopher Reizüberflutung bedeuten würde.
„Man muss schon zeitweise energisch auftreten, damit man ernst genommen wird“, erzählt Michael. „Viele Ärzte tun das Veto oder das Verhalten und Argumentieren von Eltern schnell als Überforderung ab. Aber es klappte dann.“
Entlassen wurden sie mit einer angepassten Medikation, um die Epilepsie in den Griff zu bekommen. Christopher verträgt die Medikamente gut.

Wie es Christopher und seinen Eltern damals ging und wie es heute ist
Ich fragte nach: „Wie ging es Euch als Eltern in dieser Zeit?“
„Scheiße. Der psychische Druck war enorm. Wir hatten ständig Angst vor dem nächsten Anfall und man schaut auf jede Kleinigkeit, achtet auf jedes Geräusch.“
Michael erzählt, dass sich das mit der Zeit verbessert habe. Nun sei Christopher seit einem halben Jahr medikamentös eingestellt und das Vertrauen darauf, dass keine weiteren Anfälle folgen, wächst.

Er erklärt: „Durch die Medikation ist Christopher ruhiger und gelassener geworden. Er lässt sich nicht mehr so schnell aus der Fassung bringen und ist ausgeglichener, ohne dabei im Wesen verändert zu sein oder sediert zu wirken. Er kann sich viel besser konzentrieren.“
Die Dosierung wird alle sechs Monate kontrolliert und ggf. angepasst.

Der Rat an andere Eltern
Michael erzählt, dass er sich Informationen und Erfahrungswerte über das Thema „Autismus und Epilepsie“ selbst zusammensuchen musste. Eine Broschüre, die darüber aufklärt, wäre sicher für viele Eltern hilfreich, da nicht jeder die Zeit und Kraft aufbringt, sich selbst umfassend zu informieren.
Eltern, die den Verdacht haben, ihr Kind könnte einen epileptischen Anfall gehabt haben, rät er: „Lasst das von Spezialisten abklären, lasst ein MRT und EEG schreiben und das Kind, wenn nötig, medikamentös einstellen.“
Er erzählt weiter, dass es nicht einfach sei, „aber steigert euch nicht zu sehr in das Thema rein, wenn es geht, es wird wahrscheinlich einige Monate dauern bis ihr nicht mehr auf jedes Geräusch hört und die Angst nach und nach vergeht.“

Wichtig ist ihm auch noch die Botschaft, dass man versuchen sollte, mit etwas Abstand auch das Positive aus solchen Situationen herauszuziehen. „Man lernt sein Kind in Extremsituationen ganz neu kennen. Ich habe gelernt, dass ich Christopher viel mehr zutrauen kann.“
Am Ende des Gespräches gesteht er mir noch, dass es „doch ganz schön anstrengend war, das alles zu erzählen. Es kommt einfach alles wieder hoch.“
Umso mehr ein herzliches Danke!

Da war nochwas!
Ja, das war noch nicht die ganze Geschichte. Denn nach zwei Wochen wurde damals festgestellt, dass Christophers Schulter doch noch operiert werden musste, damit die Knochen richtig zusammenwachsen. Was für eine Aufregung für alle und was für ein tapferer Kerl mit tollen Eltern!
Heute ist alles wieder in Ordnung. Michael sagt: „Christopher geht´s bombig.“ :-)

Zum Weiterlesen:

Gastbeitrag: Ute über Autismus, Epilepsie und eine genetisch bedingte Darmerkrankung

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wer hier schreibt

Silke Bauerfeind

Gründerin von Ellas Blog (2013), Buch- und Kurs-Autorin, Kulturwissenschaftlerin, psychologische Beraterin, Referentin. 

"Ich verbinde persönliche Erfahrung mit Wissen rund um Autismus, Teilhabe und Familienrealität. Mein Schwerpunkt liegt auf Autismus mit hohem Pflege- und Unterstützungsbedarf – Themen, die in der öffentlichen Wahrnehmung oft zu kurz kommen"

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