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Gastbeitrag: „Darf mein Kind nicht dazu gehören, weil seine Defizite so stark sind?“

veröffentlicht von Silke Bauerfeind im Dezember 2017


Gastbeitrag von Sandra:
(Name geändert)

Es passierte bei einem Fachtag für Autismus. Anwesend waren einige Eltern, viele Notizen schreibenFachleute und erfreulicherweise auch einige Autistinnen und Autisten. Ich freute mich auf den Austausch, darauf etwas Neues zu lernen, meinen Horizont zu erweitern und mein Kind besser verstehen zu lernen.

Mein Kind, das ist ein Junge von zehn Jahren, der mit vier Jahren die Diagnose „frühkindlicher Autismus“ bekam, heute würde man wohl sagen „Autismus-Spektrum-Störung in schwerer Ausprägung in allen Bereichen“. Er spricht nicht, er ist Tag und Nacht inkontinent, hat eine ausgeprägte Weglauftendenz, kann nicht alleine essen und trinken und braucht uns jede Minute. Er hat keine Hobbys, beschäftigt sich nicht selbst und muss lückenlos wegen Selbstgefährdung beaufsichtigt werden.

Ich freute mich darauf, auf besagtem Fachtag Neues zu lernen und mich mit erwachsenen Autisten auszutauschen und leider passierte dann etwas, das ich nicht zu träumen gewagt hatte. Und ich muss es einfach loswerden, denn es verfolgt mich seitdem.
Eine Ärztin sagte, ohne meinen Sohn jemals gesehen zu haben: „Er ist sicherlich schwer geistig behindert. Autismus alleine scheint mir das nicht zu sein, wenn er nicht mal alleine essen kann.“ Und eine Autistin, die daneben stand, meinte: „Ja, das denke ich auch. Wir Autisten können doch für uns selbst sprechen, Ihr Sohn kann das offenbar nicht. Da muss noch etwas anderes nicht in Ordnung sein.“

Ich war total vor den Kopf gestoßen. Warum wurden wir so ausgegrenzt? Warum erlauben sich andere ein Urteil über mein Kind, ohne es zu kennen, nur anhand der Aufzählungen, die ich auch am Anfang dieses kleinen Leserbriefes vorgenommen habe? Es ist doch ein Autismus-Spektrum, vor allem hier auf „Ellas Blog“ lese ich das immer wieder, davon wie alle zusammenhalten müssen und genau das wollte ich auch, mich an anderen Autisten orientieren, ihnen zuhören, auch wenn sie anders als mein Kind sind.
Und dann bekomme ich so etwas gesagt. Mich erschüttert das. Darf mein Kind nicht dazu gehören, weil seine Defizite so stark sind? Er hat doch auch etwas zu sagen, ein Recht auf Teilhabe, ein Recht dazu zu gehören, auch wenn er eigentlich nichts alleine kann und Assistenz in allen Lebensbereichen braucht.

Ich verstehe das nicht.

Wenn ich hier im Blog zum Beispiel die Gastbeiträge von AutistInnen lese oder die Kommentare von Autistinnen und Autisten, die von sich erzählen und ihre Wahrnehmung erklären, bin ich immer sehr dankbar. Denn genau so sollte es doch sein. Offenbar hatte ich großes Pech bei besagtem Fachtag mit meinen Begegnungen.

Danke, dass ich das hier loswerden darf.

Viele liebe Grüße
Sandra

***

Zum Weiterlesen:

Leserbrief: Manchmal denke ich, dass ich nicht dazu gehöre

wer hier schreibt

Silke Bauerfeind

Gründerin von Ellas Blog (2013), Buch- und Kurs-Autorin, Kulturwissenschaftlerin, psychologische Beraterin, Referentin. 

"Ich verbinde persönliche Erfahrung mit Wissen rund um Autismus, Teilhabe und Familienrealität. Mein Schwerpunkt liegt auf Autismus mit hohem Pflege- und Unterstützungsbedarf – Themen, die in der öffentlichen Wahrnehmung oft zu kurz kommen"

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