Heute möchte ich ein Thema ansprechen, das uns als Eltern oft zögern lässt: Zeit für uns selbst nehmen.
Ja, ich weiß, das klingt erst einmal fast wie ein Tabu, wenn man ein autistisches Kind hat, ob klein oder bereits erwachsen, das ständige Betreuung und Unterstützung benötigt. Auch mir fällt es immer wieder schwer, mir diese kleinen Freiräume zu erlauben. Die Verantwortung ist groß und unser Alltag fordert uns in einer Intensität, die Außenstehende oft kaum nachvollziehen können.
Doch gerade deshalb möchte ich heute darüber sprechen, warum es nicht nur in Ordnung, sondern essentiell ist, sich bewusst Auszeiten zu gönnen. Ohne schlechtes Gewissen. Denn wenn wir auf uns selbst achten, stärken wir unsere eigene Gesundheit und unser Wohlbefinden – und sind dadurch letztlich auch bessere und länger durchhaltende Unterstützer für unser Kind.
Wege für Freiraum finden
Natürlich ist es oft eine Herausforderung, überhaupt die Möglichkeit für eine Auszeit zu schaffen. Die Organisation und das Finden verlässlicher Unterstützung können überwältigend sein. Manchmal scheint es, als müsste man erst einen Marathon laufen, bevor man überhaupt die Chance hat, kurz durchzuatmen. Ein freier Nachmittag ist schon so ein großer Luxus, wie für andere eine Woche Urlaub.
Aber ich möchte euch Mut machen: Es ist möglich, und es ist jeden Schritt wert.
Es kann sein, dass wir uns durch ein Netzwerk kämpfen, verschiedene Betreuungsoptionen prüfen oder sogar neue Wege erschließen müssen. Die Suche nach der richtigen Unterstützung ist oft ein Prozess des Ausprobierens, des Anpassens und des ständigen Lernens. Und das kann Jahre dauern, deshalb fangt früh genug damit an, euch Stück für Stück ein Unterstützer-Netzwerk aufzubauen und tauscht euch mit anderen Eltern darüber aus, wie sie es machen, holt euch Tipps und Anregungen – zum Beispiel im Forum plus.
Jede noch so kleine Auszeit, die ihr euch erkämpft, ist ein großer Fortschritt. Sie ist ein Zeichen dafür, dass ihr nicht nur eure Bedürfnisse ernst nehmt, sondern auch aktiv daran arbeitet, das Beste für euch und euer Kind zu schaffen. Gerade für Eltern, die 24/7 für ihre Kinder da sind und sie pflegen, ist es kein Luxus, sich Freiräume zu schaffen, sondern dringend notwendig.
Ich hatte dazu ein Schlüsselerlebnis, als ich vollkommen am Ende meiner Kräfte war. Erst als es so weit gekommen war, wurde mir klar, dass ich mir keine Freiräume nehmen darf, sondern dass ich es muss, wenn ich gesund bleiben möchte.
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Wie du Erschöpfung erkennst und Burnout vermeidest, wenn du ein autistisches oder behindertes Kind hast
Im Folgenden möchte ich euch sechs Gedanken mit auf den Weg geben, die mir persönlich immer wieder helfen, diese wichtigen Pausen zu integrieren, ohne das Gefühl zu haben, ich würde meinen Sohn im Stich lassen. Es sind kleine Erinnerungen an mich selbst, die mir zeigen: Ich tue das Richtige – für uns beide.
Ich gebe mir und meinem Kind Raum zum Wachsen.
In jedem Moment, in dem wir uns selbst eine kleine oder auch mal größere Pause gönnen, geben wir nicht nur uns selbst Raum zum Wachsen, sondern auch unseren Kindern. Indem wir unsere eigenen Batterien aufladen, gewinnen wir neue Perspektiven und Energie, die direkt unseren Kindern zugutekommen. Sie erleben, wie wir mit mehr Geduld und Ruhe zurückkommen, was auch ihnen hilft, sich weiterzuentwickeln.
Es ist so wichtig, dass wir unseren Kindern und ihren Unterstützern bzw. AssistentInnen vertrauen lernen. Ich erlebe es immer wieder, dass ich Niklas durchaus mehr zutrauen darf und ich eigentlich diejenige bin, die oft zu zögerlich ist.
Wenn wir es wagen, mehr Raum zu geben und unseren Kindern ermöglichen, auch mit anderen Bezugspersonen vertrauensvolle Erfahrungen zu machen, geben wir ihnen die Chance, ihre eigenen Fähigkeiten zu entdecken und zu stärken. Das zeigt unseren Kindern, dass wir ihnen zutrauen, Herausforderungen zu meistern und zu wachsen, selbst wenn wir gerade nicht an ihrer Seite sind und uns manchmal vielleicht auch etwas mulmig dabei ist.
Ich weiß, wie unglaublich schwierig es ist, sich selbst diese notwendigen Auszeiten zu erlauben. Es ist ein Prozess, in den wir hineinwachsen müssen, und auch ich musste erst lernen, dass es ein Akt der Selbstfürsorge ist, der uns als Eltern stärkt. Es ermöglicht uns, mit neuer Energie zurückzukehren, um unseren Kindern den besten Beistand zu bieten. Auch ich werde immer wieder zurückgeworfen und muss mich daran erinnern, dass es in Ordnung ist, Pausen einzulegen.
Lies dazu auch den Blogbeitrag:
Warum du nicht loslassen musst, aber Raum geben darfst
Mein Kopfkino ist nicht die Wahrheit.
Oft spielen sich in unseren Köpfen Szenarien ab, die uns Sorgen bereiten und Angst machen. Unser „Kopfkino“ läuft auf Hochtouren, und wir malen uns das Schlimmste aus – vor allem, wenn es darum geht, eine Auszeit zu nehmen und unser Kind in der Obhut anderer zu lassen. Doch es ist wichtig zu erkennen, dass diese Geschichten in unserem Kopf nicht die Wahrheit sind.
Diese gedanklichen Horrorszenarien sind oft weit entfernt von der Realität. Sie spiegeln unsere Ängste und Unsicherheiten wider, nicht die tatsächlichen Ereignisse. Vielleicht sind sie getriggert durch Dinge, die uns durchaus mal passiert sind, aber ganz selten durch das, was in der Gegenwart aktuell ist.
Ich möchte euch ermutigen, diese schlimmen Gedanken in Frage zu stellen und ihnen nicht die Macht über eure Entscheidungen zu geben. Wir dürfen vertrauen lernen – sowohl in die Fähigkeiten unserer Kinder, mit neuen Situationen umzugehen, als auch in die Kompetenzen derer, die uns unterstützen.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, das ständige Kopfkino abzuschalten, das uns das Schlimmste ausmalen lässt. Diese Geschichten in unserem Kopf sind oft so lebhaft, dass sie uns davon abhalten, uns die Regeneration zu gönnen, die wir so dringend brauchen.
Wenn wir lernen, unsere Ängste zu erkennen und ihnen mutig entgegenzutreten, öffnen wir uns für neue Erfahrungen, die unsere sorgenvollen Erwartungen oft positiv übertreffen. Dieses Vertrauen zu entwickeln, weiß ich, ist kein einfacher Schritt, aber es ist ein entscheidender auf unserem Weg zu mehr Freiraum.
Ich gebe mir selbst die Erlaubnis, nicht alles im Griff zu haben.
Vielleicht fühlst du als Elternteil auch den Druck, immer alles perfekt im Griff haben zu müssen, besonders wenn wir Kinder mit besonderen Bedürfnissen haben. Aber: Es ist absolut in Ordnung, sich den Freiraum zu nehmen, nicht alles kontrollieren zu müssen.
Für mich, ehrlich gesagt, ein besonders schwieriges Kapitel, an dem ich fortwährend arbeite.
Indem wir uns selbst die Erlaubnis geben, nicht auf jede Situation eine Antwort haben zu müssen und nicht jedes Problem sofort lösen zu können, entlasten wir nicht nur unser Denken, sondern öffnen auch Raum für persönliches Wachstum und Erholung.
Diese Form von Gelassenheit, die uns ermöglicht, wieder zu Atem zu kommen und unsere Energiereserven aufzufüllen, spart unglaublich viele gedankliche Ressourcen, die dich viel Kraft kosten.
Gebt euch selbst die Freiheit, inmitten der Herausforderungen auch mal durchzuatmen und den Moment zu genießen, ohne das Gefühl zu haben, alles unter Kontrolle haben zu müssen. Dieser bewusste Schritt zurück kann uns paradoxerweise sogar helfen, effektiver und präsenter für unsere Kinder zu sein, wenn sie uns dann wirklich brauchen, weil du durch diese Haltung viel Kraft sparst.
Nimm dir ohne schlechtes Gewissen hin und wieder den Freiraum, den du brauchst. Es hilft dir dabei, wenn es wirklich darauf ankommt, mit mehr Ressourcen aufwarten zu können.
Ich bin mutig und zuversichtlich.
Mut zu zeigen, indem wir uns Freiräume erlauben, fühlt sich oft wie ein Sprung ins kalte Wasser an. Besonders für uns als Eltern eines Kindes mit besonderen Bedürfnissen, wo so vieles unvorhersehbar ist, bedeutet das wirklich Mut. Denn obwohl viele unserer Sorgen und Bedenken berechtigt sind und aus handfesten, täglichen Herausforderungen entstehen, ist es entscheidend, dass wir uns auch Raum für Zuversicht schaffen.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie leicht man in einem Meer von Bedenken untergehen kann. Jedes „Was wäre, wenn …“ scheint eine tiefere Sorge zu entfachen. Doch immer nur in Sorgen zu leben, zehrt an unserer Kraft und unserer mentalen Gesundheit. Es ist wichtig, dass wir auch den Mut aufbringen, zu vertrauen – in unsere Kinder, in die Unterstützung durch andere und in unsere eigene Stärke.
Dabei bedeutet zuversichtlich zu sein nicht, die Realität zu ignorieren oder Schwierigkeiten zu verleugnen. Es bedeutet vielmehr, zu glauben, dass wir und unsere Kinder die Fähigkeit haben, zu wachsen und Probleme bewältigen zu können. Es ist die Überzeugung, dass es trotz aller Herausforderungen auch gute Momente geben wird. Diese Zuversicht gibt uns die Kraft, durchzuhalten und öffnet den Raum für positive Erfahrungen, die uns sonst vielleicht entgehen würden.
Es wird alles gut sein.
Es ist eine ermutigende Perspektive, sich selbst die Erlaubnis zu geben, anzunehmen, dass „es alles gut sein wird“. Diese Haltung erlaubt es uns, auch einmal die Kontrolle abzugeben und darauf zu vertrauen, dass nicht alles negative Konsequenzen hat, wenn wir uns selbst eine Auszeit nehmen. Es ist eine Entscheidung für die Zuversicht, dass die Situationen sich auch ohne unsere ständige Kontrolle und ohne unser Mitwirken positiv entwickeln können.
Wenn wir uns diesen Freiraum nehmen, zeigen wir Vertrauen in die Fähigkeiten der Menschen, die uns unterstützen, und in die Widerstandsfähigkeit unserer Kinder. Sie können miteinander wachsen.
Und wir bekräftigen uns selbst darin, dass es in Ordnung ist, nicht ständig am Ruder zu stehen und dass das Leben uns positiv überraschen darf und kann.
Ich darf glücklich sein.
In meinem Leben als Mutter eines sehr betreuungsbedürftigen Kindes, das inzwischen erwachsen ist, habe ich gelernt, dass es normal ist, dass mein Kind nicht immer glücklich ist – wer ist das schon? Aber auch wenn wir wissen, dass nicht jeder Mensch immer glücklich ist, ist es unglaublich schwer, das beim eigenen Kind auszuhalten.
Aber ich habe erkannt, dass ich mir erlauben darf, glücklich zu sein, auch wenn mein Kind nicht immer glücklich ist. Glück ist kein ständiger Zustand, weder für mich noch für mein Kind, und das ist völlig in Ordnung.
Du darfst dir Momente des Glücks gönnen, wann immer sich die Gelegenheit bietet, ohne Angst zu haben, enttäuscht zu werden, weil auch wieder schwierigere Zeiten kommen werden, oder zu fühlen, dass du es nicht verdient hättest oder es nicht darfst. Glücklichsein ist keine Belohnung, die du dir verdienen musst, sondern ein grundlegender Teil des Lebens, den du bewusst erleben darfst.
Indem du dir selbst erlaubst, glücklich zu sein, stärkst du deine Resilienz und schaffst eine positivere Atmosphäre für dein Kind und dich.
Mach den ersten Schritt
Bitte glaubt nicht, dass ich durch mein Leben gehe und diese Gedanken immer fest verinnerlicht habe. Die Wahrheit ist, dass es sehr unterschiedlich ist, wie gut es mir gelingt, diese Einstellungen in meinen Alltag zu integrieren. Es hängt von vielen Faktoren ab – manche Tage sind einfacher, andere fordern mich heraus, das kennt ihr alle selbst sehr gut.
Aber diese Gedanken sind wie Leuchttürme für mich; sie geben mir Orientierung und Trost, wenn ich sie am meisten brauche. Vielleicht findet auch ihr in diesen Worten etwas, das euch hilft, durch eure eigenen Herausforderungen zu navigieren oder vielleicht inspirieren euch diese Sätze zu eigenen Sätzen, die euch noch viel besser helfen.
Gerade wenn es darum geht, sich Freiräume zu schaffen, ist der erste Schritt oft der schwierigste. Doch ich möchte euch ermutigen, einfach anzufangen. Schritt für Schritt könnt ihr euch ein Netzwerk von Unterstützern aufbauen, Menschen, die verstehen, was euren Alltag ausmacht und die bereit sind, euch zu helfen. Dies kann Freunde, Familie oder professionelle Helfer einschließen. Jede kleine Hilfe zählt und kann es euch nach und nach ermöglichen, die nötigen Freiräume zu schaffen.
Diese Unterstützung kann einen enormen Unterschied in eurem Leben machen und euch die Freiheit geben, auch mal durchzuatmen und kreative Wege zu entwickeln, die am Ende nicht zuletzt eurer Familie zugute kommen.
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