Warum eine Schulbegleitung für autistische Kinder häufig so wichtig ist: kleiner Leitfaden für Jugendämter und Kostenträger

veröffentlicht im September 2024



Wenn es um die Schulbegleitung für autistische Kinder und Jugendliche geht, begegnen uns oft viele Fragen, Unsicherheiten und manchmal auch Missverständnisse. Hier möchte ich kurz und knapp darauf eingehen, warum diese Unterstützung so wichtig ist und wie wir alle gemeinsam dafür sorgen können, dass die Schulbegleitung genau dort ankommt, wo sie gebraucht wird.
Für das Procedere der Beantragung selbst ist es immer sinnvoll mit allen Beteiligten vor Ort zusammenzuarbeiten.

©Quelle: pixabay, User Kollsd, vielen Dank!

Was macht eine Schulbegleitung so entscheidend?

Autistische Kinder und Jugendliche haben oft besondere Bedürfnisse, die es ihnen schwer machen, ohne Unterstützung am schulischen Leben teilzunehmen. Eine Schulbegleitung kann dabei helfen, Barrieren abzubauen und eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen. Aber was bedeutet das konkret?

  1. Individuelle Unterstützung für spezielle Bedürfnisse:
    Autistische SchülerInnen nehmen die Welt oft anders wahr. Geräusche, Licht, Gerüche oder Berührungen können für sie viel intensiver sein. Diese sensorischen Unterschiede führen oft zu Überforderungen, Overloads und Meltdowns.
    Eine Schulbegleitung hilft, mit solche Reizüberflutungen umzugehen, erklärt soziale Situationen und unterstützt die Kinder dabei, sich in ihrer Umgebung sicherer zu fühlen.
  2. Förderung der Selbstständigkeit und sozialen Integration:
    Die Schulbegleitung unterstützt auch in sozialen Interaktionen, die für autistische Kinder und Jugendliche häufig eine große Herausforderung darstellen. Sie hilft, Missverständnisse zu vermeiden und Konflikte zu entschärfen, wodurch die Kinder schrittweise selbstständiger werden.
  3. Strukturierung von Lernmaterialien:
    Eine Schulbegleitung kann dabei helfen, Lehrmaterialien und -inhalte so zu gestalten, dass sie für autistische Schülerinnen und Schüler besser verständlich sind. Oft bleibt viel Potenzial ungenutzt, weil die Lerninhalte nicht individuell genug auf die besonderen Bedürfnisse der Kinder abgestimmt sind. Eine gut geschulte Schulbegleitung kann eine wertvolle Brücke schlagen, indem sie Unterrichtsmaterialien anpasst, komplexe Informationen vereinfacht und darauf achtet, dass das Tempo des Lernens angemessen bleibt. Auf diese Weise wird den Kindern die Möglichkeit gegeben, ihre Stärken zu entfalten und ihr volles Potenzial zu nutzen.
  4. Vermeidung von Schulabbrüchen:
    Ohne passende Unterstützung können der Schulalltag und die vielen Anforderungen schnell überfordernd wirken. Dies kann dazu führen, dass die Kinder vermehrt fehlen oder die Schule ganz abbrechen. Eine Schulbegleitung hilft, diese Risiken zu minimieren und das Wohlbefinden der Kinder im schulischen Umfeld zu stärken.
  5. Nutzung der individuellen Stärken:
    Autistische SchülerInnen haben oft ein ausgeprägtes Detailbewusstsein, hohe Zuverlässigkeit oder Spezialkenntnisse in bestimmten Bereichen. Eine Schulbegleitung kann dabei helfen, diese Stärken zu erkennen und gezielt in den Schulalltag einzubringen, was nicht nur dem Kind selbst, sondern auch der ganzen Klassengemeinschaft zugutekommt.
  6. Förderung der Kommunikation
    Viele autistische Kinder und Jugendliche können nicht (immer) sprechen. Es ist von großer Bedeutung eine Kommunikationsform zu finden, mit der Bedürfnisse und vieles mehr ausgedrückt werden können. Auch hier kann eine Schulbegleitung unterstützen und Kommunikation fördern.
  7. Dies sind nur Beispiele – es gibt weitere individuelle Bedürfnisse, die eine Schulbegleitung für das jeweilige Kind abdecken kann.

Häufige Missverständnisse bei der Beantragung einer Schulbegleitung

Auch wenn das Ziel klar ist – nämlich die bestmögliche Förderung des Kindes – gibt es oft Missverständnisse und Hürden im Beantragungsprozess. Hier sind einige der häufigsten Stolpersteine:

  1. Fehlendes Verständnis für Autismus:
    Autismus ist keine Krankheit, die geheilt werden kann, sondern eine andere Art, die Welt wahrzunehmen. Entscheidungen über Schulbegleitungen sollten daher auf einem umfassenden Verständnis der Besonderheiten von Autismus beruhen und nicht auf gängigen Vorurteilen.
  2. Annahmen über den Unterstützungsbedarf:
    Manchmal wird davon ausgegangen, dass eine Schulbegleitung nicht notwendig ist, wenn autistische Kinder „gut funktionieren“ oder keine sichtbaren Probleme zeigen. Dabei wird oft übersehen, dass viele Kinder sehr viel Energie darauf verwenden, ihre Bedürfnisse zu verbergen und sich anzupassen, was sie schließlich überfordert.
    Manche Überforderungen zeigen sich erst zeitversetzt in anderen Lebensbereichen, so dass die Schule dies nicht unbedingt mitbekommt.
  3. Vorurteile über das Verhalten autistischer Kinder:
    Oft wird angenommen, dass auffälliges Verhalten autistischer Kinder auf Erziehungsfehler der Eltern zurückzuführen ist. Autistische Kinder verhalten sich anders, weil sie die Welt auf ihre eigene Weise erleben – nicht, weil sie „schlecht erzogen“ sind. Eine Schulbegleitung kann helfen, solche Situationen besser zu verstehen und adäquat darauf zu reagieren.
  4. Fehlende Flexibilität:
    Die Bedürfnisse autistischer SchülerInnen sind sehr individuell und können sich ändern. Eine starre Zuordnung von Stunden oder Aufgaben für die Schulbegleitung kann daher problematisch sein. Eine flexible Gestaltung der Unterstützung ist notwendig, um auf die aktuellen Bedürfnisse der Kinder einzugehen und zum Beispiel auch Klassenfahrten, Ausflüge und notwendige Besprechungen miteinzubeziehen.
  5. Unzureichende Berücksichtigung vertrauter Personen:
    Es wird oft übersehen, dass eine bereits bekannte Person als Schulbegleitung besonders wertvoll sein kann. Diese Person kennt das Kind und seine Bedürfnisse schon gut, was die Unterstützung von Anfang an effektiver macht.
  6. Fehlende Information über das Persönliche Budget:
    Eltern haben die Möglichkeit, die Schulbegleitung über das Persönliche Budget selbst zu organisieren. Das gibt ihnen mehr Flexibilität bei der Auswahl und Bezahlung der Schulbegleitung und ermöglicht eine individuelle Anpassung an die Bedürfnisse des Kindes. Diese Information sollte nicht vorenthalten werden.

Ein offenes und wohlwollendes Miteinander ist der Schlüssel

Liebe Mitarbeitende der Jugendämter und Kostenträger,

wir Eltern wissen, dass Ihre Arbeit oft anspruchsvoll ist und dass Sie täglich viele Anträge bearbeiten müssen. Gleichzeitig möchten wir Sie bitten, im Umgang mit den Anträgen für Schulbegleitungen für Autistinnen und Autisten besonders sensibel zu sein. Für die betroffenen Eltern ist dieser Prozess oft herausfordernd und mit viel Unsicherheit verbunden. Sie kämpfen sich durch Anträge, Gutachten und Gespräche, während sie parallel den Alltag ihres Kindes meistern.

Wir bitten Sie, in diesem Prozess auf eine transparente und offene Kommunikation zu setzen. Wenn Ihnen Informationen fehlen oder etwas unklar ist, zögern Sie bitte nicht, noch einmal nachzufragen. Ein kurzer Anruf oder eine zusätzliche Nachfrage kann oft Missverständnisse ausräumen und Vertrauen schaffen.

Es wäre wunderbar, wenn Sie den Eltern mit Verständnis und Geduld begegnen könnten, denn hinter jedem Antrag steht ein Kind, dessen Förderung und Teilhabe uns allen am Herzen liegt. Eltern haben oft viele Anträge gleichzeitig zu bewältigen – jeder zusätzliche Schritt, den Sie erleichtern, hilft, die bestmögliche Unterstützung für das Kind zu erreichen.

Ein offener und wohlwollender Umgang aller Beteiligten macht einen großen Unterschied. Aber gemeinsam können wir sicherlich gute Lösungen finden.

Vielen Dank und herzliche Grüße
von vielen Eltern autistischer Kinder


HIER das Merkblatt zur Schulbegleitung für Jugendämter und Kostenträger mit den genannten Punkten kostenfrei herunterladen.

Fazit: Gemeinsam die bestmögliche Unterstützung sicherstellen

Eine Schulbegleitung ist kein Luxus, sondern oft eine notwendige Unterstützung, damit autistische Kinder und Jugendliche gleichberechtigt am schulischen Leben teilhaben können. Mit Verständnis, Flexibilität und Offenheit können wir gemeinsam dafür sorgen, dass diese Unterstützung gezielt und effektiv ankommt. Lassen Sie uns im Sinne der Kinder zusammenarbeiten und dabei nicht vergessen, dass kleine Schritte oft große Wirkungen haben.


Weitere Ressourcen zum Thema Schule und rund um das Autismus-Spektrum in der beliebten Schatzkiste von Ellas Blog, darunter auch:
– Merkblatt für wertschätzende Zusammenarbeit zwischen Eltern und Fachleuten
– Merkblatt für die Zusammenarbeit mit Kostenträgern
– Checkliste mit typischen Schulproblemen und Lösungsansätzen
– …

Zum Weiterlesen:
Aus der Praxis: Probleme und Lösungsansätze für die Beschulung autistischer Kinder

Zum Weiterlesen:

KOMMENTARE

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  1. Schade, dass es so etwas nicht schon vor 50 Jahren gab. Dann wäre meine Kindheit wahrscheinlich weniger traumatisch verlaufen.

    Natürlich ist auch heute noch längst nicht alles perfekt. Ich persönlich sehe jedoch vieles vor dem Hintergrund meiner Erfahrung als mittlerweile schon etwas älterer Autist von Ü50. Vor diesem Hintergrund ist es ein unermesslicher Fortschritt, dass es heute überhaupt Errungenschaften wie Autismustherapie, Schulbegleitung, Nachteilsausgleiche oder Inklusion gibt. Wenn man bedenkt, wie hart der Weg dahin erkämpft werden musste, dann ist das alles andere als selbstverständlich!

    Sofern man nicht außergewöhnlich gut kompensieren konnte, dann war autistisch zu sein bis vor wenigen Jahrzehnten fast zwangsläufig verbunden mit Folgen wie: Sonderschule, Heimunterbringung, Psychiatrieaufenthalten und mitunter jahrelanger Herausnahme aus der Familie. Alles verbunden mit den oft traumatischen Folgen für die Kinder und wahrscheinlich auch die Eltern. Ich bin froh, dass den autistischen Kindern von heute solche Schicksale in den meisten Fällen erspart bleiben – in vielen Fällen auch dank frühzeitig einsetzender Schulbegleitung.

    Die vielfältigen Hilfen und Nachteilsausgleiche, die es für autistische Kinder heute bereits gibt, sollte man vor dem historischen Hintergrund durchaus würdigen wissen, auch wenn es natürlich immer noch enorm viel zu verbessern gibt.

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