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Seid doch froh, dass Eure Kinder überhaupt in der Lage sind, Dreck ins Haus zu schleppen!

veröffentlicht von Silke Bauerfeind im Januar 2018


Ich höre und lese so häufig darüber, wie dreckige Schuhe Ellas Blog Leben mit Autismussuperanstrengend doch das Kleinkindalter ist, wie schrecklich es ist, wenn man nachts nicht durchschlafen kann, die Kinder keinen Mittagsschlaf mehr machen, die Kinder den Dreck gerade im Herbst und Winter mit ins Haus schleppen, sie das Haus vollkrümeln, ständig in unterschiedliche Richtungen rennen, ungefragt Freunde mit nach Hause bringen, die dann auch alles durcheinander bringen, das Essen bemäkelt wird, die Tagesmütter in der Weihnachtszeit nicht arbeiten, Omas und Opas zu selten für ein Wochenende bereit sind, die Betreuung zu übernehmen und überhaupt alles so furchtbar ist.

Meine Güte!

Seid doch froh, dass Eure Kinder draußen rumrennen und überhaupt in der Lage sind, Dreck ins Haus zu schleppen. Es gibt nämlich viele Kinder, die überhaupt nicht laufen können oder nicht nach draußen können, weil dort die Geräusche von Autos, Hubschraubern, Gartensägen und Kindergeschrei in den Ohren schmerzen.

Seid doch froh, dass Eure Kinder auch mal am Essen rummäkeln und rummaulen und dazu überhaupt in der Lage sind. Es gibt nämlich auch Kinder, die überhaupt nicht sprechen können.

Seid doch froh, dass Ihr überhaupt eine Tagesmutter habt, auf die Ihr sonst zurückgreifen könnt. Es gibt nämlich auch Familien, die eine solche Möglichkeit überhaupt nicht haben, weil eine Betreuung für behinderte Kinder, vor allem wenn sich die Behinderung im Verhalten zeigt, überhaupt nicht zu finden ist und die Mütter oder Väter keine Chance auf eine berufliche Tätigkeit oder gar Entlastung haben.

Seid doch froh, dass Omas und Opas überhaupt ab und zu einen Tag oder ein Wochenende mit den Kindern verbringen. Bei vielen Familien ist das selbst im Kleinkindalter nicht möglich, weil die Behinderung der Kinder eine Überforderung für andere Familienmitglieder bedeutet.

Freut Euch doch darauf, dass Eure Kinder ziemlich wahrscheinlich irgendwann durchschlafen werden. Denn es gibt Familien, die über Jahrzehnte hinweg nachts aufstehen, weil ihre Kinder keinen normalen Schlaf-Nacht-Rhythmus entwickeln oder nachts medizinischer Versorgung bedürfen.

Seid doch froh, dass Eure Kinder Freunde haben, die sie mit nach Hause bringen können. Denn es gibt viele behinderte Kinder, die keine Freunde haben und im Alltag nach Kindergarten und Schule alleine bleiben und gerade in den Ferien alleine zuhause mit ihren Eltern und Geschwistern sind.

Ich habe eine mittlerweile 22jährige große Tochter, die ein ganz „normales“ Kleinkind war. Ich erinnere mich sehr gerne und dankbar an diese Zeit zurück und kann mich nicht erinnern, trotz gelegentlicher Anstrengung und Berufstätigkeit alles so schrecklich gefunden zu haben. Und nun habe ich einen 18jährigen behinderten jungen Mann zuhause, der so gut wie nichts alleine kann, nachts aufsteht und jede Minute beaufsichtigt werden muss. DAS ist anstrengend und trotzdem möchte ich keinen einzigen Tag mit ihm missen.

Jeder hat das Recht, angestrengt zu sein und Belastungsgrenzen sind unterschiedlich – na klar, weiß ich, verstehe ich, aber irgendwann ist auch mal gut und relativieren und das sich konzentrieren auf das Wesentliche und Gute wäre doch angebracht.

Ich habe größte Hochachtung vor Eltern, die jede Nacht mehrmals ihr Kind mit Insulin oder anderen Medikamenten versorgen müssen, ihre Kinder umlagern müssen, regelmäßig ins Krankenhaus müssen, selbst gesundheitliche und berufliche Einbußen hinnehmen, um ihre behinderten Kinder zu betreuen. Und das nicht nur in den Ferien.
Da geht´s mir richtig gut.

Liebe Grüße :-)

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Zum Weiterlesen:

„Dreck- und Krümelthemen“ – eine Frage der Verhältnismäßigkeit

wer hier schreibt

Silke Bauerfeind

Gründerin von Ellas Blog (2013), Buch- und Kurs-Autorin, Kulturwissenschaftlerin, psychologische Beraterin, Referentin. 

"Ich verbinde persönliche Erfahrung mit Wissen rund um Autismus, Teilhabe und Familienrealität. Mein Schwerpunkt liegt auf Autismus mit hohem Pflege- und Unterstützungsbedarf – Themen, die in der öffentlichen Wahrnehmung oft zu kurz kommen"

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Zum Weiterlesen:

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