Liebe Friederike, Dein autistischer Sohn Matthis (Name geändert) wude vor Kurzem eingeschult. Wann habt Ihr angefangen, die Einschulung vorzubereiten und was waren die ersten Schritte?
Hallo Silke, erstmal kurz zu uns, ich bin Friederike, Mutter von Matthis. Matthis ist jetzt 6,5 Jahre alt und nichtsprechender frühkindlicher Autist. Wir wohnen in Niedersachsen in einer sehr ländlichen Gegend.
Begonnen hat unsere Schulreise vor 1,5 Jahren zu Ostern, da war Matthis gerade 5 geworden und wir bekamen einen Brief von unserer örtlichen Grundschule, dass er nächstes Jahr schulpflichtig wird und wir ihn zur Schule anmelden sollen.
Nach den Osterferien habe ich direkt in der Grundschule angerufen und erzählt, dass mein Sohn nichtsprechender Autist ist und nicht in die Regelgrundschule kommen soll (und kann) und dort gefragt, wie das weitere Vorgehen ist. Dort wurde mir dann gesagt, ich soll mich zu Weihnachten noch mal melden, damit sie das Fördergutachten (was zur Einschulung nicht älter als 6 Monate sein darf) in die Wege leiten können.
Mit der Autismustherapeutin haben wir dann über mögliche Schulen gesprochen und nebenbei in die Wege geleitet, dass er einen Talker bekommt (bis dahin hatte er nur ein Kommunikationsbuch von PECS).
Nach den Sommerferien habe ich dann alle für uns in Frage kommenden Schulen angerufen (eine staatliche Förderschule und zwei staatlich anerkannte Tagesbildungsstätten, alle mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung) und Besuchstermine vereinbart.
©Quelle: pixabay, User anncapictures, vielen Dank!
Welche Aspekte waren Dir beim Ansehen der Schulen besonders wichtig?
Gab es auch Ausschlusskriterien?
Besonders wichtig war mir, wie mit den Schülern umgegangen wird, ob auch die nichtsprechenden, deutlich eingeschränkten Schüler integriert oder nur an den Rand geschoben und „verwahrt“ werden.
Gibt es Differenzierungsräume und genügend Personal, so dass mein Sohn aus der Klassensituation raus kann, wenn es ihm zu viel wird?
Wie wuselig und laut ist die Schule? (Matthis ist sehr geräuschempfindlich und kommt nicht gut mit größeren Gruppen klar oder wenn er durch Menschenansammlungen durchgehen muss).
Wie sieht der Schulhof aus, gibt es dort Ecken zum Zurückziehen und Blätter zum Pflücken?
Wie ist der Fahrdienst organisiert, was ist die maximale Fahrzeit, die mein Sohn unterwegs wäre?
Können Therapien in der Schule stattfinden oder müssen die nach Schulschluss gemacht werden?
Wie sind die Schulzeiten?
Die Schulzeiten in der Schule waren leider sehr chaotisch, 2 Tage mit Mittagessen bis 15 Uhr, 2 Tage bis 13 Uhr und freitags nur bis 11 Uhr. Das war für mich dann ein Ausschlusskriterium, da dann noch mindestens 30 Minuten Fahrt, eher 60-90 Minuten dazugekommen wären.
Am Ende standen also die beiden Tagesbildungsstätten zur Auswahl, die eine kannte Matthis schon, da er dort im Kindergarten war, die andere war komplettes Neuland für uns.
Die Wahl wurde uns dann abgenommen, da es in der Tagesbildungsstätte, die wir schon kannten, in diesem Jahr deutlich mehr Anmeldungen als Plätze gab und Matthis keinen davon bekam.
Wir hatten davor keinen klaren Favoriten, beide Tagesbildungsstätten haben ihre Vor- und Nachteile.
Wurdet Ihr gut beraten und informiert?
Sowohl Matthis` Autismustherapeutin, als auch seine Erzieherinnen im Heilpädagogischen Kindergarten haben uns beraten und hatten auch alle angeboten, mich zu den Schulbesuchen zu begleiten, um noch mal mit fachlichem Auge zu schauen, ob die Schulen für Matthis geeignet sind.
Die drei Schulleitungen waren auch alle sehr bemüht und haben alle meine Fragen beantwortet.
Etwas schade war, dass sich die Besuche über mehrere Monate gezogen haben, aber das war dem teilweise hohen Krankenstand geschuldet und dass sie sich direkt nach den Ferien erstmal auf die neuen Schüler konzentrieren wollten und nicht auf die zukünftigen.
Musstet Ihr bürokratische Hürden nehmen und welche waren das?
Hürde 1 war definitiv das Fördergutachten, dieses musste bei der örtlichen Grundschule von uns angefragt werden. Von dort ging dann die Anfrage an die Förderschule, die sich an den Heilpädagogischen Kindergarten wandte, um meinen Sohn dort zu begutachten. Da das Gutachten nicht älter als 6 Monate sein darf, konnten wir damit erst im Januar so richtig starten.
Das fertige Fördergutachten musste dann von uns Eltern abgesegnet werden, bevor es zur Landesschulbehörde ging, die dann den Förderschwerpunkt für Matthis festgelegt hat (Geistige Entwicklung).
Hürde 2 war das Kostenanerkenntnis für die Tagesbildungsstätte, da sich diese in einem anderen Landkreis befindet. Da Matthis seit der Diagnose vor 3 Jahren in der entsprechenden Abteilung des Landkreises aktenkundig ist, war das aber nur eine Formalie.
Die Schuluntersuchung war bei uns gar kein Problem. Die Amtsärztin kam in den Kindergarten, beobachtete Matthis kurz in der Gruppe, danach haben wir uns noch unterhalten und da wir uns einig waren, dass Matthis auf eine Förderschule gehen soll, waren wir dann auch schon fertig.
Wie hast Du Deinen Sohn auf die neue Schule vorbereitet?
Ich war vor den Sommerferien zweimal mit Matthis in seiner zukünftigen Schule, einmal zu deren Sommerfest und einmal am Nachmittag nach Schulschluss, damit er sich in aller Ruhe seinen Klassenraum anschauen und die Fachkräfte der Klasse kennen lernen konnte. Der Klassenbesuch lief richtig gut, sie hatten ihm direkt ein Puzzle hingelegt und haben ihm später gezeigt, wo er weitere finden kann. Matthis hat dann in Ruhe vor sich hingepuzzelt, während ich Fragen zu ihm beantworten konnte.
Es fand dann noch ein weiterer Schulbesuch am Vormittag statt, da war ich nicht dabei, sondern Matthis ist zusammen mit seiner Erzieherin zur Schule gefahren und hat sich neben den Puzzeln noch die Turnhalle angeschaut.
Zu Beginn der Ferien gab es dann einen Hausbesuch von der Klassenleitung und der pädagischen Fachkraft, die für Matthis zuständig ist. Die beiden haben sich angeschaut, wie Matthis sich in seiner gewohnten Umgebung verhält und haben noch weitere Fragen zu ihm gestellt und den Ablauf für die Einschulung erklärt.
Wie ist die Einschulung verlaufen und wie klappt es in den ersten Wochen?
Die Einschulung lief dieses Jahr anders als normalerweise, da zusammen mit Matthis noch vier weitere Kinder eingeschult wurden, von denen noch mindestens 2 weitere Autisten sind.
Normalerweise werden die neuen Schüler von der ganzen Schule in Empfang genommen und es wird in der Turnhalle ein wenig gefeiert. In diesem Jahr fand die Einschulungsfeier nur mit den fünf neuen Kindern und deren Familien auf dem Schulhof statt.
Es gab eine kleine Vorstellungsrunde der Klassen und welches Kind in welche Klasse kommt und danach gab es Kaffee und Kuchen und die Kinder konnten sich frei auf dem Spielplatz oder in den Klassen bewegen.
Für Matthis war es trotzdem zu viel und wir mussten nach einer Stunde nach Hause, wo wir dann mit den Großeltern noch zu Abend gegessen haben.
Die ersten zwei Wochen sind jetzt rum. In der ersten Woche war Matthis nur 2 Stunden pro Tag in der Schule, damit er sich an die neuen Begebenheiten gewöhnen kann und bis auf an einem Tag (da hatte er aber auch schlecht geschlafen) hat er das auch super gemacht.
In der zweiten Woche war er dann schon den ganzen Schultag (von 8:30 bis 14:30) mit dabei. Noch verbringt er die meiste Zeit mit „seiner“ pädagischen Fachkraft in einer 1:1-Situation, ist aber immer wieder auch im Klassenraum mit dabei und lernt seine Mitschüler langsam kennen.
Das erste Mal Autismustherapie mit seiner bekannten Therapeutin fand auch schon in der Schule statt und lief richtig gut. Wir haben das riesengroße Glück, dass seine Therapeutin einmal die Woche zu ihm in die Schule fahren kann, sodass wir die Therapie nicht nach Schulschluss noch organisieren müssen.
Hast Du Tipps für andere Eltern, deren Kinder bald eingeschult werden oder bei denen
nach der Einschulung noch „nachgebessert“ werden muss?
Fragt im Kindergarten oder bei den Therapeuten nach, welche Schulen sie kennen und für euer Kind empfehlen würden.
Fragt, ob jemand von denen euch zu den Schulbesuchen begleiten kann, wenn ihr euch unsicher seid, ob ihr das richtig einschätzen könnt. Die haben nochmal einen anderen Blickwinkel und kennen euer Kind.
Für mich war auch wichtig zu wissen, dass die staatliche Förderschule meinen Sohn in jedem Fall aufnehmen muss, er also nicht im Notfall auf die Regelgrundschule hätte gehen müssen.
Und ganz wichtig: hört auf euer Bauchgefühl, wenn es darum geht, ob eine Schule passen könnte oder nicht.
Die Umstellung von Kindergarten –> Ferien (5,5 Wochen) –> Schule macht Matthis aktuell
zu schaffen, was sich in seinem Schlafverhalten oder eher Nicht-Schlafverhalten und seiner Gereiztheit tagsüber zu Hause ausdrückt. Wir sind aber optimistisch, dass sich das in ein paar Wochen gibt, wenn er sich an den neuen Tagesablauf gewöhnt hat.
Wir sind per Mitteilungsbuch und Schul-App im täglichen Austausch mit der Klasse und bekommen von dort sehr viel Gutes zu hören. Ich kann es sehr empfehlen, im ständigen Kontakt zu bleiben und auch die Therapeuten mit einzubeziehen.
Wie geht es Dir persönlich als Mutter mit diesem neuen Lebensabschnitt?
Ich freue mich, dass Matthis morgens gerne ins Taxi steigt und zur Schule fährt und von dort so viel positives Feedback kommt. Wir sind schon alle sehr gespannt, was er dort in den nächsten Jahren alles lernen wird und wie er sich entwickelt.Er hat sch on so viel in den letzten Jahren gelernt, was er sich in großen Teilen durch Abschauen beigebracht hat, dass ich sehr gespannt bin, wie es weitergeht.
Die größte Befürchtung aktuell ist, dass sich das schlechte Schlafverhalten so festigt und wir da in den nächsten Wochen nicht raus kommen. Bis jetzt haben diese Phasen zum Glück immer nur ein paar Wochen angedauert.
Liebe Friederike, vielen herzlichen Dank für Deine Erfahrungen und die Zeit, die Du Dir für das Interview genommen hast. Bestimmt machst Du anderen Eltern damit Mut, wenn es an die Einschulung geht oder hast noch Inspiration gegeben, wie es besser laufen kann, wenn der Start womöglich nicht so geglückt ist.
Dir und Deiner Familie alles alles Gute und wir bleiben im Forum plus ja ohnehin im Austausch.
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Hallo,
wir sind Eltern eines 7 jährigen Autisten der gerade eingeschult wurde. Leider haben wir gar keine guten Erfahrungen gemacht. Das ganze Prozedere für das förderpädagogische Gutachten war zwar anstrengend, lief aber recht problemlos, die Grundschule hat uns da sehr gut unterstützt. Die Vorbereitung auf die Einschulung selber, war gelinde gesagt, eine Katastrophe. Im Kindergarten hat, wie wir jetzt wissen, keine Vorschule stattgefunden und auch die Förderschule hat keinerlei Angebote gemacht, die es den Kindern leichter machen würden. Es gab einen Elternabend vor den Sommerferien und das wars, nächster Termin Schulanfang. Keine Möglichkeit in den Ferien mal mit dem Kind die Schule anzuschauen, mit Lehrern zu sprechen oder ähnliches. Damit war schon der Schulanfang für unseren Sohn Stress pur. Eine völlig fremde Umgebung, fremde Menschen, alles bunt und wuselig. Und am Montag dann alleine in die Schule gehen, vollzeit. Das konnte nur schief gehen, Overload pur. Leider reagiert unser Sohn wenn er sich nicht zurückziehen kann mit kratzen und beißen und zwar gegen jeden in Reichweite. Das Endergebnis, er ist seit 4 Wochen vom Schulbesuch suspendiert und wir Eltern völlig am Rande der Belastungsgrenze. Aber die völlige Krönung des ganzen, es hat sich beim zweiten Elternabend (bei dem ich natürlich war, auch wenn unser Sohn aktuell nicht in die Schule darf) herausgestellt, dass die Schule keinerlei Informationen dazu hatte, was mit unserem Sohn ist. Keine Diagnose, kein förderpädagogisches Gutachten, nichts! Aber was ich noch weniger verstehe, warum fragt man nicht die Eltern was das Kind hat, wenn schon vom Amt keine Unterlagen kommen? Stattdessen wird man beim Gespräch mit dem Direktor hingestellt, als hätte man sein Kind einfach nicht erzogen, statt dass er mal zugibt, das er schlicht keine Ahnung hat wie die Diagnose lautet.
Ich kann nur jedem raten, wenn ihr im Vorfeld der Einschulung das Gefühl habt keiner fragt euch was zu eurem Kind, dann nervt sie so lange bis sie es tun. Die Alternative ist viel schlimmer und ausbaden müssen es Eltern und Kind, die Schule zuckt da nur die Schultern
Liebe Manja,
es tut mir sehr leid, dass es bei euch alles andere als gut gelaufen ist und dein Sohn sogar suspendiert ist. Ich höre das leider mit den Jahren immer öfter und es ist ein Armutszeugnis für das System das nicht auf unsere Kinder eingestellt ist. Manches können wir versuchen, positiv zu beeinflussen, indem wir selbst dazu beitragen, Übergänge gut zu gestalten, Kennenlernbücher zur Verfügung stellen und proaktiv auf die Menschen zugehen und aufklären. Denn, wie du richtig beschreibst, wir können leider nicht davon ausgehen, dass das immer und überall automatisch passiert. Leider.
Das positive Beispiel im Beitrag zeigt, dass es freilich auch gute Beispiele gibt und deshalb habe ich es hier veröffentlicht. Vielleicht schauen sich ja auch manche Personen aus der Schule ab, wie es besser laufen kann.
Ich wünsche Dir und Deiner Famlie alles Gute und dass es nach dem schlechten Start doch noch positiv weitergehen kann. Vielleicht findest Du auch hier im Blog noch Ressourcen, die Dich dabei unterstützen können.
LG Silke