Über Babyzeichen zur Kommunikation mit Gebärden – Interview mit Katrin Hagemann

veröffentlicht im Dezember 2017


©Katrin
©Katrin Hagemann

Als ich auf Katrins Website „Babyzeichen“ aufmerksam wurde, war ich begeistert. Aufgrund unserer eigenen Erfahrungen mit Gebärden bin ich der Überzeugung, dass man sie viel mehr Kindern anbieten sollte.
Meine Fragen an Katrin und ihre Antworten entwickelten sich zu einem interessanten Gespräch über das Thema Kommunikation per Gebärden.

***

Liebe Katrin, Du bist Sozialpädagogin und Erzieherin mit Montessori-Diplom. Wie kam es zu Deiner Website „Babyzeichen„?

Hallo Silke, ja, ich bin Erzieherin und Sozialpädagogin. Nach meinem Studium habe ich zusätzlich eine Coaching-Ausbildung abgeschlossen und ich bin auch Reiki-Meisterin/Lehrerin (Japanische Entspannungsmethode).
Du möchtest sicher gerne wissen, wie ich zu B a b y z e i c h e n gekommen bin, oder?
Im Jahr 2006 habe ich davon gelesen und vieles aus meiner Ausbildung und eigenen Erfahrung wieder gefunden. Die Idee, die Bindung zwischen Eltern und Kindern durch Verknüpfen von Sprache und Bewegung zu stärken, hat mich fasziniert und sofort begeistert! Also habe ich im weiteren Verlauf schlussendlich mein eigenes pädagogisches Konzept entwickelt und bin Ende 2007 damit gestartet.

Was genau sind „Babyzeichen“? Wie unterscheiden sie sich von offiziellen Gebärden der Deutschen Gebärdensprache (DGS)?

Babyzeichen unterscheiden sich überhaupt nicht von der Deutschen Gebärdensprache. Sie sind auf der Grundlage der DGS. Das Prinzip, wie die Gebärden verwendet werden, ist allerdings verschieden: genutzt werden im Redefluss einzelne Schlüsselworte, die durch die entsprechenden Gebärden verdeutlicht werden. Also erzähle ich dem Kind zum Beispiel, dass es jetzt zum Schlafen ins Bett geht und zeige dazu die Gebärde SCHLAFEN einige Male, immer wenn ich von dem Wort spreche.

Sind die Babyzeichen für alle Kinder geeignet?

Diejenigen Kinder, die in ihrer Entwicklung soweit und von ihren Fähigkeiten her gezielt und aufmerksam beobachten können und diejenigen, deren Interesse an diesen Bewegungen geweckt ist und die ihre Hände feinmotorisch den Gebärden entsprechend willentlich bewegen können, sind gut in der Lage, Babyzeichen zur Mitteilung zu nutzen. Dabei ist ein „Lallen mit den Händen“, also auch grobmotorischere und der Gebärde annähernde Bewegungen des Kindes völlig in Ordnung und bereits eine hilfreiche Verständigungsmöglichkeit.
Babyzeichen sind auch etwas für schwerhörige Kinder im Babyalter, Kinder im Kindergartenalter als Integrationshilfe in eine neue sprachliche Umgebung – geflüchtete Kinder, die Deutsch neu erlernen – und andere Kinder mit besonderen Bedürfnissen.
So, wie in deinem Fall mit deinem Sohn.

Ja, das stimmt, Niklas kommuniziert über Gebärden.

Was ist Deiner Ansicht nach der Vorteil von Gebärden?

Sie eröffnen eine Welt der Kommunikation in Situationen, in denen die gesprochene Sprache allein nicht aussreichend ist oder (noch) nicht (ausreichend) zur Verfügung steht. Praktisch ist das zum Beispiel auch in Momenten, in denen lieber leise kommunziert werden will oder die Umgebung zu laut ist.
Seit vielen Jahrzehnten gibt es die Erfahrung, dass sich Bewegung positiv auf die geistige und sprachliche Entwicklung von Menschen auswirkt. Daher gibt es für Kinder schon so lange Fingerspiele und seit den 1970er Jahren beschäftigt sich die sogenannte „Psychomotorik“ ebenso mit dem Prinzip des ganzheitlichen Lernen.

Auf Deiner Website schreibst Du, dass Dir durch die Pädagogik von Maria Montessori die Bedeutung von Gebärden auf die Entwicklung von Kindern bewusst wurde. Wie meinst Du das? Kannst Du das bitte näher erklären?

Ja… Maria Montessori hatte die Haltung, das Kind hätte zur persönlichen Entwicklung das Bedürfnis: Hilf‘ mir, es selbst zu tun.
Das bedeutet im Alltag, Dinge und Situationen für das Kind so zu schaffen und anzubieten, dass es seine wichtigen Lebenskompetenzen erreichen kann durch das e i g e n e Ergreifen und Bewältigen, um selbsttätig daran lernen und wachsen zu können.
Mit dem Angebot einer zusätzlichen Kommunikation, schaffen wir dem Kind die Möglichkeit, sich uns mitzuteilen, seine Wünsche zu äußern, sein Erlebtes zu erzählen, sich einzubringen und an unserer Gemeinschaft teilzuhaben. Dies stärkt die Bindung zu den ihm sich zuwendenden Erwachsenen.
Auch die Sprech-Entwicklung wird gestärkt, da die Bezugspersonen, die Gebärden zusätzlich zur gesprochenen Sprache nutzen, viel mehr sprechen und somit sprachanregend wirken.

Gebärde Katze
Katrin-Hagemann-zeigt-KATZE-©BastianBusch_Web.jpg

Ich habe einen nicht-sprechenden 18jährigen Sohn, der per Gebärden kommuniziert. Hast Du Erfahrung mit autistischen Kindern, die mit Dir Gebärden erlernen?

Nein, bisher noch nicht. Ich weiß von den sogenannten LUG (lautsprachunterstützenden Gebärden), das sind Gebärden in vereinfachter Form, die bei besonderen Kommunikationsbedürfnissen sehr hilfreich sein können. Es kommt immer auf das Kind und die Bezugspersonen an, ob diese Art der Kommunikation passt.
Manche Kinder entwickeln auch eigene Gebärden, was ich persönlich sehr schön finde, da es zeigt, dass den Kindern diese Kommunikationsform gefällt und sie sehr kreativ sein können!

Was sagst Du zu den Befürchtungen mancher Eltern, dass ihre Kinder möglicherweise keine Motivation mehr haben zu sprechen, wenn sie Gebärden erlernt haben?

Wenn zu den Gebärden viel gesprochen wird, wird die Sprech-Entwicklung sogar besonders gefördert.
Da gebärdende Eltern mehr mit ihren Kindern kommunizieren, dies bewusster tun und der dafür so wichtige Blickkontakt fast immer mit dabei ist. Kinder lernen das Sprechen unter anderem vom Mundstellung-Abschauen. Und aus der Erfahrung heraus weiß ich, dass die Kinder schnell verstehen, dass es Situationen gibt, in denen das Sprechen praktischer ist, zum Beispiel wenn sie die Gesprächspartner nicht sehen können. Kinder streben in der Regel nach der nächsten Entwicklungsstufe – dem Sprechenkönnen.

Vielen Autistinnen und Autisten ist es sehr unangenehm, Blickkontakt aufzunehmen und zu halten, bei manchen verursacht es sogar Schmerzen. Bei meinem Sohn habe ich festgestellt, dass sich mit stetigem Zuwachs an Gebärden auch der Blick auf die Hände und das Gesicht seines Gegenübers vermehrte. Es war also ein natürlicher Prozess im Verlauf des Erlernens der Gebärdensprache. Was meinst Du dazu?

Wie schön das ist zu hören, dass es Wege gibt! So konnte dein Sohn in seinem eigenen Tempo steuern, wie und ob er den Blickkontakt – bzw. den Blick an die oder den Gesprächspartner*in möchte.
Ich vermute, dass der Blickkontakt hilfreich für die Lebenskompetenz ist; wenn diese Fähigkeit dann doch und dies nach eigenem Ermessen erworben werden kann, umso besser. Es ist spannend zu hören, wie sich das bei Deinem Sohn entwickelt.

Ja, das ist es – spannend! Manchmal gebärde ich etwas vor und denke, dass er das gar nicht gesehen haben kann – hat er aber, weil er anders schaut als wir Neurotypischen, das ist wirklich sehr erstaunlich. Wichtig war uns, dass er das alles ohne Zwang erlernt und nur so viel Blickkontakt aufnimmt, wie er das für sich selbst möchte und angenehm findet.

Du schreibst auf Deiner Website, dass es wichtig ist, Kindern eine sprachanregende Umgebung anzubieten. Wie sieht Deiner Meinung nach eine solche Umgebung aus?

Zum Sprachelernen ist mit dem Kind sprechen/gebärden, wichtig! Dazu gehören echte Dialoge und vielfältige Gelegenheiten. Sprach-DVDs oder Geschichten vom Band wären ungeeignet für die ersten Lebensmonate/-jahre.
Die Kinder brauchen einen nachvollziehbaren Kontext und ein echtes Gegenüber, mit dem sie Sprache erfahren und fühlen können.

Dazu fällt mir spontan ein, dass mein Sohn und auch andere autistische Kinder sich leichter tun, wenn sie als Gegenüber zum Beispiel eine Puppe oder ein großes Stofftier haben, das mit ihnen spricht. Das lenkt nicht so sehr vom Gesprochenen ab, weil die für Autistinnen und Autisten oft so irritierende Mimik wegfällt und sie sich nicht so leicht in Details verlieren (z.B. das sich fixieren auf eine Augenbraue, die Nase oder ähnliches).

Das bedeutet vielleicht, dass bei autistischen Kindern und Erwachsenen der Einsatz von speziellen Puppen mit beweglichen Händen und Fingern, das Erlernen neuer Gebärden sehr unterstützt. Ich kenne einen „Gebärden-Botschafter“, Rob Davis, der mit solch einer Puppe in Schulklassen über Gebärdensprache aufklärt.

Ist Dir sonst noch etwas wichtig zu erwähnen?

Ja… ich kenne viele positive Berichte und schöne Geschichten von den Familien, die meine Kurse besucht haben und begonnen haben, Gebärden zusätzlich zur Kommunikation einzusetzen: sie haben viel Freude damit; berichten von sehr viel mehr Momenten, in denen es eine bessere Verständigung gibt und damit weniger Frust auf beiden Seiten; sind erstaunt, über ihre Kinder Dinge zu erfahren, die sie ohne Gebärden nicht wüssten und finden es schön, auf einfache Weise ein verbindendes Element zu den Menschen zu haben, die auf Gebärden angewiesen sind, wie zum Beispiel Gehörlose.

Das kann ich absolut nachvollziehen. Schön, dass Du solche Rückmeldungen bekommst.

Du bietest Kurse an. Wer kann daran teilnehmen und wie kann man am besten Kontakt zu Dir aufnehmen?

Meine Kurse biete ich in Düsseldorf an. Der Grundkurs ist gedacht für Eltern mit ihren Kindern zwischen 5 und 14 Lebensmonaten.
Für diejenigen, die meine Kurse nicht besuchen können, dennoch gerne starten möchten und auch für meine Kursteilnehmerinnen als Gedankenstütze habe ich eine Babyzeichen-Video-Wörterbuch-App entwickelt. Darin gibt es etwa 400 Wörter zum alphabetischen Nachschlagen, nach Kategorien sortiert, eine Lernfunktion und ein Ratespiel.
Übrigens die erste Babyzeichen-App auf dem Markt – sie wird gerade überarbeitet und ist sehr bald wieder nutzbar.
Informationen zu meinen Kursen und woher die Idee mit Babyzeichen eigentlich kommt, gibt es auf meiner Website.

Vielen Dank für das informative Interview, liebe Katrin, und alles Gute für Deine Arbeit mit den Familien.

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Zum Weiterlesen:

Autismus und Gebärdensprache – wie alles begann

DGS, LBG, LUG, GuK – was bedeutet das alles? – Autismus und Gebärdensprache

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  1. Ich habe mit meiner neurotypischen Tochter ebenfalls im Kleinkindalter begonnen, sprachbegleitend zu gebärden. Vor allem, weil ich es gerade selbst gelernt habe und weil ich so begeistert davon war, mehr zu erfahren, was ihr durch den Kopf geht. Es war toll! Sie hat sehr früh einen riesigen Wortschatz gehabt!
    Wir haben es auch später viel genutzt, um zum Beispiel auf größere Distanzen oder durch Fenster hindurch miteinander zu reden.
    In meiner Förderschule für geistige Entwicklung nehmen wir durch das begleitende Gebärden auch große Fortschritte bei den Schülern wahr, sie sehen länger zu uns hin, werden selbst besser verstanden und nicht zu letzt müssen wir Erwachsenen uns kürzer und konkreter ausdrücken !

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