In den letzten Jahren hat PDA viel Aufmerksamkeit bekommen und die Zuschriften mit Fragen dazu häufen sich. Da es ein kontrovers diskutiertes Thema ist, habe ich recherchiert und nach Antworten und Orientierung gesucht, die ich hier gerne an euch weitergeben möchte.
Ihr wisst – ich bin keine Ärztin oder Therapeutin, sprecht also bitte mit Fachleuten, wenn ihr weitergehende Fragen habt oder denkt, dass euer Kind betroffen sein könnte.
©pixabay, Userin sweetlouise, vielen Dank!
Was ist PDA?
Beschreibung und Ursache
PDA ist die Abkürzung für Pathological Demand Avoidance. Es geht um ein spezielles Verhalten, bei dem Menschen dazu neigen, Anforderungen und soziale Erwartungen zu meiden. Vielleicht kannst du es dir so vorstellen, als ob du einen eingebauten Widerstandsmechanismus gegen fast alles hast, was von dir verlangt wird. Und das nicht aus Faulheit oder Sturheit, sondern weil es für dich unheimlich schwierig ist, mit den alltäglichen Anforderungen klarzukommen.
Während es sonst im Bereich Autismus oft um Herausforderungen in den Bereichen Kommunikation und soziale Interaktion geht, haben wir es bei PDA mit einem spezifischen Vermeidungsverhalten gegenüber Anforderungen zu tun. Aufgrund der Anforderungen, die an sie gestellt werden, sind die Betroffenen häufig ängstlich und gehen auf Konfrontation, wenn sie in bestimmte Situationen geraten.
Als Ursache für PDA scheint eine Mischung aus genetischen und Umweltfaktoren eine Rolle zu spielen. Eine interessante Verbindung besteht zwischen PDA und einer überempfindlichen Amygdala, einem Teil des Gehirns, der für Emotionen zuständig ist. Das heißt, dass die Verarbeitung von Gefühlen bei Menschen mit PDA anders sein kann.
Außerdem scheint es Schwierigkeiten bei der Anpassung des Verhaltens zu geben, so dass sich die Personen nicht ohne weiteres auf unterschiedliche Situationen einstellen können.
Während einige Experten PDA als eigenständige Diagnose betrachten, sehen andere es eher als spezielle Form von Autismus. Es ist auch wichtig zu wissen, dass PDA in Deutschland noch nicht offiziell anerkannt ist, aber immer mehr Beachtung in der Diskussion und Forschung findet.
Geforscht wird zum Beispiel an der University of Bath (UK), dem Elizabeth Newson Centre in Nottingham (UK), dem King’s College London (UK), aber auch an den Universitäten in Heidelberg, Köln, Hamburg, Frankfurt und München.
Kontroversen und Vorbehalte gegenüber PDA
Ein Kritikpunkt ist, dass es keine einheitliche Definition oder spezifische Diagnosekriterien gibt, die von allen anerkannt sind. Das lässt Raum für das Anzweifeln von Diagnosen. Außerdem gibt es Überschneidungen mit anderen anerkannten Diagnosen, wie z.B. oppositionelle Trotzstörung oder Borderline-Persönlichkeitsstörung. Es wird diskutiert, wo hierzu Abgrenzungen stattfinden sollten und müssen.
Bedenken muss man ebenso, dass erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Anforderungen und die Schwierigkeit, die damit verbundene Angst zu regulieren, auch als Reaktion auf schlechte Erfahrungen oder traumatische Ereignisse (PTBS) auftreten oder Folgen einer Angststörung sein können. Die Reaktionen müssen also nicht unbedingt eine eigenständige Diagnose wie PDA bedeuten.
Weiterhin wird angemahnt, dass es trotz einiger Studien zu PDA weitere Forschung braucht, um die Ursachen, Merkmale und Behandlungsoptionen besser zu verstehen und zu vermeiden, dass PDA wegen mangelnder Kenntnisse falsch diagnostiziert wird.
Kritiker merken daher an, dass der Fokus eher auf den individuellen Bedürfnissen und Stärken einer Person liegen sollte, anstatt weitere, neue Diagnosen zu stellen. Wichtig sei es, vor allem individuell zu fördern, je nachdem welche Unterstützung notwendig ist.
Eine fundierte fachärztliche Diagnostellung ist unerlässlich.
Wir sehen also, dass die Diagnosestellung sehr komplex ist und von fachärztlicher Seite verschiedene Faktoren berücksichtigen muss. Dazu gehören neben dem Erkennen der Symptome auch der jeweilige Schweregrad, die Dauer und die Auswirkungen auf das tägliche Leben. Auch die Abgrenzung zu anderen Diagnosen ist wichtig.
Symptome und Anzeichen von PDA
Die Symptome von PDA können unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Manchmal bemerkt man womöglich alle Aspekte, die für eine PDA sprechen könnte, manchmal treten auch nur vereinzelte Symptome auf. Auch die Ausprägung und Kombination der Symptome kann sich im Laufe der Zeit verändern. Weil sich PDA bei jeder Person anders zeigt, ist es besonders wichtig, individuell hinzuschauen:
Vermeidung von Anforderungen
Dein Kind kann eine starke Abneigung gegenüber Anforderungen haben und versuchen, ihnen aus dem Weg zu gehen. Womöglich ignoriert es Aufforderungen wie „räum` bitte dein Zimmer auf“ oder verweigert Aufgaben wie „mach bitte deine Hausaufgaben“. Aber auch bei Aufforderungen wie „lass uns einen Ausflug machen“ oder „wollen wir ein Eis essen“, versucht dein Kind dann eventuell abzulenken oder Ausreden zu finden, flüchtet sich in Rollenspiele, zögert Tätigkeiten hinaus oder wehrt sich auf ungewöhnlich vehemente Weise, wirft sich vielleicht auf den Boden, weint, schreit oder wird aggressiv.
Diese Vermeidung kann vom Besuch von Veranstaltungen über schulische Anforderungen bis hin zu alltäglichen Aufgaben reichen. Es betrifft aber auch die Unsicherheit, ob es sich bei manchen Äußerungen um indirekte Anforderungen handeln könnte, etwa „warum wurde ich jetzt gelobt, geht das gleich mit einer neuen Aufgabe einher?“ Auch Anforderungen, die das tägliche Leben mit sich bringt, wie wiederkehrende Tätigkeiten (aufstehen, waschen, essen, etwas unternehmen …) können bei manchen Personen zu Belastungen und Ängsten führen.
Wenn die Vermeidungsstrategien nicht greifen, können sich die Situationen bis hin zu einem Meltdown, ähnlich einer Panikattacke steigern.
Schwierigkeiten bei der sozialen Interaktion
Obwohl dein Kind möglicherweise gute soziale Fähigkeiten hat, kann es dennoch Schwierigkeiten haben, Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Es kann Probleme haben, die Perspektiven anderer Menschen zu verstehen oder angemessen auf nonverbale Signale zu reagieren.
Das kann daran liegen, dass dein Kind Schwierigkeiten hat, die Gefühle anderer Menschen zu erkennen oder deren Perspektive zu verstehen. Auch nonverbale Kommunikation wie Körpersprache, Mimik oder Tonfall stellen eine große Herausforderung dar und werden womöglich nicht verstanden. Dadurch wird es schwierig, angemessen in sozialen Situationen zu reagieren.
Emotionale Instabilität
Vielleicht zeigt dein Kind starke emotionale Reaktionen und hat Schwierigkeiten, seine eigenen Gefühle zu regulieren. Viele sind schnell frustriert, wütend oder ängstlich, wenn etwas nicht ihren Vorstellungen entspricht. Dann kommt es manchmal zu lautstarkem Beschweren, Schreien oder es werden Gegenstände geworfen.
Scheinbar harmlose Situationen können starke Angstgefühle erzeugen, so dass sich dein Kind zurückzieht, weint oder sogar Bauch- oder Kopfschmerzen bekommt. Auch könnte dein Kind Schwierigkeiten haben, eigene Gefühle angemessen auszudrücken und in einer Situation, in der es traurig ist, anfangen zu lachen, impulsiv handeln, unbedachte Dinge sagen oder sich sogar selbst verletzen.
Dein Kind verhält sich in diesen Situationen nicht mit der Absicht, andere zu verletzen. Es ist Ausdruck der Schwierigkeiten, die dein Kind beim Umgang mit seinen Emotionen hat.
Kontrollbedürfnis
Dein Kind hat möglicherweise ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle über seine Umgebung und seine Mitmenschen. Es kann versuchen, Situationen zu kontrollieren, indem es auf bestimmte Routinen und Abläufe besteht und sich stark gegen Veränderungen oder Überraschungen (z.B. muss immer der gleiche Weg gegangen werden) wehrt. Damit versucht dein Kind, sich sicherer zu fühlen und unangenehme Anforderungen zu vermeiden.
Womöglich möchte dein Kind immer die Führungsrolle übernehmen und selbst Regeln bestimmen oder umgekehrt Verantwortung in Gruppen ablehnen, um weniger involviert zu sein.
Unvorhersehbares Verhalten
Das Verhalten deines Kindes kann aufgrund von Stimmungswechseln unvorhersehbar sein. Dadurch treten dann ungewöhnliche Verhaltensweisen auf, die für Außenstehende verwirrend sind.
Emotionale Ausbrüche haben für uns Eltern erstmal keinen ersichtlichen Grund oder Kleinigkeiten werden zu Auslösern von Wut und Frust, die uns unverhältnismäßig erscheinen.
Um diese Situationen zu bewältigen, tritt dann womöglich Stimming oder das übermäßige Fokussieren auf ein Detail auf.
Wie du dein Kind mit PDA unterstützen kannst
Tipps für zuhause
Mache dir immer wieder klar, dass sich dein Kind nicht extra herausfordernd verhält, sondern womöglich nicht anders kann. Ich weiß, dass es manchmal sehr schwierig ist, aber nimm das Verhalten nicht persönlich und versuche einige Rahmenbedingungen zuhause anzupassen.
Eine sichere, verlässliche und vertrauensvolle Umgebung, in der keine unangekündigten Überraschungen warten, sind wichtig, damit sich dein Kind sicher fühlen kann. Gleichzeitig biete deinem Kind flexible Möglichkeiten und Raum für Mitbestimmung, indem es zum Beispiel zwischen mehreren Alternativen auswählen kann. Auch könntest du deinem Kind überlassen, in welcher Art und Weise und in welchem Tempo bzw. in welchen Teilschritten es eine Anforderung erfüllt, damit es mehr Gestaltungsfreiraum hat.
Gib deinem Kind auch die Möglichkeit, auf unterschiedliche Kommunikationsmethoden zurückzugreifen. Selbst wenn es spricht, kann es hilfreich sein, wenn es selbstbestimmt auf Schrift, Talker, Gebärden oder PC umschwenken kann, um sich auch in Konfliktsituationen angemessen ausdrücken zu können.
Unterstütze dein Kind dabei, auch nonverbale Kommunikation besser zu verstehen (übe z.B. mit Bildkarten oder Videos), damit es angemessener reagieren kann. Übt gemeinsam Methoden zur Angst- und Stressbewältigung (z.B. Yoga, Sport, Musik hören, in die Natur gehen, …), das kann Spaß machen und dein Kind hat nicht das Gefühl, dass es alleine damit ist.
Lobe dein Kind und mache es auf kleine Erfolge aufmerksam, damit es nach und nach positive Erfahrungen für sich verbuchen kann.
Hole nicht zuletzt fachliche Unterstützung, um qualifiziert begleitet und angeleitet zu werden. Und denke an dich selbst. Nur wenn du hin und wieder auch Auszeiten für dich nimmst, kannst du herausfordernde Zeiten bewältigen. Hilfreich kann auch der Austausch mit anderen Eltern sein, die ähnliche Erfahrungen machen, um Verständnis zu erfahren und Lösungsstrategien auszutauschen.
Unterstützung in Schule und Kindergarten
Die Schule und der Kindergarten (und natürlich weitere Einrichtungen) können eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von Kindern mit PDA spielen. Dabei ist zunächst wichtig, dass eine gute Aufklärung über PDA stattfindet, damit alle Beteiligten sensibilisiert sind.
Dann kann es zum Beispiel hilfreich sein, Anforderungen flexibler zu gestalten und den Kindern mehr Spielraum für Entscheidungen und Mitbestimmung zu geben (z.B. zwischen verschiedenen Aufgaben auswählen lassen). Das kann die Motivation und Bereitschaft zur Mitarbeit erhöhen. Dazu können auch individuelle Vereinbarungen und Unterstützungspläne motivierend sein, in denen auf die Interessen deines Kindes eingegangen wird.
Außerdem sollten unterschiedliche Kommunikationswege angeboten und Angst- und Stressregulation thematisiert werden. Diese Anpassungen kommen auch allen anderen Kindern zugute.
Natürlich können die Anpassungen nicht bedeuten, dass es keine Anforderungen und Lernziele mehr gibt. Es geht darum, die Umgebung und die Anforderungen so anzupassen, dass dein Kind bestmöglich unterstützt wird und die Möglichkeit hat, erfolgreich zu lernen und sich zu entwickeln.
Um dabei so individuell und gezielt wie möglich vorgehen zu können, ist die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule sehr wichtig.
Ressourcen und weitere Informationen
Das Forschungsfeld zu PDA ist noch relativ jung und stetig in der Weiterentwicklung. Informiere dich daher selbständig weiter, wenn das Thema für dich wichtig ist, z.B. über folgende Seiten:
Informiere dich, bleibe kritisch und reflektiert
Unabhängig von einer Diagnose kannst du dein Kind gezielt unterstützen, wenn du es in der Beschreibung von PDA wiederfindest und dir die skizzierten Herausforderungen bekannt vorkommen. Manchen Eltern wird vorgeworfen, dass sie die vermeintliche PDA-Diagnose als Ausrede verwenden, um Anforderungen, die von Kita, Schule und weiteren Einrichtungen, gestellt werden, abzufedern.
Man mag über die Berechtigung einer solchen Diagnose denken, was man möchte, die erlebten Schwierigkeiten unserer Kinder sind real, müssen ernst genommen werden und bedürfen sehr individueller Unterstützung. Ich hoffe, dass du in dieser Hinsicht ein paar hilfreiche Tipps für dich mitnehmen kannst. Dieser Blogbeitrag erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, bitte informiere dich weiter über das Thema, da, wie schon erwähnt, geforscht wird und stetig neue Erkenntnisse hinzukommen.
Mit der Vermittlung von Wissen (inklusive der Kritikpunkte) kannst du dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und für die Thematik zu sensibilisieren. Reflektiere und hinterfrage regelmäßig, welche Erwartungen angepasst, welche Anforderungen oder Aktivitäten aber auch nicht vermieden werden können. Hier gilt es dann ein Gleichgewicht zu finden, das die individuellen Bedürfnisse berücksichtigt, aber gleichzeitig eine positive Entwicklung und Teilhabe in verschiedenen Lebensbereichen ermöglicht.
Und vergiss nicht, die positiven Eigenschaften, Talente und Fähigkeiten hervorzuheben, denn davon gibt es bestimmt eine ganze Menge! Hin und wieder hilft es auch, eine Prise Humor einfließen zu lassen, das hat schon manche Situation gerettet.
Auch in unserem Mitgliederbereich Forum +plus+ wird das Thema bereits diskutiert. Wenn du daran teilhaben möchtest, komm gerne dazu und schau dich um. HIER findest du weitere Informationen
Ich erkenne meinen Sohn komplett in der Beschreibung. Wir waren zur Diagnostik. Ei einer Kinderpsychologin und diese hat sowohl Autismus aufs auch PDA ausgeschlossen. Es ist so frustrierend….
Gerade heute musste ich ihn wieder von der Schule abholen, weil er völlig eskaliert ist.
Er tut mir so leid und ich hätte gerne eine adäquate Hilfe für ihn!
Mein Kompliment für diesen Beitrag. Ich habe schon lange nach deutschen Informationen gesucht. Vielen Dank für die Zusammenfassung, die weder nach pro noch nach contra klingt, sondern einfach informiert.
Ich werde mir mit Hilfe deiner Zeilen weiter Gedanken machen können. Danke.
Das ist wirklich viel diskutiert, du hast das gut und sachlich dargelegt, ohne zu beeinflussen. Ich schätze das sehr und kann mit den Informationen nun weiter überlegen, was zu tun ist.
Vielen Dank für deinen tollen Blog,
sonnige Grüße Martin
Danke für diesen Beitrag und die wertvollen Informationen.
Ich erkenne meinen Sohn (Autist)
komplett wieder.
ich erkenne teilweise mich selbst, und in depressiven Phasen verhalte ich mich als Erwachsene immer noch nicht angemessen. Aber mittlerweile habe ich mehr Spaß daran, kleine handwerkliche Aufgaben zu lösen und mir selbst Ziele zu setzen.