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Einfach mal die Klappe halten! Oder: Sprüche, auf die Eltern autistischer Kinder gut verzichten können.

veröffentlicht von Silke Bauerfeind im Oktober 2016


Hast du heute schon ins Kissen gebissen oder ins Klo gebrüllt? Vielleicht kommt es dazu, wenn du die folgenden Sätze liest, die Eltern mit autistischen Kindern immer wieder zu hören bekommen. Möglicherweise hast du sie selbst schon gehört. Dann kannst du dir sicher sein, dass du nicht alleine bist.

Falls du zu denjenigen gehörst, denen eine solche Äußerung schon einmal „herausgerutscht“ ist, dann bedenke bitte, dass sich viele Eltern autistischer Kinder dadurch verletzt fühlen oder zumindest übergriffig und unangemessen Grenzen überschritten werden.

Eigentlich sieht er doch ganz normal aus. Ich dachte, dass Autisten starrer gucken und steifer herumstehen. Bist du dir sicher mit dem Autismus?

Ist dein Sohn krank oder hat er nur eine Behinderung – oder wäre das mit der Krankheit vielleicht sogar weniger schlimm? Dann könnte er ja eine Pille nehmen, damit der Autismus weggeht, oder?

Wann gebt ihr ihn denn ins Heim? Irgendwann müsst ihr doch auch mal wieder an euch denken.

Versteht er mich eigentlich? Er guckt immer woanders hin.

Ich glaube, mein Kind ist auch autistisch. So im Nachhinein wird mir einiges klar, aber jetzt ist es auch egal. Wir sind aus dem Gröbsten raus und mein Sohn studiert ja jetzt und kommt gut zurecht. Schafft deiner das auch noch?

Vielleicht solltest du noch ein Kind bekommen. Wenn es ein Mädchen wird, ist die Pflege für später gesichert.

Die Diagnose stimmt nicht, er hat mich angelacht und mit mir gescherzt.

Welche Hochbegabung hat er denn? Irgendwas muss er doch besonders gut können.

muedeAn die nächtlichen Unterbrechungen beim Schlafen gewöhnt man sich bestimmt irgendwann, oder?

Ich glaube, ich bin auch Autistin. Geräusche stören mich viel mehr als früher und ich gehe auch nicht mehr so gerne weg.

Ist er eigentlich aggressiv? Autisten werden doch oft zum Amokläufer und man sieht ihnen das vorher gar nicht an.

Welchen Schulabschluss macht dein Sohn eigentlich und welchen Beruf kann er danach lernen? Gibt es da überhaupt was?

Bei aller Liebe, aber es ist nicht normal, dass man auf keine Familienfeste geht. Schließlich sind da die Menschen, die zu einem gehören. Das sollte er auch begreifen.

Bei uns ist das auch immer so anstrengend mit den Hausaufgaben. Manchmal glaube ich, dass meine Kinder auch autistisch sind.

Das ist ja wirklich praktisch mit dem Fahrdienst. Wer bezahlt das eigentlich, dass dein Sohn direkt von zuhause abgeholt wird?

Kann er nicht mal still sitzen? Das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt. Ich kann auch nicht immer so, wie ich gern will.

Wieso kaufst du nicht einfach mal Klamotten in anderer Farbe? Wenn nichts anderes da ist, dann wird er sie schon anziehen.

Von welcher Seite eurer Familie kommt das eigentlich? Irgendeinen Grund muss es doch haben, dass er autistisch ist.

Also, das mit der Inklusion ist ja schön und gut, aber die anderen Kinder dürfen nicht ausgebremst werden. Rücksicht hat auch ihre Grenzen in einer Leistungsgesellschaft, die wir nun mal sind.

Würdest du deinen Sohn nochmal bekommen, wenn du vorher wüsstest, dass er so ist wie er ist?

Hast du gehört? Jetzt soll es eine Diät geben, mit der man Autismus heilen kann. Habt ihr die schon ausprobiert?

Komm doch heute Abend mit uns mit. Du musst auch mal wieder Spaß haben, das sehen wir dir deutlich an. Wir holen dich einfach ab, manche muss man ja zu ihrem Glück zwingen.

Meinst du nicht, dass dein Kind unter seinesgleichen viel glücklicher ist als mit normalen Kindern?

Update:

In den Kommentaren hier auf der Seite haben inzwischen viele mitgeteilt, was sie sich schon anhören mussten. Und auch auf Facebook wurde fleißig kommentiert. Vielen Dank euch allen!
Hier kommt ein Ausschnitt:

Das härteste war: vier Wochen Bootcamp und Kontaktsperre zu dir, dann ist der wieder in der Spur. Asperger ist doch eine Modediagnose, so was gibts nicht und deshalb muss ich mich damit garnicht auseinander setzen. Er muss funktionieren.

Der ist nicht autistisch, den muss man nur mal ordentlich erziehen. So ein Klaps hat ja noch nie geschadet, dann hört das Verhalten auch auf.

Der kann doch nicht jeden Tag das gleiche essen. Irgendwann hat er schon Hunger und isst, was du ihm hinstellst, am gedeckten Tisch ist noch keiner verhungert… doch, mein Sohn würde verhungern…

Er ist kein Autist – er grüßt alle immer freundlich.

Smalltalk im Wartezimmer der AutismusAmbulanz mit einer anderen Mutter eines autistischen Jungen: „Man holt jetzt aus dem Bauchnabel Stammzellen, damit kann man Autismus heilen“ … ich hatte nur nicht mehr gefragt, bei wem man den Bauchnabel piesackt … seither meide ich das Wartezimmer.

Er ist kein Autist. Das hat was mit Erziehung zu tun…Ich kenne genug autistische Kinder und deiner ist ganz anders….

Das wird schon, meine Kindern waren auch öfters bockig. Das wächst sich aus.

Ohjemine, jeder hat mal ’nen schlechten Tag, immer locker bleiben, morgen ist er sicher wieder ’normal‘.

Ach Sie sind alleinerziehend…..Alles klar….

Bei der Kontrolle für die beantragte Pflegestufe, sagte mir die „Krankenschwester: „Das ist kein Autismus, dieser Junge ist einfach nur bockig. (Mal was auf den Hintern geben, dann läuft das schon.)“

Es ist kein Wunder, dass sie so ist. Du hast sie ja schon immer so isoliert.

Wer so früh spricht, hat keinen Autismus. Hast du mal „Rain Man“ gesehen?

Na heute gibt es ja für jede versagte Erziehung eine Entschuldigung.

Da kann und muss sie sich jetzt aber dran gewöhnen! So schlimm hat sie doch den Autismus nicht!

Was? Sie lebt noch zuhause? Ihr müsst schauen, dass sie schnellstmöglich auszieht. Es kann nicht angehen, dass sie ständig mit einem „Über-Ich“(Anm.: damit ist die betreuende/begleitende Person jeweils gemeint) durchs Leben marschiert. Auch eine Autistin MUSS lernen sich anzupassen. Was meinen Sie was das kostet, wenn das so weitergeht?

Da muss dein Kind durch in der Regelschule. Mussten wir auch aushalten.

Sie ist ja auch ein Einzelkind, sie würde eben nicht so zickig und verwöhnt sein, wenn sie eine Schwester hätte.

Sie ist faul und nutzt es nur aus.

Wir mit normalen Kindern haben auch Probleme.

Er sieht ja gar nicht autistisch aus.

Der ist doch nur bockig, du darfst nicht jedem Wutanfall nachgeben.

Ach, das wird sich schon irgendwann geben und alles wird gut.

Warum sitzt sie noch im Buggy, sie ist doch kein Baby mehr. Du verwöhnst sie zu sehr.

Was hast du nur für ein Kind irgendwas hast du in der Erziehung falsch gemacht.

Er muss das aber für sein Alter jetzt können.

Konnte man das pränatal nicht sehen? So wie bei diesem (!) Down-Snydrom.

Du musst konsequent sein, einfach nur konsequent sein!

Meine Kinder kapieren es auch. Knallharte Konsequenzen – dann wirst Du schon sehen, dass er spurt.

Was auf den Tisch kommt muss gegessen werden! Zumindest muss sie erst probieren, bevor sie das nicht isst.

Dann hättest du besser nicht impfen sollen, davon bekommt man nämlich Autismus.

Verwächst sich das noch??

Wenn man ihm vorher die Regeln erklärt und er weiß, welche Konsequenzen sein Verhalten hat , dann wird er es auch irgendwann begreifen.

Hau ihm doch mal paar auf den Hintern. Da ist nur deine Erziehung dran schuld.

Das ist nicht normal, dass er nicht mit mir redet, da musst du was machen.

Autismus ist die neue Mode-Krankheit. Wieso trägt er mit fast fünf noch Windeln und sitzt in einem Rehabuggy?

Hat der Arzt gesagt, ob ihr was anders machen sollt, damit es weg geht?

Er wäre in einem Heim besser aufgehoben. Dort ist geschultes Personal, das ihn richtig erziehen kann.

Ihr habt ihr nicht genug Liebe gegeben, deshalb ist sie so.

Frau Xy sind wir ehrlich, den Integrationshelfer brauchen Sie nur zur eigenen Beruhigung!

Wenn das Kind bei mir leben würde, hätte es keinen Autismus.

Mein Sohn hat seine erste Freundin. Kommentar dazu: „Du wirst sehen, die Liebe heilt alles, auch den Autismus.“

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wer hier schreibt

Silke Bauerfeind

Gründerin von Ellas Blog (2013), Buch- und Kurs-Autorin, Kulturwissenschaftlerin, psychologische Beraterin, Referentin. 

"Ich verbinde persönliche Erfahrung mit Wissen rund um Autismus, Teilhabe und Familienrealität. Mein Schwerpunkt liegt auf Autismus mit hohem Pflege- und Unterstützungsbedarf – Themen, die in der öffentlichen Wahrnehmung oft zu kurz kommen"

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Es ist immer wieder überwältigend, was wir als Eltern autistischer Kinder bedenken, organisieren und verarbeiten müssen. Neben viel Wissen und Erfahrungen, die du hier im Blog findest, ist eine solidarische Gemeinschaft unglaublich hilfreich. Das Forum plus ist ein geschützter Bereich nur für Eltern autistischer Kinder. Hier findest du außer praktischen Tipps viel Verständnis und Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen wie Du.

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