Übergänge sind ein unvermeidlicher Teil unseres Lebens – sie begleiten uns von den ersten Schritten in die Kita, über den Schulwechsel bis hin zu neuen beruflichen Herausforderungen und Veränderungen im Alltag. Doch während viele von uns diese Veränderungen als natürliche Schritte ansehen, können sie für Autistinnen und Autisten erheblich stressiger und schwieriger sein.
Dieser Blogbeitrag richtet sich an Eltern, Bezugspersonen und Fachkräfte, die autistische Kinder, Jugendliche und Erwachsene begleiten. Er soll dir dabei helfen, die besonderen Herausforderungen, die mit Übergangssituationen verbunden sind, besser zu verstehen und erste praktische Strategien an die Hand zu geben, um diese Übergänge so reibungslos wie möglich zu gestalten.
Foto ©Silke Bauerfeind, Lofoten
Warum Übergänge für Autistinnen und Autisten schwierig sind
Übergangssituationen können für Autistinnen und Autisten besonders schwierig sein. Dies liegt an ihren spezifischen Bedürfnissen nach Sicherheit, Kontrolle und Vorhersehbarkeit. Diese Bedürfnisse sind tief in den Diagnosekriterien des Autismus-Spektrums verwurzelt, die oft Herausforderungen in der sozialen Interaktion, der Kommunikation sowie in fixierten Interessen und stereotypen Verhaltensmustern umfassen.
Für viele von uns sind Übergänge ein normaler Teil des Lebens, den wir mit einer gewissen Flexibilität und Anpassungsfähigkeit bewältigen. Für Autistinnen und Autisten hingegen sind diese Veränderungen oft mit erheblichem Stress verbunden. Der Verlust vertrauter Strukturen und die Notwendigkeit, sich an neue Umgebungen oder Abläufe anzupassen, können überfordernd sein.
Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass sowohl kleine als auch große Übergänge eine immense Herausforderung darstellen können. Nehmen wir beispielsweise alltägliche Situationen wie den Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen. Auch scheinbar kleine Änderungen, wie ein Mitarbeiterwechsel, können einen autistischen Menschen stark belasten. Große Übergänge, wie der Wechsel von der Schule in eine Förderstätte oder ins Berufsleben, stellen zusätzliche Hürden dar, die sorgfältige Vorbereitung und Unterstützung erfordern.
Es sind bei uns im Alltag eigentlich meistens die Übergangssituationen, die zu größtem Stress und daraus folgend dann auch entsprechenden Verhaltensweisen führen.
In sozialen Interaktionen fallen Autistinnen und Autisten Übergänge oft besonders schwer. Sie können nicht einfach auf die Erfahrungen anderer zurückgreifen und nachfragen, wie etwas funktioniert oder was erwartet wird. Häufig fühlen sie sich isoliert, weil sie die Verhaltensweisen anderer nicht ohne weiteres verstehen und nachahmen können. Das führt dazu, dass sie Übergänge oft alleine und ohne die notwendige Unterstützung durch vertraute Bezugspersonen bewältigen müssen.
Auch in der Kommunikation gibt es Barrieren. Autistinnen und Autisten können ihre Fragen und Ängste nicht immer verbal ausdrücken und ihre Kommunikationsweise kann missverständlich oder verzögert sein. Dazu kommt, dass auch die Kommunikation, die von anderen ausgeht, mit vielen Fragezeichen behaftet sein kann. Ohne alternative Kommunikationsmethoden verschärft sich diese Herausforderung zusätzlich.
Ein weiteres zentrales Merkmal sind fixierte Interessen und stereotype Verhaltensmuster. In Übergangssituationen müssen diese oft angepasst oder aufgegeben werden, was zusätzlichen Stress bedeutet. Das Etablieren neuer Routinen und Rituale erfordert eine erhebliche Anpassungsleistung, die die Situation weiter verkompliziert.
Es ist wichtig zu verstehen, dass die Schwierigkeiten bei Übergangssituationen nicht auf eine generelle Verweigerungshaltung zurückzuführen sind. Sie sind vielmehr direkt mit den Diagnosekriterien des Autismus-Spektrums verknüpft bzw. erklären sich aus dem Wissen daraus. Daher ist es unerlässlich, in diesen Phasen Verständnis und Unterstützung zu bieten, um Sicherheit und Kontinuität zu vermitteln.
Typische Übergangssituationen
Übergangssituationen treten in vielen verschiedenen Formen auf und bringen jeweils ihre eigenen Herausforderungen mit sich. Schon früh erleben autistische Kinder wichtige Übergänge, wie z.B. den Wechsel von Zuhause zur Kita und wieder zurück. Diese ersten Schritte aus der häuslichen Umgebung heraus können besonders belastend sein, da sie mit einer neuen Reizumgebung, unbekannten Personen und veränderten Tagesstrukturen konfrontiert werden. Innerhalb der Kita sind weitere Übergänge möglich, etwa der Wechsel in eine neue Gruppe oder ein neuer Raum, die ebenfalls gut vorbereitet und begleitet werden müssen.
Während der Schulzeit kommen weitere Übergangssituationen hinzu, angefangen vom Übergang von der Kita zur Grundschule bis hin zu Wechseln zwischen verschiedenen Schulformen. Jeder Schulwechsel bedeutet eine neue Umgebung, neue Lehrkräfte und Mitschüler sowie veränderte Anforderungen, die sich auf den Tagesablauf und die Lernmethoden auswirken können. Selbst kleinere Übergänge, wie der Wechsel zwischen Klassenräumen oder das Verlassen des Schulgebäudes in den Pausen, können für autistische Schülerinnen und Schüler eine Herausforderung darstellen.
Im Jugend- und Erwachsenenalter stehen oft noch größere Übergänge an. Der Wechsel von der Schule in eine Ausbildungsstätte, Werkstatt, Förderstätte, ein Studium oder ins Berufsleben stellt eine bedeutende Veränderung dar, die sorgfältig geplant und unterstützt werden muss. Diese neuen Umgebungen bringen nicht nur neue Aufgaben und Anforderungen mit sich, sondern auch andere soziale Strukturen und Interaktionsformen.
Der Einstieg in eine neue Arbeitsstelle oder ein Umzug in eine eigene Wohnung, in eine besondere Wohnform oder in eine andere Stadt sind ebenfalls große Übergänge, die Autistinnen und Autisten vor erhebliche Herausforderungen stellen können.
Neben diesen größeren Übergängen gibt es auch viele alltägliche Situationen, die als Übergang erlebt werden. Der Wechsel von einem Raum in einen anderen innerhalb eines Gebäudes, das Zubettgehen am Abend oder der Gang aus dem Haus in den Garten mögen auf den ersten Blick banal erscheinen, können aber für Autistinnen und Autisten erhebliche Stressfaktoren darstellen. Veränderungen in der Familie, wie Trennungen, ein neues Geschwisterkind oder die Pubertät, zählen ebenso zu den Übergangssituationen, die besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung erfordern.
Diese alltäglichen Übergänge sind oft genauso wichtig wie die großen Lebensveränderungen, da sie regelmäßig auftreten und somit kontinuierlich bewältigt werden müssen. Es ist entscheidend, diese Situationen nicht zu unterschätzen und ihnen die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken, um Autistinnen und Autisten den Alltag zu erleichtern.
Folgen nicht angemessener Begleitung und Vorbereitung von Übergangssituationen
Ohne eine angemessene Vorbereitung und Begleitung können Übergänge zu großer Unsicherheit und emotionalem Stress führen. Dies äußert sich oft in Verzweiflung und Überforderung.
Kommunikativ können solche Herausforderungen dazu führen, dass Autistinnen und Autisten, die normalerweise sprechen, vorübergehend verstummen oder vermehrt Echolalie zeigen. In ihrem Verhalten kann sich der Stress in Rückzug oder aggressivem Verhalten äußern, was nicht aus Bösartigkeit, sondern aus Überforderung resultiert.
Wenn wir nicht angemessen reagieren, können sich diese Situationen zuspitzen und das Wohlbefinden und die Entwicklungsmöglichkeiten erheblich beeinträchtigen. Wir dürfen dabei nicht von unseren gängigen pädagogischen Konzepten und unserem eigenen Erfahrungshorizont ausgehen. Autistinnen und Autisten brauchen häufig andere Lösungsstrategien, die auf ihre spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen abgestimmt sind.
Ein durchdachtes Konzept für Übergangssituationen (Transitionen) ist daher nicht nur entscheidend für das Wohl der betroffenen Personen, sondern auch für eine harmonische und effektive Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten. Durch rechtzeitige Planung und gezielte Unterstützung können wir dazu beitragen, dass Autistinnen und Autisten Übergänge besser bewältigen und ihr volles Potenzial ausschöpfen können.
Eltern und Fachkräfte bzw. Lehrkräfte möchte ich ermutigen, eng zusammenzuarbeiten, ihre Erfahrungen auszutauschen und auch mal neue Wege zu gehen.
Jeder darf und soll seine Kompetenzen und Ideen einbringen, denn nur so können wir kreative und effektive Lösungsansätze finden. Offenheit für neue Ansätze und ein gemeinsamer Austausch können viel dazu beitragen, dass Übergänge besser gelingen. Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung sind der Schlüssel zu einem erfolgreichen Umgang mit Übergangssituationen.
Strategien zur Unterstützung und die Wichtigkeit eines Netzwerks
Übergangssituationen sind vielfältig und individuell unterschiedlich. Was für die eine autistische Person eine große Herausforderung darstellt, mag für einen anderen weniger bedeutsam sein. Die besondere Wahrnehmung und individuelle Bedürfnisse müssen immer berücksichtigt werden, um angemessene Unterstützung bieten zu können.
Übergänge erfolgreich zu gestalten, erfordert deshalb eine sorgfältige Vorbereitung und gezielte Unterstützung.
Eine der wichtigsten Strategien ist die frühzeitige und klare Kommunikation. Es hilft, Aufgabenstellungen verständlich zu machen und Strukturen durch Checklisten und visuelle Hilfsmittel zu verdeutlichen. Verlässlichkeit und das Angebot von Wahlmöglichkeiten geben Autistinnen und Autisten das Gefühl von Kontrolle zurück.
Um Überforderung zu vermeiden, sind Deeskalationsstrategien und Rückzugsmöglichkeiten sehr wichtig. Zudem sollten soziale Kontakte behutsam begleitet und die individuellen Stärken betont werden.
Ein starkes Unterstützungsnetzwerk spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Niemand muss und soll alles alleine bedenken, erledigen, vorbereiten und am Ende schaffen. Eltern, Lehrkräfte, Therapeutinnen und Therapeuten sowie andere Bezugspersonen müssen unbedingt zusammenarbeiten, um eine kontinuierliche und konsistente Unterstützung zu gewährleisten, ohne dass Überforderung bei allen Beteiligten entsteht.
Ein frühzeitiger Aufbau dieses Netzwerks, idealerweise bevor Schwierigkeiten auftreten, ist entscheidend, um Herausforderungen proaktiv zu begegnen. Das ist hilfreich für alle Beteiligten.
Welche Strategien im Einzelnen gebraucht werden, ist individuell verschieden und kann in diesem Beitrag nur angedeutet werden.
Daher habe ich einen Onlinekurs entwickelt, in dem dieses Thema weiter vertieft wird und du ergänzende Anregungen bekommst.
Außerdem steht ein individueller Leitfaden zur Verfügung, der auf die speziellen Bedürfnisse jeder Autistin und jedes Autisten zugeschnitten werden kann. So bist du optimal vorbereitet, um Übergangssituationen erfolgreich zu meistern und die bestmögliche Unterstützung zu bieten.
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Regelmäßige Reflexion und Anpassung
Auch wenn eine Übergangssituation sorgfältig geplant wurde, kann es vorkommen, dass Anpassungen notwendig sind. Feedback von allen Beteiligten sollte ernst genommen und in die zukünftige Planung einbezogen werden. Fehler sind keine Misserfolge, sondern Lernmöglichkeiten, die uns helfen, unsere Ansätze zu verfeinern und zu verbessern.
Wenn das mit Hilfe eines Leitfadens dokumentiert wird, müssen Fehler nicht wiederholt werden und zukünftige Bezugspersonen und nicht zuletzt Autistinnen und Autisten profitieren davon.
Das Thema Übergangssituationen ist nicht nur entscheidend für das Wohl von Autistinnen und Autisten, sondern auch für eine harmonische und effektive Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten. Gut gemeisterte Übergänge stärken das Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeit aller und fördern das Vertrauen in andere. Jede erfolgreich bewältigte Übergangssituation legt den Grundstein für zukünftige Erfolge und eine positive, optimistische Perspektive und in Summe dann auch zu einer Erleichterung aller zu bewältigenden Aufgaben.
Und nicht zuletzt hängt auch die Lebensqualität von uns Bezugspersonen entscheidend davon ab, wie gut es unseren autistischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen geht.
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Wieder ein sehr informativer Beitrag, in dem ich alltägliche Situationen unseres Lebens wiederfinde.
Unser Sohn (9) ist in der 2. Klasse einer Waldorfschule und atypischer Autist. Ich habe schon in der 1. Klassen mit ihm zusammen einen bebilderten Stundenplan gebastelt, was ihm den Schultag voraussehbarar machte. Die Klassenlehrerin, wie auch die anderen Lehrkräfte die er hat sind toll, die Inklusionskraft hat immer wieder Ideen, die funktionieren und helfen. Er braucht ihre Unterstützung immer weniger.
ABER die Vertretungsstunden sind für unseren Sohn sehr schwierig, vor allem wenn die I-Kraft nicht da ist.
Wir haben hier in RLP nicht die "persöhnlichen" I-Kräfte, sondern das Pool-Modell. Sie sind zwar in der Schule, aber in der Klasse wo es gerade am dringensten ist.
Liebe Simone, toll, dass das mit den Plänen so gut funktioniert und das Kollegium mitzieht. Das ist viel wert und freut mich sehr für euch.
Das Pool-Modell gibt es auch in anderen Bundesländern, hängt häufig von der jeweiligen Schule ab, was praktiziert wird. Das hat Vor- und Nachteile, viele Autisten kommen damit nicht so gut zurecht. Aber es scheint ja meistens gut zu laufen bei euch.
VG Silke