„Dich haut ja sowieso nichts mehr um – mit so einem Kind!“ – Resilient bedeutet nicht weniger verletzlich

veröffentlicht im Mai 2021


Wir kennen das alle nur zu gut, wenn eins auf andere kommt und man nicht mehr weiß, wie man alles schaffen soll. Dazu kommen Einmischungen von außen und Vorgaben, die man nicht erfüllen kann oder auch gar nicht möchte. Und es passieren Dinge, die wir alle nicht in der Hand haben und nicht voraussehen konnten.

Quelle: pixabay, User klimkin, Vielen Dank!

Neulich wurde ich gefragt: „Und? Hat die Corona-Pandemie dich stärker gemacht? Wir sind doch alle gut durchgekommen, nicht wahr?“
Da war ich dann doch etwas perplex, denn es ist ja noch nicht vorbei und es hört sich denjenigen gegenüber, die ihren Job oder sogar einen Menschen verloren haben, doch ziemlich zynisch an.
Auch die Situation von behinderten Menschen und ihren Familien, die ich in mehreren Beiträgen beschrieben habe, wird vollkommen außer Acht gelassen. Denn die Auswirkungen sind immer noch spürbar und die Nachwirkungen werden es allemal sein.

Das alles antwortete ich und dann sagte ich noch: „Übrigens hat mich vor allem mein Kind stärker gemacht, weil es mir schon seit Jahren zeigt, worauf es ankommt. Nicht erst seit der Pandemie.“
„Ja, Dich haut ja sowieso nichts mehr um – mit so einem Kind!“

Dong! Das hatte mal wieder gesessen!!

Resilienter werden bedeutet nicht, dass man deshalb weniger verletzlich wäre.

Das ist das, was nach außen hin manchmal einen falschen Eindruck erweckt. Dann kommen Sätze wie: „Du machst das toll. Du bist so stark. Ich bewundere, wie Du über allem stehst.“

Falsch – die meisten von uns Eltern und Angehörigen entwickeln eine bewundernswerte Ausdauer und Hartnäckigkeit. Darüber hinaus lernen wir auch mit der Zeit, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir deshalb unverletzlicher werden und es uns nicht schmerzt, wenn unsere Kinder oder gleich die gesamte Familie benachteiligt wird oder wir herabwürdigende und diskriminierende Äußerungen hinnehmen müssen.

Mir fällt dazu eine Begebenheit ein, die sich vor vielen Jahren ereignete, die ich aber nicht vergessen habe. Eine ältere Dame sah mich und Niklas an und meinte. „Sie sind so stark. So ein Kind haben sie gar nicht verdient. Toll, wie sie das machen.“ Niklas stand daneben und ich fühlte körperlich, wie mir übel wurde und wie ich die Hand der Dame, die sich gönnerhaft auf meine Schulter legte, am liebsten weggeschleudert hätte. Solche Menschen wissen überhaupt nicht, was sie mit derartigen Äußerungen anrichten.

Steckt man das mit der Zeit trotzdem besser weg?

Ja, ich denke schon, dass wir mit der Zeit Strategien erlernen, uns abschauen oder zurechtlegen, die es leichter machen, mit solchen Situationen umzugehen.
Aber es schmerzt nicht weniger. Wobei ich sagen muss, dass ich mich immer weniger von Menschen verletzen lasse, die mir nichts bedeuten. Ich empfinde dann eher Mitleid oder Abscheu bei diesen Situationen. Manchmal gefalle ich mir damit selbst allerdings nicht besonders, weil es ja auch bedeutet, sich gegen manche oder manches abzuschotten. Aber dann mache ich mir wieder bewusst, dass Abgrenzung etwas absolut Gesundes ist.

Wie schafft man es, widerstandsfähiger zu werden und das nicht mehr so an sich heranzulassen?

Je mehr Wissen du über die Behinderung deines Kindes hast, desto selbstbewusster wirst du auch im Umgang mit solchen Menschen. Anfangs ist es ja häufig so, dass man selbst noch viele Fragen hat und dass einem Fragen gestellt werden, auf die man selbst noch keine Antwort hat.
Das macht es dann besonders schwer. Aber es wird besser. Das ist auch ein Grund dafür, dass ich das Buch „Autistische Kinder brauchen aufgeklärte Eltern“ geschrieben habe.

Eine Gemeinschaft kann helfen – Menschen, die genauso empfinden und ähnliche Situationen durchleben. Manche sind schlagfertiger als andere, wiederum andere reagieren überlegt und besonnen. Ich denke, dass hier alle von allen lernen können und mit der Zeit einen Weg finden, mit dem man sich auch in solchen Situationen wohler fühlt, wenn man sich zur Wehr setzt.

Verlässliche Einzelpersonen sind auch sehr wichtig. Menschen, bei denen man sich ausweinen kann, die mit durchstehen, was man gerade durchmacht, ohne die Gefühle, die damit einhergehen, in Frage zu stellen. Gefühle einfach mal stehenlassen können – das ist eine schöne Eigenschaft.

Und es hilft natürlich enorm, wenn man die Wahrscheinlichkeit von vorneherein verkleinert, dass man diesen Menschen begegnet. Mit der Zeit sortieren viele Familien mit behinderten Kindern aus, mit wem sie noch Zeit verbringen möchten und mit wem nicht.

Hilfreich kann es auch sein, anderen in schwierigen Situationen zu helfen und beiseite zu stehen. Zu sehen, wie du anderen helfen kannst, stärkt dich selbst. Es gibt unglaublich viel Kraft, etwas von sich zu geben und zu sehen, dass man Positives bewirkt. Bestimmt kennst du dieses Gefühl. Setze es ganz bewusst ein, auch um dich selbst zu stärken.

Ein Schritt weiter wäre noch, schlimmen Situationen etwas Positives abgewinnen zu können. Das ist häufig zu viel verlangt, ich weiß. Aber versuche mal, mit etwas Abstand zu überlegen: Wofür war diese schreckliche Situation gut? Was hat sie mir gezeigt? Was leite ich für mich daraus für die Zukunft ab?
Vielleicht findest Du spannende Antworten.

Widerstandsfähiger zu werden kann man nicht einfach so beschließen. Es braucht Zeit, bis sie sich immer verlässlicher einstellt.
Sei geduldig mit dir selbst. Sei nicht zu streng mit dir. Und suche dir Menschen, die dein Kind respektieren und so denken wie du.

Das könnte online zum Beispiel über das Forum +plus+ gelingen, in dem du eine solidarische Gemeinschaft findest. Schau dich gerne mal um.

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