Was ich mir am internationalen Tag der Pflege wünsche – mit und ohne Corona
Am 12. Mai ist der internationale Tag der Pflege.
Das Datum wurde in Gedenken an die britische Krankenschwester Florence Nightingale gewählt. Der 12. Mai war ihr Geburtstag im Jahr 1820. Sie hatte in ihrer Zeit maßgeblich dazu beigetragen, dass die Krankenpflege zu einem anerkannten Beruf werden konnte und setzte sich dafür ein, dass es Standards bei der Pflege einzuhalten gibt und diese bei der Ausbildung vermittelt werden. Florence erhielt selbst einige Auszeichnungen und die Florence-Nightingale-Medaille, die höchste Auszeichnung, die man in der Pflege bekommen kann, wurde nach ihr benannt.
Nie war das Thema Pflege so in aller Munde wie im Moment, da die Corona-Pandemie unser aller Leben prägt.
Nie wurde so deutlich, dass die Pflegeberufe endlich mehr Anerkennung verdienen.
Allerdings wurde auch noch nie so deutlich, wie pflegende Angehörige, die einen Großteil der Pflege stemmen, von der Gesellschaft und der Politik übersehen werden.
Manche Autisten haben einen hohen Betreuungs- und Pflegebedarf, werden z.B. in die Pflegegrad 4 oder 5 eingestuft und bedürfen meist lebenslanger Unterstützung.
Wenn ich an die vielen Menschen denke, die in die Pflege von Niklas miteinbezogen sind, bin ich sehr dankbar. Er braucht mit seinen 20 Jahren Hilfe bei allen Tätigkeiten, die mit Waschen, Anziehen, Toilette, Essen usw. zusammenhängen.
Bei einem mittlerweile erwachsenen jungen Mann ist das ein sensibles Thema, da es manchmal mit dem steigenden Wunsch nach Selbständigkeit und Abnabelung kollidiert. Auf Menschen zu treffen, die ihn liebevoll und gerne begleiten, ist toll, aber leider auch nicht selbstverständlich.
Manche Familien machen schlechte Erfahrungen, die Kinder werden nicht sorgfältig genug gesäubert, erhalten nicht genug zu essen, manche werden grob angefasst oder bekommen vermittelt, dass sie lästig sind. Wenn das eigene Kind respektlos behandelt wird, tut das nicht nur dem Kind weh, sondern auch den Eltern. Die Tatsache, dass man fremden Menschen ein Leben lang Vertrauensvorschuss geben muss, weil das eigene Kind wohl nie selbständig leben können wird, ist dadurch nicht leichter verkraftbar.
Wenn man sich das Thema aus der Perspektive der Pflegenden anschaut, kann und muss man auch für Vieles Verständnis haben: Personalmangel, Zeitdruck, steigende Bürokratie sind nur einige Schlagworte in diesem Bereich.
Da es hier aber nicht um die Versorgung von Immobilien oder irgendwelchen Gerätschaften geht, sondern um einen Menschen, den man liebt – das eigene Kind, vielleicht die Eltern oder Geschwister, der Lebenspartner – je nachdem, wer auf Pflege angewiesen ist, gibt man sich nicht mit Kompromissen zufrieden. Wie könnte man das?
Viele Eltern behinderter Kinder pflegen daher selbst im wahrsten Sinne des Wortes „bis zum Umfallen“ weiter, weil sie aufgrund negativer Erfahrungen verlernt oder aufgehört haben, anderen Menschen zu vertrauen und weil es schlicht häufig keine angemessene Alternative gibt.
Wie anfangs erwähnt, läuft es an vielen Orten aber auch gut, und umso dankbarer sind Familien dann, weil sie eben wissen, dass es auch anders sein könnte. Danke all denen, die die professionelle Pflege qualifiziert, liebevoll und respektvoll tätigen.
Zum internationalen Tag der Pflege habe ich einige Wünsche:
Die Berufstätigkeit innerhalb der Pflege sollte unbedingt mehr gewertschätzt werden.
Sowohl eine höhere Entlohnung, als auch die gesellschaftliche Anerkennung müssen dringend steigen.
Nur so kann dem dramatischen Pflegenotstand entgegen gewirkt werden.
Das schrieb ich bereits vor einigen Jahren in einem anderen Beitrag und nie zuvor war es aktueller und offensichtlicher als heute, dass dieses Thema alle Menschen betrifft und dringend ein nachhaltiges Umdenken nötig ist.
Es braucht verbindliche Pflegepersonal-Schlüssel, um einerseits die Pflege sicherzustellen und andererseits die Pflegenden zu entlasten. Viele zerbrechen an der Verantwortung und der körperlichen Belastung, die bei zu geringen Personalschlüsseln nicht mehr zu tragen bzw. zu leisten sind.
Für Eltern, die ihre Kinder, Jugendlichen und erwachsenen Kinder zuhause pflegen, braucht es u.a. Folgendes:

Die Möglichkeiten, Kurzzeitpflege in Anspruch nehmen zu können, sollten dringend verbessert werden. Pflegende Eltern sind oft ausgebrannt, nonstop im Einsatz und auch körperlich gefordert. Nicht zuletzt leiden viele unter ständigem Schlafentzug über Jahrzehnte hinweg.
Kurzzeitpflegeplätze für autistische Kinder, Jugendliche und Erwachsene gibt es so gut wie überhaupt nicht. Manchmal wird Familien, die ihr 10jähriges Kind für ein paar Tage extern gut versorgt wissen möchten, ein Platz im Seniorenheim angeboten. Keine Frage, dass das inakzeptabel ist.
Es braucht hier dringend mehr Möglichkeiten, die für Entlastung sorgen und es möglich machen, dass auch pflegeintensive Kinder ohne schlechtes Gewissen eine Weile außerhalb ihrer Familien Zeit verbringen können, ohne dass sofort eine komplette Heimunterbringung notwendig wird.
Die wenigen tollen Angebote, die es in diesem Bereich gibt, haben zu wenige Plätze und sind daher zu schnell ausgebucht.
Es wäre wichtig, mehr Beratungs- und Vermittlungsstellen einzurichten, die qualifiziert zum Thema Autismus geschulte Betreuer / Begleiter vermitteln. Manche Familien wissen nicht, wie sie die ihnen zustehende Verhinderungspflege oder Entlastungsleistungen einsetzen können, weil sie schlicht niemanden finden, der die Aufgabe stundenweise übernehmen kann und möchte.
Viele Eltern brauchen ausführliche Beratung über die Beantragung von Pflegegraden und allen damit zusammenhängenden weiteren Vergünstigungen und Budgets, die in Anspruch genommen werden können.
Es ist inakzeptabel, dass Familien meistens nur auf Nachfrage über ihre Rechte informiert werden. Diese sollten unaufgefordert über die Kranken- und Pflegekassen genannt werden.
Einen ausführlichen Katalog mit Forderungen zur Verbesserung der Pflege findet sich z.B. auf der Seite des „Paritätischen in Bayern
Die aktuelle Corona-Pandemie zeigt leider, dass die pflegenden Angehörigen – egal, ob sie einen Ehepartner pflegen, ob sich Menschen um ihre dementen Eltern kümmern oder ob Eltern ihre behinderten Kinder pflegen – überhaupt keine Lobby haben.
Weit mehr als die Hälfte aller Pflegebedürftigen werden zuhause versorgt. Leider führt das nicht dazu, dass die Pflegenden als sog. systemrelevant anerkannt werden und damit gewisse Unterstützungsleistungen wie z.B. eine Notbetreuung erhalten.
Die Rund-um-die-Uhr-Pflegenden müssen zusätzlich noch einen anderen systemrelevanten Beruf haben, um entlastet werden zu können. Das ist ein echter Skandal.
Ich habe manchmal große Angst davor, dass mein Sohn, der immer auf Pflege und Betreuung angewiesen sein wird, dies irgendwann nicht für sich erlebt und dann niemand da sein wird, der ihn versteht und für seine Belange eintritt.
Ich habe manchmal große Sorge, was sein wird, wenn wir Eltern nicht mehr in der Lage sein werden, uns so intensiv zu kümmern. Wird man uns sehen? Wird man uns helfen? Wird man denen helfen, die unsere Aufgaben womöglich übernehmen? Wird man Niklas auf eine Art und Weise helfen, mit der seine Bedürfnisse gewahrt werden?
Diese aktuelle Krise lässt mich daran zweifeln.
Aber dann habe ich auch wieder große Hoffnung, dass meine Befürchtungen unbegründet sind, wenn ich ganz großartigen Menschen begegnen darf, die Niklas annehmen wie er ist, ihn liebevoll umsorgen und ihn und auch uns Eltern nach Kräften unterstützen.
Danke dafür.
Du bist selbst pflegende Angehörige, weil dein autistisches Kind einen hohen Betreuungs- und Pflegeaufwand hat? Dann schau dir gerne das Angebot zum Forum +plus+ an. Vielleicht findest du dort etwas, das du schon lange gesucht hast.
Zum Weiterlesen:
Häusliche Pflege und Systemrelevanz – wie Corona eine nicht vorhandene Lobby sichtbar macht
Vergesst nicht die pflegenden Angehörigen und ihre Kinder zuhause
Liebe Silke, du sprichst mir aus der Seele! Mein Sohn ist jetzt 18 Jahre alt geworden. Wir sind zum Glück noch fit aber der Gedanke an die Zukunft ist da und er macht wirklich grosse Angst. Vor kurzem war der mdk bei uns. Wir hatten Widerspruch eingelegt, da sogar die falsche Diagnose drauf stand. Es ist sehr schwer, vor unserem Sohn über seine Nöte und Bedürfnisse mit jemand fremden zu sprechen. Ich hatte drum gebeten, ob sie einfach beobachten könnte und wir besprechen danach alles weitere. Sie sagte, sie müsse ihre Liste abarbeiten und ich solle die Fragen einfach beantworten. Ergebnis des Ganzen war, dass der Sohn, dem wir immer Mut zusprechen, dass er noch vieles erlernen werden kann, total geknickt da sitzt und jegliches Selbstvertrauen (wir bestärken ihn immer, er soll mit sich selbst Geduld haben und an sich glauben) verloren hat. Das hat ihm wieder einige Tage mitgenommen.
Es kommen Menschen zum überprüfen , die mit der Diagnose Autismus leider gar nicht vertraut sind. Es ist alles so surreal so gar nicht nah an Menschen. Wen habe ich denn vor mir? Sollte ich nicht vorher lesen was die Familie geschrieben hatte? Es ist wirklich so, dass der Wunsch nach Selbstständigkeit mit den Bedürfnissen kollidiert. Das merken wir in letzter Zeit, je älter er wird immer mehr. Ich hoffe von Herzen, dass sich da noch einiges entwickeln wird. Was mich Hoffen lässt, ist dass wir zum Glück immer in gute Hände „gefallen“ sind. Es tut gut zu wissen, dass es so viele gute Menschen gibt auch wenn man manchmal andere Erfahrungen machen muss.
Danke für Deinen Kommentar :-) Ich weiß genau, was Du meinst in Bezug auf dieses unempathische Begutachten, bei dem unsere Kinder dabei sein sollen. Wir händelten es zuletzt immer so, dass Niklas anfang dabei war, ich habe dann sagte, dass es für ihn nicht zumutbar ist, wenn in seiner Gegenwart alle Defizite augezählt werden. Er ging dann mit seinem Papa oder einer anderen Bezugsperson in einen anderen Raum und war „verfügbar“, sofern noch etwas angelegen hätte. Das hat zum Glück immer so geklappt.
Vielleicht wäre das eine Möglichkeit für die Zukunft, um diese Situationen für Deinen Sohn erträglicher zu machen.
LG ♥