Jemand, der nicht spricht, kann trotzdem „richtig“ kommunizieren.

veröffentlicht im Januar 2019


Manche Menschen sprechen automatisch lauter und langsamer, wenn sie Niklas begegnen. Die Information, dass er nicht spricht, sondern mit Gebärden kommuniziert, wird allzu häufig damit gleichgesetzt, dass er nichts verstehen würde und geistige Einschränkungen hat.
Ein großer Fehler, denn auch nichtsprechende Menschen haben sehr viel zu sagen und verstehen häufig mehr als wir denken – manchmal sogar mehr als wir selbst.

Kommunikation ist nicht gleichzusetzen mit Sprechen.

Kommunikation geschieht auf unterschiedliche Weise und jeder Mensch hat das Recht, seine Form der Kommunikation frei zu wählen.
Das bedeutet nicht, dass das eine besser oder schlechter als das andere ist. Aber natürlich kann es bedeuten, dass es etwas mehr Anstrenung bedarf oder dass etwas Neues gelernt werden muss, um jemanden zu verstehen, der zum Beispiel gebärdet, mit Bildkarten kommuniziert oder mit den Augen einen Talker steuert.
Von Menschen, die zu uns gehören und die mit uns leben, erwarte ich, dass sie sich darauf einlassen. Und Niklas auch. Und wenn hierzu kein Interesse besteht, hat Niklas an den Menschen fortan auch kein Interesse mehr und das kann ich sehr gut nachvollziehen.

Jemand, der nicht spricht, darf nicht ignoriert werden.

Auch diese Erfahrung ist leider eine gängige. Häufig werden Menschen, die nicht sprechen, wie Luft behandelt, z.B. indem über ihren Kopf hinweg gesprochen wird – meist sogar auch noch über persönliche Themen, die den „Nichtsprecher“ betreffen.
Ich ernte häufig ungläubige Blicke, wenn ich mein Gegenüber unterbreche und sage, dass Niklas auch etwas dazu sagen möchte. Denn ich bemerke, wenn er etwas gebärdet und sehe das aus den Augenwinkeln. Jemandem, der daran nicht gewöhnt ist, kann man nicht verübeln, dass er dies nicht bemerkt, aber von Menschen, die uns regelmäßig treffen, erwarten Niklas und wir, dass sie dies erkennen und ihn in Gespräche einbeziehen.

Daher: wenn man Fragen an einen „Nichtsprecher“ hat, dann kann man diese auch direkt an sie oder ihn richten. Wenn Hilfe bei der Kommunikation benötigt wird, wird man dies sicherlich früh genug erfahren.

Jemand, der nicht spricht, ist nicht automatisch geistig behindert.

Die Fähigkeit, sprechen zu können, hat nichts mit dem Intellekt desjenigen zu tun. Auch Menschen, die sich nicht verbal äußern, können intelligent sein, Zusammenhänge verstehen und keine kognitiven Einschränkungen haben. Leider zeigt der Umgang mit nichtsprechenden Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen häufig eine andere Haltung.
Es wäre sehr wünschenswert, wenn man auf nichtsprechende Menschen mit der Einstellung zugeht, dass sie alles verstehen, was man sagt. Anders ist es natürlich, wenn man andere Informationen darüber erhalten hat – dann ist es gut, sich auf einen anderen Level beim Kommunizieren einzulassen.

Ich habe übrigens schon einige Male feststellen dürfen, dass mein nichtsprechendes Gegenüber über eine besondere emotionale Intelligenz verfügt. Der Fokus der Kommunikation weg von der gesprochenen Sprache scheint andere Ebenen der Wahrnehmung zu öffnen und zugänglich zu machen, die im Miteinander äußerst bereichernd sein können.

Jemand, der nicht spricht, kann trotzdem „richtig“ kommunizieren.

Ich wurde mal gefragt: „Lernt Niklas denn auch noch richtig zu kommunizieren?“ Und ich sagte: „Er kommuniziert doch richtig. Manchmal sogar besser und eindeutiger als Menschen, die sprechen können.“

Eine andere Form der Kommunikation als die gesprochene Sprache zu wählen, ist auch ein „richtiger“ Weg zu kommunizieren. Die Deutsche Gebärdensprache ist zum Beispiel als vollwertige Sprache neben dem Deutschen anerkannt. Häufig haben Nichtsprecher hart dafür gearbeitet, sich eine andere Form der Sprache anzueignen.
Nicht nur deshalb ist es nicht in Ordnung und zudem verletzend, Kommunikationsformen, die nicht der eigenen entsprechen, abzuwerten.

Menschen, die nicht sprechen, wollen auch soziale Kontakte haben.

Nicht sprechen bedeutet nicht, keine Kontakte haben zu wollen. Selbstverständlich möchten auch viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die über keine Verbalsprache verfügen, in Interaktion mit anderen treten. Sie zeigen es nur anders
Eine Mutter erzählte mir, dass sie hörte, wie sich andere Kinder über ihre nichtsprechende Tochter unterhielten: „Zu der brauchen wir nicht gehen, die spricht nicht, die will nicht mit uns spielen.“
Es wäre sehr gut, wenn Eltern oder Bezugspersonen, die solche Äußerungen mitbekommen, aufklären und dazu animieren, auch mit nichtsprechenden Kindern zu spielen.

Kommunikation mit Nichtsprechern braucht manchmal etwas Zeit und Geduld.

Diesen Punkt meine ich äußerst positiv. Allerdings musste ich das auch erst lernen. Früher war ich viel ungeduldiger, inzwischen weiß ich es selbst zu genießen, dass Kommunikation mit Niklas immer auch Entschleunigung bedeutet. Da ich hin und wieder auch nachfragen muss, um sicherzugehen, dass ich ihn richtig verstehe, sind unsere Gespräche per Gebärdensprache intensiv und meistens suchen wir uns bewusst ein ruhiges Plätzchen, wenn wir wissen, dass ein besonderes Thema ansteht.
Ich habe das sehr zu schätzen gelernt und auch im Umgang mit sprechenden Menschen verinnerlicht

Andere Formen der Kommunikation bringen häufig einen besonderen Humor mit sich.

Humor entsteht häufig durch Sprachwitz. Und Humor kann auch durch Gebärden-, Karten- und Zeigewitz entstehen. Das klingt komisch, ich weiß, aber genauso ist es. Niklas und wir lachen häufig über Komik, die durch das Gebärden entsteht und so höre ich es auch von anderen Familien, die mit ihren Kindern nonverbal kommunizieren.
Mit je mehr Freude und Unbefangenheit man an dieses Thema herangeht, desto mehr Erfüllung und auch Humor wird man finden und erfahren.

Zum Weiterlesen:

Autismus und Gebärdensprache – wie alles begann

Zum Weiterlesen:

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