„Mit zwölf Jahren las ich das erste Buch über Autismus. Das Buch war nicht gut, aber mein Interesse am Thema war geweckt“, erzählt Sandra. Sie belas sich weiter, begleitete autistische Kinder bei deren Freizeitaktivitäten und studierte schließlich Sonderpädagogik. Heute ist sie selbst Mutter zweier Autisten und unterrichtet eine Klasse mit autistischen Kindern.
Wenn man Sandra zuhört, spürt man sofort die Begeisterung für ihren Beruf. Sie ist mit Leib und Seele Lehrerin und kann sich aus mehreren Perspektiven für ihre Schüler einsetzen. „Da ich selbst Mutter von Autisten bin, verstehe ich die Gedanken und Sorgen der Eltern meiner Schüler. Ich kenne die täglichen Kämpfe mit Ämtern und Menschen, die sich einmischen, aus eigener Erfahrung. Außerdem weiß ich, wie wichtig es ist, jedes Kind und jeden Jugendlichen individuell zu sehen.“
Die Bedeutung der eigenen Haltung und des TEACCH-Ansatzes im Unterricht
Sandra betont, dass das Wichtigste beim Unterrichten von autistischen Kinder und Jugendlichen die eigene Haltung sei. „Man darf nichts erzwingen und sollte vieles schrittweise üben. Bei jedem Thema sollte in zwei Richtungen gedacht werden: Wie kann ich die Kompetenzen des Kindes erweitern? Und wie kann ich die Umwelt so anpassen, damit sich das Kind besser zurechtfindet?“
Um diese Haltung praktisch umzusetzen, hat sie für sich und ihre Schüler den TEACCH-Ansatz entdeckt und sich entsprechend weitergebildet. „Über Strukturierungen und Visualisierungen gibt man Orientierung und Sicherheit. Darüber kann man Kindern und Jugendlichen nach und nach immer mehr Teilhabe ermöglichen.“
Sandra macht mit praktischen Beispielen deutlich, wie wichtig es ist, Rahmenbedingungen anzupassen, um Teilhabe im sozialen Bereich zu fördern. So kann man das „sich abwechseln“ üben, indem zum Beispiel ein bunter Stein von einem zum anderen wechselt und so visualisiert, wer gerade „dran ist“.
„Autisten möchten sozial teilhaben, nur ist dies mit Voraussetzungen verbunden, die sie häufig nicht ausreichend haben“, erklärt Sandra. „Ungeschriebene Regeln werden oft nicht verstanden, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich auch ständig verschieben und daher schwer zu erarbeiten sind.“
Genauso wichtig sei es aber auch, die Strukturen immer wieder anzupassen. Es gehe nicht um eine Struktur um der Struktur willen, sondern immer um den Bedarf und Entwicklungsstand des Kindes. Daher sei es notwendig, regelmäßig zu überdenken, was verändert werden muss. Neu erworbene Kompetenzen müssen dabei berücksichtigt werden. „Es sollte immer die Selbstständigkeit im Vordergrund stehen,„ so Sandra.
Häufiges Problem in Schulen ist das sog. herausfordernde Verhalten von Schülern.
„Was ich an Verhalten sehe, ist nur die Spitze eines Eisberges,“ sagt Sandra. Vielen Bezugspersonen und auch Mitarbeitern in Schulen falle es häufig schwer, die eigenen Emotionen außen vor zu lassen und herausforderndes Verhalten nicht persönlich zu nehmen, so Sandra.
„Dabei ist es wichtig herauszufinden, was eigentlich unter dieser Spitze des Eisberges liegt, also den Grund für das Verhalten zu erkennen. Jedes Verhalten hat eine Funktion und ergibt Sinn,“ erklärt Sandra „helfen können dann häufig Strukturierungshilfen und Handlungsalternativen.“
Das seien die zentralen Fragen, so Sandra: „Warum macht das Kind das?“ Und: „Welche Alternativen kann ich anbieten?“
Entscheidend sei auch, schon vorab de-eskalierend zu wirken und es gar nicht erst soweit kommen zu lassen. „Ein schreiendes oder tretendes Kind als Konsequenz auszuschließen, ist nicht zielführend. Besser wäre es, die Sequenzen mit Anforderungen zu minimieren, Pausen engmaschig einzubauen, auch mal zwischendurch fünf Minuten rauszugehen und dem Kind die Möglichkeit zu geben, zum Beispiel mit einer Karte visuell anzuzeigen, wenn es eine Pause braucht.“
Auch sprechenden Kindern helfen diese visuellen Hilfen, weil in Phasen von Anforderungen und erst recht wenn eine Überforderung vorliegt, möglicherweise die Fähigkeit etwas verbal zu äußern, nicht mehr vorhanden ist.
Sandra erzählt von einem nonverbalen Schüler, der alle Aktivitäten in Gruppen verweigerte, auch den Morgenkreis und das gemeinsame Essen. „Wir haben dann überlegt, woran es liegen könnte und bemerkten, dass er mehr körperlichen Abstand braucht und dass er die Dauer dieser Aktivitäten schwer einschätzen konnte. Die Lösung war, dass Fotos von Mitschülern, die ihr Essen bereits beendet hatten, in eine Schachtel gelegt wurden. Der Schüler konnte so besser einschätzen, wie lange die Essenssituation noch andauern würde und kam damit gut zurecht.“
Wenn es doch nicht gelingen sollte eine Eskalation abzuwenden, sei es wichtig, ruhig zu bleiben. „Wenn ich als Bezugsperson Angst und Unsicherheit ausstrahle, verunsichere ich auch den Schüler. Es ist wichtig, Ruhe und Sicherheit zu vermitteln.“
Und manchmal sei es auch gut, zum Beispiel über einen Piepser Kollegen zu Hilfe rufen zu können. Sandra: „Allein das Wissen, dass man als Mitarbeiter die Möglichkeit hat, Unterstützung anzufordern, macht ruhiger und sicherer, was sich wiederum auf den Schüler überträgt. Und manchmal ist es natürlich auch gut, sich abwechseln zu können und aus einer möglicherweise festgefahrenen Situation herauszugehen. Eine neue Person ermöglicht auch dem Schüler einen Ausweg aus der Situation.“
Übrigens: Anleitung für professionelles Deeskalieren bieten z.B. die Konzepte von Prodema und Part. Ich werde in Kürze darüber berichten. (Silke)
Abgrenzung von Autismus, psychiatrischen Erkrankungen und Komorbiditäten
Sandra verdeutlicht, dass häufig nicht der Autismus eines Schülers das vordringliche Problem sei, sondern Begleiterkrankungen oder gar andere Diagnosen, die im Vordergrund stehen und oft übersehen werden.
„Wir haben Schüler mit Autismus-Diagnosen in den Schulen, die aber vordringlich und offensichtlich Zwangs- und Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Psychosen oder anderes haben. Die Abgrenzung zum Autismus ist aber wichtig, um angemessen agieren zu können und manchmal auch eine notwendige Medikation einzusetzen, wenn zum Beispiel körperliche Ursachen wie Schmerzen vorliegen.
Hierauf können wir als Lehrkräfte nur immer wieder hinweisen, das ggf. abklären zu lassen, Diagnosen können wir natürlich nicht stellen,“ erklärt Sandra.
„Kind, Kind, Kind nicht Autismus, Autismus, Autismus“…
… das ist das, was Sandra auch an Kollegen weitergibt, die zum Teil Respekt und Scheu vor der Arbeit mit autistischen Kindern und Jugendlichen haben.
„In erster Linie arbeiten wir mit Kindern und Jugendlichen. Es geht um ihre Bedürfnisse und darum, ihnen eine optimale Lernumgebung zu geben.„
Sandra unterrichtet aktuell eine erste Klasse in München. Es ist eine sog. Schwerpunktklasse Autismus, in der neun Schüler, sieben davon mit Autismus, die zum Teil auch körperliche Behinderungen haben und Pflege brauchen, gemeinsam gefördert werden.
Unterstützt wird sie in ihrem Team von vier Schulbegleitern und einer Kollegin, mit der sie zeitweise im Tandem arbeitet.
„Ich bereue es keinen Tag, dieses Projekt gestartet zu haben. Unser Ziel ist es, den Schülern in den ersten drei Jahren Strukturierungshilfen an die Hand zu geben, ihnen soziale Kompetenzen zu vermitteln, um sie dann in einen Klassenverbund mit auch nicht-autistischen anderen Schülern zu führen.“
Diese Anfangszeit sei ein Ankommen in der Schule, es gehe darum, sich mit allem vertraut zu machen, Sicherheit zu gewinnen und dann den Radius zu erweitern.
„Die Interaktion zwischen den Schülern zu sehen, ist großartig,“ erzählt Sandra, „sie verstehen sich intuitiv und es ist ein Zusammenhalt spürbar.“
Und das sei auch bei den Eltern ihrer Schüler der Fall, die schon viel Ablehnung ihre Kinder betreffend erfahren haben und nun in einer Klasse angekommen sind, in der sie ihre Kinder akzeptiert wissen. Das mache die Eltern untereinander stark und damit auch stark für ihr eigenes Kind
Aufklärung in und aus allen Richtungen
Ich nehme Sandra bei unserem Gespräch nicht nur als Lehrerin wahr, sondern auch als eine Person, die mit ganzem Herzen für ihre Schüler da ist und für sie kämpft. Sie klärt in alle Richtungen auf und nimmt Mitmenschen und Kollegen die manchmal vorhandene Scheu vor der Arbeit mit autistischen Schülern.
Auch organisiert sie Aufklärungsangebote, die direkt von erwachsenen Autisten kommen, um allen Beteiligten zu ermöglichen, an der wichtigen Innensicht teilzuhaben und besser verstehen zu lernen.
„Manchmal ist es schon viel, weil mich zuhause ja auch meine beiden Autisten erwarten. Aber insgesamt ist es meine Berufung und ich möchte nichts anderes machen. Für die Schule wünsche ich mir, dass Kollegen sich trauen, um Hilfe zu bitten, wenn sie nicht weiter wissen. Es ist keine Schwäche, sondern eine Stärke zu signalisieren, dass man alleine nicht weiterkommt. Niemand braucht alleine vor sich hinzukämpfen.“
Danke, liebe Sandra, dass Du Dein Wissen und Deine Erfahrung hier teilst und damit genau das zeigst: Niemand braucht sich alleine dieser Aufgabe stellen, gemeinsam kann man viel erreichen.
Für weitere Fragen könnt Ihr gerne direkt Kontakt mit Sandra aufnehmen.
Weitere Informationen und ein Fortbildungsangebot zum Thema „Autismus und Schule“ :
Hallo Elisabeth und Sandra, bezüglich deine Geschichte kann ich leider nur mitteilen das es in Nürnberg genauso ist, hab kein Schulwechsel in Betracht gezogen weil mein Sohn probleme hat mit Umgebung wechsel, viele Gespräch geführt mit den Lehrern das sie sich doch zuerst fragen müssen wenn was in der Gegend fliegt, warum er es tut.War leider auch zwecklos, daher fing ich mit meinem Sohn zu reden das er schlauer ist als die und es den zeigen soll indem er die ignoriert und das klappt eingermassen gut.lg