Gastbeitrag: Wenn Behörden über die Unterstützung unserer Kinder entscheiden

veröffentlicht im Juli 2018


Regina (Name geändert) hat drei Kinder, zwei davon sind autistisch. Da sie häufig darauf angewiesen ist, dass und was Behörden, wie zum Beispiel das Jugendamt, an Unterstützungsmaßnahmen bewilligt oder ablehnt, hat sie darüber einen Gastbeitrag verfasst. Sie wünscht sich vor allem, dass Eltern auf Augenhöhe als Experten ihrer Kinder wahrgenommen werden.

Gastbeitrag von Regina:

Wir haben drei Kinder, zwei von ihnen haben die Diagnose Asperger-Autismus. Aufgrund ihrer besonderen Wahrnehmung ist auch der Alltag meiner beiden autistischen Kinder mit enorm vielen Stressoren und Anstrengungen durchsetzt.
Unser Kinder brauchen zum Beispiel, wie die meisten autistischen Kinder, die Unterstützung durch eine Schulbegleitung, um eine Beschulung zu ermöglichen. Hierbei geht es darum, den Kindern durch Hilfestellung zu ermöglichen, auf ihre intellektuellen Fähigkeiten zuzugreifen.
Des Weiteren benötigen wir die Unterstützung durch eine sozialpädagogische Familienhilfe, um unser Verhalten als Familie neu zu reflektieren und neue Strukturen aufzubauen, welche den Stress für unsere autistischen Kinder im Alltag reduzieren helfen.

Dadurch sind wir zu „Kunden“ des Jugendamtes geworden. Nein, wir sind keine Kunden, wir sind bittstellende Fälle. Die Fallbearbeiterin entscheidet, was für uns als Familie gut ist und welches die nächste richtige Entwicklung wäre. Zumindest ist das in unserem Fall so.
Ich habe das Gefühl, dass wir als Eltern ausschließlich Erfüllungsgehilfen für das Jugendamt sind, nicht mehr.
Es wird nicht kooperativ auf Augenhöhe mit uns als Eltern gearbeitet und es werden Hilfsangebote zur Verfügung gestellt, welche die Sachbearbeiterin und ihre kollegiale Beratung für richtig oder üblich halten.

Wer sich mit Menschen im Autismus Spektrum und der Literatur hierüber auseinandersetzt, sich auf wissenschaftlichen Kongressen zum Thema informiert, wie das sehr viele betroffene Eltern tun, lernt sehr viel Neues. Zum Beispiel, dass jeder Autist (wie auch wir Neurotypischen) ein Individuum ist und man nicht pauschalieren kann. Jeder Autist ist einzigartig in seinen Fähigkeiten und Handicaps. Hieraus resultiert, dass auch jeweils eine individuelle Förderung nötig ist. Das wird meiner Meinung nach vom Jugendamt nicht gesehen.

Wir Eltern haben die Aufgabe, die richtige Förderung und die passende Struktur zum Wohle unserer Kinder zu liefern. Unsere eigenen Gedanken zur Situation der Kinder und unser Expertenwissen als Eltern wird dabei nicht ernst genommen.
Klar, das Jugendamt hat die Kinder im Fokus. Nur blöd, dass wir als Eltern keine unendlichen Maschinen sind, die Scheidungsrate und das Chaos der autistischen Kinder im Scheidungsprozess sind immens.
Eine Begleitung und Schaffung von Freiräumen für uns als Eltern existiert nicht und ist beim Unterstützungskonzept nicht vorgesehen. Wir betreuen, fördern und begleiten unsere Kinder, schreiben Widersprüche und Anträge, bereiten Gespräche vor, gleichen uns für die nächsten Eskalationen ab und haben seit Jahren keine Paarzeit mehr, geschweige denn mehr als 6 Stunden Schlaf (meist sind es eher unter 4h/Nacht). Und da sind wir kein Einzelfall, das geht vielen Eltern mit mehreren autistischen Kindern so.

Alle am Kind Arbeitenden haben die Schwächen des Kindes im Fokus, dies ist ein Ansatz aus der Pathogenese. Die Gesundheitswissenschaften haben uns schon lange gezeigt, dass wir die Stärken und besonderen Fähigkeiten (jeder Mensch hat besondere Stärken) der Menschen vielmehr in den Mittelpunkt stellen sollten, um Menschen in ihrer Entwicklung zu stärken.
Für mich als Mutter ist es sehr kräftezehrend, mich ständig auf die Fehlleistungen meiner Kinder konzentrieren zu sollen. Denn die Macht unserer Sachbearbeiterin ist immens.
Haben meine Kinder einen guten Tag und ich sage meiner Familienhilfe, wie sehr ich mich freue, dass meine Kinder nach den letzten aufreibenden Tagen heute alle drei in einer guten Stimmung sind, dann bekomme ich nicht die Antwort: „Das freut mich für Sie und die Kinder, was hat denn den Tag heute anders und gut gemacht im Vergleich zu den letzten?“, nein ich bekomme zu hören: „Sagen Sie das niemals in der Nähe ihrer Sachbearbeiterin.“
Soweit geht die Macht unserer Sachbearbeiterin. Das macht etwas mit mir als Mutter, mir geht Leichtigkeit verloren (von der ich aufgrund der immensen täglichen Anforderungen sowieso kaum noch welche erlebe), ich darf keine offensichtlich guten Stunden mit meinen Kindern haben, denn wenn bestimmte andere Menschen das mitbekommen, könnte es mit Kürzungen von Unterstützungsleistungen einhergehen.

Wir haben genügend schwierige Stunden und Tage, wir brauchen viel mehr Unterstützung im Alltag, als wir erhalten, um unsere Kinder nicht nur zu verwalten, sondern angemessen zu fördern und zu begleiten, denn neben dem Schullehrplan haben meine Kinder einen weiteren Lernplan, und der heißt Soziales Kompetenztraining.

Wir werden langfristig auf externe Unterstützung und Begleitung angewiesen sein. Ich habe Angst davor, weil ich im Moment nicht sehe, dass Eltern als kompetente Gesprächspartner angesehen werden und wir immer von den Entscheidungen anderer abhängig sein werden.

***

Liebe Regina, ich danke Dir sehr für Dein Vertrauen und die Offenheit, Eure Situation und Deine verständlichen Emotionen mit uns zu teilen. Sicherlich sprichst Du vielen anderen Eltern aus der Seele, die sich jetzt nicht mehr so alleine fühlen.

Ich hoffe sehr, dass das Wahrnehmen von Elternkompetenz voranschreitet. Was ich dafür in Form von weiteren Veröffentlichungen tun kann, werde ich tun.
Ich wünsche Dir und Deiner Familie und allen anderen Familien wertschätzende Menschen, die Entscheidungen in Eurem Sinne treffen werden.

Herzliche Grüße, Silke alias Ella

***

Habt Ihr positive Erfahrungen gemacht? Gerne würde ich diese veröffentlichen, um zu zeigen, wie es gut laufen kann. Mail mich einfach an, ich würde mich freuen.

***

Zum Weiterlesen:

Warum es so wichtig ist, dass Autisten, Fachleute und Eltern zusammenarbeiten

Zum Weiterlesen:

KOMMENTARE

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  1. Hallo Regina,
    habt ihr einen familienunterstützenden Dienst? Der wird ja über die Krankenkasse abgerechnet ohne Begründung, wenn das Kind einen Plegegrad hat. Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft.
    VG Frauke

  2. Danke für jedes Wort, ich unterstreiche alles. So ist es, passt. Leider.

    Wir haben uns jetzt (nach 7 Jahren Erfahrungen mit dem Jugendamt) mal um einen Fachanwalt bemüht. Es tut gut zu wissen, dass man jemanden mit im Boot hat, der gehört werden wird. Wir kennen das anders…

  3. Danke für deinen Beitrag.
    Auf Augenhöhe und kompetent, sind bei uns leider meist Fremdwörter.
    Das ist eine Sache die ich einfach nicht verstehen kann. Da versucht man sich Hilfe zu holen, weil man Hilfe braucht, aber dadurch wird alles noch schlimmer.
    Aber, macht bitte alle weiter, irgendwann kommt die echte Hilfe!
    Leider wird oft mit der Unwissenheit und der Angst der Eltern gearbeitet, was sehr traurig ist.
    Aber es gibt sie, die echte Unterstützung.

  4. Ich schreibe aus der Sicht einer Klassenlehrerin eines Kindes mit Asperger (Klasse 8). Ich erlebe Jugendamt und Träger als sehr wohlwollend und sie versuchen zu helfen, so gut es geht. Sie freuen sich über die wahnsinnigen Fortschritte des Kindes, folgen aber der Einschätzung der Eltern und Lehrerinnen sofort, wenn wir sagen, dass wir die Schulbegleitungsstunden nicht kürzen würden. Wünschenswert wären noch mehr Unterstützungsangebote für die Eltern und spezielle Ferienangebote, denn nach den Schulferien kommen zuverlässig Rückschritte und Krisen…
    Bin interessiert an Ideen für die Ferien!

  5. Ich kann das leider nur bestätigen. Was als Hilfe gedacht war, entpuppte sich oft als zusätzliche Belastung. Unqualifizierte Einmischung… gab es mehr als einmal.
    Als berufstätige Alleinerziehende hatte ich es schwer, mir Respekt zu verschaffen, diese Energie hätte ich gut für mein Kind und mich gebraucht.
    Mit meinem nun erwachsenen Kind gehen wir in Richtung persönliches Budget, das wird bestimmt nicht einfach durchzusetzten sein. Das Jugendamt ist nun endlich außen vor. Mit Zuständigkeitsgerangel hat die Behörde es ohnehin geschafft, sich die letzten 1.5 Jahre um Unterstützung zu drücken.

  6. Liebe Regina,
    ich kann sehr gut nachempfinden, was Du erlebt hast. Wir mussten ähnliche Erfahrungen machen!
    Ich wünsche Dir ganz viel Kraft und Durchhaltevermögen!
    Liebe Grüße

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