Gastbeitrag von Jule (Name geändert):
Ich bin Jule, alleinerziehend, und lebe mit meinem fast volljährigen Edwin zusammen. Edwin lebt mit Autismus und vielen anderen Begleiterkrankungen, er ist mehrfachbehindert. Seine Diagnose bekam er mit 7 Jahren.
Silke verfasste hier auf Ellas Blog vor einiger Zeit ein Beitrag über Pseudo-Augenhöhe, das veranlasste mich dazu, auch mal näher darauf einzugehen und unsere Erfahrung zu teilen.
Ein Zusammenarbeiten aller Beteiligten ist ja vom Ansatz her nicht verkehrt, wenn man auf Personen trifft, die einem auf Augenhöhe begegnen und die nicht versuchen wollen, unser Kind oder unseren Angehörigen „gesellschaftsfähig“ zu machen. Wenn Personen oder Institutionen Konditionierung betreiben wollen und nur so tun, als würden sie Anderssein respektieren, dann ist das meiner Ansicht nach Pseudo-Augenhöhe.
Ich habe jahrelang Menschen, Institutionen und Ämtern in dem Glauben vertraut, sie würden mir und meinem Jungen auf Augenhöhe begegnen. Dass das geheuchelt war, um mich versteckt zu manipulieren, das musste ich schmerzlich erfahren und das tat so weh. Es hat mich innerlich sehr aufgewühlt, so dass ich nun noch weniger Vertrauen zu fremden Menschen habe.
Edwin hat dadurch noch mehr Begleiterkrankungen bekommen und es hat in ihm u.a. neurologische Auffälligkeiten ausgelöst, die eigentlich schon längst kein Thema mehr waren. Ich habe nun ein „Häufchen“(rw) zuhause, das wohl nie mehr derselbe wird wie vorher. (Ich berichtet schon mal in einem früheren Beitrag).
Im Kinder- und Jugendbereich hat man leider häufig keine große Wahl. Manche Ärzte und Ämter nötigen uns Eltern zu Dingen, die wir nicht für richtig halten und die uns widerstreben. Wenn wir gewisse Schritte nicht gehen sollten, drohen Konsequenzen. Das finde ich nicht gerade menschlich und empatisch und es hat auch nichts mit Augenhöhe zu tun.
Ich persönlich habe mich von unserem alten Netzwerk trennen können und bin dabei, uns ein neues aufzubauen, mit Ärzten und Institutionen im Erwachsenenbereich. Hier habe ich den Eindruck, dass man mir und auch Edwin auf Augenhöhe begegnet, dass man uns respektiert und ernst nimmt. Das war im Kinder- und Jugendbereich immer anders, hier hat man mir immer zu verstehen gegeben, dass man mehr Erfahrung habe als ich und das fand ich immer sehr vorlaut und übergriffig.
Was ich euch mitgeben möchte ist, seid kritisch mit den euch angebotenen Therapien, hinterfragt alles. Und ihr dürft das, ihr dürft das auch ablehnen, wenn ihr glaubt, dass es für eure Kinder oder Angehörigen nicht gut tut.
Seid kritisch mit Menschen oder Institutionen, die euch mit euren Kindern nur vermeintlich respektieren. Ich möchte nicht sagen, dass ihr niemanden mehr vertrauen sollt. Es gibt durchaus Menschen, die einem auf Augenhöhe begegnen und auch zugeben können, wenn sie sich mit Autismus nicht auskennen. Ich kenne auch noch solche Menschen und sie zaubern einem ein Lächeln ins Gesicht, das gibt immer wieder einen Energieschub, und macht einen für den nächsten Kampf stärker und gelassener.
Was mir in solchen Gesprächen meistens hilft, ich bereite mich vor, indem ich Aufklärungsmaterial raussuche und meine Rhetorik in Gedanken darauf abstimme. Es kann auch gut sein, Aufklärungsmaterial weiterzugeben. Das klappt natürlich nicht immer und man muss sich bewusst werden, dass es auch schiefgehen kann. Aber kämpfen lohnt sich auf jeden Fall. Wir tun es für unsere Kinder oder unsere Angehörigen, die sich selbst nicht helfen können. Ich kann euch nur sagen, versucht selbstbewusst gegenüber solchen Menschen oder Institutionen aufzutreten, die Mimik und die Gestik des Gegenübers spielt dabei eine große Rolle.
In diesem Sinne, bleibt gesund und weiter Löwen
eure Jule und Edwin (Namen geändert)
Zum Weiterlesen:
Prüfkriterien für Therapieangebote bei den kostenlosen Materialien auf Ellas Blog
Du darfst mitreden, aber bitteschön nur bis hierhin und nicht weiter
Warum es so wichtig ist, dass AutistInnen, Eltern und Fachleute zusammenarbeiten
Vielen Dank für deine Ehrlichkeit und das Vertrauen an uns Eltern.
Auch wir mussten leider oft nicht schöne Erfahrungen machen!
Ja, auch wir sind dabei teilweise unser Netzwerk anders und reduzierter aufzustellen….weil auch unser Sohn manch Schaden genommen hat und Vertrauen verlor.
Wir Eltern sind es, die es über Jahre wieder aufgebaut haben. Das tut uns allen gut und unser Sohn konnte schon viel früher erkennen wer es ehrlich mit ihm meint.
Vielen Dank und euch alles Gute und bessere Erfahrungen für die Zukunft!
Liebe Tanja.
Vielen Dank für deinen schönen Kommentar. Ja es ist wirklich eine Schande was hier abläuft. Ich weiß auch das es Familien gibt die nicht so viel Glück haben und die ganze härte des Systems spüren. Das dient natürlich in keinster Weise dem KW leider haben die mehr Macht. Ich hoffe nur, nein ich wünsche mir das sich in der Richtung bald Änderungen eintreten. Für uns ist es ebenfalls das Edwin Jahre brauchen wird um wieder vertrauen zu gewinnen, seine mühevollen über Jahre hinweg erarbeiteten Fähigkeiten hat er durch das ganze verloren. Wir fangen wieder ganz von vorne an und es wird wieder Jahre dauern, das wirft uns natürlich um Jahre zurück. Ich glaube manche( Institutionen) wissen gar nicht was wir Tag für Tag leisten, was es bedeutet und was es für Kraft kostet. Dennoch gibt es den Alltag in der nur wir als Vertrauensperson agieren können. Dieses fremdbestimmend ( seitens Institutionen) zerrt an den Kraftreserven. Ich hoffe im Erwachsenbereich wird es für uns besser.
Danke Euch ebenfalls alles gute.
Danke für den schönen Beitrag, liebe Jule.
Von dem vorgetäuschten „auf Augenhöhe begegnen“ kann ich mit meinem 24-jährigen Sohn ein Lied singen. Mein Sohn jedoch ist sehr feinfühlig und kann sofort erkennen, ob jemand ehrlich zu ihm ist oder ob die Hilfe, das Interesse nur vorgetäuscht bzw. gespielt ist. Wenn ich meinen Sohn sehr genau beobachte, bekomme ich sehr schnell Aufschluss über den wahren Charakter des Gegenübers.
Ich finde, das ist eine tolle Gabe!
Dir alles Gute und hoffentlich nur noch ehrliche Kontakte!