Jule über den Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik und den Umgang mit Diagnosen in der Familie

veröffentlicht im September 2019



Jule hatte schon einen Gastbeitrag über die Schulsituation mit ihrem autistischen Sohn Edwin (15) geschrieben (beide Namen geändert).
Nun berichtet sie darüber, wie es weiterging und wie sich die momentane Familiensituation gestaltet. Vielleicht ein Erfahrungsbericht, in dem sich einige wiederfinden.

Gastbeitrag von Jule:

Wie schon vorher mal berichtet, lief es in der Schule vor den Sommerferien nicht sehr gut. Edwin klagte immer wieder über diverse Wewehchen, auch Anzeichen von Überforderung machten sich immer mehr breit. Zum Schluss hörte er auch noch auf zu essen und nahm 10 Kilo ab. Seine sowieso schon ewigen Schlafstörungen machten die Sache auch nicht besser. Er ging nur noch sporadisch zur Schule.
Bei mir „klingelten die Alarmglocken“ (rw). Ich stellte ihn einem Kinder und Jugendpsychologen vor. Der erkannte die Situation sofort und wies uns zur Diagnostik in eine Psychosomatik-Klinik ein. Zugegeben – ich hatte schon mächtig „Bammel“ davor.

Den Termin hatten wir, nur war es noch lange hin und ich musste Edwin aus der Schule nehmen und zusehen, dass er nicht noch mehr abbaut und abnimmt. Ich hatte mit einer hochkalorischen Trinknahrung, die es in verschiedenen Geschmacksrichtungen gibt, eine gute Lösung gefunden. Damit konnten wir die Zeit etwas überbrücken.

Als der Aufnahmetermin in der Klinik dann da war, machten wir uns mit „Bauchgrummeln“ auf den Weg dahin. Die Diagnostik begann also und für uns war es sehr belastend. Edwin musste in den Gruppen immer mit, das frühe Aufstehen, die Psychosomatik-Therapie, Bewegungstherapie, alles. Bei mir kullerten oft die Tränen. Und auch Edwin hatte viel geweint. Wir beide waren verzweifelt.
Ich wünschte, dass ich ihm die Strapazen abnehmen konnte, mir tat er so leid, aber wir waren ja da, um ihn von Kopf bis Fuß durchzuchecken.
Ich versuchte immer, ihn zu motivieren. Mit Ach und Krach brachten wir dann nach 10 Tagen die Diagnostik hinter uns.

Das Entlassungsgespräch lief nicht gerade überaschend für uns. Vermutungen von meiner Seite bestanden vorher schon. Wenn man das dann noch mal von der Ärztin und Psychologin hört, wirft mich das schon ziemlich „aus der Bahn“ (rw). Und nun hat er weitere Diagnosen zu „Autismus-Spektrum-Störung“ hinzubekommen.
Er wird nicht mehr auf seiner aktuellen Schule bleiben können. Die Beratung seitens der Klinik war eindeutig. Empfehlungen habe ich auch bekommen. Nun steht mir noch das Schulgespräch bevor. in welchem besprochen werden soll, wie es mit der Beschulung weitergehen soll.
Nun weiß ich aber, dass Edwin so nicht mehr beschult werden kann. Mittlerweile isst er zwar wieder etwas, aber die Trinknahrung brauchen wir immer noch zusätzlich. Psychische Leiden, die auch irgendwie auf den Körper gehen, verschwinden nicht von heute auf morgen.

Traurig finde ich, dass das Bildungssystem die Behindertenrechtskonvention und Inklusion an vielen Stellen nicht zulässt. Meinem Sohn wurde höchstwahrscheinlich so die Chance genommen, einen Abschluss zu machen.

Foto mit Arzt und Schreibtafel
Quelle: pixabay, User cksockphoto

So, nun zu meiner Verwandtschaft:
Ich finde es sehr traurig, es „zerreißt mir das Herz“ (rw), dass sich niemand für unsere Situation interessiert. Ich fühle mich schuldig, als ob ich diejenige bin, die übertreibt, die sich diese Sachen ausdenkt, die einfach nicht kompetent genug ist.
Meine Mutter ist zwar bei mir, aber sie ist die einzige Person, die mir ab und zu hilft und auch mal nachfragt. Mein Vater hat sich dazu überwunden, kurz anzusprechen, wie es denn nun mit Edwin weitergeht. Alles was ihn interessiert!!! Er fragte nicht, wie es in der Klinik war oder wie es uns erging bzw. wie es uns jetzt geht.
Der Rest der Verwandtschaft fragt nie nach. Es zählt nur Leistung, gutes Aussehen, Probleme werden nicht besprochen, sondern verdrängt.

Ich weiß, dass es nicht jedem Menschen leicht fällt, Empathie zu entwickeln oder achtsam zu sein und Interesse zu zeigen.
Wie geht man mit Menschen um, die ihr Verhalten nicht selbst „spiegeln“ (rw) können? Ich weiß nicht, ob sich da gewundert wird, warum wir nicht mehr zu Familienfeiern gehen.

Jeder Mensch hat eine andere Wahrheit, deswegen bleibe immer neugierig und versuche ehrlich, Achtsamkeit mit dir und deinem Umfeld zu üben.

Herzlichen Gruß
Jule

Zum Weiterlesen:

KOMMENTARE

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  1. Vielen Dank für den Einblick in Euren Weg.
    Ähnliches haben wir auch erlebt, was die Schule angeht.
    Der Körper unseres Sohnes reagierte massiver und deutlicher, nicht schleichend.
    Nach einer starken Panikattacke zog ich die Reißleine und durch die Unterstützung eines Psychiaters konnte aus dem Desaster eine gute Lösung gefunden werden.
    Unser Sohn holt jetzt über Fernschule das Abitur nach.
    Es gibt Möglichkeiten der Fernbeschulung.
    Gerade in Eurem Fall könnte das eine enorme Erleichterung sein.
    Ich wünsche Euch viel Glück.

  2. Liebe Jule,
    Manchmal trauen sich Menschen auch nicht, nachzufragen. Ich lese z.B. auch immer wieder, dass es Nachfrage als unempathisch bzw. aufdringlich gilt, weil die betroffene Person ggf. gerade NICHT über ihre Probleme sprechen möchte.
    Wirst du denn „abgewimmelt „, wenn du das Thema von dir aus ansprichst? Das wäre dann sehr verständlich, dass du enttäuscht bist.
    Ich wünsche Euch beiden alles Gute und ganz viel Kraft.
    Liebe Grüße, Jana

    1. Liebe Jana.
      Unsere Situation ist sehr schwierig mittlerweile hat mich die Schule beim ASD angezeigt wegen drohender Kindeswohl Gefährdung. Aufgrund der fehlenden Beschulung. Die Frau vom ASD war auch schon da und wir haben ein wenig darüber gesprochen. Sie war sehr einsichtig über unsere momentane Situation. Trotzdem bleibt die Beschuldigung an mir haften und ich habe riesen Angst. Ich würde ihn gern von der Schulpflicht befreien lassen. Nur habe ich kaum jemand hinter meinen Entscheidungen stehen. Es wäre eh sein letztes Schuljahr. Das alles belastet mich sehr und jetzt habe ich auch noch den ASD am Hals.

  3. Liebe Jule,
    es gibt die Internetschule in Bochum. In dem ATZ wo eines unserer Kinder ist(ich habe 2Autisten) wird ein Junge erfolgreich via Skype von der Schule unterichtet.In seinem Fall hat das Jugendamt die Kosten übernommen.
    LG Eva

  4. Hallo,
    Es gibt zwar die Internet Schule aber die haben Wartezeiten. Versuchen kann man es ja trotzdem einmal. Vielleicht ist es nicht verkehrt Zeit zu schinden mit Krankmeldungen. Wird die Schule zwar auch nicht begeistert sein, zu viele Fehltage , aber krank ist krank. Brauchst einenn guten Psychiater/ Psychlogen/ Psychotherapeuten.
    Die Verwandtschaft kann man eigentlich vergessen. Die verstehen das nicht weil sie sich da gar nix vorstellen können und zwar gar nix. Hab mir heute wieder sagen lassen müssen von meiner Cousine das sei alles weil ich ihm immer alles mache. Ärger mich natürlich auch aber kann man nicht ändern.

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