Empathie mal anders – die Ebene der aufklärenden AutistInnen und Eltern

veröffentlicht im Mai 2018


Wenn wir über das Thema „Autismus und Empathie“ sprechen oder lesen, geht es meistens darum, dass sich Autistinnen und Autisten angeblich nicht in die Lebenssituationen und Gefühlswelten anderer Menschen hineinversetzen können. Zu dieser Haltung, die vor allem Missverständnisse und Klischees bedient, hatte ich bereits im Beitrag „Autismus – eher ein Zuviel als Zuwenig an Gefühlen – der Mythos von der Empathielosigkeit“ ausführlich geschrieben.
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Ich möchte an dieser Stelle die Aufmerksamkeit auf einen anderen Aspekt zum Thema „Autismus und Empathie“ lenken – und zwar bin ich der Überzeugung:
Engagement im Bereich der Aufklärung erfordert neben viel Erfahrung und Wissen, das sich ansammelt, ein hohes Maß an Empathie.

Autistinnen, Autisten und Eltern mit autistischen Kindern klären meist ohne Unterlass über „ihr Thema“ auf. Manchmal geschieht es im Stillen, in Einzelgesprächen und verborgen vor der Öffentlichkeit. Manchmal ist es verbunden mit öffentlichen Aufgaben und gesellschaftlichem Engagement. Ich meine, dass genau dieses Engagement – im Kleinen wie im Großen – ein besonderes Maß an Emaphiefähigkeit abverlangt.

Und nicht wenige machen das außerordentlich gut. Viele Eltern engagieren sich ehrenamtlich, sei es in Kindergärten, Schulen oder Vereinen. Dabei wird man immer auch mit Familiensituationen anderer konfrontiert, denen man helfen möchte und bevor man dies kann, hört man sich die Lebensgeschichten anderer an und fühlt sich ein, um dann möglichst gute Hilfestellung geben zu können.
Auch im Privaten ist man immer wieder gefordert, Autismus im Allgemeinen und den Autismus des eigenen Kindes im Besonderen zu erklären.

Um gut aufklären zu können, muss man sein Gegenüber bestenfalls dort abholen (rw), wo dessen Wissensstand ist. Auch das bedeutet wieder empathisch sein zu müssen, sich eindenken in die Situation des anderen, in seine Motivation zum Thema, seine Vorkenntnisse, möglichen Erfahrungswerte und kognitiven Möglichkeiten, um dann dort anknüpfen und erklären zu können. Konkret geht es hierbei um Familienmitglieder, Bekannte, Lehrer, Ärzte, Therapeuten, Schulbegleiter, Erzieher, Nachbarn usw. Eltern autistischer Kinder sind immer wieder gefordert, sich und den Autismus ihres Kindes zu erklären und das auf verschiedene Art und Weise, weil auch das jeweilige Gegenüber mit seinem Kenntnsisstand stark variiert.

Das betrifft selbstverständlich auch Autistinnen und Autisten per se. Denn wenn sie erwachsen sind, haben viele keine Eltern mehr um sich, die für sie erklären und vermitteln. Das bedeutet, dass sie in vielen Lebenssituationen selbst für sich erkären, aufklären und vermitteln müssen. Anderen ist es von Beginn an möglich, für sich und ihre Belange zu sprechen, was häufig auch zu Missverständnissen und Unverständnis führt und sehr anstrengend ist.

Empathie auf der Aufklärungs- und Vermittlungsebene ist noch einmal eine andere als die, von der im sozialen Miteinander die Rede ist. Denn man transportiert Wissen auf einer Art Metaebene, die zum Teil auch losgelöst von der eigenen Situation erfolgen sollte.
Ich habe bereits viele AutistInnen kennenlernen dürfen, die das ganz hervorragend können. Daher ist es auch so wichtig, Autistinnen und Autisten, die in der Lage sind, über ihren Autismus, ihre Wahrnehmung, ihre Strategien, um im Alltag zurechtzukommen, zu sprechen, in die Aufklärungsarbeit und konzeptionelle Arbeit in Schulen, Vereinen und Organisationen miteinzubeziehen.

Diese Form des empathischen Miteinanders hilft meiner Meinung nach vor allem den AutistInnen, die nicht in der Lage sind, sich aktiv einzubringen. Und es hilft neurotypischen Eltern, Ärzten, Pädagogen und andern Menschen, die mit AutistInnen zu tun haben, das Leben mit Autismus ein Stückchen besser zu verstehen. Diesen Aspekt spreche ich auch im Beitrag „Autismus und Therapie – wie Eltern zu kompetenten Entscheidern werden“ an.

So sind Autistinnen und Autisten und deren Familien ständig mit dem Thema Empathie konfrontiert – und zwar bereits auf einer Ebene, die über der lebenspraktischen mit all ihren Schwierigkeiten im Bereich der Sozialkompetenz und Kommunikation liegt. Übrigens sind einige unter den Aufklärern so leidenschaftlich dabei, dass sie bei allem Einfühlen in die Problemstellungen und das Denken anderer sich selbst nicht mehr ausreichend im Blick haben und irgendwann erschöpft in ihrem Engagement zusammenbrechen. Das bestrifft Familienangehörige und AutistInnen.

Daher ist es wichtig, gut zu reflektieren und klug abzuwägen, wo Aufklärung lohnt.
Ich weiß, wie weh es tut, manches Halbwissen, Klischee und Vorurteil stehenlassen zu müssen, weil man dagegen (erstmal) nicht ankommt und das Wissen von Autistinnen, Autisten und Eltern leider nicht immer ernst genommen wird.
Aber wir können nicht die ganze Welt retten und wir dürfen nicht vergessen, unsere eigenen Bedürfnisse weiterhin bewusst wahrzunehmen – denn diese Fähigkeit ist eine Grundlage für Empathie und die Grundlage dafür für sich selbst und für seine Kinder zu sorgen.

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