Viele Gewohnheiten, die wir als autistische aber auch nichtautistische Menschen haben, machen Sinn und helfen uns.
Trotzdem kann es lohnend sein, Rituale und Abläufe, die Teil unseres Lebens sind, zu hinterfragen. Manche kann man vielleicht getrost vernachlässigen, andere hingegen als äußerst sinnvoll bestätigen.
Schön, wenn das in einem konstruktiven und wertschätzenden Austausch geschieht, wie die „sonderbaren Nachbarn“ das in ihrem Gastbeitrag beschreiben.
Gastbeitrag:
Viele Gewohnheiten, die wir haben, sind absolut schlüssig, machen Sinn und erklären sich von selbst weil sie unseren Alltag strukturieren, einfacher planen lassen und uns nicht zuletzt Sicherheit geben, das Chaos um uns herum ertragen zu können.
Je älter mein Kind (Asperger Autistin) wird, um so kritischer hinterfragt sie sich selbst: was denken wohl andere darüber, dass ich genau diese Gewohnheit brauche, um einen guten Tag zu haben? Brauche ich diese Gewohnheit wirklich noch? Muss ich mir etwas Neues einfallen lassen, weil neue Herausforderungen auf mich zukommen? Bremst mich die „alte Gewohnheit“, um groß zu werden?
Aus diesen Gedanken heraus haben wir beschlossen, einen Frühjahrsputz im Gewohnheitsschrank zu planen. Denn irgendwie verhält es sich mit manchen Gewohnheiten so, wie bei Frischhaltedosendeckeln: die Dose ist schon lange kaputt, den Deckel finde ich aber nach Jahren immer noch in meiner Küche wieder… man könnte ihn ja noch brauchen!
Wir haben unsere Gewohnheiten aufgeschrieben und es wurden zwei sehr lange Listen. Dann markierten wir die Punkte nach sehr wichtig und nicht so wichtig. Am Ende blieben immer noch sehr viele nicht so wichtige Gewohnheiten auf beiden Listen übrig. Entscheidend war für uns, nicht über den anderen zu urteilen, ob es eine schlechte oder gute Gewohnheit ist und schon gar nicht uns gegneseitig auszulachen.
Wir tauschten die Listen aus und markierten wieder, was aus persönlicher Sicht keinen Sinn macht.
Da kam dann z. B. raus, eine leere Brotdose mit in die Schule zu geben, weil die ja immer in die Büchertasche kommt, auch wenn es Schulfrühstück gibt und kein Brot von zuhause mitgenommen wird. Mit Brot macht klar Sinn, aber ohne? Autisten werden das verstehen..
Ist es noch eine sinnige Gewohnheit, erst zu frühstücken und dann ins Bad zu gehen? Das Haus samstags zu putzen? Die Büchertasche sonntags schultauglich vorzubereiten?
Am Ende blieben immer noch viele nicht so wichtige Gewohnheiten übrig und wir gingen es an, am ersten Tag zwei weg zu lassen oder sie zu ändern, am nächsten 4 usw..
Abends haben wir dann ausgewertet nach bleibt oder bleibt nicht.
Nach vier Wochen Frühjahrsputz können wir stolz feststellen, dass wir wieder Platz für neue Ideen in unserem Gewohnheitsschrank haben. Viele alte sind aber auch wieder zurück in den Schrank gekommen, wer weiß, vielleicht sondern wir sie im nächsten Jahr aus.
Zwischendurch war ein bisschen Chaos, was wir aber meistens mit Humor nehmen konnten.
Wir haben diese Zeit sehr genossen, viel gelacht und viel über den anderen erfahren, was uns wirklich wichtig ist und was vielleicht mal wichtig war und warum.
Unser Fazit, es hat sich richtig gelohnt, mal wieder auszumisten und sicher wird unser Frühjahrsputz zu einer unserer gemeinsamen festen Gewohnheit werden.
Zum Weiterlesen: Wir sind die sonderbaren Nachbarn.