Jana, alleinerziehend: „Autismus ist echt. Den gibt es wirklich. Auch, wenn ihr ihn nicht sehen könnt.“

veröffentlicht im April 2018


„Ich organisiere mich besser als ein Topmanager,“ erzählt Jana – sie ist alleinerziehende Mutter eines autistischen Sohnes. Im Interview erzählt sie mir über ihr Familienleben und hat ein paar Tipps parat.

Liebe Jana, Du bist alleinerziehende Mutter. Welche Diagnose hat Dein Sohn?

Mein Sohn ist 11 Jahre alt und hat die Diagnosen Asperger Autismus und ADHS.

Wie macht sich der Autismus in Eurem Leben bemerkbar? Was sind die größten Herausforderungen?

Der Autismus durchdringt alles. Wie der Sand beim Strandurlaub.
Vor allem das Alltägliche macht sich am meisten bemerkbar. Da, wo es bei anderen einfach läuft, geht es bei uns oft nur schleppend voran. Händewaschen führt z.B. ganz schnell zur langen Diskussion. Manchmal läuft eins gut, dafür laufen dann vier andere Dinge wieder schlecht oder gar nicht. Jeder Tag ist wie eine Wundertüte, die es früher als ich Kind war zu kaufen gab.

Die größte Herausforderung ist die Betreuung von Constantin. Er kann nur kurz alleine bleiben, und ich muss in der Nähe sein, so dass ich innerhalb von wenigen Minuten zu Hause wäre.

Wie organisierst Du Dich als alleinerziehende und berufstätige Mutter?

Ich denke ich organisiere mich besser als ein Topmanager. Wenn jemand Bedarf hat in den oberen Reihen… :-)
Jede alleinerziehende Mutter muss mehr oder weniger viel organisieren. Gerade wenn Sie den verständlichen Anspruch hat, arbeiten zu gehen. Mit einem älteren Kind wird vieles einfacher, da alleine bleiben usw. eine gute Entlastung ist.

Mit meinem autistischen Kind ist es wie mit einem Kleinkind. Ich muss immer alles genau planen, durchrechnen, durchdenken und habe immer einen Plan B in der Hinterhand. Das kostet viel Kraft und Zeit.
Constantin geht in der Woche bis 15 Uhr in die Schule, ich arbeite bis 16 Uhr, ebenfalls in einer Schule. Also fahre ich mit dem Rad zur Arbeit, um unabhängig zu sein. Egal bei welchem Wetter. Zur Not schaffe ich 5 km auch in 5 min.
Mein Handy habe ich immer an, weil es sein kann, dass die Schule anruft und nicht weiter weiß. Ersten Fehler entdeckt? Das ist natürlich nicht erlaubt. Handys in der Schule….

Meinen Einkauf bestelle ich. Alles andere eigentlich auch. Der Einzelhandel hat an mir keine Freude, aber es ist wirklich einfacher, wenn ich mir die Dinge nach Hause liefern lasse.

Hörbücher sind toll, da ich diese auf Pause drücken kann und fast überall (bei der Hausarbeit) hören kann. Hilft auch, wenn Constantin mal wieder nachts schreit und nach zwei Stunden einschläft. Ich bin dann nämlich wach und muss am nächsten Tag arbeiten.
Hausarbeit ist bei mir eingeteilt. Ich putze immer nur eine Stunde. Feste Zeiten gibt es nicht. So bleibt es überschaubar und flexibel.

Gibt es häufig Engpässe in der Versorgung und Begleitung von Constantin, in denen Du flexibel reagieren musst?

Das ist ein wichtiger Punkt. Er macht mir am meisten Sorgen.
Die Verhinderungspflege deckt in unserem Pflegegrad ca. 100 Stunden im Jahr ab. Hört sich erstmal viel an, ist es aber nicht. Im Jahr 2017 hatte ich Ende März die komplette Verhinderungspflege aufgebraucht. Ich habe Konferenzen, Spätdienste, Elternsprechtage und Feste auf Arbeit. Die beginnen alle erst spät. Da brauche ich jedes Mal eine Verhinderungspflege, die sich um Constantin kümmert. Andere Alleinerziehende haben das nicht. Was machen die?
Was ich mache, wenn die Verhinderungspflege ausgeschöpft ist, weiß ich nicht. Im letzten Jahr wurde ich länger krank und brauchte sie nicht mehr.

Wer unterstützt Dich? Kannst Du Dich auf bestimmte Menschen verlassen?

Leider habe ich keine Familie. Unterstützung gibt es demnach kaum. Meine Freundinnen versuchen, immer mal zu helfen. Da wo es aber am wichtigsten für mich ist, bei der Betreuung von Constantin, können sie mir nicht helfen. Sie gehen alle selbst arbeiten und haben Kinder. Gleichzeitig kann ich mich auf meine Freunde immer verlassen!

Was müsste sich aus Deiner Sicht für Alleinerziehende in der Gesellschaft verändern?

Oh das ist eine sehr komplexe Frage. Ich versuche mal, das für mich Wichtigste aufzuschreiben.
Neben einer Steuerentlastung ist der größte Punkt die Betreuung der Kinder. Ja, der Hort und die Kita betreuen stellenweise von 6 bis 18 Uhr. Nur gibt es viele Jobs, die andere Arbeitszeiten haben. Da man ja nicht mit Ergreifung eines Berufes damit rechnet, irgendwann alleinerziehend zu sein, ist das eben nicht planbar.

Die Flexibilität von Arbeitgebern ist sehr wichtig. Es gib immer wieder Firmen, die das toll vormachen (vaude usw.) Diese Firmen bekommen engagierte Mitarbeiterinnen, die die Organisationsfähigkeit von Topmanagern haben. Firmen sollten demnach die Ressourcen der MitarbeiterInnen viel mehr ausloten.

Die Anerkennung Alleinerziehender ist noch ein wichtiger Punkt. Wir sind weder Opfer oder Männerhasser. Ach und nur weil wir alles so fein alleine hinbekommen, wollen wir das nicht immer. Uns bleibt nur nichts anderes übrig.
Lasst uns Netzwerke gründen. Dann tragen alle immer nur einen kleinen Teil der Last.

Zuletzt möchte ich noch die Krankenkassen erwähnen. Wenn diese mal leichter etwas Wichtiges bewilligen würden (Hilfsmittel), und einmal weniger Yoga als Prävention anbieten würden, wäre einigen nachhaltig geholfen. Als Challenge an alle Krankenkassen: baut ein Konzept auf, was im Besonderen auf Alleinerziehende mit und ohne Kinder mit Einschränkungen abzielt. Testet das mal zwei Jahre und seht euch die positiven Effekte an.

Du bist selbst Pädagogin. Was würdest Du Deinen Kolleginnen und Kollegen gerne zum Thema Autismus mit auf den Weg geben?

Mmhhh ich glaube, wenn meine Kollegen immer ein offenes Ohr, ein großes Herz und einen wachen Verstand für alle Kinder haben, individuell auf ihre Bedürfnisse eingehen und sich als Begleiter verstehen, dann hat jedes Kind die Basis an Beziehung, die es braucht um zu wachsen. Egal ob Autist oder nicht.
Wenn ihr euch mit dem Thema nicht auskennt, fragt nach! Unwissenheit ist nicht schlimm, nur die Weigerung zum Wissenserwerb.

Wie geht es Dir als Mutter? Hast Du Zeit, auf Deine eigenen Bedürfnisse zu achten?

Mutter? Da war mal so ein Bild in meinem Kopf. Aus Baby wird Kind und wir leben hier miteinander in die Welt hinein. Mit allen Höhen und Tiefen. Nur kam es eben anders.
Seit der Diagnose von Constantin geht es mir als Mutter wieder besser. Neun Jahre habe ich mich gefragt, ob ich eine gute Mutter bin oder überhaupt eine.
Ja mir geht es als Mutter ganz gut. In der Rolle als Mutter. Zeit für eigene Bedürfnisse gibt es leider kaum. Da muss man erfinderisch sein. Das stärkt dann gleich mal die Kreativität.
Am besten macht man sich eine Lebensliste. Das, was man im Leben so alles machen will. Mal in eine riesige Pfütze springen, Meditation lernen oder einen Hamster großziehen (der ist nach zwei Jahren im Himmel, falls es nicht klappen sollte). Diese Liste kann man immer erweitern und abändern. So bleibt man bei sich selbst.

Was ist Dir sonst noch wichtig zu sagen?
Autismus ist echt. Den gibt es wirklich. Auch, wenn ihr ihn nicht sehen könnt.
Informiert euch, macht ihn bekannt und lernt mit ihm umzugehen.
Nein anders, ich möchte, dass alle Menschen so miteinander umgehen, wie sie es für sich selbst verlangen.


***

zum Weiterlesen:

Susanne, alleinerziehend mit autistischem Sohn:“Gesellschaftliche Akzeptanz und bessere Arbeitszeiten würden viel helfen.“

Zum Weiterlesen:

KOMMENTARE

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  1. Gut geschrieben !
    Und spricht mir aus der Seele.
    Ich bin auch alleinerziehend mit einem frühkindlichen Autisten.
    Auch ich gehe arbeiten -arbeite in der Altenpflege und das ist zur Zeit ein sehr
    harter Job ,da man oft unter bescheidenen Bedingungen arbeiten muss .
    Aber auch da muss man immer freundlich und einfühlsam sein-genauso dann nach Dienstschluss zu Hause bei meinem Kind.
    Er versteht es nicht wenn die Mama traurig oder kaputt ist -Er möchte Ihre ganze Aufmerksamkeit.
    Also bleibt auch für meine ganz persönlichen Wünsche kaum Zeit und Raum.
    Aber trotz allem bin ich gerne Mutter und wachse mit den Aufgaben des alltäglichen Wahnsinns :-)
    In diesem Sinne- aufgeben gibt es nicht !!!
    LG Manu und Sohn Luis

  2. Ja , so ist das , aber nicht nur für Alleinerziehende. Obwohl es in dem Fall noch schwieriger ist alles unter einen Hut zu bringen weil wirklich kein Anderer da ist der auch nur eine einzige Aufgabe übernehmen kann. Und Freunde sind zwar da aber ob die dann auch dafür geeignet sind nach dem Kind zu schauen dass eben seine ganz eigene Art hat und dadurch entlasten können ist noch ne ganz andere Frage. Die sind dann eher da damit man selbst mal Abwechslung hat.
    So ist es jedenfalls bei mir und ich bin nicht Alleinerziehend . Hab allerdings zwei Autisten , einen NT Sohn , einen Mann der auch nicht immer einfach ist und bis 2017 hatte ich noch meine Mutter zu pflegen. Arbeiten war da einfach nicht möglich. Also ich hätte es einfach nicht noch irgendwo rein schieben können. Zwischendurch war der NT Sohn auch noch schwer erkrankt. Der jüngste gerade dabei eine Diagnose zu bekommen und es gab viel zu organisieren. Zusätzlich zur praktischen Arbeit . Seit August letzten Jahres ist der älteste im Wohnheim wo auch immer wieder Fragen auftauchen die individuelle Lösungen erfordern und Situationen die erst mal analysiert werden müssen. Seit letztem Jahr nimmt er auch Medikamente die er nicht so gut verträgt was wieder Nebenwirkungen und Verhaltensauffälligkeiten zur Folge hat und dann neu eingestellt oder abgesetzt werden muss. Und immer wieder die Frage zu klären ist müssen die Psychpharmaka überhaupt sein . Eigentlich bräuchten wir noch etwas Geld für die Haushaltskasse aber ich fühl mich wie jemand der hundert Jahre Schlaf braucht und kann mich nicht aufraffen und mir einen Job suchen.
    Naja ich hab viel zu viel von mir geschrieben. Ich finde du machst das ganz toll und bewundere dich dafür wie du das alles allein schaffst.
    Liebe Grüße

  3. Liebe Jana,
    Du sprichst mir aus der Seele. Ich sehe sehr viele Parallelen zwischen Eurem und unserem Leben :) Ich habe zum Glück noch eine erwachsene Tochter, aber da sie noch in der Ausbildung ist, auch keine Ideallösung. Und ich kann meinen Sohn relativ gut alleine lassen. Solange ich erreichbar bin. Da ich 12-Stunden-Schichten habe und immer auf der Straße unterwegs bin, muss man sich da auch oft sehr kreative Spontanlösungen einfallen lassen. Aber du hast Recht: Wir sind besser organisiert als mancher Topmanager :)
    Respekt an dich und an alle, denen es genauso geht!

    1. Liebe Sabrina, vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich kann gut verstehen, dass das absolut anstrengend für Euch alle ist. Vielleicht findest Du im Blog noch ein paar Beiträge, die Dir Ideen geben, z.B. zu den Themen Struktur und Sicherheit, auch zum Thema Pubertät findest Du einige Texte.
      Ich wünsche Dir viel Kraft und Geduld, alles Gute für Dich und Deine Jungs, Silke alias Ella

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