Urlaub am Nisser in Norwegen: „Es sah alles aus, wie auf den Bildern, fast zu schön um wahr zu sein.“

veröffentlicht im August 2023


Luisa ist Leserin von Ellas Blog und verbrachte kürzlich mit ihrer sechsköpfigen Familie Urlaub in unserem Ferienhaus in Norwegen. Wie es dazu kam und wie es geklappt hat, erzählt sie im Interview:

©Silke Bauerfeind, Ferienhaus in Norwegen

Liebe Luisa, Du hast eine große Familie inklusive autistischem Kind – erzähl doch bitte mal kurz, wer ihr seid.

Wir sind eine sechsköpfige Familie, in der es fast immer turbulent, laut, bunt und wild zugeht. Wir wohnen in einem kleinen Dorf mit ca. 400 Einwohnern. Hier ist es ruhig und idyllisch.

Unser ältester Sohn Michel ist 11 Jahre alt und bekam in der ersten Klasse die Diagnose ASS. Uns war von Anfang an bewusst, dass Michel „besonders“ war. Die Kindergärtnerinnen hatten allerdings so eine gute und innige Beziehung zu ihm, dass er in der gesamten Kindergartenzeit keine zusätzliche Unterstützung benötigte. In der Schule merkten wir dann schnell, dass er jemanden an seiner Seite brauchte und seit der zweiten Klasse hat er eine vollumfängliche Schulbegleitung.

Michel ist ehrlich, lustig, innig, pur und sehr radikal. Michel kennt unfassbar viele Dinosaurierarten. Er hat schon immer eine Neigung zu allem Altem. Wenn früher von anderen Kindern „Vater-Mutter-Kind“ gespielt wurde, war er der Uropa. Er liebt die Natur, hat allerdings schon als kleines Kind draußen Handschuhe getragen, wenn er etwas aufheben wollte, das ihm gefiel. Wenn Michel die Möglichkeit hätte, immer alles genau so zu haben wie er es braucht, würde er im gewohnten Umfeld möglicherweise gar nicht so sehr auffallen. Wären da nicht noch die anderen Menschen…

Michel hat drei kleine Geschwister. Jedes unserer Kinder ist herrlich, individuell und bedürftig, herzlich und kreativ. Aber die Kombination ist manchmal toxisch…
Unser Alltag richtet sich nach Michels Bedürfnissen. Das heißt, dass sich fünf andere Menschen diesen Bedürfnissen unterordnen müssen. Uns Erwachsenen kann man so etwas abverlangen. Aber anderen Kindern gegenüber ist das wirklich schwer. Man kann weder dem Einen, noch dem Anderen gerecht werden.

Wie habt ihr in den vergangenen Jahren eure Urlaube verbracht?

Wir waren in den vergangen Jahren immer auf dem gleichen kleinen Bauernhof in einem sehr kleinen Dorf an der Nordsee. Dort gibt es fünf Stellplätze und fünf Ferienwohnungen. Anfangs waren wir mit dem Wohnwagen dort, später sind wir dann in eine Ferienwohnung gegangen. Das Haus hat auf drei Seiten keine Nachbarn und es ist nicht weit zum Deich. Michel liebt den Wind und das Meer.

Die letzten drei Jahre war meine Schwester mit dabei. Sie wohnte nicht weit von uns und war oft mit uns gemeinsam unterwegs.

Was war dabei schwierig und besonders zu beachten?

Es ist grundsätzlich nicht leicht, etwas Geeignetes für so viele Personen zu finden. In der Ferienwohnung an der Nordsee gibt es ein Kinderzimmer mit vier eher kleinen Betten und ein Elternschlafzimmer mit großem Doppelbett. Bei uns sieht das dann so aus, dass Michel das Doppelzimmer bezieht und wir fünf anderen im Kinderzimmer schlafen. Michel braucht unbedingt einen Rückzugsort für sich. Wenn Michel sich einen Sitzplatz oder Sessel ausgesucht hat, darf sonst niemand dort sitzen. Für die kleinen Geschwister ist das oftmals frustrierend und sie empfinden es verständlicherweise als ungerecht.
Michel muss sich als erstes all diese Dinge aussuchen, weil es ihn ansonsten überfordert.

Schwierig wird es vor allem dann, wenn andere Menschen dazu kommen. Wenn die kleinen Brüder sich mit anderen Kindern anfreunden, oder andere Menschen am Deich sind.

Da wir auf dem Land leben, müssen wir quasi überall hin mit dem Auto fahren. Schon eine Fahrt von 10 Minuten kann heikel werden, wenn Michel sich auf seinen kleinen Bruder eingeschossen hat. Da bin ich froh, wenn wir alle trotz Gekämpfe und Gekreische heil zu Hause ankommen. Zu den Hoch-Zeiten dieses Dilemmas mussten wir tatsächlich mit zwei Autos an die Nordsee fahren. Es war nicht möglich, dass Michel gemeinsam mit seinen Geschwistern auf so engem Raum so viel Zeit verbringt.

Was hat gut geklappt in euren Urlauben an der Nordsee?

Es war sehr gut, dass Michel den Hof von klein auf kannte. Das erste Mal war er als Baby dort. Er wusste, was ihn dort erwartet. Es veränderte sich nicht. Die Programmpunkte blieben die Gleichen. Deich, Tierpark, Pizza essen gehen, Watt erkunden und von vorne. Glücklicherweise hat das den Anderen auch Spaß gemacht. Letztes Mal war Michel mit seinem Papa an einem Nachmittag im Kino und ich konnte mit den „Kleinen“ und meiner Schwester Fußballgolf spielen.

Nun wart ihr dieses Jahr eine Woche in unserem Ferienhaus in Norwegen am schönen Nisser. Wie kam es dazu? Was hat euch dazu bewogen, genau dort Urlaub machen zu wollen?

Es war gerade einer der sehr seltenen Momente, in denen ich kurz alleine auf der Toilette war und niemand etwas von mir wollte…
Da kam Dein Newsletter herein geflattert mit dem Hinweis auf Euer Ferienhaus am Nisser.
Ich habe diesen Newsletter gelesen und die Bilder angeschaut und hatte das Gefühl, dass das einfach wie für uns gemacht ist.
Meinen Mann zieht es schon immer in den Norden, ihn musste ich nicht lange überreden. Und so hatten wir ziemlich schnell und – für Eltern eines autistischen Kindes – unverschämt spontan entschieden, das Ferienhaus und den schönen Nisser kennenzulernen. Ich schickte meiner Schwester den Link und sie gab kurz darauf Bescheid, dass sie mitkommen würde.

Habt Ihr den Urlaub auf eine besondere Art und Weise vorbereitet?

Ja. Wir haben zu allererst mit Michel gesprochen. Michel lässt sich gut mitreißen. Wir haben also voller Euphorie und Freude vom Ferienhaus und der Umgebung erzählt und ihn so gut erreicht. Wir schauten uns gemeinsam die Fotos am Computer an und er war begeistert von der Nähe zum See und der Natur.
Wir überlegten gemeinsam, welches ein gutes Zimmer für ihn wäre. Diese Pläne warf er vor Ort allerdings über den Haufen und wir Anderen mussten damit umgehen.

Die größte Herausforderung war die Fahrt. Wir beschlossen, auf dem Hinweg einen Zwischenstopp in einem Hotel zu machen und anschließend die Fähre zu nehmen. Die Fallhöhen hierbei sind wahrscheinlich Vielen bewusst…
Außerdem war es wichtig, wie immer möglichst viele bekannte Dinge von zu Hause mitzunehmen, zum Beispiel seine Decke, die richtigen Nudeln, usw.

Wie hat es geklappt? Habt ihr vorgefunden, was ihr erwartet hattet?

Als wir in der Hytte ankamen war es bereits sehr spät und alle waren müde. Doch der erste Blick in den Wohnraum, das Hinaustreten auf die Terrasse, das Bestaunen dieses wundervollen Ortes waren unglaublich. Es sah alles aus, wie auf den Bildern, fast zu schön um wahr zu sein.

Michel entschied sich sofort, auf der Galerie zu schlafen. Dies war sehr ungewöhnlich, da es sich nicht um einen abgeschlossenen Bereich handelt und er alles, was im Wohnraum passierte, mitbekam.

©Luisa, Urlaub am Nisser

Wie habt ihr euren Urlaub vor Ort organisiert, was habt Ihr unternommen?

Da wir nur eine Woche lang in Norwegen waren und eine so lange Fahrt hinter uns hatten, wollten wir nicht so oft längere Wege mit dem Auto zurücklegen. Nur zu den „Trollhöhlen“ wollten wir mit dem Auto fahren und den Wanderweg dort erkunden. Dieser Ausflug endete in einem Fiasko, es war einfach nicht möglich, dass Michel Zeit mit seinen kleinen Brüdern verbrachte. So versuchten wir den Spagat zwischen ‚Michel Ruhe verschaffen’ und ‚unbeschwerter Ausflug für die Kleinen‘.

An den restlichen Tagen teilten wir uns schweren Herzens auf. Ein Erwachsener machte am Nachmittag einen Ausflug mit Michel, die anderen Beiden machten etwas mit den drei Kleinen. Dies erwies sich als sehr gute Lösung.
Wir verbrachten die Vormittage an der Hytte und auf dem Spielplatz. Nachmittags fuhren wir ein kleines Stück mit dem Auto und erkundeten die Strände, die Felsen, Wasserfälle und Wälder um uns herum.

Konntest Du die verschiedenen Bedürfnisse Deiner Familienmitglieder unter einen Hut bringen und hat das Ferienhaus z.B. durch die Räumlichkeiten dazu beigetragen?

Die verschiedenen Bedürfnisse meiner Familienmitglieder lassen sich kaum unter einen Hut bringen. Aber genau hierfür hatten wir einige unterstützende Umstände.
Zum Einen waren es die Räumlichkeiten, die einfach perfekt zu uns passten. Meine Schwester hatte eine Hytte für sich, mit eigenem Bad und Sauna. Die zweite Nebenhytte war der „Safe Place“ für Michel. Er zog sich tagsüber oft dorthin zurück, auch wenn er nachts stets zurück auf die Galerie zog.

Alle drei Hytten sind unheimlich liebevoll eingerichtet, schlicht und gemütlich, hell und warm. Die natürlichen Materialien machen eine wunderschöne Atmosphäre, man ist umgeben von viel Holz und Stein. Es gibt keine grellen Farben und keine unnatürlichen Materialien und somit keine optische oder haptische Reizüberflutung für Michel.
Wir waren von sehr wenigen Menschen umgeben. Viele Hytten um uns herum waren zu der Zeit nicht belegt und mir wurde erst vor Ort bewusst, welchen Unterschied die verhältnismäßig geringe Einwohnerzahl Norwegens ausmacht.

©Luisa, Urlaub am Nisser

Urlaub mit Familie und insbesondere autistischen Kindern sind ja nicht unbedingt erholsam. Konntest du trotzdem die norwegische Luft und Natur genießen?

Definitiv! Urlaub ist für uns eher ein Kraftakt, als eine Ruhepause. Zum Ausruhen ist unser Urlaub einfach nicht da, das ist in Ordnung so.
Genau deshalb ist es so wertvoll, in solch einer Umgebung sein zu dürfen. Die Hytte als gemütliches Zuhause, der unfassbare Ausblick auf den See, die Dachterrasse und die faszinierenden Steine hinter dem Haus. All dies bescherte uns Glücksmomente. Und ich hatte meine persönlichen Highlights beim all-abendlichen Wäsche aufhängen in dieser atemberaubenden Kulisse…

Was uns zusätzlich entspannt hat, waren die wenigen Menschen um uns herum. Wir hatten ausschließlich die Hürde ‚Familie‘, mit der Michel zurecht kommen musste. So musste er keine fremden Menschen einschätzen, und wir mussten sein Verhalten oder „Benehmen“ nicht ständig rechtfertigen und erklären.

Was würdest du Familien mit autistischen Kindern für eine Urlaubsreise raten? Was sind aus Deiner Sicht Punkte, die unbedingt gegeben und organisiert sein müssen?

Zu allererst sollte der Urlaubsort natürlich für das Kind geeignet sein. Hierbei sind die Umgebung, unter Umständen die barrierefreie Nutzungsmöglichkeit, die räumlichen Strukturen und vieles mehr von Bedeutung.

Bei uns ist es sehr wichtig, dass Michel weiß, was ihn erwartet.
Hierfür kann man Bilder von dem Ort ansehen, an den man gehen wird, auf der Landkarte schauen oder eine Kartenapp nutzen.

Man kann die wichtigsten Wörter lernen, oder nach lustigen Wörtern schauen (z.B. „grillede Kyllingklubber“ für „gegrillte Hähnchenkeule“).

Die Reiseetappen sollten gut geplant und kommuniziert sein. Hierfür können Bilder von Unterkünften und Fahrzeugen, die Streckenführung etc. genutzt werden.

Dinge, die im Alltag Halt geben und wichtig sind, sollten unbedingt beibehalten oder mitgenommen werden. Hierfür kommen Gegenstände, aber auch Lebensmittel, Waschmittel etc. in Frage.

Und bei aller guten Planung sollte klar sein, dass man jederzeit auf neu aufkommende Bedürfnisse eingehen können muss. Für uns bedeutet dies, dass wir es so machen, wie Michel es braucht und alle anderen puzzeln sich drum herum.

Ist Dir sonst noch etwas wichtig?

Ich möchte mich nochmal ganz herzlich bei Dir und Deinem Mann bedanken. Ihr habt da wirklich einen tollen Platz gefunden und ich finde es so schön, dass ihr dies mit anderen Menschen teilt. Die Kommunikation im Voraus hat super geklappt, es kamen sehr genaue Informationen zu all meinen Fragen, das hat es sehr gut planbar gemacht.

Ich wünsche noch ganz vielen Familien die Möglichkeit, dieses tolle Angebot zu nutzen. Wir kommen ganz bestimmt wieder.

Ach wie schön, liebe Luisa. Ich freue mich sehr, dass ihr trotz der schwierigen Konstellationen eine schöne Zeit am Nisser verbringen konntet. Ich fühle mich auch jedes Mal wieder „geheilt“ und „aufgetankt“, wenn ich von dort komme. Gebt gerne Bescheid, wenn es wieder losgehen soll :-)

Wenn du jetzt neugierig geworden bist und dir auch vorstellen kannst, Zeit in unserem Ferienhaus am Nisser zu verbringen, schau dich mal auf DIESER Seite um.

Zum Weiterlesen:

KOMMENTARE

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird NICHT veröffentlicht. Alle Pflichtfelder sind mit einem * markiert.

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

Das Forum plus ist der Mitgliederbereich von Ellas Blog

Es ist immer wieder überwältigend, was wir als Eltern autistischer Kinder bedenken, organisieren und verarbeiten müssen. Neben viel Wissen und Erfahrungen, die du hier im Blog findest, ist eine solidarische Gemeinschaft unglaublich hilfreich. Das Forum plus ist ein geschützter Bereich nur für Eltern autistischer Kinder. Hier findest du außer praktischen Tipps viel Verständnis und Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen wie Du.

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner Skip to content