Neues Betreuungsrecht kurz und knapp zusammengefasst – das musst du wissen

veröffentlicht im Mai 2023


Die Betreuungsrechtsreform 2023 stellt bei der rechtlichen Betreuung mehr Selbstbestimmung für die Betreuten und die Qualität der Betreuung in den Fokus. Was du über die Voraussetzungen, Beantragung und Aufgabenbereiche für eine rechtliche Betreuung wissen musst, wenn dein Kind volljährig wird, lies hier im Beitrag.

Es gibt inzwischen viele informative Seiten, die das Thema neues Betreuungsrecht seit 2023 sehr gut aufbereitet haben. Trotzdem werde ich immer wieder danach gefragt. Daher soll es nun auch hier auf Ellas Blog einen Platz finden, damit ihr nicht weiter recherchieren und suchen müsst.
Der Beitrag stellt keine Rechtsberatung dar. Wenn ihr weiterführende Fragen habt, wendet euch bitte an das Betreuungsgericht, eine Beratungsstelle oder eine Anwältin bzw. einen Anwalt.

Rechtliche Betreuung – wann es dich betrifft

Wenn dein Kind volljährig wird, ist es normalerweise selbst für seine Angelegenheiten verantwortlich.
Als Elternteil kannst du dann zum Beispiel nicht mehr automatisch Anträge stellen oder Verträge für dein Kind abschließen. Alle Angelegenheiten, wie z.B. Leistungen der Eingliederungshilfe, Einwilligungen für medizinische Untersuchungen und Behandlungen, Verträge mit Einrichtungen oder Ausbildungsbetrieben usw. obliegen dann der Eigenverantwortung deines Kindes.

Was ist aber, wenn dein Kind dazu nicht in der Lage ist? Dann wird häufig eine rechtliche Betreuung bestellt.
Wichtig ist dabei zu unterscheiden, ob dein Kind für das Herleiten von Entscheidungen, also beim Sammeln aller relevanten Informationen für eine Entscheidung, Unterstützung braucht und dann durchaus selbst in der Lage ist, auf Grundlage der Fakten eine Entscheidung zu treffen – oder ob dies nicht möglich ist.
Im ersten Fall würde keine rechtliche Betreuung notwendig sein – im zweiten Fall schon.

Denn es gibt auch das sog. Verfahren der erweiterten Unterstützung, mit dem für das Regeln der eigenen Angelegenheiten für einen zeitlich begrenzten Rahmen durch die Betreuungsbehörde unterstützt wird. Damit kann zunächst versucht werden, eine Betreuung zu vermeiden bzw. eine spätere Betreuung auf möglichst wenige Aufgabenbereiche zu begrenzen.
Falls du dieses Verfahren in Betracht ziehen solltest, frage aktiv beim Betreuungsamt danach, weil es nicht immer von deren Seite als Alternative angesprochen wird. Wichtig ist, dass dein Kind die erweiterte Unterstützung selbst möchte, aktiv daran mitwirken kann und dieser zustimmt.

Rechtliche Betreuung beantragen

Du kannst proaktiv beim Betreuungsgericht eine Betreuung für dein Kind anregen. Du legst dar, warum eine rechtliche Betreuung notwendig ist und kannst einen Betreuer oder eine Betreuerin für dein Kind vorschlagen, zum Beispiel dich selbst, auch gemeinsam mit dem anderen Elternteil, einem Geschwister oder einer anderen Person, wenn gewünscht.
Du brauchst niemanden vorschlagen und musst die Betreuung nicht selbst übernehmen, dann wird das Gericht einen rechtlichen Betreuer einsetzen. Das kann zum Beispiel eine Person sein, die diese Tätigkeit beruflich ausübt und mehrere Klienten betreut.
Die Betreuung kann auch durch Dritte angeregt werden.

Dein Kind kann selbst vorschlagen, wen es sich als BetreuerIn wünscht und wen es womöglich keinesfalls als BetreuerIn haben möchte. Da das Gericht eine ehrenamtliche Betreuung aus dem familiären Kreis generell begrüßt, wird es von sich aus (sofern keine anderen Vorschläge oder Bedenken vorliegen) eine solche Betreuung normalerweise anregen. Die Wünsche des Betreuten, was die Auswahl des oder der Betreuer angeht, muss das Gericht berücksichtigen, sofern keine gravierenden Gründe gegen diejenige Person vorliegen bzw. sich die Person nicht zum Betreuer eignet.
Es können auch mehrere rechtliche Betreuer bestellt werden.

Damit dein Kind mit Vollendung des 18. Lebensjahres sofort über eine rechtliche Betreuung verfügt (sofern erforderlich), solltest du dich rechtzeitig, am besten einige Monate vorher, darum kümmern.

Das Betreuungsgericht wird nach Antragstellung überprüfen, ob eine Betreuung nötig ist und wenn ja, in welchen Teilbereichen.
Dafür wird auf jeden Fall dein Kind, du als mögliche BetreuerIn (oder eine andere Person, die die Betreuung übernehmen soll) und ggf. eine VerfahrenspflegerIn beteiligt. Dies immer dann, wenn es z.B. auch um freiheitsentziehende Maßnahmen geht oder dein Kind nicht sprechen kann. Die Verfahrenspflege ist kein Zeichen von Misstrauen dir gegenüber, sondern wird hinzugezogen, um die Interessen und Wünsche deines Kindes zu wahren.
Zusätzlich werden ärztliche Gutachten und der Sozialbericht erstellt, die dabei unterstützen, den erforderlichen Betreuungsbedarf zu ermitteln.
Nach Erstellung der Gutachten und Berichte müssen diese nochmal an dein Kind bzw. an dich als Elternteil, sofern du die Betreuung übernehmen möchtest, übermittelt werden. Du kannst dann dazu noch Stellung beziehen.

Im Rahmen der Anhörung, die möglichst im gewohnten Umfeld stattfinden sollte, muss unbedingt auch dein Kind gehört werden. Der oder die BetreuungsrichterIn verschafft sich dabei ein persönliches Bild von der zu betreuenden Person, nachdem Gutachten und Sozialbericht übermittelt wurden.
Auch die Betreuungsbehörde und in der Regel, in jedem Fall, wenn sie als BetreuerInnen fungieren werden, Angehörige (Eltern, Geschwister) werden vom Betreuungsgericht angehört.

Neues Betreuungsrecht seit 2023

Seit Anfang 2023 gibt es das neue Betreuungsrecht. Es stellt mehr Selbstbestimmung und bessere Qualität in der rechtlichen Betreuung in den Fokus.

Es wird noch stärker auf die Erforderlichkeit einer rechtlichen Betreuung geachtet, damit diese nur dann eingerichtet wird, wenn es keine Alternativen, wie z.B. die erweiterte Unterstützung, Hilfe durch Sozialdienste, Familienmitglieder oder Beratungsstellen gibt.
Außerdem muss ausschließlich nach den Wünschen des oder der Betreuten gehandelt und entschieden werden. Dafür ist der regelmäßige Kontakt (auch durch Berufsbetreuer) notwendig, weil sonst nicht im Sinne der zu Betreuenden entschiedern werden kann.
Auch bei der Auswahl des Betreuers müssen unbedingt die Wünsche des Betreuten berücksichtigt werden.
Durch die neue Gesetzgebung ist auch der Wohnraum als persönlicher Lebensmittelpunkt besonders geschützt. Deshalb darf ein Betreuer nicht ohne Zustimmung des Betreuten dessen Wohnraum auflösen bzw. einen Umzug anordnen. Hier sind ebenso ausdrücklich die Wünsche des Betreuten zu berücksichtigen.

Grundsätzlich ist bei allen Entscheidungen maßgeblich, was der oder die Betreute möchte. Deren Wünsche dürfen nicht übergangen werden. Betreuer dürfen nicht über den Kopf ihrer Betreuten hinweg entscheiden. Das neue Betreuungsrecht legt auf diesen Umstand besonders viel Wert, macht aber auch deutlich, dass es bei der Erfüllung von Wünschen Grenzen gibt, sofern dabei Gefahren auftreten oder Wünsche unzumutbar oder faktisch nicht möglich sind.

Berufliche Betreuerinnen und Betreuer müssen sich mit dem Nachweis der persönlichen und fachlichen Eignung als solche registrieren lassen und eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen.
Ehrenamtliche Angehörigen-Betreuerinnen und Betreuer (wie zum Beispiel Eltern oder Geschwister) können durch einen Betreuungsverein unterstützt werden. Damit haben sie die Möglichkeit, kompetente Gesprächspartner bei Fragen der Betreuung an ihrer Seite zu haben.
Ehrenamtliche Fremd-Betreuerinnen und Betreuer (die keine familiäre oder persönliche Beziehung zum Betreuten haben), müssen sich an einen Betreuungsverein binden und sich regelmäßig fortbilden.

Aufgaben einer rechtlichen Betreuung

Individuell definierte Aufgabenbereiche ergeben den gesamten Aufgabenkreis

Achtung, das ist eine neue Begrifflichkeit zu früher, als es fest definierte Aufgabenkreise gab.
Fest definierte Aufgabenkreise („pauschale Pakete“ an Aufgaben) sind im Gesetzestext nicht definiert. Daher werden für jede rechtliche Bereuung konkret formulierte Aufgabenbereiche bestimmt, die keinem bestimmten Schema folgen. Das kann sich zum Beispiel im Bereich der Vermögenssorge, gesundheitlicher Fragen, vertragsrechtliche Gestaltungen, Aufenthaltsbestimmung und weiteren Bereichen bewegen und wird individuell formuliert und ausgestaltet.

Eine rechtliche Betreuung kann sich über mehrere Aufgabenbereiche erstrecken oder auch nur Teilbereiche abdecken. Auch hier gilt wieder, dass nur das, was erforderlich ist, in eine Betreuung inkludiert wird.
Eine Betreuung, die pauschal alle Angelegenheiten umfasst gibt, es nicht mehr, die Bereiche müssen jeweils vom Gericht einzeln geprüft, festgestellt und angeordnet werden.

Aufgabenbereiche, die explizit vom Betreuungsgericht angeordnet werden müssen

Folgende Entscheidungen dürfen nur dann durch einen Betreuer getroffen werden, wenn sie explizit von einem Betreuungsgericht angeordnet wurden. Sie können nicht in andere Aufgabenbereiche eingeschlossen oder hinein interpretiert werden:

freiheitsentziehende Maßnahmen oder Unterbringung
Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland
Bestimmung des Umgang des Betreuten und Reglementierung seiner Telefonate
Entgegennahme und Öffnen der Post

Selbstbestimmung als höchstes Prinzip – Unterstützung vor Vertretung

Grundsätzlich sollten BetreuerInnen in erster Linie dabei unterstützen, eigene Entscheidungen zu treffen und nicht über das Leben des Betreuten über dessen oder deren Kopf hinweg entscheiden. Das hohe Gut der Selbstbestimmung gilt weiterhin, so dass alle zu treffenden Enscheidungen immer miteinander besprochen werden müssen. Nur wenn notwendig, ist der rechtliche Betreuer vertretungsberechtigt.

Die Wünsche deines Kindes sind maßgeblich für alle Aufgaben der Betreuung, ganz gleich wer die Betreuung übernimmt. Dafür ist es natürlich erforderlich, regelmäßigen Kontakt zu haben, um überhaupt beurteilen zu können, was der Wille deines Kindes ist und um Missverständnisse zu vermeiden.

Rechtliche Betreuung bedeutet nicht automatisch, dass die Aufgaben der Pflege und Haushaltsführung beim rechtlichen Betreuer liegen. Dieser ist aber dafür verantwortlich, diese zu organisieren, wenn notwendig.

Da rechtlich betreute Personen handlungs- und geschäftsfähig bleiben, kann auch zu deren Schutz ein sog. Einwilligungsvorbehalt eingerichtet werden. Dieser kann in Hinblick auf vermögens- oder medizinische Themen erforderlich sein.

Zusammenarbeit mit dem Betreuungsgericht / Berichtswesen

Die oder der rechtliche Betreuer muss mit dem Betreuungsgericht zusammenarbeiten und regelmäßig berichten, wie es der betreuten Person geht, was sich verändert hat und welche wichtigen Entscheidungen getroffen wurden bzw. wie sich die Vermögensverhältnisse verändert haben.

Als ehrenamtliche AngehörigenbetreuerIn musst du nicht, aber kannst einen sog. Anfangsbericht abgeben, in dem u.a. die Wünsche, Pläne, Ressourcen und geplanten Maßnahmen, die im Rahmen der rechtlichen Betreuung voraussichtlich anfallen werden, dokumentiert sind.

Darüber hinaus sind Jahresberichte zu erstellen, in dem die wesentlichen Entwicklungen in verschiedenen Lebensbereichen (Vermögen, Medizin, Wohnen, ….) dargelegt werden. Dafür werden in der Regel Formulare mit konkreten Fragen zur Verfügung gestellt und ggf. Belege angefordert. Von der sog. Rechnungslegungspflicht bist du als ehrenamtliche Angehörigen-BetreuerIn befreit. Stattdessen musst du jährlich eine Vermögensübersicht vorlegen.

Für deine Tätigkeit als ehrenamtliche BetreuerIn kannst du eine jährliche Pauschale von derzeit 425,– Euro als Aufwandsentschädigung geltend machen. Wenn du diese Pauschale erstmalig beantragt hast, gilt sie automatisch weiter für alle Folgejahre.

Wie lange besteht eine rechtliche Betreuung?

Eine rechtliche Betreuung darf nur so lange bestehen, wie sie notwendig ist. Spätestens nach sieben Jahren muss überprüft werden, ob die Betreuung verlängert, eingeschränkt oder aufgehoben werden kann.
Bestehende rechtliche Betreuungen gelten erstmal über den 1. Januar 2023 hinaus weiter, bis im Zuge der regelmäßigen Überprüfung oder davon zeitlich abweichend das Betreuungsgericht die Aufgabenbereiche der rechtlichen Betreuung neu definiert hat.
Spätestens ab 1. Januar 2024 sollte die Anpassung jedoch erfolgt sein, weil dann eine Betreuung pauschal „in allen Angelegenheiten“ nicht mehr zulässig ist.

Was du noch beachten solltest

Weitere Themen, die im Zusammenhang mit einer rechtlichen Betreuung relevant sein könnten, sind die Vorsorgevollmacht, die Patienten- und Betreuungsverfügung oder das EhegattInnenvertretungsrecht. Falls erforderlich, informiere dich dazu bitte in einer Beratungsstelle.

Meine Ausführungen geben dir einen ersten Überblick über die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und können sich in der Aktualität verändern.
Bitte informiere dich zusätzlich unbedingt beim Betreuungsgericht oder bei einem Bereuungsverein in deiner Nähe über Formalitäten, Abläufe und Alternativen, um die Rechte deines Kindes bestmöglich zu wahren.

weitere Merkblätter und rechtliche Themen….

… findest du neben vielen anderen Themen in der Schatzkiste von Ellas Blog.

Zum Weiterlesen:

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