Das Thema „Gestützte Kommunikation“ (FC) wird häufig kontrovers diskutiert. Trotzdem ist es für einige nichtsprechende Autistinnen und Autisten eine Option, um sich mitteilen zu können. Auch Niklas schreibt hin und wieder gestützt, wenn auch nur äußerst selten, weil er mit der Gebärdensprache eine andere Methode für sich gefunden hat.
Ich wollte mehr über die Vorteile und Risiken des Gestützten Kommunizierens erfahren und fragte direkt beim FC- und Kommunikationsexperten Ludo Vande Kerckhove um ein Interview an. Er sagte trotz vollen Terminkalenders prompt zu, was mich sehr freute, und schnell sprachen wir nicht nur über FC, sondern über das Thema Kommunikation mit Autistinnen und Autisten im Allgemeinen – denn das ist der Schlüssel zu erfolgreichem Kommunizieren, das Freude macht.
Ludo Vande Kerckhove verfügt über langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Autistinnen und Autisten. Als Experte im Bereich „Autismus und Kommunikation“ bietet er zahlreiche Fortbildungen und Coachings für Einrichtungen an, die anhand seines Konzeptes „ALL-Autismus“ besser verstehen lernen können, wie sich die veränderte Wahrnehmung von Autistinnen und Autisten vor allem auch im Bereich der Kommunikation auswirkt und berücksichtigt werden muss.
Gestützte Kommunikation (auch FC genannt von Facilitated Communication) hält Ludo Vande Kerckhove als alleinige Kommunikationsmethode für nicht vertretbar. Allenfalls kann es eine von mehreren Methoden sein, die jedoch nur von ausgebildeten Stützern praktiziert werden sollte. „Leider geschieht auf diesem Gebiet viel Missbrauch“, so Vande Kerckhove.
Er betont, dass die Grundlage für verantwortliches Stützen im Allgemeinen intensive Kenntnisse zur Funktion und Begründung der Stütze sowie zu Kommunikation sind – im Konkreten auch zum Thema Autismus. Nur wenn man um die Besonderheiten im Bereich der Kommunikation von Autistinnen und Autisten weiß, könne hier eine qualifizierte Hilfestellung beim Kommunizieren nonverbaler Menschen erfolgen.
Aber selbst dann bestehe immer die Gefahr der Manipulation. „Die Gefahr der Manipulation ist Realität“, so Vande Kerckhove. „Wer etwas anderes behauptet, sollte sofort mit dem Stützen aufhören.“
Wie verantwortliches Stützen aussehen kann
Er erzählt im Interview, wie verantwortliches Stützen aussehen kann und welche Kriterien dafür zwingend eingehalten werden sollten, um das Risiko der Manipulation so gering wie möglich zu halten.
Das Stützen sei eine „Technik zur Hilfe“, eine „physische Erleichterung, um besser oder gezielter zeigen zu können“, so Vande Kerckhove. „Viele Autisten haben Schwierigkeiten, mental fokussiert zu bleiben, die Stütze kann dabei helfen, körperlich gebunden zu sein, seine Wahrnehmung zu fokussieren und quasi einen Anker im Körper zu setzen.“
Vande Kerckhove erzählt, dass ihm auch sprechende Autisten, die eigentlich keine Stütze brauchen, rückmelden, dass ihnen eine Stütze an der Schulter helfe, innezuhalten und ihre Konzentration zu bündeln.
Manchen Autisten hilft eine Berührung an der Schulter oder am Unterarm, Impulse besser zu kontrollieren oder nicht in hektisches Zeigen und Schreiben zu verfallen.
„Manche zeigen schneller als der Kopf bereit ist. Eine Berührung am Unterarm hilft dabei, das Zeitintervall zwischen dem Zeigen einzelner Elemente zu verlängern, also die Geschwindigkeit besser zu dosieren. Selten brauchen Nutzer Hilfe bei der Kraftdosierung, damit das Zeigen bewusster und gezielter möglich wird. Diese Hilfe am Unterarm sollte aber im Moment des Zeigens wegen Manipulationsgefahr auf jeden Fall weggenommen werden“, betont Vande Kerckhove. Wichtig sei auch, dass am Handgelenk, wie früher häufig gelehrt und leider immer noch praktiziert, überhaupt nicht mehr gestützt werden und die Stütze am Unterarm nur vorübergehend erfolgen sollte.
Entscheidend sei auch das Blickverhalten des Autisten. „Es muss beobachtbar sein, dass die Augen sich bewegen und zwar vor jedem Zeigen. Der Blick sollte auch nicht starr auf das Material oder auf die Buchstabentafel gerichtet sein.“ Blindes Zeigen sei nicht akzeptabel, so Vande Kerckhove. Der Blick müsse nicht lange erfolgen, aber Schreiben könne nur verantwortlich sein, wenn sich der Stützer stets darüber vergewissert, dass der Nutzer auch die Tafel im Blick hat und dort auch die jeweiligen Ziele sucht.
Dabei sollte der Stützer sich daran gewöhnen, nicht oder nur im Moment der Berührung auf die Tafel zu schauen, um Manipulationen zu vermeiden.
Außerdem sei es wichtig, dass nicht nur von einer Person gestützt wird, sondern mehrere Menschen in der Lage sind, die Autistin oder den Autisten zu stützen – auch das berge Manipulation und der Gefahr von Abhängigkeiten vor.
Vande Kerckhove betont, dass das Stützen bei manchen Nutzern durchaus seine Berechtigung habe. Bewusst sein müssen sich aber alle Beteiligten darüber, dass immer die Gefahr der Manipulation besteht, wenn auch nur unbewusst. „Auch die Unfallgefahr beim Autofahren ist Realität, wer dies bestreitet, sollte aufhören zu fahren. Dennoch fahren die meisten Menschen Auto, weil der Nutzen vorhanden ist“, so Vande Kerckhove.
In der Praxis müsse es also immer darum gehen, das Risiko der Manipulation so gering wie möglich zu halten. Außerdem sei es wichtig, das Gestützte Schreiben nicht als alleinige Kommunikationsmethode zu praktizieren.
Auch andere Kommunikationsformen anbieten
Nach Vande Kerckhoves Erfahrung, wird das Gestützte Schreiben vielen mit der Zeit zu anstrengend und lästig, es sei auch deshalb wichtig, andere Kommunikationsformen anzubieten. Kommunikation sollte Freude machen und das habe er beim Praktizieren von FC, erst recht bei ausführlichem Schreiben, selten erlebt, obwohl es natürlich auch andere positive Beispiele gibt.
Seine eigene totale Begeisterung für FC sei inzwischen „weit weg“. Er gebe Fachwissen gerne auch in Zukunft weiter, aber die Tatsache, dass das Stützen häufig nicht qualifiziert genug und damit nicht verantwortungsvoll praktiziert werde, habe ihn sehr ernüchtert.
Viel wichtiger sei es, grundsätzlich für die Kommunikation mit Autistinnen und Autisten zu sensibilisieren, dabei könne FC nur ein Baustein für eine kleine Anzahl von Menschen sein, die sich der Vorteile und Risiken bewusst sind und dies stetig reflektieren. Alternativ bietet Vande Kerckhove in seinen Fortbildungen „Funktionierende Kommunikation“ an, wobei er eine kreative Vielfalt an Möglichkeiten des Kommunizierens vermittelt. Auch Austausch per IPad, Karten und Apps ist denkbar – je nach Wünschen und Bedürfnissen.
Wichtig beim Kommunizieren im Bereich Autismus
Beim Kommunizieren im Bereich Autismus hält er für wichtig, dass neurotypische Menschen sich vergewissern, dass ihre Botschaften auch wirklich verstanden werden. Häufig entstehen Missverständnisse aufgrund zu offener Fragen (Problem: Welche Details sind interessant? Wo soll ich anfangen und aufhören mit erzählen?) oder ja/nein-Fragen, die keine Alternativen ermöglichen.
„Man sollte immer so fragen, dass der Befragte auch Erfolg mit seiner Antwort haben kann. Motivation ist Verständnis plus Erfolg“, so Vande Kerckhove. „Ich muss mich immer fragen: wie kann ich jemanden abholen und dafür sorgen, dass er dabei bleibt? Ich trage die Verantwortung für das Gelingen von Kommunikation. Und dann kann auch Freude an Kommunikation entstehen.“
„Meine Arbeit mit Autistinnen und Autisten ist sehr bereichernd“
Am Schluss unseres Gesprächs verrät mir der Kommunikationsexperte noch, dass er die Arbeit mit Autistinnen und Autisten als sehr bereichernd empfindet.
„Mit jedem Kontakt verstehe ich mehr und komme ein Stück weiter. Es ist immer befruchtend. Und je mehr man versteht, desto mehr Spaß macht es und desto hilfreichere Angebote kann ich machen.“
Er erzählt, dass er auch für sich selbst lernt: „An der Grenze zwischen neurotypisch und autistisch kann man viel das eigene Denken, Werte und Normen reflektieren und darüber nachdenken, was und wer wir sind.“
Ich bedanke mich noch einmal sehr herzlich für dieses Interview, bei dem wieder einmal klar wurde, dass ein reflektierter und vor allem selbstkritischer Umgang häufig der Schlüssel zu verantwortlichem Handeln ist – vor allem wenn es um unsere autistischen Angehörigen geht.
Besten Dank!
***
Zur Website von Ludo Vande Kerckhove
***
Zum Weiterlesen:
Maria ist Autistin und gibt Tipps für den Umgang mit erwachsenen Autistinnen und Autisten
Mir fehlt hier der Aspekt, dass es keine grundsätzliche Regel für jeden Autisten gibt. Die Art und Weise der Stütze, wo und wieviel, muss sich am zum Stützenden orientieren und hängt auch von der Tagesform ab. Und wie stark die Dyspraxie des einzelnen ist. Zum Blick auf die Tafel/Talker: Wer viel auf einer Tastatur schreibt, schreibt auch ohne auf die Tastatur zu sehen. Wichtig finde ich den Aspekt, dass der Stützer die Fähigkeit haben muss, sich zurück nehmen zu können und eine Haltung des „Nicht-Wollens“ einnehmen muss. Ich bin sehr froh, dass es diese Form der Kommunikation gibt, da mein nichtsprechender Sohn keine Gebärden zeigen kann, da es komplexe Handlungen sind. Seit er seinen Gedanken und Gefühlen Ausdruck verleihen und seine Meinung äußern kann, hat sich auch sein „autistisches“ Verhalten geändert.
Noch etwas: Zum Thema „Manipulation“: die Gefahr besteht und wir haben da auch unsere Erfahrungen gemacht. Als unser Sohn davon betroffen war, das die Stützende die Aussagen manipuliert hat, hat sich sein allgemeines Verhalten krass verändert. Wenn das Umfeld gut m Beobachten und Vertrauen bleibt, desto geringer ist die „Gefahr“. Wichtiger ist das Grundrecht auf Kommunikation, das sollte im Vordergrund stehen.