Gastbeiträge wie den von Ramona veröffentliche ich hier sehr gerne, weil es so viele Möglichkeiten gibt, sich hineinzufühlen, sich zu identifizieren und Impulse für das eigene Leben mitzunehmen.
Danke nochmal an dieser Stelle, liebe Ramona, für Deine Offenheit, Eure Geschichte hier zu teilen.
(alle Namen wurden von mir geändert)
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Gastbeitrag von Ramona:
Ich freue mich, heute einmal von Madita und uns erzählen zu dürfen.
Nach einer holprigen Schwangerschaft und schwierigen Geburt war unsere Tochter von der ersten Sekunde ihres Lebens an ein „Überrschungsei“.
Für uns, die wir alles so natürlich wie möglich und eine ambulante Wassergeburt gewollt hatten, war der Notkaiserschnitt nicht Plan A und von ursprünglichen Vorstellungen unterscheidet sich unser Leben grundlegend bis heute – und es ist gut und richtig so!
Rückblickend machte sich Autismus schon immer in Maditas Leben bemerkbar.
Sie war ein sogenanntes „Schreikind“, schnell überfordert, „eigenartig“ in ihren Bewegungsmustern, krabbelte nie und wollte immer gepuckt werden. Sie war teilweise sehr anstrengend, stundenlang sich selbst genug, wenn sie Spielsachen zerlegen oder Schalter untersuchen konnte …
Highlight sind bis heute alle Gegenstände, die sich drehen, und Wasser.
Bis zum Kindergartenalter kamen wir mit Krankengymnastik und klaren Strukturen gut zurecht. Sie war immer entwicklungsverzögert und der Tonus hat nicht gestimmt, aber wir waren sicher, das gibt sich.
Dann aber ließ sich nicht mehr „verdrängen“, dass es größere Schwierigkeiten gab.
Sie lief ausschließlich auf Zehenspitzen, immer in Kombination mit Wedeln, Flattern oder komplexen, drehenden Armbewegungen, meist tänzelnd, wippend oder hüpfend.
In der Entwicklung ging es nicht mehr voran: weder im Bezug auf Selbständigkeit, wie Toilettengang, An- und Auskleiden, alleine essen, noch im Bezug auf ihr Spielverhalten, ihre Grob- und Feinmotorik. Bis heute kann sie nicht Dreirad, Laufrad und Ähnliches fahren und nicht gleichzeitig etwas schieben und lenken.
Sie gerät schnell in Angst bei schiefen Ebenen oder sich veränderndem Untergrund und ist sehr schnell erschöpft, lässt sich hängen oder fallen, andererseits verkrampft oft auch der ganze Körper und alles wird überstreckt und verdreht.
Malen oder Basteln ging nie und auch jetzt, wo sie bald ein Schuljahr geschafft hat, kann sie noch immer nur großflächig und mit ganzem Körpereinsatz Striche und Kreise malen. Ihre Bewegungen waren immer sehr überschießend und sie hat eine starke motorische Unruhe.
Madita hat sehr früh elaboriert gesprochen – allerdings nie in kommunikativer Weise.
Das wurde immer deutlicher und brachte uns schließlich, als Madita drei Jahre und drei Monate alt war, in die Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Auf Fragen antwortete sie nicht. Sie schien uns gar nicht wahrzunehmen. Wenn wir ihre Aufmerksamkeit erregen konnten, dann wurde entweder die Frage mehrmals wiederholt oder sie sagte etwas, das gar nicht zu der Frage passte.
Allgemein sprach sie mit Pronominalumkehr und fast nur, indem sie echolalierte und auswendig lernte, was wir sagten. Wenn sie selbst etwas sagte, dann war es meist „maditisch“- sie erfand zahlreiche neue Wörter. Meine Favoriten sind bis heute: „Volader“ für Musikplayer und „Lupite“ für Blumen.
Für uns ist Madita mit ihrer Sichtweise auf die Welt eine immense Bereicherung.
Heute kommuniziert sie mit uns und ich liebe die Art, wie sie das tut.
Oft umschreibt sie die Dinge auf sehr philosophische Art und Weise. So sagt sie an heißen Tagen, dass die Sonne pustet oder sie mag „Streichelgras“ und ich bin „die gelbe Mama“.
Sie spürt sehr genau, wie es einem geht und zeigt auf ihre Art sehr viel Mitgefühl.
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Mit drei Jahren kam Madita in den Kindergarten.
Obwohl wir den Kindergarten gut auf ihre Eigenheiten vorbereitet hatten und angeblich alles kein Problem war, war es absolut zum Scheitern verurteilt.
Sie saß wie versteinert und kreidebleich da, wiederholte im Morgenkreis alles und musste dann wegen störenden Verhaltens raus an die Garderobe.
Beim Betreuungsschlüssel von 25 Kindern zu zwei Erziehern war es auch gänzlich unmöglich, ihren Bedürfnissen gerecht zu werden.
Die Diagnose hatten wir da zwar noch nicht, aber das sichere Gefühl, dass sie dort „kaputt gehen“ wird. Also nahmen wir sie dort wieder raus.
Ein sozialpädiatrisches Gutachten musste erstellt werden.
Dieses war nach einem Probetag in einem Intergrationskindergarten angeregt worden.
Es war heftig, zehn Seiten lang in allen Farben und Facetten unsere Tochter beschrieben zu finden – überdeutlich mit massiven Einschränkungen und weitab der altersgerechten Entwicklung.
Madita sollte dann als Inklusionskind mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Kindergarten aufgenommen werden.
Um dafür den Antrag zu stellen, musste nun die Diagnostik vorangetrieben werden.
Dafür bekamen wir Termine in der Kinder- und Jugendspsychiatrie (KJP) und im Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) der Uniklinik.
Im SPZ sollte es eigentlich nur um die Entwicklungsverzögerung und ein EEG gehen, aber nach ein paar Minuten fragte uns die Ärztin, ob unsere Tochter Autismus hätte.
Geichzeitig stellte sie fest, dass nicht alle Bewegungsmuster zu Stereotypien passten und äußerte den Verdacht auf Epilepsie. Da auch Maditas Reflexe nicht ganz stimmten, sollten wir stationär zum MRT und Schlaf-EEG kommen.
Zeitgleich begann die Diagnostik in der KJP. Wir waren also vollauf beschäftigt…
Im folgenden Jahr hat sich unser ganzes Leben umgekrempelt.
Wir kamen gar nicht zum Erfassen und Verarbeiten, da ein Termin den nächsten „jagte“, Gutachten, Gespräche und Anträge aufeinander folgten und es ständig etwas zu (er)klären, beantragen und kämpfen gab.
Was besonders schwer war, war dass bei jeder Untersuchung wieder etwas Neues herauskam. Dabei kann man schnell das Gefühl bekommen, es sei alles nur eine einzige schreckliche Katastrophe und das Kind schwer krank. Erst kam die Nachricht, dass sie im ADOS und ADI-R alle Cut offs „weit überschritten“ hätte und wir standen da, mit einem Termin zur IQ-Testung und einer Bücherliste.
Im SPZ ging es direkt weiter – sie habe komplex partielle Anfälle und im MRT wurden Zysten im Temporallappen gefunden. Was das alles zusammen bedeutet, sollte die Humangenetik klären.
Mit der Diagnostik „frühkindlicher Autismus, high functioning“ bekamen wir dann den Kindergartenplatz, wo der PEP-R Entwicklungstest noch eine massive Entwicklungsverzögerung zeigte. Beim IQ-Test wurde kurz darauf das „high functioning“ mit Werten zwischen 90 und 54 in Frage gestellt.
Die humangenetischen Untersuchungen zogen sich sehr in die Länge. Das Ergebnis war schließlich eine partielle Trisomie 8p – von der keiner zweifelsfrei weiß, ob sie ausschlaggebend für die Diagnosen ist.
Für mich, die immer gerne alles ganz deutlich und schwarz auf weiß braucht, war und ist dies sehr schwierig. Immer wieder denke ich darüber nach, ob das alles so stimmt, was es bedeutet, wie schwerwiegend es ist oder noch sein wird…
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Alltag und Kindergarten
Im Alltag bedeutet das, dass Madita sehr klare Strukturen braucht und wir sehr froh waren, als wir endlich die heilpädagogische Therapie durchsetzen konnten, die uns und ihr half, einen neuen, für alle machbaren, Alltag zu schaffen.
Im Kindergarten war Madita gut angekommen, zwar hatte sie kein Interesse daran, mit anderen zu spielen, aber sie hat sie genauestens beobachtet und davon auch einiges gelernt. Die Kinder dort waren ihr gegenüber weitestgehend aufgeschlossen und wir erlebten viele wertvolle Momente der Hilfsbereitschaft und des Miteinanders.
Es zeigte sich auch immer mehr, dass Madita große Stärken hat.
Zum einen erkennt sie sofort Muster und winzige Details und zum anderen hört sie feinste Unterschiede.
Was ihr große Schwierigkeiten bereitet hat, waren Veränderungen im Tagesablauf oder auch einfach nur Übergänge jeglicher Art.
Wenn es vom Spielen zum Essen, von drinnen nach draußen ging und ähnliches, dann wurde sie sehr panisch, aggressiv, fing an Dinge zu werfen und zu zerstören, wild um sich zu schlagen, zu treten und sich selbst zu verletzen.
Dies war auch ein großes Problem für ihren kleinen Bruder, der mit einem Jahr völlig verunsichert von ihrem Verhalten war und sich angewöhnte, „Sicherheitsabstand“ zu halten.
Durch andere Eltern und die Lebenshilfe (erst Jahre später auch durch die Klinik) erfuhren wir von den Möglichkeiten, einen Schwerbehindertenausweis und eine Pflegestufe zu beantragen und beides lief trotz großer Ängste auf unserer Seite fair und gut ab. Seither gab es einen Nachmittag in der Woche, den Madita beim Familienentlastenden Dienst (FED) verbrachte und ich mich ganz dem kleinen Bruder widmen konnte.
Erst als die Daueranspannung der Anträge und Diagnosen endlich geschafft war, fanden wir Zeit, wirklich zu verarbeiten und sacken zu lassen und konnten zum einen trauern, aber zum anderen wieder etwas Abstand von dem defizitorientierten Denken der Kliniken und Gutachten gewinnen und uns darauf konzentrieren, dass Madita immer noch dasselbe wunderbare kleine Mädchen war wie vor alledem.
Wir begannen uns eingehend mit der Thematik zu beschäftigen, Strukturierungshilfen anzuwenden, Ausflüge an Orte zu machen, die eher leer sind oder an Regentagen unter der Woche. Ich lernte viel über Teacch und las in Foren und Büchern, durfte viel von anderen Autisten und Eltern autistischer Kinder lernen, gewöhnte mir an, mit Rehabuggy und großen Kapuzenpullis für Madita zum Verstecken einkaufen zu gehen und genaue Tagespläne mit Bild und Ablaufpläne fürs Bad aufuhängen.
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Seither gehört Autismus einfach zu uns und wir haben uns einen neuen Alltag geschaffen, der für Außenstehende sicher nicht besonders alltäglich ist.
Sicher, auch seither gab es immer wieder etwas Neues und gute und schlechte Phasen und manchmal waren wir kurz vor einem Klinikaufenthalt, weil es Phasen gefährlicher Autoaggressionen, Wahrnehmungsstörungen und immer wieder neue Ängste und Zwänge gab, aber nach und nach haben wir gelernt, dass es sich lohnt nach Ursachen zu forschen und abzuwarten und dass die guten und die schlechten Tage meist wellenförmig auftreten.
Ein Thema, das bis heute besondere Beachtung verdient, ist das Geschwisterverhältnis zu Maditas kleinem Bruder.
Es ist insgesamt erstaunlich eng und gut und wir sind überzeugt, dass Julian ganz wichtig für Madita und ihre Entwicklung ist. Wir sehen aber auch, dass Madita Julians Entwicklung beeinflusst.
Von der ersten Sekunde an war Madita unsterblich in Julian verliebt und andersherum. Sie war soooooo vorsichtig mit ihm, das kannten wir gar nicht. Und er musste immer lachen und zappeln, wenn sie ihn anguckte, wollte immer in ihrer Nähe sein.
Zum ersten Mal erlebten wir Madita so aufgeschlossen, „kommunikativ“ und aufmerksam. Sie schaute ihn an, brachte ihn zum Lachen und ließ ihn ganz nah kommen.
Leider wurde das sehr schwierig, als Julian anfing selbständiger zu werden, zu krabbeln und zu laufen. Er war ihr zu schnell, zu unberechenbar und viel zu laut und das Schlimmste war, dass er sich nicht an ihre vorgegebene Ordnung hielt und haben wollte, was sie hatte. Oft führte das dazu, dass sie plötzlich schrill losschrie oder ihn leider manchmal auch umwarf, haute oder würgte.
Irgendwann aber schlug es um und Madita und Julian wurden eine absolute Einheit. Das hat viele positive Seiten und es ist wunderschön zu sehen. Julian emutigt Madita sehr und nimmt oft die Rolle des älteren Geschwisters ein. Er passt auf sie auf, hilft ihr beim Klettern und verteidigt sie vor anderen und Madita überwindet sich für ihn, lässt sich auf Rollenspiele mit ihm ein und umsorgt ihn rührend mit Sonnenhut oder Trinken, aber es hat manchmal auch Schattenseiten.
Sie sind sehr abhängig voneinander und das bringt Madita völlig aus dem Konzept.
Zwei Beispiele dazu:
Madita freut sich im Urlaub, ein Eis von einer Bude zu bekommen und während ich ihr schonmal ein Eis hole, frage ich Julian, was er gerne hätte und er sagt: „Ich möchte kein Eis sondern eine Brezel“. Daraufhin ein schriller Schrei, Madita wirft ihr Eis auf den Boden, ist völlig panisch und verzweifelt und ruft immer wieder „Ok, kein Eis, Julian sagt kein Eis, ich darf nie wieder Eis essen.“
Oder Madita und Julian sitzen in der Badewanne. Julian möchte raus, Madita weiter baden. Aber weil Julian nicht mehr baden will, zieht Madita weinend den Stöpsel, springt in Panik aus der Wanne und weint noch den ganzen Abend, dass wir die Wanne wegwerfen müssen, dass Baden verboten ist…
Das sind sehr schwierige Momente und es verunsichert beide gleichermaßen. Diese Unsicherheit merkt man Julian auch oft an und er ist nicht wie andere in seinem Alter.
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Maditas Anfälle sind für die gesamte Familie schwierig.
Wir sind vier Jahre lang davon ausgegangen, dass es sich dabei um komplex-partielle Epilepsie handelt. Erst seit Januar diesen Jahres ist klar, dass es bei den meisten Anfällen wohl eher um zwanghafte Bewegungsstereotypien und ein Verkrampfen des ganzen Körpers geht, um sich selber besser zu spüren. Sie und ihr Bruder leiden darunter, da es sie wirklich überfällt und sie versucht, sich dagegen zu wehren und weiterzuspielen, dann aber doch kapitulieren muss.
Für uns waren es zwei Schockmomente: Der erste, in dem bekannt wurde, dass sie Temporallappenzysten und Epilepsie hat und der zweite als es nach vier Jahren mit Antiepileptika plötzlich hieß, dass es doch nicht so sei.
Nun, die Prognose ist für das Gehirn wohl besser, allerdings bestehen die Anfälle so oder so, nur wissen wir jetzt noch weniger, was wir dagegen unternehmen sollen/können. Maditas anfallsartige Ereignisse treten in schweren Zeiten bis zu 50x am Tag auf. Es überfällt sie in Serien und sie rutscht plötzlich auf den Boden – egal wo sie gerade ist und verkrampft zittrig am ganzen Körper. Das ist auch schon mitten in einer Drehtür oder im Schultreppenhaus passiert. Das Schwierigste daran ist, dass es sie viel Kraft kostet, die sie für ihre Entwicklung bräuchte und so fällt sie grob- und vor allem feinmotorisch immer weiter zurück und ist deutlich entwicklungsverzögert.
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Am Ende des Kindergartens gab es neue Schwierigkeiten.
Zum einen hatte Madita ein ganz neues Verständnis dafür entwickelt, dass sie anders ist als andere. Sie litt darunter und entwickelte ein großes Schamgefühl wegen der Windeln.
Zum anderen stand die Frage im Raum, wo sie eingeschult werden sollte.
Da wäre zum einen das Recht auf Inklusion. Ein unverzichtbares Menschenrecht – und dennoch sollte aus dem Recht auf Inklusion nicht die Pflicht um jeden Preis dazu werden.
Ich bin mir sicher, dass die Grundschule hier alles getan hätte, um gute Bedingungen für Madita zu schaffen, aber das nützt nichts, wenn Madita selber nicht mit der Anzahl der Mitschüler und der Lautstärke im Treppenhaus umgehen kann.
Für uns war schnell klar, dass der Anfang eher an einem Förderzentrum sein sollte. Mehrere Gespräche mit der Sonderpädagogin, der Heilpädagogin und den bisher involvierten Therapeuten bekräftigten uns darin.
Darauf folgte das nächste Problem: Die gängigen Förderschwerpunkte.
Madita hatte von allem etwas und nichts passte so ganz.
Das AOSF-Verfahren ergab einen körperlich-motorischen Schwerpunkt und das stellte uns vor ein weiteres Problem.
Die nächste Schule für Körperbehinderte war 50km weit weg. Und nicht 50km Autobahn sondern 50km gewundene Schwarzwaldhochstraßen, auf denen im Winter reines Chaos herrscht. Als wir das ansprachen, sagte eine Ärztin zu uns: „Das ist kein Problem. Die Schule hat auch ein Internat und sie hätten mehr Zeit für sich und könnten sich erholen“ – unfassbar!
War ihr klar, dass sie da von unserer geliebten 6jährigen Tochter sprach, die uns braucht und die wir brauchen?! Ansonsten empfinden wir diese Ärztin als ganzt tolle und wertvolle Begleitung, aber zu diesem Thema hat sie wohl nicht gemerkt, wie uns ihre Aussage getroffen hat.
Es war ein „Geschenk“, dass im Januar vor Maditas Einschulung das hiesige Förderzentrum beschloss, das erste Mal eine gemeinsame Eingangsklasse zu haben – für alle Schwerpunkte.
So kam Madita also letzten Sommer in eine Klasse mit sechs Kindern, von denen ihr an manchen Tagen fünf zu viel sind, an anderen aber ein ganz besonderes und sehr schönes Miteinander entsteht.
Dass es in der Schule so gut klappt, haben wir einer 1:1 Vollzeit-Begleitung zu verdanken, die wirklich fantastisch ist und einen sehr gutes Gespür für Madita hat. Auch ihre Lehrerin ist sehr verständnisvoll.
Dennoch gab und gibt es zahlreiche Schwierigkeiten.
Madita kann beispielsweise nicht durch das volle Treppenhaus laufen und hat große Angst, dass jemand sie berührt.
Ohne Lärmschutzkopfhörer geht sie selten auf den Gang.
Offene Treppenstufen machen ihr ohnehin große Angst, weshalb sie das Zweit-Treppenhaus nutzen darf.
Sie braucht sehr genaue Absprachen, Anweisungen und deutlich, optisch strukturierte Abläufe und gerät immer völlig durcheinander und außer sich, wenn sich etwas ändert.
Die Lernziele hat sie nicht erreicht, da sie bis jetzt kein Wort lesen oder schreiben kann. Zum einen aus feinmotorischen Gründen, wobei sich die Schule auch da viel einfallen lässt (größer kopiert, Buchstaben zum Einkleben statt Schreiben, Greifhilfen…), aber auch weil sie scheinbar alles auf dem Kopf und/oder spiegelverkeht wahrnimmt. Ansonsten kommt sie erstaunlich gut zurecht.
Diese Anforderungen an strukturierte Rahmenbedingungen, Vorbereitung, Erklärungen, Auszeiten… gelten natürlich nicht nur für die Schule sondern auch hier daheim.
Ich merke es manchmal schon gar nicht mehr, da es für uns inzwischen so klar ist. Es fällt immer wieder deutlich auf, wenn wir Besuch haben, unterwegs sind oder mit anderen Kindern ihres Alters zu tun haben. Wenn sie bei Omi zum Beispiel den falschen Becher bekommt und panisch weint oder wenn bei einem Ausflug jemand schnell von hinten an ihr vorbeigeht…
Unser Alltag hat sich inzwischen einfach ganz anders angepasst und eingespielt. Es ist klar, wer wo sitzt, welchen Becher bekommt, was in welcher Reihenfolge aus- oder angezogen wird, dass alles genauestens erklärt und angekündigt wird, oft auch aufgemalt…
Ein großes Thema ist auch ihre starke Entwicklungsverzögerung gekoppelt mit ihrer sehr intelligenten und elaborierten Sprache.
Ständig sind wir damit beschäftigt, Madita vor absoluter Überforderung und teilweise gefährlicher Überschätzung zu bewahren und zu erklären. Sie kann sich schlecht orientieren, nicht schwimmen, radfahren, klettern… und vor allem kaum Gefahren einschätzen und so war sie gleich am ersten Schultag verschwunden, als die Lehrerin mit der Klasse durch die Schule ging und der Klasse sagte, sie sollen stehenbleiben, Madita aber etwas anderes interessierte. Meist hören wir danach ein: „Aber sie wirkt so vernünftig und verständig“.
Für uns als Eltern ist Madita perfekt …
und mir als Mutter geht es mit ihr eigentlich sehr gut, da ich ihre Art liebe und ihre Poesie, ihr Gefühl und ihre Art die Welt zu sehen in mich „einsauge“. Dennoch ist es natürlich oft sehr anstrengend und gerade im Zusammenhang mit der Gesellschaft oft ein „Spießrutenlauf“ aus Erklärungen, Verteidigungen und permantenter Anstrengung zur Deeskalation.
Emotional ist das schwerste für mich das Gefühl, ihr in ihren Nöten manchmal nicht wirklich helfen zu können, zusehen zu müssen, wie andere sich über sie lustig machen oder große Angst zu haben, wie es in ein paar Jahren wird.
Auch werfe ich mir oft vor, dass ich den Bruder vernachlässige und auch meinen Ehemann. Die Zeit zu zweit ist rar und ich muss zugeben, dass ich manchmal dann gar nichts unternehmen will, sondern mich einfach nur nach Ruhe, einem guten Buch und Schlaf sehne. Dennoch bin ich glücklich, wie wir die Dinge als Paar und Familie meistern und dass wir beide die gleichen Vorstellungen haben.
Mein großer Wunsch für die Zukunft ist gesellschaftliche Akzeptanz und das Verständnis dafür, dass man nicht alles normieren kann und muss, dass Autisten ihre Einzigartigkeit nicht abtrainiert gehört, sondern dass es einfach mehr Offenheit und Verständnis und Hilfe für die Probleme im Alltag und in den Familien braucht, aber angepasst an Familie, Erwachsene und Kind, nicht angepasst an Leistungstabellen, Normen und Systeme.
Und dass die Menschen einem einfach mal glauben und hinnehmen, was man sagt, auch wenn sie es nicht erleben oder auf den ersten Blick sehen können.
Alles Liebe,
Ramona
Liebe Ramona, ich bin ganz fasziniert von Deinen genauen und so liebevollen Ausführungen.
In ähnlicher Weise werde ich demnächst eine Präsentation über unsere Tochter Elisa, 9 Jahre halten… auf einem Fachtag.
Ich würde gern Passagen aus Eurem Erleben – mit Quellenangabe – zitieren, treffen sie den Kern, das Herz und sagen mehr als jede Theorie. Wärst Du damit einverstanden?
Liebe Grüße
Grit aus Berlin
Liebe Grit
Vielen herzlichen Dank für deine lieben Worte. Ich freue mich sehr, dass du meine Beschreibungen über „Madita“ so empfindest.
Du kannst sie sehr gerne verwenden.
Alles Gute für den Vortrag
Katharina („Ramona“)
? Ebenso, Danke
Liebe Mutter von Madita.
Ich bin tief beeindruckt und berührt über so viel Liebe und Herzenskraft Deiner Familie.
Ich arbeite tiergestützte mit meinen ausgebildeten Therapiebegleithunden in der Lebenshilfe und kenne diese wunderbaren Kinder nur von dieser Seite. Es ist großartig zu sehen wie diese Möglichkeit der Therapie begleitend sein kann. Ich würde mir für uns alle so wünschen das so viel mehr Familien so offen damit umgehen können wie Ihr (kann es aber auch sehr gut verstehen wenn es ihnen nicht möglich ist ) – es würde das Zusammenarbeiten und den schützenden stärkenden Kreis den wir um die Kinder schließen noch fester und besser machen können .
Von ganzen Herzen wünsche ich Dir und Deiner wunderbaren Familie alles erdenklich Gute .
Liebe Ramona, ich danke dir sehr für deine Erzählungen. Mein Sohn (6) hat das fragile X-Syndrom und vieles , was du von Madita und euerem Leben schilderst passt auch zu uns. Fühle dich umarmt und wenn du Lust u Zeit hast gerne auch pn. Sandra
Absolut treffend. Ich glaube aber nicht das es in nächster Zeit zu mehr Offenheit und Verständnis der gesellschafft kommt. Da das Prinzip“du bist nur jemand wenn du Leistung bringst und schön angepasst“ Das ist eine traurige Einstellung, aber kaum jemand hat den Mut sich selbst zu hinter fragen.
Ich bin einfach nur froh ellasblog. de aboniert zu haben und diese ehrlichen, nicht einfachen und doch hoffnungsfrohen Berichte hier lesen zu dürfen! Mein Dank für diese ausführlichen Informationen und meine besten Wünsche an die Mütter / Eltern die hier so enorm viel leisten und ihren oft schwierigen, aber so sehr liebenswürdigen Kindern auf Ihrem Weg ins Leben zur Seite stehen!!