Viele AutistInnen und Eltern stehen vor der Frage, ob sie ihren Autismus oder die Diagnose ihrer Kinder offenlegen sollen oder lieber nicht.
In unserer Gesellschaft ist es leider immer noch häufig so, dass man aufgrund einer Diagnose oder Behinderung stigmatisiert und ausgegrenzt wird. Vor allem Unaufgeklärtsein und Klischees, die über Medien verbreitet werden, tragen dazu bei, dass es AutistInnen oft schwer haben, akzeptiert zu werden.
Ausgrenzung und Diskriminierung läuft häufig subtil ab – jeden Tag, rund um die Uhr, in Schule, Ausbildung, Beruf und Freizeit – und führt dazu, dass auch Autistinnen und Autisten in ihrer Würde und Selbstachtung angegriffen werden. Wenn man sowieso schon Probleme mit sich und dem Leben in einer neurotypisch geprägten Welt hat, trägt das nicht unbedingt bei jedem dazu bei, dass sich ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln kann.
Dazu kommt, dass es immer noch therapeutische Ansätze gibt, die Autismus wegtherapieren und Menschen normalisieren wollen. AutistInnen sollen einer Norm angepasst werden, die irgendwann einmal eine neurotypische Mehrheit festgelegt hat.
Vor diesem Hintergrund ist es mehr als verständlich, dass sich einige mit einem „Outing“ schwer tun und Familien mit autistischen Kindern ständig um Rechte und Anerkennung kämpfen – im Grunde ist es ein Kampf um Würde, Akzeptanz und Selbstbestimmung.
Mit diesem Beitrag möchte ich AutistInnen und Eltern in diesem Bestreben bestärken. Denn natürlich haben auch AutistInnen jedes Recht auf Würde und Selbstachtung, die respektiert werden müssen. Schlimm genug, dass man das extra sagen muss.
Innere Würde und Selbstachtung
Sich selbst so zu akzeptieren wie man ist und sich nicht für sein So-Sein zu schämen oder gar verstecken zu müssen, ist elementar dafür, um ein friedliches und möglichst ausgeglichenes Leben zu führen.
Selbst-Bewusstsein im Sinne von Selbstachtung zu entwickeln ist sehr wertvoll.
Dazu gehört, dass man sich mit seinen Stärken und Schwächen auseinandersetzt und diese zu reflektieren und zu akzeptieren weiß.
Auch sollte man lernen, sich von Menschen zu distanzieren, die schaden, manipulieren und Anderssein nicht als Bereicherung respektieren. Das ist leichter gesagt, als getan, denn diese Menschen muss man erst einmal als solche erkennen und dann muss man auch noch in der Lage sein, sich von ihnen zu distanzieren.
Ein hohes Maß an Selbstachtung sollte natürlich beinhalten, dass man auch offen für Kritik und Neues ist, aber sie kann zum Beispiel vor Manipulation und Missbrauch schützen.
Ein gesundes Selbstwertgefühl trägt dazu bei, dass man sich weniger leicht einreden lässt, man sei minderwertig oder nicht in Ordnung. Und das Bewusstsein für seine eigene Würde und natürlich die Würde anderer führt zu einem wertschätzenden Miteinander und der Akzeptanz von Menschen, die anders aussehen und denken oder ein anderes kulturelles Bewusstsein haben.
Gesundes autistisches Selbstbewusstsein auch mit Therapie
Ein gesundes autistisches Selbstbewusstsein kann man natürlich auch haben, wenn man therapeutischer Hilfe bedarf.
Das Autismus-Spektrum ist groß und vielfältig. Nicht wenige brauchen Hilfe bei alltäglichen Verrichtungen, müssen rund um die Uhr betreut und gepflegt werden und werden zum Teil ein Leben lang auf Betreuung angewiesen sein. Das hat auch, aber nicht nur, mit einer Behinderung zu tun, die durch die Gesellschaft zugefügt wird, sondern mit einer Behinderung per se.
Natürlich sollte man immer hinterfragen, welche Therapien zum Zuge kommen, nicht jedes Angebot ist akzeptabel, dazu habe ich bereits ausführlich geschrieben: Welche Therapie ist für mein Kind die richtige?
Hilfe zu brauchen, bedeutet jedenfalls nicht, dass man sich selbst nicht achten oder seinen Autismus verleugnen würde – das wird leider manchmal so von Menschen interpretiert, die weniger Hilfe brauchen oder nicht wissen, wie es sich zum Beispiel mit ausgeprägtem Hilfe- und Betreuungsbedarf lebt.
Hilfe zu organisieren oder als Eltern manchmal an seine Grenzen zu stoßen, wenn man ein pflege- und betreuungsintensives Kind hat, bedeutet nicht, dass man das autistische Kind nicht akzeptieren und lieben würde.
Ich habe AutistInnen gefragt, was es für sie bedeutet, selbstbewusst zu ihrem Autismus zu stehen. Und sie haben mir geantwortet:
- Ich nehme mich so an, wie ich bin. Ich bin in Ordnung.
- Ich lasse mich nicht davon beeinflussen, dass Menschen mich anders haben wollen, mich umtherapieren oder normalisieren wollen.
- Ich bin mir auch meiner Schwächen und meiner Verletzlichkeit bewusst.
- Ich darf mich selbst schützen und meinem Gegenüber genau das sagen: „Mich verletzt dieses Thema oder die Art und Weise, wie Du mit mir sprichst. Ich möchte darüber nicht mehr sprechen.“
- Ich kann mir Hilfe holen – auch in Form von Therapie – ohne meine Selbstachtung und Würde zu verlieren.
- Ich setze mich dafür ein, dass alle AutistInnen aus dem Spektrum in der Gesellschaft in ihrem Anderssein respektiert werden.
- Ich habe das Glück, mehr Handlungskompetenz zu haben, als andere AutistInnen, daher möchte ich mich vor allem auch für die nicht-sprechenden AutistInnen einsetzen.
Sich selbst und seine Kinder schützen
Auch Eltern autistischer Kinder finden sich immer wieder in unsäglichen Dialogen und Konfrontationen ihre Kinder betreffend wieder.
Man darf sagen: „Stop! Ich möchte mit Dir nicht weiter darüber sprechen. Es geht um die Würde meines Kindes.“
Und man kann auch eine Entschuldigung einfordern, wenn man sich oder das eigene Kind verletzt fühlt.
Eltern von Kindern mit Handicap treten für Gleichberechtigung ein, kämpfen dafür, dass ihren Kindern Rechte nicht vorenthalten bleiben und nicht demütig um etwas gebettelt werden muss, was jedem Menschen zusteht.
Niemand muss sich deshalb verstecken oder schlecht fühlen, weil er oder sie immer wieder zum Mahner und Meckerer in Schule, Ämtern, Krankenkassen, Behörden,… werden muss – es ist etwas, das man selbstbewusst tun kann, weil es die Würde und (Selbst-)Achtung des eigenen Kindes unterstreicht.
Es ist nicht selten eine Frage des Respekts, den Eltern für ihre Kinder und für sich selbst auf diese Weise einfordern.
Respekt, Würde und Selbstachtung für AutistInnen
AutistInnen und Eltern von AutistInnen bestehen auf Würde und Respekt und zwar unabhängig von irgendwelchen Leistungen, Funktionsniveaus oder Annahmen und Wertungen, die AutistInnen entweder als Menschen voller Defizite oder etwa als evolutionäre Weiterentwicklung ausweisen.
AutistInnen sind Menschen wie alle anderen auch – mit Stärken und Schwächen und mit vielfältigen Persönlichkeitsstrukturen. Der Autismus ist nicht alles, was einen Menschen mit Autismus ausmacht, aber er durchdringt dessen gesamte Persönlichkeit.
Manche AutistInnen sind zeitweise wegen ihres Autismus‘ verzweifelt. Viele brauchen Unterstützung. In jedem Fall müssen sich AutistInnen jedoch nicht erst in einer bestimmten Art und Weise entwickeln, um Respekt, Würde und Selbstachtung zu erlangen.
In Sachen Autismus herrscht in meinem Umfeld noch viel Ahnungslosigkeit. Auf der anderen Seite wünsche ich mir respektiert zu werden auch ohne die Diagnose zu nennen. Sicher habe ich meine Grenzen, aber eben auch Stärken.
Und schlussendlich sollte es darum gehen, dass ich nicht die „arme Behinderte“ bin, die Hilfe braucht. Ich möchte etwas zur Gesellschaft beitragen – aber nicht um den Preis, dass ich mich selbst kaputt mache.
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wir alle haben auf die Unverletzbarkeit von Körper, Geist und Seele zu achten. Dies ist oberstes Ziel.
Es wäre schön, wenn auch Werkstätten für behinderte Menschen ausreichend über
Autismus aufgeklärt werden. Gerade im ländlichen Raum fehlt es sehr an Aufklärung, Vernetzung und Zusammenarbeit mit Institutionen und dem Umfeld. Wenn zu der Autismus-Spektrum-Störung noch eine geistige Behinderungen und eine degenerative Netzhauterkrankung (mittlerweile gesetzlich blind) hinzukommt, ist es nicht ungewöhnlich, dass die Mitarbeiter der Reha-Einrichtung wenig Kenntnisse davon haben. Wertschätzende und damit würdevolle Umgangsweise ist aber nur möglich, wenn man auch dort bereit ist, sich über das Behinderungsbild zu informieren um den Menschen dann angemessen, auf Augenhöhe und ohne Vorurteile zu begegnen.
Respekt, gerade wenn es sich um eine WfbM handelt, bereit sein den Autismus zu glauben.
Auch die Politik ist hier gefordert. Gerade diese Leistungen der Eingliederungshilfe sollten kontrolliert werden, ob sie tatsächlich angemessen erbracht werden, damit Menschen mit Autismus nicht als bockig und stur in eine Schublade getan werden und in den Werkstätten mehr oder weniger hinwegetieren. Von würdevoller Begleitung sind wir hier leider noch weit entfernt.