Gastbeitrag von Dario:
In meiner Firma ist zurzeit sehr viel zu tun. Viele neue Aufträge mit engen Terminfristen verlangen den Kollegen seit einigen Wochen Mehrarbeit von bis zu 48 Wochenstunden ab, wozu auch die zusätzliche Samstagsarbeit gehört.
Durch meinen Schwerbehindertenstatus bin ich von der Pflicht zur Mehrarbeit ausgenommen. Trotzdem versuche ich, mich nicht völlig aus der Mitverantwortung zu ziehen und bleibe an einzelnen Tagen (auf freiwilliger Basis) auch mal eine Stunde länger als sonst, soweit meine Kräfte das zulassen. Auch von der Samstagsarbeit möchte ich mich nicht völlig ausnehmen, so dass ich an einzelnen Samstagen ebenfalls schon für ein paar Stunden in der Firma war, soweit ich mich dazu in der Lage fühlte.
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Was ich an diesen Samstagen (bislang waren es drei) erlebt habe, hat mich wider Erwarten positiv überrascht. Das fängt schon damit an, dass am Samstag weitaus weniger Leute im Haus sind. Der Geräuschpegel ist entsprechend niedriger, kaum „Durchgangsverkehr“ in den Gängen, kein Smalltalk und kein Geplauder in den Fluren. Statt der normalerweise neun bis zehn Kollegen sitze ich am Samstag mit nur drei oder vier Kollegen im Großraumbüro. Es ist ein ruhiges und konzentriertes Arbeiten, wie ich es von normalen Wochentagen gar nicht kenne.
Kein Telefongeklingel und keine nervigen E-Mails, die einen zwischendurch ablenken. Ich kann mich ganz in meine Aufgabe versenken, ohne dass mich jemand stört. Auch die wenigen Kollegen, die anwesend sind, sitzen still vor ihren Rechnern und konzentrieren sich auf das, worauf es ankommt; nämlich auf die Arbeit. Das lauteste, was man hört, sind das Blätterrauschen und Vogelzwitscher durchs offene Fenster.
Eigentlich sind das genau die Bedingungen (oder viele davon), die man als Autist braucht, um im Arbeitsalltag überhaupt bestehen zu können. Es ist erstaunlich: Sofern ich am Samstag in die Firma komme, kann ich tatsächlich mehr leisten als innerhalb der Woche. Sogar die nicht-behinderten Kollegen waren begeistert von der ungewohnten Ruhe, die man im normalen Arbeitsalltag nie erlebt. „Kein Telefon klingelt, keiner lenkt einen ab ‒ auf diese Weise kann man mal richtig was wegschaffen!“, meinte sogar mein Chef.
Bitte nicht falsch verstehen: Ich möchte keinesfalls ein Plädoyer für die Samstagsarbeit halten. Sie bleibt eine Mehrbelastung und muss die absolute Ausnahme bleiben, vor allem für schwerbehinderte Arbeitnehmer. Trotzdem habe ich gerade an der Samstagsarbeit gemerkt, dass autistengerechte Arbeitsbedingungen im Grunde allen Arbeitnehmern zu Gute kommen, auch wenn sie nicht autistisch sind. Meine Argumentation geht deshalb in eine andere Richtung:
Würden wir die ganze Gesellschaft ‒ und insbesondere das Arbeitsleben ‒ autistengerechter gestalten, dann würden alle Menschen davon profitieren. Niemand würde verlieren, sondern alle hätten etwas zu gewinnen, davon bin ich fest überzeugt.
Wenn selbst die nicht-behinderten Kollegen extra am Samstag kommen müssen, um einigermaßen stressfrei und konzentriert arbeiten zu können, dann gibt mir das zu denken. Dann frage ich mich: Warum sorgt man nicht dafür, dass man an den übrigen Wochentagen von Montag bis Freitag genauso ruhig, genauso stressfrei und konzentriert arbeiten kann, wie das jetzt nur am Samstag der Fall ist? Ist das wirklich so unmöglich und völlig außerhalb des Vorstellbaren?
Wäre es nicht an der Zeit, die Bedingungen in der Arbeitswelt mit ihrem immensen Stresspotential mal ganz grundsätzlich zu hinterfragen? Sind solche Bedingungen überhaupt noch menschenfreundlich? Sind Stress und Hektik, ständiger Leistungsdruck und massive Mehrarbeit wirklich geeignet, das Optimum an Leistungsfähigkeit aus den Mitarbeitern herauszuholen? Oder macht man die Menschen damit auf lange Sicht nicht eher kaputt, psychisch wie auch körperlich?
Braucht man zwingend einen Schwerbehindertenausweis bzw. eine Autismusdiagnose, nur um zu einigermaßen erträglichen Bedingungen arbeiten zu können? Wenn das so sein sollte, fände ich das erschreckend.
Natürlich weiß ich, dass in der freien Wirtschaft viele Zwänge und bestimmte Marktbedingungen herrschen, denen man sich nicht ohne Weiteres entziehen kann; die man auch nicht von heute auf morgen ändern kann, so naiv will ich nicht sein. Sicher gibt es Berufe und Geschäftsfelder, in denen ein stressfreies Arbeiten nicht immer möglich ist, auch das ist mir bewusst. Trotzdem habe ich den Eindruck, als wenn sich die „neurotypisch“ geprägte Gesellschaft – vor allem in der Arbeitswelt – oft Regeln und Bedingungen schafft, unter denen die Menschen leiden. Im Prinzip wissen das alle, aber die Gesellschaft nimmt es hin und ändert nichts an diesen Zuständen.
Ich selbst will mich nicht beklagen, denn durch meinen Schwerbehindertenstatus gelten für mich bestimmte Nachteilsausgleiche, mit denen ich ‒ wo immer es geht ‒ von Multitasking und unnötigem Stress ausgenommen bin. Wäre das nicht so, dann könnte ich auf dem ersten Arbeitsmarkt gar nicht bestehen. In meiner Firma gibt es einen verständnisvollen Betriebsarzt, mit dem ich offen über meine Asperger-Problematik reden kann und der mich gut unterstützt. Auch mein Chef ist im Prinzip verständnisvoll und hat kein Problem damit, dass ich durch meinen Schwerbehindertenstatus von der Mehrarbeit ausgenommen bin. Insofern habe ich mit meinem Arbeitsplatz großes Glück und weiß das auch zu schätzen.
Mir tun nur, ehrlich gesagt, die nicht-autistischen Kollegen ein wenig leid, denn sie können sich nicht auf den Schutz des Schwerbehindertenrechts berufen, müssen aber dennoch oft genug an ihre Belastungsgrenzen gehen. Dabei wäre es auch für sie eine ungeheure Erleichterung, wenn sie (trotz Mehrarbeit) weniger Stress, weniger Ablenkung und weniger Multitasking ausgesetzt wären. Ich habe schon von mehreren Kollegen gehört, dass nach mehr als acht Stunden Arbeit die Konzentration gar nicht mehr gegeben ist. Die Fehlerquote häuft sich und das bedeutet aufwendige Nacharbeiten zu einem späteren Zeitpunkt. Kann das wirklich so gewollt sein?
Ich bin überzeugt: Von autismusgerechten Arbeitsplatzbedingungen würden nicht nur Autisten profitieren, sondern die gesamte Belegschaft wäre entspannter, zufriedener, besser gelaunt und im Ergebnis auch leistungsfähiger. Das hat mir die Erfahrung mit der Samstagsarbeit sehr eindrücklich gezeigt ‒ und allein das war es mir wert, diese Erfahrung auf freiwilliger Basis mal mitgemacht zu haben.
Dario
Das ist ein sehr guter BEitrag. ICH finde mich da voll wieder. ICh muss sagen, dass man da auch in machen BEhinderten werkstätten noch merh de Arbietssituation anpassen müsste. ICH habe nach meienm Berufsleben, in 2 verschieden Einrichtungen gearbeitet. Der Wechsel war dur meinen Umzug bedingt. ABer es waren laute BEdingungen. BEI der LAmpenproduktion zum BEispiel war ich im Großraum, und es war sher laut, und manche kOllegen wollten auch immer unterhalten sein. ICH mochte das nicht, und dann, wenn es schepperte bekam ich oft einen Anfall auch epileptische. Da hätte cih mir kleine räume gewünscht, wo man dann vor sich hinarbeiten kann in Ruhe. Das es da laut war und woweiter war für mich shcon wie multitasking, und das kann cih nicht. NAch JAhren habe ich dann dort aufgehört, und es ging mir dann besser. SOweit dazu. LG.
Ein sehr schöner Artikel.
Leider beginnt dieser Leistungsdruck unter ähnlichen Rahmenbedingungen schon viel früher, nämlich in der Schule. Die Kinder sitzen in viel zu großen Klassen! Während sich an der Struktur des Lehrens etwas geändert hat (weg vom klassischen Frontalunterricht, hin zur Teamarbeit oder zum selbständigen Erarbeiten in Einzelarbeit und Kleingruppen), sollen über 20 Schüler meist mit einem Lehrer als Ansprechpartner lernen und arbeiten. Diese Rahmenbedingungen sind für mich mehr als fragwürdig. Und unsere wirtschaftliche Gesellschaft (immer mehr in immer kürzerer Zeit, unter günstigen Produktionskosten) sorgt auch dafür, dass es immer weniger Kleinbetriebe gibt, die noch ein familiäres Arbeitsumfeld bieten könnten. Die können mit den rießigen Unternehmen einfach nicht mithalten. Personalkosten sind nun mal nicht billig. Ich finde das sehr schade, denn in unserer Gesellschaft ist Profit die größte Gier. ?