Neulich wurde ich auf den neuen Studiengang „Barrierefreie Kommunikation“ an der Uni Hildesheim aufmerksam. Was es auf der Homepage der Uni zu lesen gab, war sehr interessant, und so fragte ich um ein Interview an.
Erfreulicherweise war Frau Prof. Dr. Christiane Maaß spontan bereit, einige Fragen für „Ellas Blog“ zu beantworten.
Frau Prof. Dr. Christiane Maaß ist Professorin für Medienlinguistik an der Uni Hildesheim. Sie ist Gründerin und Direktorin der Forschungsstelle für Leichte Sprache.
Als Ansprechpartnerin für den neuen Masterstudiengang „Barrierefreie Kommunikation“ steht sie für Interessenten zur Verfügung und arbeitet im Zulassungsausschuss.
An der Universität Hildesheim kann man ab dem Wintersemester 2018/19 den Masterstudiengang „Barrierefreie Kommunikation“ belegen. Mit großem Interesse habe ich mich auf der Webseite zum Studiengang umgesehen. Können Sie bitte kurz schildern, wie es zu der Idee und Akkreditierung des Studiengangs kam?
Wir haben bereits seit 2011 in unseren Übersetzungsmasterstudiengängen („Sprachen und Technik“ = Fachübersetzen sowie „Medientext und Medienübersetzung“) einen Wahlpflichtbereich im Bereich Barrierefreie Kommunikation. In diesem Wahlpflichtbereich gab es drei Schwerpunkte: Untertitelung für Hörgeschädigte, Audiodeskription für Personen mit Sehschädigung und Übersetzen in Leichte Sprache für Personen mit Leseeinschränkungen. Parallel haben wir eine intensive Forschungstätigkeit in diesen Bereichen entwickelt; Prof. Nathalie Mälzer forscht beispielsweise zur Untertitelung für hörgeschädigte Kinder, ich selbst habe zu Leichter Sprache publiziert (beispielsweise die drei Bände „Duden Leichte Sprache“ zusammen mit Prof. Ursula Bredel).
Durch die neue Rechtslage in Folge der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention entstehen in vielen Bereichen immer mehr barrierefreie Angebote: in den Medien, in den Behörden, im Bereich Online-Behördenkommunikation. Wir finden es sehr wichtig, dass sich dieser Bereich weiter professionalisiert. Um Bescheide vom Amt in Leichte Sprache zu bringen, muss man beispielsweise nicht nur Leichte Sprache können, sondern auch sehr gut mit der deutschen Rechtssprache vertraut sein.
Der Masterstudiengang kommt hier zur rechten Zeit. Wir hatten großartige Unterstützung durch unsere Hochschulleitung und dadurch, dass das Thema Barrierefreiheit und Inklusion hier in Hildesheim von vielen Kolleginnen und Kollegen in Forschung und Lehre vertreten wird, gehen wir mit einem starken Team an den Start. Wir freuen uns sehr auf den Herbst, wenn wir endlich loslegen können.
Ein Lehrinhalt liegt im Bereich Gebärdensprache. Wird hier auch dafür sensibilisiert, dass die Gebärdensprache nicht nur für gehörlose, sondern auch für sprechende Menschen, die z.B. zeitweise mutistisch werden, ein großer Vorteil sein kann?
Die Studierenden lernen zwei Semester Gebärdensprache. Dafür haben wir gehörlose Gebärdensprachdozenten. Der Fokus liegt also bei diesen Kursen auf Gehörlosigkeit. Es geht uns aber auch darum, dass die Studierenden Personen mit einer Kommunikationseinschränkung als Dozenten und damit hoch kompetent und sich selbst als lernend erleben; häufig wird ja im Umgang mit Personen mit Behinderungen eine andere Art von Asymmetrie konstruiert.
Daneben lernen die Studierenden aber auch viele andere Formen der Barrierefreien Kommunikation kennen, etwa die Unterstützte Kommunikation, die ja u.a. auch mit Gebärden arbeitet. Wir setzen darauf, dass die Studierenden so erfahren, dass auch andere Gruppen als die Gehörlosen mit Gebärden kommunizieren.
Es gibt sehr viele Formen der Barrierefreien Kommunikation. In einem viersemestrigen Masterstudiengang bekommt man sicher nicht alles unter. Aber man kann bei den Studierenden ein Bewusstsein dafür aufbauen, wie man sich auf kommunikative Bedürfnisse verschiedener Personen einstellt. Die Studierenden arbeiten hierfür mit Personen mit unterschiedlichen (auch mehrfachen) Behinderungen in inklusiven Settings und Tandems zusammen. Wir haben dafür eine Kooperation mit der Diakonie Himmelsthür, die sehr offen ist für uns und Austausch, Begegnung und gegenseitiges Voneinander-Lernen ermöglichen möchte. Das ist eine großartige Ausgangssituation für den Studiengang.
Barrierefreiheit & Autismus ist ein großes Thema, besonders im Bereich Schule und Berufsleben. Viele Autistinnen und Autisten brauchen zum Beispiel eine reizarme Umgebung, klare Sprache ohne Redewendungen und Floskeln und Verlässlichkeit hinsichtlich vereinbarter Rahmenbedingungen und Gesprächspartner. Inwiefern findet dieser Bereich im neuen Studiengang Berücksichtigung?
Autistinnen und Autisten profitieren von verständlicher Kommunikation, von verständlichkeitsoptimierten Texten in z.T. Leichter und Einfacher Sprache. Viele unserer Absolventinnen und Absolventen werden ja Produzenten von Barrierefreier Kommunikation sein, d.h. sie werden z.B. Leichte-Sprache-Übersetzer/innen. Dann werden sie Texte herstellen, die dann in unterschiedlichen professionellen Settings eingesetzt werden können oder auch bereitstehen, wenn sich Personen mit Kommunikationseinschränkungen selbst informieren wollen.
Ein recht großer Teil der Personen mit Kommunikationseinschränkungen kann ja durchaus selbst teilhaben, wenn barrierefreie Texte zur Verfügung stehen. Wir sorgen dafür, dass in den verschiedenen Bereichen – zum Beispiel Beruf und Schule – genügend Texte zur Verfügung stehen, um Inklusion auch möglich zu machen. Hier gibt es einen sehr großen Bedarf, wir brauchen erst einmal viele barrierefreie Texte, damit Inklusion möglich wird.
Bei den Lehrinhalten ist „Kommunikative Inklusion in Erziehung und Bildung“ aufgeführt. Was kann man sich darunter vorstellen?
Dieser Bereich wird von Kollegen aus der Angewandten Erziehungswissenschaft und aus der Psychologie bestritten. Hier findet auch ein Teil der Praxiskontakte statt. Theoretisch geht es u.a. um neurodidaktische Grundlagen von Verstehen und Informationsaufnahme, in praktischer Hinsicht wird es zu partizipativem Forschen kommen: Die Studierenden übernehmen Forschungsaufträge in der Diakonie Himmelsthür, erarbeiten Kommunikationslösungen, es wird partizipative Forschung geben. Sie lernen Unterstützte und apparategestützte Kommunikation kennen und interagieren auch mit Menschen mit Mehrfachbehinderungen, denn häufig liegt ja nicht nur eine einzelne Behinderung vor, auch wenn das in der Forschung, die häufig „separat“ nach Behinderungsarten läuft, bisweilen so scheint.
Das Visualisieren von Sprache ist für viele Menschen mit Behinderung eine große Hilfe – auch wenn sie über Verbalsprache verfügen. Inwiefern wird zum Beispiel der TEACCH-Ansatz im Studiengang thematisiert?
Die Diakonie Himmelsthür arbeitet intensiv mit Unterstützter Kommunikation (auch mit Talkern), bezieht zur Anlegung von Wissensbeständen und Strukturierung des Alltags alle Sinne – auch Tast- und Geruchssinn – mit ein. Welche Ansätze dabei genau thematisiert werden, kann ich nicht sagen, da ich den Bereich nicht vertrete. Ich bin Übersetzungswissenschaftlerin mit einem Schwerpunkt auf der Übersetzung von Fachtexten in Leichte Sprache.
Kommunikation findet auch über Mimik und Körpersprache statt. Autisten tun sich häufig schwer damit, diese zu entschlüsseln. Wie kann der neue Studiengang die Belange von Autistinnen und Autisten aufgreifen?
Kommunikation ist immer multimodal, d.h. neben verbaler Sprache spielen auch nonverbale Zeichensysteme eine Rolle, die mit unterschiedlichen Sinnen aufgenommen werden kann. Es ist Teil einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Barrierefreier Kommunikation, hier auf alle möglichen Konstellationen einzugehen. Kommunikationseinschränkungen bestehen ja eben darin, dass ein Teil dieser Ressourcen für bestimmte Personen gar nicht oder nur eingeschränkt zugänglich ist. Die Studierenden sollen in die Lage versetzt werden, die Bedürfnisse der Adressatenschaft einzuschätzen und angemessene Texte (und hier meine ich Texte in einem weiten Sinne: vielleicht auch Filme, Audios, Kommunikationssysteme etc.) herzustellen.
Ganz konkret für Autisten ist Leichte Sprache häufig hilfreich: Mehrdeutigkeiten werden aufgelöst, es wird die tatsächliche Textaussage an die Oberfläche geholt. Probleme gibt es ja häufig besonders dann, wenn bestimmte Informationen NUR über Mimik oder Körpersprache vermittelt werden oder wenn die sprachlichen Informationen über Mimik oder Körpersprache konterkariert werden (z.B. wenn Ironie signalisiert wird oder Inhalte indirekt vermittelt werden). Das ist dann eben nicht barrierefrei.
Ist zum Beispiel vorgesehen, Autistinnen oder Autisten einzuladen, damit sie selbst über ihre Bedürfnisse im Bereich Kommunikation erzählen können?
Das ist so konkret nicht zu beantworten, da die Gestaltung einzelner Lehrveranstaltungen natürlich in der Verantwortung der jeweiligen Dozenten liegt. Sicher ist es grundsätzlich denkbar, dass Autist/innen eingeladen werden. Wir haben allerdings vor allem gute Erfahrungen mit echter Projektarbeit gemacht, d.h. dass man nicht unbedingt Runden organisiert, wo jemand berichtet, sondern dass man gemeinsam an Projekten arbeitet, die dann danach auch in der Praxis eingesetzt werden. In solchem Rahmen hatten wir auch schon mit Autisten zu tun.
In anderen Projekten stehen dagegen andere Behinderungen im Vordergrund. Wir möchten die Studierenden gerade nicht auf eine bestimmte Gruppe festlegen, sondern ihnen ein Instrumentarium an die Hand (bzw. in den Kopf) geben, mit dem sie sich auf unterschiedliche Behinderungsarten einstellen können. Dies geschieht durch theoretische Auseinandersetzung und durch gemeinsame Projektarbeit. Und vielleicht hier und da auch einmal durch ein Format wie von Ihnen beschrieben.
In welchen Bereichen werden die Absolventinnen und Absolventen des Studiengangs später arbeiten?
In Büros für Leichte Sprache, als Redakteure bei den Medienanstalten, denn die barrierefreien Angebote werden dort noch immer ausgebaut. In Behörden, als freie Übersetzer/innen, Untertitler/innen, in Einrichtungen der Behindertenhilfe, in Unternehmen der Barrierefreien Kommunikation und Technologie (da gibt es inzwischen eine ganze Menge und wir haben hier so einige Kooperationspartner) etc. Es ist ein expandierendes Feld.
Wo bekommt man weitere Informationen?
Auf unserer Homepage
auf der Informationsveranstaltung am 4. Juli 2018 von 14-15 Uhr am Bühler Campus der Universität Hildesheim (bitte anmelden: sprache@uni-hildesheim.de)
in unserer Studienberatung (masterbk@uni-hildesheim.de; Tel.: +49 5121 883-30950).
Hier noch ein Linktipp:
Die Forschungsstelle Leichte Sprache hat den 3. Hildesheimer Science Slam mit einem Rap zu Leichter Sprache und Barrierefreie Kommunikation gewonnen. Es gibt ein (etwas wackeliges) You-Tube-Video in leichter und lustiger Form mit Informationen und einem musikalischen Teil auch zum neuen Studiengan – wirklich sehr informativ und unterhaltsam.
Vielen herzlichen Dank, Frau Maaß für die ausführlichen Antworten. Das klingt nach einem sehr spannenden Studiengang. Ich wünsche Ihnen und den Studierenden tolle Erfahrungen, viel neues Wissen und spannende Einsichten.
Silke alias Ella
Hallo Silke, schöner umfassender Artikel mit vielen Informationen. Ich bin zwar schon etwas aus dem Studium raus und zu meiner Zeit war an „Barrierefreie Kommunikation“ in dem Sinne noch gar nicht zu denken. Aber da mein beruflicher Alltag im Bereich Webdesign und SEO sich auch mehr und mehr mit den verschiedensten Themen rund um die Nutzung und Barrierefreiheit von Webseiten etc. dreht, ist dieses Thema auch für mich interessant und neue Eindrücke und Erfahrungen zu sammeln kann man ja gar nicht genug. Mittlerweile erlaubt ja auch die Technik über Sprachassistenten, Bilder auslesen und einiges mehr, in dieser Richtung einen breiteren Zugang zu schaffen. Ich werde das Thema weiter verfolgen und bin gespannt, was Hildesheim in dem Bereich, die nächsten Jahre zu bieten hat.
Viele Grüße Tim