Wer kann gerade noch? – Eltern im Wechselspiel der Kräfte

veröffentlicht im März 2017


Es gibt Situationen, die bringen einen wirklich an Grenzen – an physische und emotionale.
Es gibt Hilfsangebote von außen, die wichtig sind und die man annehmen sollte. Die meiste Zeit ist man aber auf sich alleine gestellt. Wie kann man diese Minuten, Stunden oder Tage als Paar meistern?

Ein autistisches Kind mit herausfordernden Verhaltensweisen wie Dinge kaputt machen, mit Körpersäften schmieren, Schlagen und Treten ist nicht zu vergleichen mit einem Teenager, der einfach nur keinen Bock auf Schule und Eltern hat, sich nicht duschen will und mit unflätigen Ausdrücken um sich wirft. Das ist an dieser Stelle sehr verkürzt dargestellt, da es mir in diesem Beitrag um etwas anderes geht.

Nämlich darum, wie es in einer intakten Partnerschaft klappen kann, mit seinen Kräften hauszuhalten und sich gegenseitig zu unterstützen, wenn man ein behindertes Kind hat. Es gibt meiner Erfahrung nach dabei Dinge, die bewusst passieren, aber auch Vorgänge, die unbewusst ablaufen.

Etwas, das wir uns nicht vornehmen, sondern das „einfach so“ passiert, ist im Idealfall das Freisetzen von Energie, wenn man spürt, dass der Andere nicht mehr kann.
Bei uns ist es mit fortschreitendem Alter von Niklas immer häufiger so, dass entweder sein Papa oder ich am Ende unserer Kräfte und Nerven sind. Erstaunlicherweise verspürt der jeweils andere dann plötzlich einen Energieschub, der es ermöglicht, doch noch weiterzumachen, sich zu kümmern und das andere Elternteil zu entlasten.
Ich kann das dann körperlich fühlen: mit dem Realisieren, dass mein Partner nicht mehr kann, kommt von innen eine Welle, die eine Portion Kraft, Nerven und auch Entschlossenheit transportiert. Diese Entschlossenheit ermöglicht es, dem anderen zu sagen: „Geh ruhig, ich schaffe das gerade alleine.“

In all den Jahren kann ich mich nur an eine einzige Situation erinnern, in der das nicht so war und wir beide einfach nicht mehr weiter wussten. Irgendwie kamen wir da wieder raus, aber es war keine schöne Erfahrung und daher denke ich, dass es wichtig ist, sich auch ein paar Entlastungsmöglichkeiten vorzunehmen, ohne dabei auf Dritte angewiesen zu sein. Gerade, wenn man ein Kind hat, das rund um die Uhr Aufsicht und Pflege benötigt.

Wenn es gerade gut läuft und es nicht notwendig ist, dass beide Elternteile anwesend sind, gebt Euch gegenseitig bewusste Auszeiten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es gut und wichtig ist, das auch explizit zu sagen. „Mach doch jetzt was für Dich. Wir können uns später abwechseln.“

Ein Tag pro Woche, an dem man nach der Arbeit machen kann, was man möchte, und zwar ohne schlechtes Gewissen. Gerade arbeitende Elternteile sind zuerst in ihrem Job eingebunden und mit einem behinderten Kind zuhause erneut fremdbestimmt. Sie finden kaum Zeit zum Durchatmen und für Freiräume, weder am Abend, noch an den Wochenenden oder in den Ferien.
Gebt Euch nach Möglichkeit ganz gezielt gegenseitig Freiräume. Es kann eine große Befreiung und Energiequelle bedeuten, wenn man einmal pro Woche nach dem Arbeiten nicht direkt den Weg nach Hause nimmt, wo Betreuung und Pflege warten, sondern sich vielleicht noch zum Sport oder in den Biergarten verabredet. Zeit für sich, Zeit für Freunde, ohne schlechtes Gewissen, weil der Partner diese Zeit umgekehrt an einem anderen Tag auch bekommt und es für beide gut und wichtig ist.

Eine Steigerung davon wäre, sich zwei, drei Tage Zeit zu geben, um auch mal getrennt in den Urlaub zu fahren, alleine oder mit Freunden. Nur eine kleine Auszeit für ein Wochenende – das wirkt manchmal Wunder. Mir ist aber auch klar, dass das nicht für jeden leicht zu organisieren ist und für manche vielleicht sogar unmöglich.

Energie gibt es auch, wenn man sich bewusst Zeit für ein gemeinsames Abendessen nimmt. Ab und zu mal warten bis das Kind im Bett ist und erst dann in Ruhe ohne füttern, rennen und wischen zu müssen, sitzend und dem anderen zuhören könnend Zeit miteinander verbringen.
Bedenkt, dass es Eltern von Kleinkindern schon stressig finden, ständig präsent und auf dem Sprung zu sein. Wie ist es erst für Euch, die Ihr das zum Teil schon 10, 15, 20 Jahre oder länger meistert – man gewöhnt sich an so vieles, macht es Euch bewusst, was Ihr täglich leistet und organisiert Euch kleine Ruheinseln.

Das waren nur ein paar Gedanken von meiner Seite für den Alltag. Was macht Ihr, um Kraft als Paar zu tanken?

Alles Liebe ♥

***

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Alleinerziehend mit autistischem Kind


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  1. Danke! Allerdings ist mein Sohn jetzt schon 25…. in unserer Gegend gibt es keine Kurzzeitpflege, die ihn nimmt. Wäre für Tips dankbar!

  2. Danke, liebe Silke, für diesen Beitrag. Wenn ich das so lese, fühle ich mich verstanden. Sonst kann das doch keiner verstehen, dass ich mich eher auf den Montag als auf das Wochenende freue. Ich traue es mich auch kaum zu sagen, weil es immer so herzlos klingt. Aber so ist es ja nicht gemeint. Wir können nur irgendwie nicht mehr so viele Stunden am Stück leisten. Mein Sohn ist inzwischen 15 Jahre alt und fordert alles von uns, er beschäftigt sich nicht alleine, braucht bei allem Hilfe. Ich liebe ihn über alles und mein Mann auch, aber wir müssen mit unseren Kräften haushalten.
    Danke, dass Du uns Eltern eine Stimme gibst. Danke.

  3. Ohja – das kenne ich auch.
    Es ist faszinierend. Man denkt, man kann nicht mehr. Dann fällt der Partner aus, entweder für einen Moment oder auch länger, weil er z.B. krank ist. Und plötzlich hat man mehr Kraft als man dachte.
    Ich hoffe, dass uns diese Kraft niemals ausgeht. Und ich wünsche es Dir.
    Danke für diesen tollen Blog!
    Marion

  4. Wirklich sehr schön beschrieben. Und die Idee mit der gegenseitigen Auszeit klingt auch wunderbar ! Allerdings mit mehreren Kindern nicht realisierbar … da sind ständige beide gefordert ?. Und gute Entlastung von außen ist schwierig und sehr selten zu finden.

    1. Ja, da hst Du leider recht. Ich möchte in Kürze auch einen Beitrag über Alleinerziehende mit autistischem Kind veröffentlichen. Falls mir jemand etwas dazu erzählen möchte, bitte einfach über das Kontaktformular mailen. LG Silke :-)

  5. Wir haben nicht so die pflegerische Belastung. Unser Großer ist ein hochintelligenter Aspie und kann mit seinen 8 Jahren tatsächlich auch mal ne halbe Stunde alleine bleiben. Da sind es eher die kleinen Dinge im Alltag mit ihm die nervenaufreibend sind. Sein kleiner Bruder hat ADHS und das ist für uns wirklich anstrengend. Wenn er könnte, würde er 24/7 an mir hängen und mich einnehmen. Das weiß auch mein Mann und nimmt ihn mir abends oder am Wochenende auch mal für ne Stunde ab um mit ihm alleine Playstation oder Fußball zu spielen.
    Außerdem haben wir seit unser Großer geboren wurde, die Abmachung dass ich samstags früh aufstehe mit den Kindern und er sonntags. Derjeniege der früh aufsteht, deckt auch schön den Frühstückstisch während der andere bis 9 Uhr schlafen und sich dann an einen schön gedeckten Tisch mit duftendem Kaffee und Brötchen setzen darf. Oftmals werd ich auch früher wach und nutze die Zeit alleine im Schlafzimmer zum Lesen anstatt zum Schlafen und kann in den 2 Stunden meinen Akku wieder aufladen.
    Alle paar Monate gehen wir auch mal ohne Kinder aus essen oder shoppen. Aber das ist Wochen vorher schon immer ein Aufwand jemanden zu finden, der sich bereit erklärt auf die Jungs aufzupassen. Beide zusammen will kaum jemand noch nehmen.

  6. Hallo,
    Vielen Dank für den Artikel. Bei uns ist die Belastung auch sehr groß. Unser Sohn, 14, frühkindlicher Autist, besucht seit einem Jahr nicht die Schule. Betreuung durch einen familienentlastenden Dienst wurde uns wegen Betreuermangel seit 3 Jahren nicht möglich gemacht . Seit März nehmen wir die Zusatzleistungen der Krankenkasse für eine Haushaltshilfe. Sie schafft in 3 Stunden (1x wöchentlich) mehr, als ich in zwei Tagen. Ich bin echt froh über diese Hilfe.
    Da mein Sohn nächste Woche zur Korsettanpassung für 4 Tage stationär mit Papa weg ist, habe ich ein paar Tage zum Durchatmen. Meine Tochter und ich haben in dieser Zeit, ohne schlechten Gewissen, Zeit für Mütter-Tochter- Unternehmungen. Andererseits ist mein Mann öfter auf Lehrgängen weiter weg unterwegs, dass ist dann seine Auszeit. Man muss das Leben so gestalten, dass es allen gutgeht. ?

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Es ist immer wieder überwältigend, was wir als Eltern autistischer Kinder bedenken, organisieren und verarbeiten müssen. Neben viel Wissen und Erfahrungen, die du hier im Blog findest, ist eine solidarische Gemeinschaft unglaublich hilfreich. Das Forum plus ist ein geschützter Bereich nur für Eltern autistischer Kinder. Hier findest du außer praktischen Tipps viel Verständnis und Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen wie Du.

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