Steffi ist zwölf Jahre alt.
In der 25. Schwangerschaftswoche erblickte sie mit 640 Gramm das Licht dieser Welt, wie man so schön sagt. „Sie musste drei Mal reanimiert werden und bekam acht Bluttransfusionen“, erzählt ihre Mama Elke.
„Irgendwann hatte sie nur noch 490 Gramm, die Ärzte rieten mir, eine Nottaufe zu machen, was ich aber nicht wollte.“
Als Steffi zwei Jahre alt war, wurde frühkindlicher Autismus diagnostiziert.
(alle Namen geändert)
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Elke und Steffi – ein Portrait in Kurzaufnahmen:
Auf der Intensivstation finden sich frisch gebackene Eltern plötzlich in einer ganz neuen Welt wieder: Kabel über Kabel, Inkubatoren, strengste Hygienevorschriften, Gepiepe und Alarmtöne, die erschrecken und die ständige Habachtstellung, weil sich von jetzt auf gleich etwas am Zustand des Kindes verändern kann. Hoffen und Bangen liegen hier nah beieinander.
Steffis Zustand stabilsierte sich auf der Intensivstation nach und nach. „Mehrmals am Tag besuchte ich sie“, berichtet Elke. Nach etwa zwei Monaten wurde Steffi aber in eine andere Klinik verlegt, da man befürchtete, sie könne erblinden. „Das bestätigte sich zum Glück nicht“, erzählt Elke. Und etwa drei weitere Monate später, „am 08. März 2006 durfte ich Steffi mit nach Hause nehmen. Sie wurde per Dauer EKG überwacht. Nachts bimmelte der Bildschirm oftmals.“
Trotzdem war Elke damals nach den vielen Monaten voller Unsicherheit und Belastung der Überzeugung, dass das Schlimmste überstanden war und sich ihre Tochter zwar etwas verzögert, aber doch normal entwickeln würde.
Mit der Frühförderung machen die meisten Eltern entwicklungsverzögerter und behinderter Kinder Bekanntschaft. Dort kümmert man sich um den Nachwuchs, erstellt einen detaillierten Förderplan und nicht wenige Eltern hoffen, dass spätestens danach dann alles wieder im Lot und die Entwicklung altersgerecht sein wird. Das ist aber nicht bei allen der Fall.
Auch Elke und Steffi gingen in der Frühförderung ein und aus. „Schließlich wurde ich darauf aufmerksam, gemacht, dass mit Steffi irgendwas nicht stimmt. Frühkindlicher Autismus wurde vermutet und von einer qualifizierten Stelle bestätigt. Da war Steffi zwei Jahre jung.“
Inzwischen besucht Steffi die Schule. Es ist eine Förderschule, in der man bestens auf autistische Kinder mit besonders hohem Pflege- und Betreuungsbedarf eingestellt ist. Für Elke ein gutes Gefühl, dass sie dort gefördert wird und man auf Steffis Besonderheiten eingehen kann. Sie braucht diesen Schutzraum, alles andere würde sie überfordern und noch mehr Reizüberflutung als ohnehin schon verursachen.
Der Alltag ist schwierig. Elke ist ständig auf dem Sprung, kümmert sich rund um die Uhr um Steffi.
Sie trägt als Hilfsmittel Orthesen und einen Helm. „Ihre Selbstverletzungen machen mir sehr zu schaffen“, erzählt Elke. „Da sie sich ernsthaft selbst verletzt, trägt sie ihren Helm dauerhaft, nur beim Schlafen nicht.“
Steffi wacht jede Nacht mehrmals auf und braucht tagsüber jede Minute Aufsicht, weil sie alles in den Mund steckt und sich gefährdet. „Ich sitze immer neben ihr und kann sie keine Minute aus den Augen lassen“, meint Elke.
Sie spricht nicht. „Meist zieht sie mich an einem Finger dorthin, wo sie etwas möchte. Ihre Vorlieben sind Musik hören und in der Schule kocht sie gerne“, erzählt Elke.
Schwierig ist es auch für Steffis Bruder, er ist eineinhalb Jahre älter. Ihre Bedürfnisse und seine Interessen unter einen Hut zu bekommen, ist nicht einfach. „Ich weiß nicht, wie lange ich das noch schaffe. Er ist in der Pubertät und braucht mich auch auf seine Weise. Ich sitze jeden Tag da und weine, weil ich nicht weiß, wie das gehen soll.“
Bereits in der Babyzeit, als Steffi auf der Intensivstation lag, musste ihr Bruder zurückstecken, durfte seine Schwester nicht besuchen, weil Kinder dort nicht erlaubt waren. „Und so ging es immer weiter. Das macht mir schwer zu schaffen“, sagt Elke.
2013 diagnostizierte man bei Elke einen Burnout mit psychischen Problemen, nachdem vorher zum Glück ein Schlaganfall ausgeschlossen worden war. Elke erzählt, dass sie mental von Freunden unterstützt wird. Tatkräftige Hilfe bekommt sie von Steffis Opa, der sich sehr für sie einsetzt.
„Ich würde mir wünschen, dass Autismus in unserer Gesellschaft besser akzeptiert wird“, sagt Elke. Eine Zukunft, in der Steffi und ihr Bruder glücklich sein können und in der alle gesund bleiben, liegt Elke sehr am Herzen. Gerne hätte sie mehr Positives herausgestellt, aber das Leben ist im Moment sehr schwer für sie und das kann man nicht einfach weglächeln.
Und ein Gutes hat es vielleicht dennoch – so kann dieser Beitrag in Momentaufnahmen vielleicht anderen Familien, denen es ähnlich geht, zeigen, dass sie nicht alleine sind.
Liebe Elke,
ich möchte dir mitteilen, dass auch du nicht alleine bist <3. Ich kann deine Sorgen im Ansatz verstehen, weil ich auch drei Frühchen habe – eines musste auch reanimiert werden, zwei beatmet und alle 3 lagen einige Zeit im Inkubator. Dir muss ich ja nicht erzählen, welche unzählige Therapien im Anschluss folgen.
Mein Sohn und ich sind allerdings in einem anderem Bereich des Autismusspektrums als deine Steffi und ich ahne nur, wie dein Tag aussieht, weil ich Silkes Sohn schon mehrmals beobachten durfte.
Danke, dass du deine Geschichte mit uns teilst. Mir persönlich ist es sehr wichtig, dass frühkindliche Autisten auch "gesehen" werden.
Hallo Elke,
ich kann sehr gut nachempfinden wie es dir geht, unser Alltag sieht ganz ähnlich aus. Vor allem die soziale Isolation (für Freunde, Treffen und Feiern bleibt ja kaum Zeit, schon gar nicht spontan) und das fast zu 100 % fremdbestimmt sein finde ich über die Jahre hin sehr belastend. Bei uns kam jetzt die Pubertät hinzu, da wurde es nochmal schwieriger mit der Betreuung … woraufhin sich Schule, Ämter und Behörden erst mal ganz zurück zogen und man dann wirklich ganz allein mit allem war. Der Ältere Bruder hat unter der Situation mehr gelitten als ich erkannte und einer Depression entwickelt. Ich gebe wirklich mein Bestes und versuche tagtäglich alle Kräfte zu mobilisieren die ich noch habe, habe aber leider oft das Gefühl es reicht trotzdem nicht.
Ich las deinen Text und konnte mich bzw. uns an sehr vielen Stellen wieder finden. Auch wir haben eine Tochter , bei der die Diagnose frühkindlicher Autismus gestellt wurde. Sie war damals 2 1/2 Jahre alt. Unser Sohn, der 6 Jahre älter ist als unsere Tochter, musste auch sehr viel zurückstecken. Das war auch nicht immer einfach, weder für ihn noch für uns.
Ich finde es schön, dass du etwas über dein Leben geschrieben hast, denn es stimmt, meist hört man nur etwas über Asberger Autisten. Und die meisten, also außerhalb der eigenen Familie, kennen auch nur die Zweig. Da ist man oft am Erklären, jedenfalls tu ich das. Aber es gibt auch Situationen, in denen ich gar nichts erkläre oder sage, sondern einfach nur „unser Ding“ weitermache.
Unsere Tochter ist inzwischen 17 Jahre und in all dieser Zeit, hatten wir viele Tiefen, aber auch Höhen. Selbstverletzungen haben wir auch kennengelernt und zum Glück war es nur eine Phase. Aber die Angst, dass es bei Überreizung nicht doch wieder in diese Richtung geht ist und bleibt groß. Da vergießen man selber viele Tränen, weil man absolut hilflos davor steht und nicht weiß, was nun richtig oder falsch ist. Beruhigen…Trösten …Anfassen möchte das Kind nicht. Wie also hält man das Kind davon ab z.B seinen Kopf gegen einen Türrahmen zu schlagen oder sich selber gegen den Kopf zu hauen. So viele Instinkte, die man in die Wiege gelegt bekommen hat, darf man einfach nicht anwenden, weil die Kinder es nicht ertragen können. Das ist so schwer zu sagen…Sie hat sich gerade voll weh getan…Ich gucke später in Ruhe…nehme sie nicht in den Arm usw. Im Laufe der Jahre verliert man auch selber einen Teil seines ursprünglichen Wesens. Da bist du jedenfalls nicht allein mit und ich denke, ich weiß wie es dir damit geht.
Unser Sohn hat sich im übrigen sehr gut damit zurecht gefunden. Sicher…Am Anfang gab es auch Schwierigkeiten und er musste viel zurückstecken. Wir haben immer viel mit ihm geredet und versucht zu erklären. Er sollte sich nicht für seine Schwester schämen, was sicherlich trotzdem mal der Fall war. Also reden, reden, reden und möglichst viele seiner Freunde früh genug aufklären. Der Lehrer unseres Sohnes hat uns schon früh „gelobt“ , dass unser Sohn ein sehr gutes Sozialverhalten hat. Und inzwischen ist er ein junger Mann, der seine Schwester liebt und beschützt. Mit ihr auch mal etwas alleine unternimmt usw.
Vielen Dank für deinen Text und du siehst, du bist nicht allein.
Einige Dinge ähneln sich und ich kann mir gut vorstellen, was zwischen den Zeilen steht ☺ und den Asberger Autisten bin ich sehr dankbar, denn wenn sie über ihr Leben und Empfinden schreiben, hilft es manchmal unsere Tochter zu verstehen, denn sprechen kann sie auch nicht.
Hallo und guten Morgen,
ich kann eigentlich überhaupt nicht mitreden, denn ich habe fünf „normale“ Kinder.
Aber ich glaube, dass genau das, was Monika über ihren Sohn geschrieben hat, etwas sehr Wichtiges ist. Er hat ein sehr gutes Sozialverhalten, er liebt und beschützt seine Schwester.
Es laufen sehr viele Menschen ohne Empathie herum und ihr alle habt durch eure Familiensituation und durch eure Erziehung und all die Energie und Kraft, die ihr täglich euren Kindern gebt, etwas so Wertvolles getan und tut es täglich immer noch.
Viel Grüße und ganz viel Kraft
Elisabrth
Danke fürs Mitreden :-)
Danke für diese Zeilen, sie machen mir Angst und Mut zugleich. Mein kleiner 2 hat erst diesen Herbst den Verdacht auf Autismus bekommen, mein großer 3 ist sein Ventil und bekommt alles ab.
Kita hat beide Jungs kurz vor Weihnachten gekündigt und ich bin eigentlich selbstständig.
Ich weiß zur Zeit garnicht wo mir der Kopf steht.
Ich hoffe das auch wir unseren Weg finden.
Danke Ella für diesen tollen Blog