Doris‘ Sohn ist Autist und in der Pubertät: „Ich möchte meinem Sohn Mut machen – aber wie?“

Gastbeitrag von Doris:

Mein Sohn ist 15 Jahre alt, er ist ein total intelligenter Junge aber Dinge wie etwas zu organisieren, mit dem Zug zu fahren oder zum Arzt zu gehen, sind schier unmöglich. Auch jetzt im letzten Schuljahr in der 10. Klasse Realschule wird sein Asperger mit ADS immer sichtbarer.
Karl ist extrem demotiviert und möchte keine Veränderung nach der Schule. Sein Spezialinteresse geht nur in ein bestimmtes Thema, wo es keine beruflichen Möglichkeiten gibt, deshalb verliert er total seine Motivation.
Ich habe große Probleme, ihm Mut zu machen und ihn zu motivieren. Er hat weder einen besten Freund noch trifft er sich mit Klassenkameraden. Karl ist nachmittags lieber für sich allein. Er sagt, er mag seine Klassenkameraden und es reicht ihm, diese in der Schule zu sehen.
Dennoch sieht er sie als seine Freunde und deshalb will er, dass nach der 10. Klasse alles beim Alten bleibt. Er hat Angst, dass die Kontakte danach abbrechen weil eben alle anderen in Vereinen sind, auch außerhalb der Schule Freunde haben und er dann nicht mehr für seine Schulkameraden wichtig ist.

Karl konnte sich in der Schule gut anpassen und war zumindest dort ein Teil des Ganzen. Auch wenn er danach dann erschöpft ist und einfach in sein Reich verschwindet, Kopfhörer auf und Musik hört und nicht mehr aus seinem Zimmer kommt bis zum Bett gehen. Und nach der Realschulzeit nicht mehr ein Teil dieses Ganzem zu sein, frustriert ihn, demotiviert ihn und ich kann ihm nicht helfen.
Auch wenn ich ihm sage, dass danach, z.B. auf der FOS wieder neue Freunde in sein Leben treten und er sich dann vielleicht auch mal frei entfalten kann, was seine Persönlichkeit betrifft, hilft ihm das nicht. Denn jetzt in der Realschule trägt er Klamotten, Schuhe, behauptet Musik zu hören, die er gar nicht mag, gibt an, sich für normale Hobbys zu interessieren, weil er so Angst hat gemobbt zu werden, dass er sozusagen seit Jahren eine Rolle spielt, die überhaupt nicht er ist. Das strengt natürlich an.
Jetzt bricht das weg, was er sich über Jahre angeeignet und aufgebaut hat und er hat Angst vor dem Neuen.

Ich bin alleinerziehend. Außer Karl habe ich noch meine Tochter Pia. Sie ist sechs Jahre alt und hat die Diagnose „frühkindlicher Autismus“. Meine kleine Pia bestimmt hauptsächlich unseren Alltag, seit drei Jahren stemme ich alles alleine: den schulischen Weg, Therapien, Arztbesuche, stationäre Aufenthalte, den Alltag usw, dabei musste Karl sehr zurückstecken, obwohl ich wirklich versuche, auch bei ihm dran zu bleiben und ihn zu unterstützen.
Die Diagnose bei Karl wurde erst vor ca. neun Monaten gestellt. Ich hatte schon immer die Vermutung, Karl war aber erst jetzt bereit, vielleicht auch mir zu Liebe, es zu testen.

Jetzt in der Pupertät merkt man den Autismus sehr. Ich weiß nicht, wie ich ihn motivieren kann weiterzumachen und habe Angst, dass er mir wegbricht. Er möchte nicht, dass die Lehrer von der Diagnose erfahren.
Dazu kommen natürlich die alltäglichen Dinge wie einkaufen gehen, alleine zum Arzt zu gehen, Zug zu fahren, mit dem Fahrrad wohin zu fahren usw.
Da er die Diagnose nicht annehmen will, weil er meint dann als behindert zu gelten und ausgelacht zu werden, weiß ich nicht weiter und verzweifle und da meine Tochter mich auch so stark und viel braucht, macht es die Situation noch schwieriger.

Ellas Blog lesen so viele und ich würde mir wünschen, dass sich Eltern melden, denen es ähnlich geht oder die so eine Phase schon durchlebt haben.
Habt Ihr Tipps?
Oder lesen hier vielleicht Autisten, die meinem Sohn nachfühlen und mir als Mutter einen Tipp geben können? Wie kann ich ihn unterstützen? Wie motivieren?

Ich habe ihm versucht zu erklären, dass er und Pia was ganz Besonderes sind und ich bin wahnsinnig stolz, die Mutter zwei solch besonderer Kinder zu sein!

Ich würde mich über Eure Erfahrungen und Tipps freuen – vielen Dank
und liebe Grüße

Doris

 

11 comments

  • Andrea Frank-Sinkewitsch

    Was Sie da stemmen ist sehr bewundernswert. Meine Hochachtung. Ich wünsche Ihnen ganz viel Kraft weiterhin.
    Wo hat er denn seine besondere Begabung. Gibt es nicht die Möglichkeit in diesem Bereich in eine Gruppe zu gehen? Kontakte suchen mit anderen Asperger Autisten in diesem Alter. LG Andrea

  • Annette

    Hallo Andrea,
    ich habe über facebook Leo M Kohl kennengelernt. Das ist ein junger Mann mit der Diagnose Autismus. Er hat auch ein tolles Buch geschrieben (gehört neben Ellas Büchern auch zu meinen Favoriten). Vielleicht kannst du zu ihm Kontakt aufnehmen und er findet als selbst Betroffener Zugang zu deinem Sohn. (Er hat eine Homepage mit seinem Namen). Veränderungen sind schwierig und machen große Angst. Es wird weiter gehen, nur das sieht dein Kind jetzt noch nicht. Du machst das gut, indem du ihm immer wieder Mut machst. Das Wissen, dass du da bist und hinter ihm stehst, egal was auch komlt, gibt ihm Sicherheit. Ich wünsche dir für deine Zukunft weiterhin viel Kraft und alles Gute
    Annette

  • Ein tolles Engagement. Jedoch ist es nicht verwerflich Hilfe zu holen. Wenn iher Tochter einen Pflegegrad hat wovon ich ausgehe, haben sie verschiedene Möglichkeiten über die Kasse Hilfen abzurechnen. Somit wäre auch etwas Luft führ ihren sohn.
    Es gibt verschiedene Möglichkeiten zu probieren, was für ihren Sohn annehmbar ist. Gern könnte ich Ihnen einige Hinweise geben.
    Silke gibt ihnen gern meineclpntaktdaten weiter.
    Herzliche Grüsse
    Thomas

  • E.F.

    Kann es sein, dass es sich um Depressionen handelt? Die extreme Anpassungsleistung, gleichzeitig aber erkennen zu müssen, anders zu sein, nicht mithalten zu können mit anderen, sich mit der Diagnose auseinandersetzen zu müssen, die dein Sohn noch nicht lange hat, und die keiner wissen soll, fordert seinen Tribut. Ich meine, dass man ihn da von außen kaum motivieren kann, er geht ja scheinbar sowieso dauernd über seine Grenzen. Ich würde versuchen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Meinem Sohn (er ist erst 5), hilft es manchmal zu sagen, wenn er Angst vor Veränderungen hat, dass ER immer der gleiche bleibt, egal wo, in welcher Gruppe er ist, und welchen Namen die hat, nur die äußeren Umstände ändern sich. Das hilft ihm sich zu erden. Alles Gute für euch.

    • Astrid

      Der Aspekt auf Depression ist gut, um eine andere Herangehensweise in Betracht zu ziehen. Lassen Sie das bitte mal überprüft, denn Depressionen können sehr schlimme Folgen haben.
      Ich finde es toll, wie Sie das alles meister. Haben Sie mal eine Mutter-Kind- Kurz in Betracht gezogen? Vielleicht gibt es dort noch weitere Unterstützungen.
      Wie Sie Ihren Sohn erledigen, finde ich großartig, er hat es schon weit geschafft.
      Welche Interesse hat er denn? Vielleicht gibt es ja anderswo für ihn Möglichkeiten, etwas Berufliches daraus zu machen ❓
      Ich wünsche Ihnen alles Gute.
      Astrid

  • Jule

    Hut ab vor ihrer Leistung. Ich bin auch Alleinerziehende von einem Autisten. Er ist 14 und ist auch eher unmotiviert was Alltags Dinge betrifft. Ich denke das ist eher der hormonellen Umstellung zu zeugen. Die ja Autisten genauso treffen wie nicht Autisten. Es passiert ganz viel im Körper und dann kann er ja nun auch nicht zu seinem Autismus stehen. Es ist nicht schlimm anders zu sein, kann sogar manchmal von Vorteil sein. Wenn es mein Sohn sein würde und es ginge würde ich ihm die Zeit geben die er braucht. So ein schneller Wechsel ist immer anstrengend. Vielleicht gibt es in deiner Nähe einen Autismus Verein. Mit der Leistungsgesellschaft ist das so eine Sache, ich finde das nicht gut. Und ich habe auch schon bedenken daß es bei meinem Sohn dann auch so straffe Wechsel geben soll und ich das nicht kontrollieren kann bzw. Selbst entscheiden kann. Selbst ein Jahreszeiten Wechsel braucht bei uns Zeit. Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft. Um evtl. Neue Perspektiven zu finden. LG

    • Joshua-Joey S.

      Hallo, ich bin selber frühkindliche Autist. Habe schon viel erreicht und werde in Zukunft mehr erreichen. Ich sehe alle hier an als. „Jeder ist anders und keiner ist gleich.“ Wie kommuniziert Ihrer Sohn mit ihm denn und welche Diagnose hat ER? Wenn weiter Frage habe gerne bin ich da.

      Mit freundlichen Grüßen

      Joshua-Joey S.

  • Zarinka

    Ich kann hier natürlich wie immer nur für mich persönlich sprechen…ich spreche also nicht für alle Autisten.

    Mit 15 Jahren konnte mein Sohn jedoch auch nicht alleine Zug fahren oder irgendetwas alleine organisieren, geschweige denn zum Arzt gehen.

    „Oder lesen hier vielleicht Autisten, die meinem Sohn nachfühlen und mir als Mutter einen Tipp geben können? Wie kann ich ihn unterstützen? Wie motivieren?“

    Ich selbst bin Autist und lese hier oft.

    Ich kann deinem Sohn nachfühlen, aber Tipps habe ich leider dennoch keine.

    Depressive Verstimmungen traten in diesem Alter bei meinem Sohn (Diagnose Asperger) recht häufig auf. Und auch heute ist dies nicht wirklich viel anders.

    Ich selbst (Diagnose Asperger) konnte und kann auch heute weitgehend recht gut mit solch depressiven Phasen umgehen.

    Mir macht das Alleinsein bis heute keine Probleme und Freunde hatte ich so wie so noch nie welche. Ich kann mit Freundschaften einfach nichts anfangen.

    (Wüsste jetzt auch nicht dass mein Sohn jemals irgendwelche Freunde hatte oder hat.)

    Daher kann ich den Wunsch deines Sohnes, nachmittags lieber allein zu sein, gut nachempfinden.

    Die Sache mit dem Motivieren: das klappt bis heute nicht wirklich. (Weder bei mir noch bei meinem Sohn. Er lebt heute in seiner eigenen kleinen Wohnung und versucht nun seit einigen Jahren ohne jegliche Betreuung sein Leben alleine zu meistern.) Es kostet mich immer wieder erneut viel Kraft mich zu irgendwas zu motivieren was nicht mit meinem Spezialinteresse zu tun hat.

    Und das sieht bei meinem Sohn auch nicht viel anders aus.

    Dennoch versuchen wir beide uns irgendwie immer mal wieder gegenseitig zu motivieren. Jeder hat hier die Hoffnung vielleicht wenigstens den anderen irgendwie motiviert zu bekommen wenn es schon nicht bei einem selbst klappt, dann vielleicht ja beim anderen.
    (Wirklich klappen tut dies jedoch nicht.) ;)

    Was jetzt Veränderungen angeht: die mag ich auch nicht, und sie können mir auch heute noch sehr zu schaffen machen.

    Früher habe ich sehr oft Vergangenem nachgetrauert, und auch heute kommt das immer mal wieder vor.

    Es hat viele Jahre benötigt bis ich erkannt habe dass Entwicklungen, Veränderungen, sich nun einmal nicht aufhalten lassen und das nichts dauerhaft bleibt.

    Ein Prozess den ich auch heute noch, immer wieder aufs neue durchleben muss.

    Ist jetzt nicht wirklich hilfreich, aber vielleicht melden sich ja noch andere Autisten hier die doch noch einige hilfreiche Tipps anbieten können.

  • Claudette

    Hallo, ich bin auch eine alleinerziehende Mama eines Aspies, dessen Pubertät immer näher rückt. Neben dem Buch von Leo Kohl kann ich noch die Schattenspringer Bücher empfehlen. Autismus in Comic Form. Auch würde ich abklären lassen, ob eine Depression vorliegt. Ich wünsche dir viel Kraft.

  • Sabine

    Liebe Doris! Mein Sohn (16) hat auch noch manches Problem, vor allem macht ihm Essen in Gesellschaft Schwierigkeiten. Er geht ins Gymnasium und kam in der Oberstufe in eine neue Klasse. Davor war er auch schon recht gut integriert in die Klasse, anfangs hatte er aber in der neuen Klasse große Probleme, über seinen Autismus zu sprechen. Doch er hat auch große Fortschritte gemacht und hat seit der 5. Klasse auch einen Freund, mit dem er sehr viel Zeit verbringt. Dieser Freund hat inzwischen die Schule verlassen, doch immer noch sind die beiden beste Freunde. Dem Freund ist einfach klar, dass er in niemand anderem einen so loyalen Freund finden wird wie in meinem Sohn.
    Zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr öffnet sich für viele Aspies ein Fenster, in dem sie neuen Erfahrungen gegenüber sehr offen werden können. Das zu wissen kann dir vielleicht ein wenig Zuversicht geben. Alles Liebe dir und deinen Kindern!

  • Sani

    Ich kann mir gut vorstellen wie du dich fühlst und das die Ängste um dein großes Kind übermächtig werden.
    Für viele ist die Diagnose persönlich ein Befreiungsschlag endlich zu wissen was denn wirklich los ist. Für deinen Sohn wohl eher leider noch ein Grund zum Schämen.
    Es ist mühselig und nicht oft von Erfolg gekrönt, als Mutter seinem Kind immer das positive vor Augen zu halten. Das was wir als positiv empfinden muss es für unsere Kinder aber oft nicht sein.
    Ich glaube wir dürfen nicht müde werden anreizte zu geben, Blickwinkel zu öffnen die gerade in der Pupertät von unseren Kinder einfach nicht gesehen werden können.
    Die Erfolge sind oft zäh und die Erwartungen groß. Das macht Angst und Frust auf beiden Seiten.
    Die feinen Antennen unserer Kinder werden oft unterschätzt und auch wenn die Ängste nicht ausgesprochen werden, so fühlen sie es doch.
    Nach dem Motto geht’s Mama nicht gut, geht’s mir nicht gut.
    Geduld ist nicht jedermanns Sache, und auch meistens nicht das was man hören will, weil sie uns ausbremst an vielen Tagen Stillstand signalisiert. Aber genau das Gegenteil ist der Fall.
    Nicht in jedem Verhalten das auf längere Zeit bei uns wohnt steckt ein weiteres Hindernis. Es ist sicher eine Kunst einerseits zu motivieren, Anreize zu geben, den momentanen Stillstand anzunehmen und gleichzeitig die Hoffnung zu haben das etwas ankommt und sich letztendlich zum Guten wendet. Es Heist nicht alles hinzunehmen und nicht aufmerksam zu sein, auch nicht in Gefahrensituationen nicht tätig zu werden. Es Heist zu sortieren und oft auch akzeptieren das vieles länger dauert und es heißt annehmen auch wenn unsere eigene Erziehung unsere Erfahrungen was anderes sagen.
    Ich wünsche dir und deinen Kindern eine gute Zeit:)

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