Die Schulzeit ist zu Ende – für Niklas geht es in der Förderstätte weiter
„Schule ist fertig. Ich gehe. Ihr bleibt.“ Das ist das Motto, das Niklas sich für seinen Schulabschluss gewählt hat. Kurz, knackig, auf den Punkt gebracht.

Bevor ich Euch erzähle, wie es für Niklas nach der Schule weitergeht, möchte ich hier unbedingt vorausschicken, wie sehr ich mich über Eure vielen Emails und Kommentare, die mich in den letzten Wochen erreichten, gefreut habe.
In meinem letzten Beitrag von vor einigen Wochen hatte ich von unserer Not berichtet, da die Zukunft noch ungewiss war und sich trotz jahrelanger Vorbereitung nun Hürden auftaten, von denen wir nicht wussten, ob und wie sie zu nehmen sind. Ihr habt mir so viele liebe Zeilen geschrieben, von Eurem Leben berichtet oder einfach nur Mut gemacht und Verständnis gezeigt, dass ich manchmal völlig geflasht vor meinem PC saß.
Einmal mehr durfte ich spüren, wir sehr mir die Arbeit mit Ellas Blog auch positive Energie, Anteilnahme und Zuspruch zurückgibt. Habt herzlichen Dank dafür!
Niklas hat seine 12jährige Schulzeit beeendet
Ja, der Heldentiger war nun wirklich 12 Jahre lang in der Schule und hatte eine überwiegend schöne Zeit in einer Klassengemeinschaft, die mit meist sechs Mitschülern über die ganzen Jahre hinweg diegleiche blieb und mit Mitarbeitern, die ihn wertschätzend und kompetent begleiteten und förderten.
Wir sind sehr dankbar dafür, denn die Schule war für Niklas und uns als Familie eine feste Konstante all die Jahre, die uns Sicherheit und Struktur gab. Durch meine ehrenamtliche Arbeit in einem Verein und meine Arbeit mit „Ellas Blog“ weiß ich, dass das keine Selbstverständlichkeit ist, da viele autistische Kinder und Jugendliche immer wieder Schulen wechseln oder als unbeschulbar zuhause bleiben müssen. Das blieb uns erspart.
Nun ist sie also zu Ende gegangen die Schulzeit und sowohl bei Niklas als auch bei uns Eltern macht sich ein wenig Wehmut breit, weil es eine prägende, meist sehr schöne Zeit war, in der wir Menschen kennenlernen durften, die uns zum Teil als Freunde bleiben werden. Aber wir sehen auch zuversichtlich und freudig nach vorne, denn es ist gut, dass nun etwas Neues kommt und der Wechsel in den Erwachsenenbereich ist für Niklas eine Weiche, die genau zum richtigen Zeitpunkt kommt.
Wie geht es weiter?
Niklas wird mit vier weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmern in einer intensiv begleiteten Förderstättengruppe betreut und gefördert werden. Aufgrund seiner starken Einschränkungen kann er (zumindest aus heutiger Sicht) keine Berufsausbildung absolvieren und auch nicht in einer Werkstatt arbeiten.
In dieser Fünfergruppe wird er seinen neuen Wirkungskreis haben, neue Freunde finden, seinen Horizont erweitern und Neues an sich und anderen entdecken können. Im Vordergrund steht das weitere Ausbilden selbstständiger Tätigkeiten, die mit Essenssituationen, Hygiene, Planung, Kochen, Werken und vielem mehr zu tun haben. Er wird Tätigkeiten verrichten können, die seinen Neigungen entsprechen und wir haben schon platziert, dass er es lieben würde, dem Hausmeister (so wie er das in der Schule immer wieder durfte) über die Schulter schauen zu dürfen.
Er findet hier ein soziales Gefüge, in dem er sein Bedürfnis nach Interaktion und auch bestimmt seinen ganz besonderen Humor ausleben können wird.
Außerdem wird er weiter in der für ihn so wichtigen Gebärdensprache gefördert werden. Das ist enorm wichtig für ihn und war mit wegweisend für die Entscheidung für eben diese Einrichtung, in der er verstanden werden wird, weil seine Kommunikationsform respektiert wird.
Wir sind gespannt, wie er sich weiterentwickelt und welche Facetten seiner Persönlichkeit er uns noch zeigen wird.
Die Vorbereitung und der Übergang
Die Möglichkeit, Niklas in diese Gruppe zu integrieren, fanden wir bereits vor zwei Jahren und bahnen seitdem den Kontakt dorthin an. Da Übergänge für die meisten Autistinnen und Autisten eine sensible und krisenanfällige Phase bedeuten, wollten wir so viel wie möglich bereits im Vorfeld anbahnen und für ihn vertraut werden lassen, damit ihm der Übergang so leicht wie möglich gemacht wird.
Im Rahmen des FeD/FuD verbrachte Niklas dort schon viele Stunden, lernte Mitarbeiter und Räumlichkeiten kennen und fasste Vertrauen in die Einrichtung und ihre Strukturen. Die Möglichkeit, sich individuell weiterentwickeln und an Gemeinschaft teilhaben zu können sowie auf Mitarbeiter zu treffen, die viel Erfahrung im Bereich Autismus haben, wertschätzend, ressourcenorientiert und ganz individuell auf die jungen Erwachsenen eingehen, hat uns überzeugt.
Am wichtigsten ist natürlich, dass Niklas dorthin wollte und will und das gebärdete er immer wieder: „Nach der Schule will ich dort arbeiten.“
Die heiße Phase in den letzten Monaten
Trotz der langen Vorbereitung und Anbahnung schien in den letzten Monaten doch noch einmal alles ins Wanken zu geraten. Für einen solchen Platz muss der Bedarf sorgfältig ermittelt und die notwendige Betreuung bestimmt werden, damit ein verantwortungsvolles Miteinander und vor allem der sensible Übergang von Schule in den Erwachsenenbereich möglich wird. Hier musste einiges verhandelt und geklärt werden und uns schien am Ende die Zeit davon zu laufen. Das zermürbte und zog uns den Boden unter den Füßen weg. Alle anderen Lebensbereiche schienen plötzlich still zu stehen, Gedanken kamen auf, was sein würde, wenn es doch nicht klappt, gleichzeitig konnten wir uns das überhaupt nicht vorstellen, dachten weiterhin positiv und hofften, aber auch Überlegungen „was ist wenn doch nicht“ drängten sich immer wieder in den Vordergrund, denn es brauchte dann möglicherweise einen Plan B.
Vor einigen Tagen löste sich zum Glück alles auf und für Niklas ist nun alles bereitet. Er kann den Weg, den er sich selbst wünscht, weitergehen, wird auf bekannte Menschen treffen, hat Bezugspersonen bereits dort vor Ort und wir wünschen ihm alles erdenklich Gute für diesen Weg.
Jeden Tag kann er dann zu seiner Arbeit fahren und dann wieder nach Hause kommen, denn sein gewohntes Wohnumfeld wollen wir ihm erhalten.
Ungewissheit raubt Kraft und Stabilität
Trotzdem möchte ich an dieser Stelle allen Entscheidungsträgern nahebringen, wie schlimm es für Familien ist, im Ungewissen gelassen zu werden. Das zieht sich durch alle Instanzen, beginnt schon bei Entscheidungen, die für Kindergarten und Schule und dann eben auch für den Erwachsenenbereich, Arbeit und Wohnen getroffen werden müssen. Ich weiß von Familien, die immer noch keine Sicherheit haben, obwohl ihre Kinder soeben die Schulzeit beendet haben, und ich weiß von Familien, die schon so lange keine Entscheidungen und damit keine Versorgung ihrer erwachsen gewordenen Kinder haben, dass diese als zum sog. „unversorgten Personenkreis“ Gehörende zuhause bleiben. Was das bei einem erwachsenen Behinderten mit Pflegegrad vier oder fünf bedeutet, mit ausgeprägter Weglauftendenz und der Nowendigkeit rund um die Uhr versorgt und betreut werden zu müssen, können sich die wenigsten vorstellen. Die Eltern müssen dies dann alleine leisten, werden nicht jünger und büßen nach und nach Ressourcen ein. Die meisten müssen ihre Jobs kündigen und geraten in einen Abwärtsstrudel.
Nicht zuletzt raubt es unseren autistischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Sicherheit und Stabilität, die sie so dringend in ihren Leben brauchen. Es ist kontraproduktiv und zieht nur weitere Probleme nach sich, wenn diese Zeiten von Unsicherheit und ohne qualifizierte Betreuung sich unnötig ausdehnen.
Wo auch immer es möglich ist, möchte ich daher dafür sensibilisieren, Entscheidungen bitte nicht hinauszuziehen, den Familien Sicherheit zu geben und wohlwollend Anträge zu prüfen. Wir wollen alle nur das, was unseren Kindern zusteht und beantragen genau dies. Es wäre schön, wenn die Hürden kleiner werden und die Kraft, die für solche Kämpfe verloren geht, dort eingesetzt werden kann, wo sie dringend gebraucht wird – direkt für unsere Kinder und unsere eigene Gesundheit.
Noch vier Wochen frei – dann geht´s los
Vier Wochen sind nun noch frei – die letzten großen Ferien, bevor es dann losgeht. Uns geht es jetzt gut. Natürlich wissen wir, dass trotz aller Vorbereitung der Übergang eine echte Herausforderung werden wird. Aber wir trauen das Niklas zu und er hat viele Menschen um sich herum, die ihn dabei begleiten werden.
Eine Perspektive zu haben, ist unendlich wichtig und ich weiß, dass viele von Euch eine solche nicht haben. Mein Respekt allen denjenigen gegenüber, die solche Zeiten, Entscheidungen und Unwägsamkeiten alleine stemmen müssen, weil sie z.B. alleinerziehend sind, ist gerade in der letzten Zeit noch einmal enorm gewachsen. Ich wünsche allen, die immer noch auf Entscheidungen warten, damit ihre Kinder oder erwachsen gewordenen Schulabgänger weitergehen können, viel Kraft, gute Nerven, Menschen, die Euch wohlgesonnen sind, Euch verstehen und mithelfen, eine gute Lösung zu finden.
Es liegt immer an einzelnen Menschen, an Personen, die etwas mittragen und ihren Teil zum Gelingen eines solch besonderen Weges, den unsere Kinder gehen, beitragen.
Ich wünsche Euch von Herzen, dass viele solche Menschen Teile Eures Weges mitgehen werden.
Herzlichen Glückwunsch!!! Wir freuen uns ganz außerordentlich für Niklas und euch und wünschen einen guten und gelungenen Start! Wieder eine Hürde genommen.
Du hast völlig Recht, liebe Silke, dass Du anmahnst, dass unseren Kindern das von den Ämtern zugestanden werden muss, was Ihnen zusteht. Aber leider kommen behinderte Menschen und deren Bedürfnisse in der Politik kaum vor, das sind alles immer nur Kosten.
Beste Grüße an euch und Niklas!
Danke, liebe Monika, auch für all den Zuspruch offline und direkt. Das hat sehr gut getan. Herzlichst Silke :-)
Herzlich Glückwunsch auch von mir!
Ich find es gut, dass ihr die Einrichtung offenbar sehr sorgfältig ausgewählt habt. Ich kann euch nur wünschen, das Niklas dort wirklich gut aufgehoben ist und ihr nicht enttäuscht werdet. Als Eltern seid ihr ja noch lange nicht aus der Welt (RW) und werdet ja weiter Anteil nehmen an seiner Entwicklung und ihn begleiten, so gut es geht.
Danke, Dario. Enttäuschungen wird es immer wieder geben. Es wäre wohl naiv von uns zu glauben, dass ab jetzt alles reibungslos verläuft. Aber es ist eine supergute Grundlage und wir werden alles dafür tun, dass es Niklas an nichts fehlt. Danke für Deine Worte! :-)
Sehr schön geschrieben. Es ist wirklich zermürbend, man bekommt von Ämtern einen Zeitplan an die Hand, hält sich daran und wer kümmert sich gefühlt gar nicht bzw nur in letzter Sekunde? Die Ämter…
Ich freue mich sehr zu hören, daß Niklas noch zu Hause wohnen bleiben darf! Nur weil jemand volljährig ist und vermutlich ein Verlangen nach Selbständigkeit hat, heißt das ja nicht, daß man bereits reif genug wäre, es außerhalb des Elternhauses zu versuchen. Immer wieder schön, wenn Eltern da ganz empathisch agieren. :-)
Danke, lieber Jan, für Deine Zeilen. Du hast Recht, es kann wirklich sehr zermürbend sein und mir ist ganz schwummerig, wenn ich an all die Familien denke, die (noch) keine Lösung haben. Ja – und Niklas möchte und darf natürlich zuhause wohnen. Das Tempo für den nächsten Schritt gibt er vor. LG zurück :-)
Super, herzlich Glückwunsch.
Für die meisten Kinder ist genau dieser Schritt aus den Elternhaus raus so wichtig für die Selbstständigkeit.
Euch weiter alles Gute.
Danke, liebe Saskia. Aber der Schritt aus dem Elternhaus ist es nicht, sondern das Ende der Schulzeit und der Übergang in den Erwachsenenbereich, während er seine vertraute Umgebung zuhause behält, um diesen Übergang bewältigen zu können. Er pendelt jeden Tag dorthin, wie zuvor in die Schule.
Hallo Silke,
Gott sei Dank, endlich und juchhuuu waren meine ersten Gedanken, als ich das gelesen habe. Ich freue mich riesig mit Euch mit und drücke ganz fest die Daumen, für einen reibungslosen Übergang. Das Niklas zuhause bleibt, finde ich schön. In seinem gewohnten Umfeld, das ihm Sicherheit und Geborgenheit gibt. Ich hätte es bei meinem Sohn genauso gemacht, damit es nicht zuviel an Neuem gibt. Mit der neuen Umgebung, der Umstellung etc hat Niklas sicher schon ordentlich zu tun.
Und mit dem, was Du über die Entscheidungsträger schreibst, sprichst Du mir absolut aus der Seele. Genauso ist es.
So, ich freu mich sehr für Euch und wünsche Euch jetzt vier schöne Wochen.
Herzliche Grüße
Claudia
Liebe Claudia, vielen lieben Dank fürs Mitzittern und Mitfreuen. Und ja – der Übergang in die Förderstätte ist erstmal allerhand, was es zu bewältigen gilt. Da soll die Wohnumgebung vertraut und sicher bleiben. Ganz herzliche Grüße zurück!
Ich freue mich sehr! ❤️???☀️ Ich ahne dunkel, wie es dir in den letzten Wochen / Monaten ging, denn auch wir steuern auf eine ungewisse Zukunft zu. Noch ist nicht klar, wie sehr Chris trotz seiner Intelligenz mit seiner Last ADHS und Epilepsie zusätzlich zu seinen autistischen Eigenschaften eingeschränkt sein wird. Ob ihm später überhaupt mal jemand eine Chance gibt. Zu „gut“ für die Werkstatt, zu behindert für den 1. Arbeitsmarkt?
Ihr habt es für Niklas geschafft, und ich kann mir vorstellen, dass es gerade durch die Zeiten der Ungewissheit ein wahnsinniger Kraftakt war. Daher von Herzen: euch und Niklas alles Erdenklich Gute für den weiteren Weg! ❤️??
Danke, liebe Silvia! Und auch Dir und Deinem Chris wünsche ich, dass Ihr einen erfüllenden Weg und wohlgesonnene sowie kompetente Unterstützer findet! Alles alles Gute!
Liebe Silke
Ich gratuliere euch für eurer durchhalten. Ich wünsche Niklas viel Kraft und Geduld bei seinen neuen Schritten ins Erwachsenenleben.
Bei deinen letzten Abschnitt möchte ich dir von ganzen Herzen beipflichten.
LG
Danke, liebe Doreen. Und ich werde Niklas Deine guten Wünsche ausrichten :-)
Herzlichen Gklückwunsch ! Was es bedeutet, warten zu müssen und wie viele Nerven es kostet, bis dann -gottseidank – die positive Entscheidung kommt, haben wir auch schon erfahren. Ich wünsche Niklas einen guten Start. Bei uns geht es nächste Woche mit einem neuen Kindergarten mit einer kleinen heilpädagogischen Gruppe und Snoozleraum weiter. Ich hoffe, der Neustart gelingt. Pause haben wir keine, denn im Herbst geht es an die nächste Baustelle -die Auswahl der Schule. LG Maria
Was nützen alle guten Vorstellungen und Wünsche, wenn das Personal fehlt für unsere besonderen Kinder/ Jugendlichen / Erwachsenen ?
Im Landkreis Karlsruhe fehlt hinten und vorne das Personal !
Es gibt viel zu wenig junge Menschen, die den Beruf des Heilerziehungspfleger erlernen wollen.
Geschweige denn Bewerbungen für den Förder und Betreuungs-Bereich.
Die Bezahlung ist wie in der Pflege alles andere als angemessen.
Jeder, der einen guten Platz gefunden hat, kann sich glücklich schätzen.
Aber der Blick in die Zukunft ( wo bleibt mein Kind, wenn ich nicht mehr da bin ? ) ist nicht gerade hoffnungsvoll.