Autismus und Busfahrdienst – Niklas und sein weltbester Busfahrer :-)

Wir alle wissen, wie wichtig für unsere autistischen Kinder Verlässlichkeit und klare Strukturen sind. Dazu gehört auch das „Rahmenprogramm“ zur Schule – bei Niklas die täglichen Hin- und Rückfahrten mit dem Bus. Und da hat er außerordentliches Glück! :-)

Seit zehn Jahren holt ihn ein- und derselbe Busfahrer zuhause ab und kutschiert ihn sicher in die Schule und wieder nach Hause. In all diesen Jahren wechselten die Firmen, die den Zuschlag bei den jeweiligen Ausschreibungen für den Schülertransport bekamen, mehrfach – aber Niklas´ Busfahrer Gerd (Name geändert) wechselte einfach mit. Er bewarb sich bei den neuen Transportunternehmen, um weiterhin die Schüler, die ihm ans Herz gewachsen waren, in die Schule fahren zu können.

Dazu gehört schon eine Menge Idealismus und ein großes Herz, denn die geteilten Arbeitszeiten (morgens und dann wieder nachmittags) und das eher geringe Gehalt reichen vermutlich nicht aus, um hier so eine Ausdauer zu zeigen.

In all den Jahren war es nicht immer einfach: Krisen der Kinder wurden gemeinsam durchgestanden, Phasen, in denen es laut und turbulent im Bus zuging, mussten gemeistert werden.
Niklas hatte und hat immer wieder Wochen, in denen er mächtig Rabatz im Bus macht, klopft und gegen die Busdecke hämmert, oder in denen er Veränderungen anderer Art verkraften muss: neue Mitarbeiter in der Schule oder eine neue Begleitperson im Bus.
Auch war er nicht immer mit seinen MitfahrerInnen einverstanden. Es gab Mitschüler, deren Geräusche oder auch Anwesenheit er nicht ertragen konnte, so dass es im Bus zu kritischen Situationen kam und Alternativen überlegt werden mussten.
Auch hatte Niklas eine Phase, in der man an keiner roten Ampel stehenbleiben durfte (auch wir mit dem privaten PKW nicht), sonst flippte er aus. Das bedeutete, dass man gut austarieren musste, wie schnell man an eine Ampel hinrollte, um gar nicht erst zum Stehen zu kommen, bevor sie wieder auf grün schaltete – Gerd wurde Meister darin :-) .

Er war bei alledem eine verlässliche Stütze, der Fels in der Brandung (rw) und immer an Niklas´ Seite.
Wir sind sehr dankbar dafür, weil es eine so wichtige Brücke von Zuhause in die Schule und wieder zurück ist – eine Brücke, die „ich schlafe mich im Bus noch aus“, aber auch „Ich bin verärgert“ oder „In der Schule war es doof“ oder „Ich fühle mich krank“ oder „Ich wurde heute nicht verstanden“ oder „Ich bin total ausgelassen und zu Streichen aufgelegt“ bedeuten kann.

Niklas´ Busfahrer hat für seine Stimmungen ein ganz besonderes Gespür entwickelt und merkt genau, wann es ihm gut oder nicht so gut geht.
Auch weiß er genau einzuschätzen, dass die Sirene eines Polizeiautos oder der Bagger am Straßenrand oder das Gehupe von anderen Autos möglicherweise Auslöser für impulsive Reaktionen sind. Diese Erfahrung ist Gold wert, weil Gerd verständnisvoll und beschwichtigend darauf reagieren kann.

In den zehn Jahren fehlte er nur einen einzigen Tag, und zwar weil er verschlafen hatte (sympathisch, oder? ;-) ) und sonst war er immer zuverlässig morgens um sieben Uhr bei uns im Hof, um Niklas abzuholen und bringt ihn jeden Nachmittag um halb vier nach Hause.

Auch Niklas´ Mitschüler Tom (Name geändert) fährt bereits seit sieben Jahren im selben Bus und so luden Niklas und Tom und wir beiden Mamas Busfahrer und Begleitfahrerin zum Jubiläums-Kuchen-Essen-Feiern-Danke-sagen zu uns in den Garten ein :-)

Er bekam eine Plakette, die er sich in den Bus hängen kann, damit auch wirklich jeder weiß, dass er der „weltbeste Busfahrer“ (Gebärden-Zitat von Niklas) ist.

Da er immer soooo früh morgens aufstehen muss, bekam er von uns auch noch einen tollen Kaffeebecher dazu:

Hinten im Bus seht Ihr Niklas, wie er seinen Fuß nach oben hält – er findet es nämlich immer supertoll, wenn Leute an seinen Füßen riechen und dann vor Schreck umfallen ;-)

Vorne in der Mitte sitzt sein Freund Tom mit seinem typischen Ringelshirt.
Gemalt hat diese tolle Tasse Toms Mama!

***

Neben dieser persönlichen Geschichte, möchte ich hier die Gelegenheit nutzen, um auf die Wichtigkeit von Beständigkeit bei den Busfahrdiensten hinzuweisen.

Unsere Kinder steigen bei ihnen morgens ein, ganz gleich, ob sie gut oder schlecht geschlafen haben, ob es ein gewöhnlicher Tag oder ihr Geburtstag ist, ob sie sich kränklich oder fitt fühlen, ob sie mit einem guten oder schlechten Gefühl in die Schule fahren. Und sie fahren mit ihnen zurück, voll mit neuen Eindrücken, gerade erst Gelerntem, Gedanken an Erlebnisse mit Mitschülern und Mitarbeitern, Fragen und Sorgen, die unbeantwortet blieben, unbändiger Freude, weil etwas supertoll gelungen ist.
All diese Stimmungen nehmen die Menschen, die unsere Kinder transportieren, unmittelbar auf, denn sie begleiten sie bei diesem Übergang von Zuhause in die Schule und wieder zurück.

Gleichermaßen ist es wichtig, gut über das Thema Autismus aufgeklärt zu sein. Im Umgang mit autistischen Kindern ist zudem Erfahrung eine sehr wichtige Grundlage, um zum Beispiel Auslöser für drohende Overloads rechtzeitig erkennen und bestenfalls abwenden und sich auch in kritischen Situationen angemessen verhalten zu können.

Es wäre schön und mehr als angebracht, wenn man daher bei Ausschreibungen und Vergabe dieser Leistungen nicht ausschließlich danach entscheidet, welches Unternehmen am billigsten ist.

Gerade bei Kindern wie unseren, die auf Struktur und Verlässlichkeit angewiesen sind, sollten Konstanz, die bestehende Vertrauensgrundlage zu den jeweiligen Menschen, die sie bereits kennen, Aufklärung und bestenfalls Erfahrung im Bereich Autismus entscheidend sein.
Es handelt sich hier nicht um eine lapidare Randleistung, sondern um einen wichtigen Baustein im Alltag unserer Kinder.

Wenn es bei Niklas im Bus nicht passte und z.B. an der Zusammensetzung der zu befördernden Kinder etwas verändert werden musste, dann wirkte sich das immer auf alle anderen Lebensbereiche aus: er war unausgeglichen in der Schule und unzufrieden zuhause, voller Sorge, was der nächste Tag im Bus bringen wird und unruhig, weil Veränderungen notwendig waren, aber noch nicht umgesetzt wurden. Dadurch kam es zu Auto- und Fremdaggressionen und Schreiattacken.

Es ist im Interesse aller, dass auch dieser Bereich im Leben unserer Kinder verantwortungsvoll gestaltet wird und dazu gehört nicht zuletzt ein wertschätzender Umgang mit den Menschen, die unsere Kinder täglich transportieren.

Danke dafür! ♥
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2 comments

  • Ach ja, so ein Gerd, das wäre es gewesen, gerade in der Grundschulzeit. Unser Dämel liebte es, Geschwindigkeitsrekorde aufzustellen und lachte böse, wenn die Kinder Angst bekamen, er kam nie pünktlich – für einen Autisten sehr verwirrend, er macht manchmal ne Pause und gab ein Eis aus – an Kinder, die das keinesfalls durften und er hätte das sicher auch gebracht, was ein anderer Busfahrer schaffte: ein Kind im Bus vergessen – über Stunden. (das gab eine hübsche Szene in Marie von Steins zweitem Sozialkrimi „Aufbruch“).

    Und irgendwie hat es mein Sohn überstanden, denn sein erster Busfahrer war für ein Schuljahr auch so ein wunderbarer Gerd, der leider irgendwann nicht mehr mitwechseln konnte, denn auch vor 15 Jahren war diese ewige Wechselei schon üblich. Die Erinnerungen an diese Zeit sind äußerst traumatisch – auch heute noch erfahre ich von Situationen, die mich schockieren.

  • Heike

    Ach, wie mich das an schöne Zeiten erinnert…Und das meine ich gar nicht ironisch. Unser „Kleiner“ hatte nach einer schwierigen Zeit endlich einen Platz in einem integrativen Kindergarten bekommen. Somit „durfte“ er auch Bus fahren. Am Anfang haben wir gezögert, ob wir ihm das „zumuten“ können und ihn noch selbst gefahren. Irgendwann aber hat es „klick“ gemacht und wir haben das Busprojekt gestartet. Was soll ich sagen: Unser Sohn liebte die Busfahrten und „seine“ 2 Busfahrer, die immer gemeinsam gefahren sind. Zwei ältere Herren, die es liebten, die Fahrten mit Volksmusik zu untermalen, was uns zuhause Lieder nahe brachte, die wir sonst nie kennengelernt hätten, da er sie daheim stundenlang nachsang ;-) Die beiden „älteren Herren“ sind bei uns heute – 6 Jahre nach Ende der Kindergartenzeit – immer noch im Gespräch, wie schauen immer noch in jeden roten Bus, ob wir sie darin sehen. Unser Sohn durfte nach einer „Probezeit“ von ca. 4 Wochen im Bus immer vorne sitzen, das blieb dann die restlichen 2 Jahre so. Wir haben auch immer wieder gezittert, wenn das Busunternehmen neu „verhandelt“ wurde, aber wir hatten Glück. Für uns waren diese beiden Gold wert (rw) und die ganze Familie denkt gerne an die Zeit zurück, wenn der rote Bus vorfuhr und unser Sohn schon laut die Namen der Beiden rufend zum Bus vorlief und nur darauf wartete, endlich – gut aufgehoben – loszubrausen…

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