Wenn Orte und Personen unverrückbar mit Assoziationen verbunden sind

veröffentlicht im Juli 2017


Manche Leute haben von Anfang an keine Chance bei Niklas und manche verscherzen es sich mit der Zeit mit ihm. Er kann manchmal sehr nachtragend sein und manche Personen sind dauerhaft bei ihm „unten durch“.
Auch bestimmte Orte meidet er, als würde dort ein Ungeheuer auf ihn warten.
Es bedarf dann schon einer ganz besonderen Anstrengung diese Verknüpfung „Ort – schlecht“  oder „Person – schlecht“ wieder aufzuheben.

Negative Assoziationen verbunden mit Orten

Es gibt Plätze oder auch Situationen, die Niklas unverrückbar mit lauten Geräuschen, üblen Gerüchen oder schlechten Erfahrungen in Verbindung bringt. Er ist dann nachhaltig skeptisch, wenn er sich diesen Orten erneut nähert und nur schwer davon zu überzeugen, dass ein neuer Tag, eine neue Situation und damit auch eine ganz neue Erfahrung möglich ist.
Die Panik, dass wieder etwas Lautes oder Unangenehmes passieren könnte, ist ihm deutlich anzumerken und seine Erinnerung unauflöslich negativ mit dem entsprechenden Ort verbunden.
Das Abspeichern von Details macht sich hier deutlich bemerkbar und verdeutlicht immer wieder, dass Niklas oft eine ganz andere Art und Weise hat, sich Dinge zu merken und sich an sie zu erinnern. Vieles scheint er visualisiert abzuspeichern und ist dann auch mit dem entsprechenden Gefühl, das er dort hatte, unmittelbar verbunden.
Da bedarf es vieler neuer positiver Erfahrungen, die die ursprüngliche überdecken bzw. das ursprünglich abgespeicherte Bild überzeichnen. Manchmal ist es allerdings schwierig, überhaupt zu neuen Erfahrungen zu kommen, wenn jegliche Möglichkeit dazu bereits im Vorfeld verweigert wird.

Negative Assoziationen verbunden mit Personen

Hierzu gibt es einige Beispiele aus Niklas` Leben, die zeigen, wie unauflöslich er Positives, aber eben auch Negatives bezogen auf bestimmte Personen abspeichert.
Wenn jemand zum Beispiel unverhältnismäßig kindisch mit ihm spricht, weil sein Gegenüber annimmt, Niklas wäre langsam im Verstehen oder geistig eingeschränkt, dann ist „der Ofen aus“ (rw). Ähnlich ist es, wenn jemand betont langsam oder laut spricht, so wie man es mit Menschen tut, von denen man vermutet, sie würden nicht richtig verstehen. Niklas hat dann nicht nur einfach keine Lust mehr, sich mit dieser Person weiter zu beschäftigen, sondern er entwickelt richtige Abneigung.

Menschen, die sich in seiner Gegenwart über seinen Kopf hinweg kritisch über ihn äußern, ohne ihn einzubeziehen, haben bei ihm auch kaum noch eine Chance. In seiner Gegenwart zu mir zu sagen: „Ihr Sohn ist frech“ oder „Ihr Sohn ist schlecht erzogen“ ist ein ziemlich großer Fehler.
Er ist gut im Kommunizieren und erwartet, dass man sich auf seine Art und Weise, sich mitzuteilen und auszutauschen, einlässt und ihn einbeziehtl. Wenn man ihn übergeht, ist diese Person meist dauerhaft „unten durch“ (rw).

Versöhnungsmöglichkeiten

Selbstverständlich machen auch wir innerhalb der Familie nicht immer alles richtig und es wäre schlimm, wenn es dann keine Möglichkeit gäbe, sich wieder zu vertragen.
Manchmal sage ich zu Niklas „es tut mir leid, dass ich das eben gesagt habe, das war nicht richtig“ und er sieht mich dann meist mit großen Augen an und gebärdet „wieder vertragen“. Er merkt, dass ich es ernst meine und ist dann auch überhaupt nicht mehr nachtragend.
Wenn er allerdings von jemandem eine Entschuldigung erwartet und diese ausbleibt, wird es schwierig, mit ihm noch auf einen „grünen Zweig“ (rw) zu kommen.

Schön ist es, dass man mit ihm im Anschluss an eine brenzlige Situation sehr gut darüber gebärden und das Geschehene reflektieren kann. Das geht dann zwar oftmals stundenlang immer um dasselbe Thema, aber immerhin können wir manches auf diese Weise gut aufarbeiten.
Leider haben die meisten Menschen dazu keine Lust und keine Geduld oder sie lassen sich auf Niklas´ Gebärdensprache nicht ein. Dann verstreichen die Chancen, sich mit ihm wieder zu vertragen und das Verhältnis bleibt dauerhaft gestört.

Manchmal bekomme ich zu hören: „Was hat er denn? Jetzt war doch alles in Ordnung“. Aber das sind dann gleich zwei Fehler auf einmal:
Erstens spricht man auf diese Weise in seiner Gegenwart über ihn in der dritten Person, bezieht ihn also nicht ein. Besser wäre, ihn direkt zu fragen: „Niklas, was ist denn los? Was stört Dich?“
Zweitens zeigt es, dass das Gespür dafür fehlt, dass das Störende möglicherweise in der Vergangenheit liegt. Es wirkt nach, was bei einem vorherigen Treffen passierte und das kann etwas sein, das Niklas geklärt haben möchte.

Besondere Menschenkenntnis

Niklas merkt auch, wenn es jemand nicht ehrlich mit ihm meint. Dafür hat er sogar ein ganz besonders gutes Gespür. Wenn jemand nur so tut, als würde er etwas bedauern, sich insgeheim aber zu denken scheint „was für ein unerzogener Rotzlöffel“, dann spürt Niklas das.
Er spürt auch von vorneherein, ob jemand ehrliches Interesse an ihm hat oder sich nur Alibi mäßig nach ihm erkundigt. Ich staune immer wieder, welch gutes Gespür er dafür entwickelt hat und welche Menschen er von vorneherein abblitzen lässt. Nicht immer kann ich es sofort nachvollziehen, aber nach einiger Zeit verstehe ich dann doch, dass es einen nachvollziehbaren Grund für seine Abneigung gibt und bewundere ihn für seine besonderen Antennen.

Diese Beispiele sind unserem Leben entnommen, aber aus Erzählungen anderer Familien und AutistInnen weiß ich, dass Niklas damit keinesfalls ein Einzelfall ist.
AutistInnen werden in dieser Hinsicht leider sehr oft unterschätzt.

***

Zum Weiterlesen:

Autismus – eher ein Zuviel als Zuwenig an Gefühlen – der Mythos von der Empathielosigkeit


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KOMMENTARE

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  1. Niklas ist mir sehr sehr sympathisch, denn ich reagiere in vielem sehr ähnlich wie er, auch, wenn ich auf dem ersten Blick scheinbar sehr anders bin. Mit sehr viel Freude habe ich gelesen, dass er Augenhöhe und Respekt einfordert. Das ist toll und so wichtig!

  2. Genau so! In deinen Schilderungen erkenne ich meinen Sohn so gut wieder. Und sein Gedächtnis für solche Situationen/Personen geht verdammt lang zurück, eigentlich bis fast ins Babyalter. Inzwischen versuche ich ihn da auch nicht mehr zu „überreden“, wenn es die Situation nicht unbedingt erfordert. Dann ist es halt so. Er hat seine Gründe.

    Besonders das über seinen Kopf hinwegreden und die Babysprache findet er auch ganz fürchterlich – und das äußert sich dann meist in „schlechtem“ und kleinkindhaftem Benehmen, wodurch sich das Gegenüber natürlich erst recht bestätigt sieht…

    Was ich bei uns auch immer wieder bemerke, ist, dass er mit mir „mitschwingt“ – wenn ich mit einer Person spontan gut kann, kann er es meistens auch. Und umgekehrt nimmt er von Personen Abstand, die in mir Spannungsgefühle auslösen. Auch dann, wenn ich das nicht kommuniziere und mit diesen Personen freundlich umgehe – und sogar, wenn mir selbst das anfänglich gar nicht bewusst ist. Das hat schon für so manchen Aha-Moment bei mir gesorgt.

  3. Dieser TExt spricht mich an, denn es ist bei mir auch so, dass ich SAchen mit Orten verbinde. Erlebtes, ob negativ, oder Positiv verbinde ich dann mit einem Ort, eienr Person, oder auch bilder. Das mit dem GEräusche verbinden mit Orten und dann ANgst bekommen vor diesen Orten habe cih erst kürzlich erlebt. ICh war in Stuttgart, udn gig an einer BAustelle vorbei, es gab riesige Knälle wi wenn wasn explodiert. Das hat mich erstarren lassen udn cih hielt mir de Ohren zu und kam nicht merh weiter. Irgedwann ging es doch weiter, aber als ich wieder da vorbei musste, hatt cih eien solche ANgst, dass ich dann lieber einen Umweg mit der UBAhn fuhr, um da aj nciht voebei zu kommen. ICh musste halt in dei Ecke, wegen eines FAcharzttermins. Da gehe ich nicht merh vorbei, selbst wenn es nicht merh knallt. ISt aus. Wenn mir MEnschen begegnen, spüre ich auch sehr genau, was frü „Athmosphäre“ da in der Luft ist. KAnn cih nicht erlöären, woher, aber es ist spürbar, wie es einer mit mir meint.

  4. Ist es nicht einfach nur ehrlich ? Mein Sohn ist nur ausserhalb des vertrauten Umfeldes nonverbal und mit ganz viel Vertrauen spricht er. So bat auch sin letzter Therapeut ihn darum, es sei doch einfacher, wenn sie miteinander reden. Er würde es auch niemandem erzählen. Darauf ließ er sich ein. Noch in der gleichen Therapiestunde sagte dann der Therapeut zu Henri, irgendwann müsse er es den Eltern – also uns – ja doch erzählen.
    Mein Sohn erzählte mir dies einige Wochen später auf die Frage, warum er mit dem Therapeuten nicht mehr arbeiten mag. Der Therapeut leugnet, dass es so war .
    Ich kann nur bestätigen, dass unsere Kinder absolut feinsinnig sind und all ihr Handeln letztlich nur RE -Aktion ist.

  5. Ich habe mir diesen Artikel gerade durchgelesen und finde ihn wirklich toll. Für mich verhält sich Niklas eigentlich ganz normal, auch wenn er etwas „“betonter““ vorgeht. Ich bin eigentlich eine Laie auf diesem Gebiet und bin eher ein Experte für Sozialphobie. Doch rein von meinem Gefühl heraus, verstehe ich das Verhalten von Niklas durchaus und kann mich da gut hineinversetzen.

    Ich lasse innerlich auch viele Menschen abblitzen, muss aber mit ihnen Beispielweise im Berufsalltag zusammenarbeiten. Niklas ist da nicht so diplomatisch und viel direkter in seinem Verhalten. Eigentlich ist es das selbe Gefühl bei uns beiden, nur das die Reaktionen unterschiedlich stark sind.

    Alles hört sich irgendwie so normal an…..

    Liebe Grüße
    M.M.

  6. Ich habe nur leider das Problem, dass die Person die bei mir total unten durch ist, die Lehrerin an der Schule meines Sohnes ist. Am liebsten würde ich sie ja wie Luft behandeln, das wäre aber sehr schlecht für das Verhältnis zur Schule. Ich muss meine ganze Energie zusammenkratzen um ein halbwegs höfliches Guten Tag mir rauszuquetschen ohne wütenden Blick. Es ist leider keine andere Schule in der Nähe, also muss ich die Grundschule irgendwie hinter mich bringen.

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