Was ich eigentlich damit sagen möchte, wenn ich erkläre, dass mein Kind autistisch ist…

veröffentlicht im Juli 2017


Manchmal erzählt man anderen, dass man ein autistisches Kind hat, weil es sich im Gespräch so ergibt oder weil es eine erklärungsbedürftige Situation mit ungewohntem Verhalten des Kindes gab.
Man erklärt, dass es sich um ein Autismus-Spektrum handelt und dass sich Autismus vor allem in einer anderen Wahrnehmung, zum Teil ungewohnter Kommunikation und Schwierigkeiten im sozialen Miteinandern zeigen kann.

Ja – alles klar – danke für die Aufklärung. Dann weiß ich ja Bescheid.

Eine Weile später trifft man möglicherweise dieselbe Person und wieder gibt es eine Situation, die nicht verstanden wird. Man beginnt erneut zu erklären.

Ach so ja – stimmt – danke, dass Du es mir nochmal erklärt hast.

Und dann ist es mit manchen Menschen so wie bei „Und täglich grüßt das Murmeltier“ – man trifft sie und wird erneut ungläubig gefragt, warum das Kind denn nun dieses oder jenes mache. Und man erklärt erneut. Innerlich schon etwas genervt.

Richtig! Jetzt habe ich es verstanden. Vielen Dank.

Von wegen…. ich mache immer wieder die Erfahrung, dass diese allgemeinen Erklärungen einfach nicht reichen. Vielleicht sollte man es den Menschen auch nicht übel nehmen, denn woher sollen sie denn wissen, wie sich ein Leben mit Autismus im Alltag gestaltet, zumal es auch individuelle Unterschiede gibt.
Aber schwierig ist es schon, wenn man immer wieder von vorne mit den Erklärungen beginnen muss, weil trotz mehrmaliger Gespräche offenbar bisher wenig bis nichts verstanden wurde. Da spielt – verständlicherweise und von der Tagesform abhängig – nicht die Geduld aller Eltern mit.

Vielleicht überspringen wir Eltern aber auch unbewusst eine Stufe, wenn wir erklärend sagen, dass unser Kind autistisch ist, ohne praktisch aufzuzeigen, was es konkret bedeutet. Möglicherweise braucht es weitere Erläuterungen.

***

Daher: Wenn Eltern in bestimmen Situationen sagen „mein Kind ist autistisch“, dann wollen sie damit vielleicht Folgendes vermitteln:

  • Er ist zwar schon zwölf Jahre alt, aber im Bereich „soziale Kontakte knüpfen“ gehe bitte von einem ungefähren Alter von acht Jahren aus. Bitte hab‘ Verständnis für seine Unbeholfenheit.
  • Wenn er weggeht, während Du mit ihm sprichst, bedeutet das nicht automatisch, dass er Dir nicht mehr zuhört. Für ihn ist es möglicherweise leichter, sich auf das Gesprochene zu konzentrieren, wenn er sich dabei bewegt und Dir nicht zu nahe ist. Bitte hab‘ Verständnis und leg‘ es nicht als Ignoranz aus.
  • Er regt sich auf, weil Du für ihn gewohnte Abläufe, wie zum Beispiel eben gerade das Tischdecken, nicht genauso handhabst, wie er. Das bringt ihn sehr durcheinander und daher wurde er so aufgeregt und wütend.
  • Er braucht etwas Zeit, sich Euer Geschenk genauer anzusehen. Er freut sich darüber, aber das Geschenkpapier ist für ihn erstmal interessanter, weil es so schön raschelt. Sei bitte nicht enttäuscht deshalb.
  • Er meint es nicht böse, wenn er Dir nicht die Hand geben möchte. Es ist eine unangenehme Berührung für ihn. Bitte hab‘ Verständnis und leg‘ es ihm nicht als Unhöflichkeit aus.
  • Er ist aufgesprungen und hat den Stuhl umgeworfen, weil ihn der laute Telefonton erschreckt und in den Ohren geschmerzt hat. Bitte sei ihm nicht böse.
  • Er sieht Dich nicht an, weil das für ihn unangenehm ist. Gesichter sind in ständiger Bewegung und er nimmt jedes Detail wahr. Das sind zu viele Reize auf einmal. Bitte nimm es ihm nicht übel, er hört trotzdem zu.
  • Er ist so wütend, weil das Spiel nicht zu Ende gespielt, sondern einfach ein neues begonnen wurde. Damit kann er nicht gut umgehen. Es wäre gut, wenn wir das das nächste Mal berücksichtigen könnten.
  • Er ist so unruhig, weil unerwartete Gäste kamen. Er war darauf nicht eingestellt und kennt die Leute nicht. Das ist beunruhigend für ihn. Bitte versuche, das zu verstehen.
  • Er lacht nicht darüber, weil er vielleicht hochnäsig wäre, sondern weil er den Witz nicht verstanden hat. Wenn Du Redewendungen oder Metaphern verwendest, hat er Schwierigkeiten, gedanklich zu folgen.
  • Er möchte nicht mit in den Garten kommen, weil es ihm dort zu laut ist: die Vögel, der Rasenmäher und die kreischenden Kindern sind ihm zu viel. Bitte leg‘ es ihm nicht als Desinteresse aus, er wäre gerne dabei.

(um den Lesefluss nicht zu unterbrechen, schreibe ich ausschließlich „er“, selbstverständlich ist auch die weibliche Form gemeint)

Euch fallen bestimmt noch viele andere Beispiele ein. Erklärt es genau, wenn nötig.
Und wenn Du jemand bist, der das Verhalten autistischer Kinder nicht versteht, dann frage bitte nach. Die meisten Eltern antworten gerne, wenn ehrliches Interesse besteht.

***

Zum Weiterlesen:
Einfach mal die Klappe halten! Oder: Sprüche, auf die Eltern autistischer Kinder gut verzichten können.

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KOMMENTARE

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  1. Ja, danke liebe Ella. Aber manchmal habe ich einfach keine Kraft und Nerven mehr, immer wieder zu erklären und zu reden. Denn auch mit Erklärung ist es oftmals für andere nicht verständlich. Und auch in Zeiten der Inklusion, wo doch mein Sohn mit Autismus gefälligst genau so sein soll wie die Anderen und mich das sooooo frustriert.
    Liebe Grüße
    Petra

  2. Wenn jemand interessiert nachfragt und man es als Aufklärung sehen kann, alles gut.

    Häufig aber, kommen einem diese Nachfragen so vor, dass man das Gefühl hat, sich rechtfertigen zu müssen. Noch schlimmer ist es dann, wenn diese nachfragen dann so hartnäckig sind und auf die Erklärung dieses: „Meinst du nicht.. ……dass das und das besser wäre?…“ oder „aber irgendwann muss er das doch mal lernen……“

    Und wenn man dann Freunde hat, die seit Geburt an dabei sind (wie war das? Und täglich grüßt das Murmeltier?) bei jeder Veranstaltung wie Geburtstag, erstaunt die Augen aufreissen und jedesmal dieselbe Frage stellen: „Wieso ist er denn nicht mitgekommen? “

    Grrrrrrrrrrrr……. . .

  3. Die wenigsten Menschen können sich auch nur annähernd vorstellen, was es heißt, ein autistisches Kind zu haben und noch weniger versuchen es überhaupt damit.
    Oft sieht man ja nichts- also kann da auch nichts sein.
    Du hast sehr gut beschrieben: was wir eigentlich sagen wollen. Warum verdammt ust es so schwer es zu tun? Weil uns meist schon ein subtiler Vorwurf gemacht wird : hast du es ihm/ihr immer noch nicht beigebracht, habt ihr das immer noch nicht im Griff?
    Und ja, manchmal höre ich auch einen Vorwurf, wenn da gar keiner ist . Leider.

    Ich mache übrigens gerade ebensolche Erfahrungen mit einer rheumatischen -nicht sichtbaren- Erkrankung. Und habe schon längst keine Lust mehr, irgendwelchen Deppen etwas zu erklären.
    Schade, denn das heißt auch oft Rückzug aus sozialen Räumen.

  4. Wenn ich sage, ich habe Autismus, gibt es zwei Reaktionen:
    a) „das kann nicht sein!“ (meint: du bist doch normal!)
    b) man behandelt mich wie ein Kleinkind

    Ein einziges Mal, ein einziges Mal nur, hat mich jemand gefragt, wie es sich anfühlt, mit Autismus zu leben. Einmal nur!! Und auch das eher, weil sein Kind autistisch ist.

    Als Autist hörst du mehr als andere, siehst mehr als andere, spürst mehr als andere und deine Gefühle sind stärker als die der Andern.
    Nur eins können andere deutlich besser als du: Reden. Sie reden mehr, sie reden sinnloses, sie machen smalltalk, sie erklären ihre gefühle, … nur zuhören, zuhören können sie nicht. Am allerwenigsten dann, wenn du sprichst!!!

  5. Ich bin beruflich nah mit zwei Jungs mit ASS unterwegs. Ich habe mir angewöhnt, Erklärungen nur abzugeben, wenn sie nicht dabei sind und sonst mein eigenes Verhalten ihnen gegenüber so zu steuern versuchen, dass es für sie geeignet ist. Das führt in meinem beruflichen Umfeld auf wenig Verständnis und ich kann mir sehr gut vorstellen, wie schwierig das erst im Alltag sein muss. Ich erwarte wahrscheinlich zu viel von den Menschen in eurem Umfeld, aber eigentlich sollten alle diese Tipps zugeschickt bekommen. Eines meiner liebsten Reizthemas: Ein Junge will dass die Türen zu bleiben, der andere liebt es Türen immer wieder je nach Situation unbedingt offen oder unbedingt zugeknallt zu haben. Viele Mitarbeiter haben auch fixe Vorstellungen zu diesem Thema. Das sind für mich die Momente, an denen ich am Liebsten laut schreien würde, aber das stört die Jungs wieder. Meine Osterwünsche: Menschen mit ASS sind so verschieden wie alle bunten Ostereier und warum freuen wir normalofarbigen Eier uns nicht an ihrer Vielfalt?

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