Manchmal kommt es anders … wie Niklas uns alle überraschte

veröffentlicht im Februar 2018


Am Samstag war mal wieder so ein Tag, wie er ganz bestimmt in keinem Lehrbuch über Autismus zu finden ist.
Denn gezeigt hat uns ganz alleine Niklas, was in ihm steckt :-)

Nach einer Woche Ferien hier in Bayern war er sehr an seine Komfortzone zuhause gewöhnt und wollte nur ungern von seinem gemütlichen Sofa runter ins Auto und los zum Ausflug mit seinem FED/FuD-Betreuer (familienentlastender/familienunterstützender Dienst).
Kaum war der Motor an, ging das Geschrei los – es war ganz offensichtlich Protestgeschrei: „Ich habe keinen Bock!!“

Nun könnte man einwenden, dass wir darauf hätten Rücksicht nehmen müssen, schließlich ist es Niklas‘ gutes Recht, seine Freizeit so zu gestalten, wie er das gerne hätte. Und das stimmt natürlich grundsätzlich.
Allerdings sind diese Ausflüge in zweiwöchigem Abstand auch dafür gedacht, unseren 18jährigen jungen Mann langsam an das Erwachsenwerden und das Loslösen von Zuhause heranzuführen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass er sich manchmal mit dem Aufbruch schwer tut, es dann aber doch ziemlich toll und „cool“ (Gebärdenzitat) findet und dann gar nicht mehr nach Hause möchte ;-) Einen kleinen motivierenden „Anschubser“ braucht es eigentlich fast jedes Mal.

Niklas in der Turnhalle Ellas Blog Leben mit AutismusUnser superfitter Betreuer übernahm den protestierenden Niklas unbeeindruckt und verbrachte erstmal eine Toberunde mit ihm in der Turnhalle. Nach und nach beruhigte Niklas sich und fand dann doch Gefallen an seinem Ausflug und der bereichernden Abwechslung zu einer Woche non-stop Mama-und-Papa-Ferien-Programm zuhause.

Jetzt kommt aber das eigentliche kleine Wunder:
Niklas signalisierte, dass er in die Cafeteria möchte, ein kleines inklusives Café, in dem gerade einiges los war. Sein Begleiter meinte hinterher zu mir: „Ich dachte, oje, so wie Niklas heute drauf ist, kann ich unmöglich mit ihm da rein. Aber er wollte unbedingt, also gingen wir.“
Und dann passierte das Unglaubliche: in einer Umgebung, in der er sonst immer entsetzt Reißaus nimmt, blieb Niklas ruhig, interessiert und vollkommen zufrieden.
Trotz Hintergrundmusik, Gebläse der Heizung, etwa 20 Menschen, die sich unterhielten und auf ihren Kuchentellern und in ihren Tassen herumklapperten, blieb Niklas ruhig und sah sich fasziniert um. „Wir waren dort etwa eine Dreiviertelstunde und ich konnte es gar nicht glauben“, erzählte mir sein Begleiter weiter.

Niklas in der Cafeteria Ellas Blog Leben mit AutismusAls ich Niklas abholte, nahm er mich an der Hand und marschierte mit mir direkt in Richtung Caféteria. Er wollte keinesfalls sofort nach Hause und zurück aufs Sofa, sondern hatte nichts anderes im Sinn, als mir unbedingt das tolle Café zeigen zu wollen.
Wir gingen rein und wieder setzte er sich ganz ruhig an einen Tisch, wir setzten uns dazu und ich konnte es nicht fassen, wie ruhig und entspannt er sich umsah. Es waren zwar nicht mehr so viele Leute da, aber trotzdem gab es einiges an Hintergrundgeräuschen auszuhalten, die ihn sonst wahnsinnig machen.
Nach ein paar Minuten entspannte ich mich, saß nicht mehr sprungbereit am Rand des Stuhls und nahm auch meine schützende Hand von der Blumendeko, die ich am Anfang im Geiste schon fliegen sah. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir jemals so entspannt an einem öffentlichen Ort saßen.

„Was hast Du mit ihm gemacht?“, fragte ich Niklas‘ Begleiter.
„Nichts. Ich bin selber total überrascht.“
„Ist das mein Niklas?“, fragte ich mich? Und freute mich innerlich so sehr.

„Danke, Niklas, dass Du mir die Cafeteria gezeigt hast“, sagte ich zu ihm und er freute sich. So wurde es dann nach anfänglichem Protest ein ziemlich überraschender, faszinierender und mutmachender, schöner Ausflugstag. :-)

Obwohl Niklas meinte, dass er das nächste Mal unbedingt Taschengeld mitnehmen und sich eine Cola kaufen möchte ;-) , ist mir bewusst, dass es dann wieder ganz anders sein kann. Aber alleine diesen Moment erleben zu dürfen, gibt sehr viel Kraft.

Es ist einfach immer alles möglich, wir sollten unsere Kinder niemals unterschätzen. :-) ♥

***

Zum Weiterlesen:

Wie wir mit Michel aus Lönneberga durch den Weihnachtsabend kreiselten

Gastbeitrag: Mein Bruder ist Autist

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KOMMENTARE

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  1. Klasse, ja so sind sie, immer für eine Überraschung gut. Schnell genießen.
    Darf ich fragen wie ihr an einen so tollen Betreuer gekommen seid?

    1. Wir haben bei einem Träger nach einem erfahrenen Mitarbeiter gefragt, der Lust auf FED hat. Und nach einigen Monaten klappte es dann mit einem richtigen Profi, der dazu noch mit viel Herz und Geduld dabei ist.

  2. Also auch in dem Bereich etwas Geduld aufbringen.
    Ich freue mich sehr für euch das ihr jemanden gefunden habt. Das ist sehr viel wert.

  3. Ach das freut mich aber für Euch alle drei. Ein tolles Erlebnis für jeden Einzelnen!!! Bei solchen Gelegenheiten vergess ich gerne, andere weniger erfreuliche Begebenheiten. Ich wünsch Euch fürs nächste Mal ein tolles Cola- geniessen! :-)

  4. Liebe Silke.
    Manchmal muss ich mir echt überlegen wann ich deine Beiträge lese. Dieser Beitrag hat mich wieder zu Tränen gerührt. Wir haben Zwar mit unserem Niklas, er wird Montag 7, nur Autismus hoch, körperlich und geistig gesund aber es ist trotzdem anstrengend mit ihm.
    Ich habe riesengroßen Respekt vor allen die mit ihren kleinen und großen Kindern ihren Alltag so meistern wie du

  5. Ich habe selber Autismus, und weiss, dass viele Leute Menschen wie uns unterschätzen.
    Ich selber weiss seit 5 Jahren, dass ich die Diagnose habe.
    Bin eine erwachsene Frau, und Mutter einer ‚gesunden‘ Tochter.

    Ich kenne mich sehr gut, bin sehr intelligent.
    Leider fällt es mir schwer, aus zu sprechen, was ich meine.
    Ich komme nicht auf die Wörter, bis jemand sie mur vorspricht.

    Meine Erfahrung: positives Gegenüber.
    Menschen mit Autismus fühlen mehr als andere Personen, was das Gegenüber denkt und fühlt.
    Positiv zu bleiben und Vertrauen zu geben, sind wichtige Voraussetzungen.

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