Leserbrief: „Manchmal packt mich das große Heulen“

veröffentlicht im Oktober 2017


Liebe Ella, liebe LeserInnen dieses Blogs,

ich muss einfach mal meinen Gefühlen Luft machen, weiß gerade nicht wohin sonst damit und hier kann ich sie rauslassen, ohne Gefahr zu laufen, dass ich hinterher dafür fertig gemacht werde, weil ich natürlich nicht in echt Bea heiße, aber egal. Ella kennt mich und weiß, dass es mich gibt. Ach, so ein Mist, was schreibe ich denn! Natürlich gibt es mich….

… und zwar gerade total verheult, weil ich nicht weiß, wie ich das alles auf Dauer schaffen soll.
Es ist Freitag Abend und mein Sohn bestimmt seitdem er von der Schule zuhause ist Stifteinfach alles: wo ich hingehen soll, was ich tun soll, wann und wo wir essen. Ich muss hinterher, weil er Dinge ins Klo stopft oder Türen knallt oder schreit. Ich muss mich immer kümmern, einfach immer. Und das wird bis Montag früh mit einigen Schlafpausen (hoffentlich!) so weiter gehen.
Und dann lese ich von irgendwelchen Übermüttern, die sich vorgenommen haben, am Wochenende mit ihren Kindern Ausflüge hierhin und dorthin zu unternehmen, gesundes Essen zu kochen, Sport zu machen, den Haushalt auf Vordermann zu bringen…. sie schreiben, wie schön es ist, dass die Kinder gemeinsam Pizza essen und einen Film schauen, während sie in Ruhe ein Buch lesen….

Und ja – nicht vergleichen! – ich weiß. Aber an manchen Tagen, da packt mich einfach das große Heulen, weil das alles so gar nichts mit meinem Leben zu tun hat und ich es mir aber sooo sehr wünsche und ich diese nach außen hin perfekten Menschen, die wegen Kleinigkeiten jammern, einfach mal gerne anschreien würde.
Es kostet so viel Kraft, sich ständig hinten anzustellen und ich komme mit der Ignoranz der Menschen nicht zurecht, die mal eine halbe Stunde zuhören, verständnisvoll nicken und sich dann wieder monatelang nicht melden, bevor sie wieder einen Alibianruf tätigen und ganz mitleidig tun, weil wir keine Möglichkeit haben, gemeinsam zum nächsten fünfzigsten Geburtstag der Freunde zu kommen.
„Aber Tim ist doch jetzt schon 19. Kann er nicht mal alleine bleiben?“
Allein diese Frage! Nein, kann er nicht und wir haben leider im Moment keinen Betreuer, der ihn beaufsichtigen kann.

Manchmal weine ich dann einen Abend lang und bemitleide mich selbst. Ja, das gebe ich zu. Es muss einfach manchmal sein. Und im Moment tut es mir gut, es aufzuschreiben.
Und keine Angst, diese Tage gibt es nicht so oft. Meistens komme ich gut klar und ich liebe meinen 19jährigen „Mich-auf-Trab-halter“ sehr, bin so gerne seine Mama und würde nicht tauschen wollen.
Aber manchmal, na Ihr wisst schon, da kommt einfach alles zusammen und man kann das Fremdgejammere nicht ertragen und muss einfach mal selber jammern.

Vielleicht gibt´s ja noch andere, denen es auch so geht und die die Augen verdrehen, wenn der Radiomoderator sagt: „Endlich Freitag! Alle können sich aufs Wochenende freuen!“
Ha!

Macht´s gut,
Bea

***

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  1. Ich denke oft, wenn ich meine Schulklasse ins Wochenende entlasse, dass es jetzt wieder die Zeit der Heldenmütter sein wird. Auch der Heldenväter, bei manchen.
    Mit meinen völlig unanstrengenden Kindern kriege ich dieses Super-Mutter-Programm nicht durch – Ihr Heldenmütter müsst dieses Programm unbedingt loslassen. Es ist doch schon so viel, das euer Programm heißt „Ich bin da, wenn du mich brauchst“. Wenn ihr das schaffen wollt, dann muss alles andere unwichtig werden.
    Und heulen gehört dazu, wenn ihr euer Leben ehrlich anseht. Find ich jedenfalls.
    Aber glücklich strahlen gehört ja auch dazu ..

  2. Ich verstehe dich sehr gut . Hier ist es auch ein ständiges hinterher springen und Forderungen erfüllen , damit der Tag nicht eskaliert . Es ist oft anstrengend und keiner kann es wirklich nachvollziehen, wie unser Alltag funktioniert.

  3. Du bist nicht allein, ich hab auch immer wieder mal das große Heulen, aktuell heute zum Beispiel. Ich liebe meinen Sohn, ich versuche, das Gute an unserem besonderen Leben zu sehen, ich möchte mich nicht mit anderen Familien vergleichen, denn jeder kämpft eine Schlacht, von der niemand weiß.
    Aber… Ich wünsche mir manchmal mit jeder Faser, dass ich aufwache, und mein Sohn kein Autist mehr ist. Wir können endlich mal in den Urlaub fahren oder ins Kino gehen oder zu einer Geburtstagseinladung, ich kann mit ihm eine Unterhaltung führen, wir können einen gemütlichen Nachmittag mit einem Disneyfilm verbringen, statt jedes einzelne Wochenende Zug fahren zu müssen, er weint nicht mehr, weil wir die Socken wechseln oder ein neues Paar Schuhe gekauft haben, mein Sohn hat Freunde und Hobbies, er wird einen Beruf wählen können und eines Tages in sein eigenes, selbstbestimmtes Leben davonziehen…
    Aber zum Glück vergeht das Heulen auch immer wieder und wir gehen Zug fahren und das immer gleiche Eis essen, und das Leben ist auch gut.

  4. Bei uns sieht es auch nicht anders aus – das mag Dir ein Trost sein!…Allerdings hatte ich die Hoffnung, dass mein Alltag nicht mehr so extrem ist, wenn mein Sohn 19 ist… Das sind ja schon ein Stück weit deprimierende Aussichten! Viel Kraft!

  5. Hallo Bea,
    ich versteh‘ Dich total gut. Manchmal mache ich am Wochenende einen Ausflug mit unserer Tochter. Mein Mann bleibt dann mit unserem autistischen Sohn daheim. Wenn ich dann andere Familien sehe, die alle zusammen unterwegs sind, wird mir oft schlagartig bewusst, auf was wir alles verzichten müssen. Ganz schlimm ist es Familien mit Kindern zu treffen, die so alt sind wie mein Sohn und zu sehen was die alles können. Das geht oft gut, aber manchmal macht mich das extrem traurig. Es tut aber immer wieder gut, von anderen zu lesen, denen es ähnlich geht. Danke für Deinen Bericht.

  6. Hallo, mich haben deine Worte sehr berührt und ich schick Dir die allerbesten Wünsche… denn es ist wieder Wochenende… wir haben heute wieder unsere Zeit an Bahnübergängen verbracht und als wir dann doch so weit waren, in ein Café zu gehen, brauchten wir mehrere Anläufe, da wir doch zu dritt durch die Tür gehen müssen… aber wir haben es einfach, denn mit unserem Sohn ist vieles möglich. Aber da vieles auch eben sehr besonders ist, kann ich nur erahnen, was „so ein Wochenende“ für Dich und viele andere bedeuten mag. Aus Deinen Worten spricht so viel Liebe – ich bin ganz sicher, Dein Kind hat es ganz wunderbar bei und mit Dir. Ich schick Dir ganz viele kraftvolle Gedanken!

  7. Hallo Zusammen,
    ich bin vor einigen Tagen auf diesen Blog gestoßen und mir fehlen manchmal echt die Worte.
    Ich habe das große Glück, zwei gesunde Kinder und zwei gesunde Enkelinnen zu haben.
    Ich bin dafür unglaublich dankbar.
    Durch diesen Blog habe ich erst richtig Kontakt mit der Diagnose Autismus bekommen, aber ich denke, was es wirklich heißt, ein autistisches Kind zu haben, werde ich wohl nie nachvollziehen können.
    Ich finde Euch alle bewundernswert und wünsche Euch weiterhin ganz viel Kraft und Liebe für eure Kinder und deren Erziehung.
    Ich würde Euch sehr gerne noch mehr tröstende Worte sagen und am liebsten würde ich Euch sogar tatkräftig unterstützen um Euch mal ein bisschen Luft zu verschaffen.
    Ich wünsche Euch allen alles Gute und sende Euch Kraft und Energie für Euch und Eure Kinder.
    Liebe Grüße
    Angela

  8. Hi „BEA“
    ich hab diese Heultage auch…meiner ist 7. Und heute ist auch so ein Tag, dazu hat mein Mann, meine goße stütze eigentlich, auch im moment so anwandungen noch an mir rumzumeckern. Heute besonders Mecker nicht mit dem Kurzen mach dies nicht,mach jenes anders. Ich reiss mir hier den Arsch auf seit Ewigkeiten, es jedem Recht zu machen, alle Diagnosen zu bekommen, des SBA, den Pflegegrad, die Hilfen, die Gelder. Mache alle Termine mit ihm, gehe zu den Therapien, habe minen Job reduziert weil es nicht mehr anders geht. Ich muss ab mittag zuhause sein, er akzeptiert es nicht mehr anders. Ich bin ausser wenn ich arbeiten bin oder mal selber nen Termin habe und er anders betreut wird für 1-2 std immer für den Kurzen da. Und im Moment bin ich selber angeschlagen (Rücken) und es wird mir einfach zuviel ,aber das wird fleissig ignoriert. Neuerding wird stattdessen der junge Herr chauffiert und gehätschelt, alles wird vom Papa erlaubt und ich steh da wie die immer böse Mama und kann mir dann noch Sprüche anhören das ich zu streng sei, er kann doch nicht anders….das habe ich jahrelang gepredigt, jetzt wirds plötzlich gegen mich verwendet….danke auch. zur Zeit stehts mir echt gaaaanz ganz oben. aber auch das geht vorüber, wie immer….fürs Kind geht ja alles irgendwie irgendwann vorüber….heultage halt…..

  9. Liebe Bea,
    danke für deine Offenheit.
    Mir geht es (gerade) genau so.
    Und leider gibt es diese Tage bei mir z.Z. sehr oft.
    Wenn wir uns alle manchmal etwas einsam, oder verloren fühlen, ist das auch eine Gemeinsamkeit. ❤

  10. Hallo
    Meine Tochter zieht sich mehr zurück. Ihre ersten Lebensjahre waren auch anstrengend. Jetzt ist sie 23 Jahre alt und beginnt ihr eigenes leben ( zum Glück).
    Ich weiß aber wie schlimm es sein muss 24 Stunden /7 Tage lang mit den Kindern sein leben zu teilen. Wir haben einen 19 jährigen Jungen auf den dies zutrifft. Wahnsinn…
    Eure Kraft ist beispielhaft.

  11. Liebe Unbekannte Bea,
    in meinen Augen bist DU die ÜberMutter!!!
    Tiefsten Respekt meinerseits an Euch, die Euer Leben Täglich, Stündlich, Minütlich & im Sekundentakt Eurem Kind schenkt.
    HerzensGrüsse,
    Eszter

  12. Hallo liebe Bea

    Als Mutter zweier autistischer Söhne kann ich dich sehr gut verstehen. In solchen Momenten denke ich dann auch es ist’s la hätte ich Urlaub in Italien gebucht und wäre in Holland gelandet. So hat es mal eine Mutter bei uns im Kindergarten beschrieben. Ja Holland ist auch schön es gibt auch Strand und Meer . Aber es ist rauer, kälter, eben anders . Was wohl das eigentlich deprimierende daran ist eigentlich wollte ich ja gar nicht nach Holland . Ich wollte nach Italien . Aber und das kann ich wirklich sagen man gewöhnt sich an Holland . Nur ab und zu hat man dann doch mal Fernweh. Ist man dann jedoch mal in Italien sieht man dass es auch dort gar nicht so sonnig ist sondern es gibt auch Wolken und dann ist man manchmal froh doch in Holland zu sein.

    Liebe Grüße ??
    Gigi

    1. Hallo Gigi,
      die Reise nach Italien hatte bei uns mal eine Fortbildnerin vorgelesen, da ist das Ganze aus mir herausgebrochen. Der Druck, immer funktionieren zu müssen, alles zu organisieren, der Gesellschaftszwang der Anpassung für unser Kind, die Worte vom JA: „ihr Kind hat keine Chance auf dem 1. Arbeitsmarkt“, die Sprüche von den Anderen:“na – so langsam müsste er es doch mal kapieren…“ Einfach alles. Alles zu viel, Decke über den Kopf und warten, bis man sich wieder auf „Holland“ einlassen kann.
      Gruß
      Annette

  13. Ich finde es so toll, dass du so ehrlich bist. Mir ging es oft auch so.
    Meine Tochter ist 24 Jahre alt.
    Sie ist vor kurzem in ein Wohnheim umgezogen. Es tut sehr weh. Ich hole sie jedes Wochenende nach Hause. Seither ist mein Leben wieder lebenswerter.
    Wir können wieder sehr entspannt mit einander umgehen und freuen uns auf aufeinander.
    Lg.
    Petra

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