Gastbeitrag von Dinah über ihren Autismus und selektiven Mutismus

veröffentlicht im November 2017


Inspiriert von anderen Gastbeiträgen auf „Ellas Blog“ schrieb Dinah mich an und fragte, ob sie über ihren Autismus und selektiven Mutismus erzählen könnte. Dankend nahm ich an und veröffentliche sehr gerne ihre Zeilen, die sie anhand einiger meiner Fragen schrieb. Dazu schickte sie ganz tolle Bilder – vielen Dank, liebe Dinah! :-)

***

Gastbeitrag von Dinah:

Ich bin Dinah 20 jahre alt und habe den Frühkindlichen Autismus und Selektiven Mutismus.

Wie sich der Autismus im Leben bemerkbar macht, ist ganz unterschiedlich. Ich wohne ja in einer Wohngruppe, da merkt man es schon deutlich. Ich mache gar nichts mit den Mitbewohnern, rede dort kaum.
Ich habe noch zwei Brüder, beide 15 Jahre alt, sie wohnen bei meinen Eltern. Ich bin alle zwei Wochen bei Mama und Papa und meinen Brüdern.

Zuhause merkt man es nicht so extrem wie in der Gruppe, außer wenn unsere Eltern nicht

da sind, denn da meinen meine Brüder dann mich ärgern zu müssen. Ich werde dann aggressiv und raste leider aus, denn ich kann vieles nicht verstehen. Dadurch kommen oft Missverständnisse und es ist schwieriger zu verstehen, was die anderen dann von mir wollen.

Es gibt eine Sache, die mir leicht fällt. Ich kann mir sehr gut Sachen merken, egal was das ist: Geburtstage, Datum, sehr gut Texte von Filmen, aber das Schönste für mich ist das sehr leichte Kommunizieren mit Pferden, ohne zu sprechen. Egal ob es ein Problem-Pferd ist oder nicht, jedes Pferd mag mich und ich komme mit jedem klar.

Reiten und mit Pferden kommunizieren ist mein Hobby. Wir haben eine Geheimsprache, wie ich immer sage, und das stimmt. Auch meine Betreuerin und Reitlehrerin sagt das. Was bei ihr nicht klappt, klappt bei mir sofort. Ich weiß nicht wie, aber ich habe ne ganz besondere Bindung zu Pferden. Ich kenne 19 Pferde und reite 5 Pferde. Sobald ich drauf sitze, ist das Pony oder Pferd ganz entspannt, auch wenn es vorher ganz unruhig war. Wenn ich komme, ist alles gut.

Dinah auf einem Pferd
©Dinah

Mutismus heißt ja, dass man nicht spricht. Ich habe den selektiven Mutismus. Das heißt, dass ich sprechen kann, also bei meinen Eltern rede ich ganz normal. Wenn wir Besuch bekommen von meiner Schwester aus England, rede ich nicht mehr oder egal wer kommt, ich höre auf zu reden.
In der Wohngruppe rede ich nur ganz leise, aber wenn die Bewohner mich was fragen, antworte ich eigentlich nicht, außer nen Betreuer ist dabei.
In der Schule rede ich gar nicht, nur mit einer einzigen Lehrerin.

Und doch gibt es jede Woche eine Möglichkeit, wie ich rede: Pferde. Sobald ich bei einem Pferd bin, kann ich reden.
Es ist nur Scheisse, auf Deutsch gesagt, du bist irgendwo alleine, aber weißt nicht weiter. Ein normaler Mensch würde jemanden fragen, wo muss ich lang oder können Sie mir helfen? Ich bin da hilflos. Meine Betreuer schickten mich Brötchen holen, haben aufgeschrieben, was ich holen soll, ich gebe den Zettel ab, aber jetzt haben die eine Sorte Brötchen nicht. Was mache ich? Gar nichts, da ich nicht rede. Also, es ist ziemlich schwer mit selektivem Mutismus.

Dinah mit Pferd
©Dinah

Die anderen sollen dann trotzdem freundlich bleiben und versuchen, mich zu verstehen auch ohne Worte.

Ich war schon immer auffällig. Ich konnte nicht wirklich still sitzen bleiben, habe oft nicht reagiert, wenn die was sagten. Da dachte Mama, ich höre nichts, waren dann in einer Klink. Die sagten, dass ich höre und nichts habe. 
Und dann habe ich von jetzt auf gleich aufgehört zu sprechen, muss mit drei Jahren gewesen sein. Ich war bei Psychologen und dann mit 12 Jahren die Diagnose Autismus.
Der Mutismus kam viel später durch meine Therapeutin raus. 
Viele sagen, dass ich den Frühkindlichem Autismus habe, aber keiner weiß wirklich, welchen Autismus ich habe. Es wurden zu wenige Untersuchungen gemacht, da ich kaum welche zulasse.

Ich gehe noch zur Schule bis Januar und dann soll ich in der Werkstatt arbeiten, aber nur bis Sommer und dann wechsel ich dort zu den Pferden. In der Schule gefällt es mir sehr gut, wir haben viele Ziegen und zwei Pferde, Donna ein Welsh Pony und Dscheckie ein Connemara. Freunde habe ich dort keine.

Was ich mir von meinen Mitmenschen wünsche ist, dass man jeden so nimmt, wie man ist, dass man den Autismus akzeptiert und sie nicht doof gucken, weil man sich anders verhält. Alle sollten einfach das machen, was man am besten kann und was einen glücklich macht, zum Beispiel bei mir die Pferde und das Reiten und immer nach vorne schauen und nicht zurück, es geht aufwärts.

***

(Um Dinahs authentischen Schreibstil zu wahren, habe ich nur sehr wenige Korrekturen vorgenommen)

Herzlichen Dank, liebe Dinah, für diesen Einblick in Dein Leben. Alles Liebe und Gute für Dich und viel Freude weiterhin mit den Pferden. :-)

***

Vielleicht ist auch dieser Beitrag interessant:

Interview mit Collin: Wir leben nicht in unserer eigenen Welt.

Zum Weiterlesen:

KOMMENTARE

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird NICHT veröffentlicht. Alle Pflichtfelder sind mit einem * markiert.

  1. Hallo liebe Dinah. Danke für den Einblick in dein Leben. Du hast alles gut beschrieben. Meine Enkelin hat auch Autismus, doch noch kein Diagnose. Für mich steht es allerdings fest. Ich liebe sie sehr und mache mir etwas Sorgen. Als ich deine Geschichte gelesen habe, ging es mir besser. Nochmal danke. Ich wünsche dir für dein weiteres Leben alles Gute und hoffe das du immer so akzeptiert wirst wie du bist.Liebe Grüße schickt dir Petra.

  2. Hallo Dinah,
    vielen Dank für diesen Einblick in dein Leben!
    Ich bin Lehrerin und arbeite auch bei einer Fachzeitschrift mit. Bitte melde dich per Mail/FB bei mir! Ich würde deinen Beitrag dort sehr gerne abdrucken – es wäre so toll, wenn ihn auch andere LehrerInnen etc ihn lesen könnten!

  3. Als ich den Beitrag gelesen habe, konnte ich Parallelen zu meiner Tochter Melina feststellen. Sie ist 18 und hat auch den frühkindlichen Autismus.Lange mussten wir auf eine Diagnose warten. Es ist eine Herausforderung für die ganze Familie. Danke für den Beitrag da fühlt man sich nicht so ganz allein.

  4. Hallo Dinah,
    möchte dich etwas besser Kennenlernen. Habe auch hier ein Interview geführt bei ihr. Habe mitbekommen das Sie mit Pferde verstehen kann sehr gut. Ich habe auch mal ne Therapie mit Pferde gemacht in der Schule aber nur eine Klasse. Es war schön habe auch die Pferde früher verstanden, aber weißt ich nicht ob ich heute noch mit Pferde verstehen kann. Später war eine Arbeitsgemeinschaft (AG) da wo man Malen bis zu Zeichnen kann. Da war ich sehr in meiner eigenen Welt. Kann gerne auch mein Interview lesen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Joshua-Joey S.

  5. Hallo Dinah,

    Mit Tränen in den Augen habe ich Deine Zeilen gelesen….
    Wirklich einmalig für uns aus der Sicht eines Autisten u gleichzeitig auch mit Selektiven Mutismus kombiniert Gedanken und Gefühle zu hören.
    Unsere Tochter Hanna, 8 Jahre hat ebenfalls Autismus und seit ein paar Monaten hat Sie begonnen zu Schweigen. Sie spricht mit fast keinem mehr. Nun auch nicht mehr mit uns … Wir als Eltern leiden sehr darunter. Nur wirkliche Hilfe bekommt man auch nicht, weil selbst die Therapeuten oder Psychologen nicht viel erreichen, denn ohne Worte und wenn Sie meist eh nichts mit macht, was man von Ihr verlangt, alles nicht so einfach.
    Sie ist ein liebenswertes und ganz tolles Mädchen, nur leider ist das Leben in unserer Familie nicht immer einfach. Vor allem Ihr kleinerer Bruder, 4 Jahre alt, muss viel zurückstecken und immer wieder Rücksicht nehmen.
    Ihre Wutausbrüche sind sehr intensiv und bringen uns als Familie manchmal echt an die Grenzen.
    Aber wir lieben Sie über alles und versuchen trotzdem mit viel Liebe und Geduld Ihr zur Seite zu stehen und Sie auch entsprechend zu fördern.

    Vielleicht liest Du ja zufällig meine Mail Liebe Dinah und magst mir Antworten.
    Darüber würde ich mich sehr freuen! Vor allem um mehr darüber zu erfahren, wie Ihr Euch fühlt und was man am besten macht, um Euch zu unterstützen.

    Viele liebe Grüße
    Claudia

  6. Hallo,
    Sehr tolle Geschichte. Ich musste gleich weinen. Bei meinem Sohn (8) würde jetzt Atypischer Autismus mit Selektiven Mutismus diagnostiziert. Als wenn Autismus allein nicht schwer genug wäre, muss der Selektive Mutismus auch noch dazukommen.
    Für uns war die Diagnose aber trotzdem eher ne Erleichterung. Mit Diagnose kann man ihm einfach besser helfen, er hat jetzt auch ne Schulbegleiterin, spricht zwar immer noch nicht, aber zumindest bringt er sich bei Partnerarbeit jetzt ein wenig mit ein.
    Vielen Dank für die Geschichte. Das macht echt Mut.

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

Das Forum plus ist der Mitgliederbereich von Ellas Blog

Es ist immer wieder überwältigend, was wir als Eltern autistischer Kinder bedenken, organisieren und verarbeiten müssen. Neben viel Wissen und Erfahrungen, die du hier im Blog findest, ist eine solidarische Gemeinschaft unglaublich hilfreich. Das Forum plus ist ein geschützter Bereich nur für Eltern autistischer Kinder. Hier findest du außer praktischen Tipps viel Verständnis und Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen wie Du.

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner Skip to content