carpe momentum – Skandinavien 2016

veröffentlicht im September 2016


Zurück aus Skandinavien gibt es allerhand zu erzählen, denn es war ein richtig schöner Urlaub mit unserem neuen Womo.
Wer den Blog regelmäßig verfolgt, weiß, dass wir uns womotechnisch vergrößert haben, da der Aktionsradius mit Niklas in unserem alten Womo zu klein wurde. Und diese Entscheidung erwies sich im zurückliegenden Urlaub als goldrichtig. Die drei Wochen in unserem fahrenden Zuhause waren zumeist entspannt, uns allen tat die Geräumigkeit sehr gut.

Da wir in diesem Jahr sichergehen wollten, innerhalb eines Tages wieder nach Hause fahren zu können, sofern die Daheimgebliebenen aufgrund einer akuten Krankheitssituation uns brauchen sollten, tummelten wir uns in Südskandinavien. Unsere geliebten Lofoten und Nordnorwegen mussten ein Jahr aussetzen. Von Vorteil war, dass in Skandinavien ab Mitte August Nachsaison ist und es auch in den südlichen Teilen deutlich leerer wird. Das haben wir sehr genossen.

Noch in unserem eigenen Hof stellten wir jedoch bei der Abfahrt fest, dass ein ganz grässlicher Piepton durch die Lautsprecher tönte. Das war nicht nur für Niklas unerträglich, sondern auch für uns. Nach einigem Herumprobieren war klar, dass wir doch noch beim Händler vorbeifahren mussten, um das abstellen zu lassen. Das klappte zum Glück auch und wir konnten getrost gen Norden rollen. Allerdings anfangs noch mit einigen skeptischen Blicken von Niklas in Richtung Lautsprecher – man kann ja nie wissen, was sich dieses Teil noch an blöden Tönen ausdenkt!

Die erste Nacht verbrachten wir in Dänemark auf einem Stellplatz unter einer Brücke in Gesellschaft weiterer Womos – eine bewährte Anlaufstelle für uns schon seit einigen Jahren.
Um halb sechs war die Nacht allerdings schon wieder zu Ende, Niklas wollte weiter und so rollten wir nach einem kurzen Frühstück in Richtung Schweden und weiter an der Westküste entlang nach Norwegen. Südlich von Oslo schwenkten wir nach Westen und näherten uns endlich einsameren Gegenden, wie wir sie lieben.

An dieser Stelle bietet es sich an, etwas zu Niklas Schlafgewohnheiten während des Urlaubs zu erzählen. In den ersten Nächten wurde er nachts einige Male wach, schlief manchmal erneut ein, manchmal aber auch nicht, so dass die Tage zum Teil recht früh begannen. Im Schnitt war jede dritte Nacht kurz und endete zwischen vier und fünf Uhr. An den anderen Morgenden war es allerdings oftmals der Fall, dass wir vor Niklas wach wurden – ein echter Luxus, selbstbestimmt aus den Federn zu krabbeln, Kaffeewasser aufzusetzen und die erste halbe Stunde des Tages entspannt beginnen und vielleicht sogar etwas lesen zu können. Diese Momente genossen wir ganz bewusst.
Dass wir an einigen Tagen schon früh ausgeschlafen waren, lag auch daran, dass wir zeitig ins Bett gingen. Denn Niklas wollte abends partout kein Licht im Womo anschalten. Das Thema „Licht“ zieht sich auch sonst durch unseren Alltag, aber bei unseren bisherigen Reisen war es nie relevant, weil in Nordnorwegen die Sonne erst gegen Mitternacht untergeht und es selbst dann nicht dunkel ist. In Südskandinavien war es allerdings um 21 Uhr zappenduster und da wäre ein bisschen Licht schon hilfreich gewesen – aber keine Chance – den Kampf um die Lichtquelle verloren wir dieses Jahr. Und so schmökerten wir, wenn Niklas im Bett war, noch ein wenig in unseren Tablets und manchmal schalteten wir das Licht zum Lesen ein, wenn er fest schlief, aber insgesamt krochen wir auch früh ins Bett, was mir sehr gut tat.

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Nach drei Tagen war Niklas im „Womo-Modus“. Das merkt man daran, dass er den Rhythmus und das Fahren genießt, zumeist entspannt ist und auch Pausen toleriert. Schön und wichtig für ihn ist, dass er von seinem Platz im Womo aus nach vorne sehen kann und so immer genau weiß, wohin es in den nächsten Momenten geht – auch wenn es manchmal recht abenteuerliche Straßen sind.
In diesem Jahr war besonders schön und eine positive Entwicklung im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren, dass er sich auch viel außerhalb des Womos aufhielt. Besonders wenn es dämmerig wurde oder sich ein paar Wolken vor die Sonne schoben, ging er gerne raus.
Auf einem Steg hatte er viel Spaß und gebärdete, dass es sehr lustig wäre, wenn ein Pferd auf den Steg käme, denn dann würden wir alle reinplumpsen. Tsja – es kam zum Glück kein Pferd ;-)
Eine kleine Wanderung zum Leuchtturm Kråkenes Fyr schaffte Niklas zwar nur mit gelegentlichem Huckepack bei Papa, aber er legte auch viele Meter selbständig zurück. Allerdings wurde der Rückweg etwas weniger komfortabel für Niklas, da er nur noch einen Schuh besaß. Letztes Jahr schmiss er in Norwegen eine Sandale in den Fjord, die dann munter davon schwamm, dieses Jahr flog sein Schuh über die Mauer beim Leuchtturm in den Nordatlantik. Nunja – es gibt Schlimmeres, obwohl Niklas meinte, dass der Schuh ganz schön gestunken hätte und die Fische im Meer nun sicher einen Hustenanfall bekommen.

Auf einem kleinen Campingplatz stand auch ein ausgebauter amerikanischer Schulbus. Knallgelb und extrem auffällig. Viele Leute guckten interessiert und hätten wohl gerne mal einen Blick in das schrille Teil geworfen. Eingeladen dazu wurde allerdings nur Niklas – hatte er es doch wieder mal geschafft, seinen Charme herauszukehren und sein Interesse auf seine ganz persönliche Weise mit Pupsgeräuschen und Zauberstabbewegungen kundzutun, so dass der Womofahrer des knallgelben Womos ihn und seinen Papa bat, hereinzukommen. Das ließ er sich natürlich nicht zwei Mal sagen. :-)

Auf unserer Reise rollten wir vor allem in der Fjordlandschaft südlich und nördlich von Bergen entlang und entdeckten viele schöne Orte, an denen man auch länger hätte verweilen können. Aber wer uns kennt, weiß, dass wir es selten länger als eine Nacht an einem Ort aushalten, dann zieht es uns weiter, denn Neues will entdeckt werden.

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In den Bergen gab es einige Male tolle Echos. Das kostete Niklas natürlich aus und probierte mit allen möglichen Tönen und Variationen, ob das Echo auch weiter antworten würde. Wie gut, dass es meistens nur Schafe und Kühe als weitere Zuhörer gab. Die Elche hatten sich wohlweislich versteckt.
Die Kommunikation mit Niklas machte im Urlaub große Fortschritte. Ich hatte vier Gebärdensprachbücher eingepackt und je nach Situation schlugen wir sie auf und suchten neue Gebärden heraus, die wir gemeinsam lernten. Niklas war sehr wissbegierig und wollte zum Beispiel alles über Schiffe, Fähren und Kapitäne erfahren. Er erweiterte seinen Gebärdenwortschatz deutlich und faszinierend zu sehen war, dass er die vorgemachten Gebärden unmittelbar nachahmte. (Das war ja mal anders, die Entwicklung dahingehend ist HIER nachzulesen.)

Die Fährfahrten verliefen einigermaßen gut. Problematisch sind immer die Lautsprecherdurchsagen mit den Sicherheitshinweisen. Das ist schrecklich für Niklas, wenn in drei Sprachen nacheinander ausführlich erklärt wird, was auf dem Schiff alles zu beachten ist. Meistens springt er in diesen Situationen auf und rennt blindlings davon – einer von uns rennt dann hinterher und nach einiger Zeit beruhigt er sich dann wieder. Auch wenn es natürlich zunächst Stress bedeutet und das Geglotze der Leute nervt, ist es dennoch eine positive Entwicklung, dass er es inzwischen schafft, sich wieder zu beruhigen. Ganz selten nur driftet er in solchen Situationen in einen Meltdown ab. Eine tolle Leistung von ihm, wenn man bedenkt, wie schlimm diese Situationen für ihn sind und wie unvermittelt sie auftreten.

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Bei einer Fährfahrt wurde wieder einmal deutlich, wie wichtig es ist, im Vorfeld zu erklären, was passieren wird. Wir mussten per Schiff einen Fjord überqueren und wussten vorher nicht, dass die Fähre auf einer kleinen Insel mitten im Fjord noch einen Zwischenstopp einlegen wird, um ein weiteres Auto aufzunehmen. Das wurde dann zu einem schlimmen Drama für Niklas. Er ist es gewohnt, dass das Schiff stoppt, sich die Ladeklappe öffnet und wir dann wieder aufs Festland hinausfahren. In diesem Fall öffnete sie sich und schloss sich auch wieder, ohne dass wir hinaus fuhren. Das Schiff fuhr nochmal los und das war sehr schlimm für ihn. Er gebärdete immer wieder „Was ist der Plan?“, weil er sich auf den „Plan“, den er für Fährfahrten innerlich abgespeichert hat, offenbar nicht mehr verlassen konnte. Wir entschuldigten uns und sagten, dass wir es vorher leider auch nicht wussten, aber dass wir beim nächsten Stop auf jeden Fall das Schiff verlassen werden. Erst auf Land wurde er wieder ruhiger.

Nach der ersten Hälfte des Urlaubs zog von Westen eine Schlechtwetterfront auf, so dass wir nach Schweden auswichen. Dort verbrachten wir dann an der Ostküste den  zweiten Teil unserer Reise und auch dort war es sehr schön, v.a. weil aufgrund der Nachsaison nicht mehr viel los war.
In Schweden hatten wir dann allerdings auch eine unserer schlaflosen Nächte zu verzeichnen. Das lag an einer Lichterkette, die kunstvoll um ein Toilettenhäuschen geschlungen war und wechselnde Lichtfarben ausstrahlte. Niklas hockte hellwach an seinem Bettfenster und gebärdete die ganze Zeit „Feuerwerk“. Wir erklärten, dass es kein Feuerwerk ist und dass die Lichterkette auch auf keinen Fall einen Ton machen wird, aber er ließ sich nicht davon abbringen. Sein Fenster verhängten wir dann irgendwann von außen mit einem großen Handtuch, weil er die Jalousie, die von innen zu bedienen ist, immer wieder öffnete. Danach beruhigte er sich etwas, blieb aber angespannt. Manchmal wüsste ich gern genauer, was in ihm vorgeht….

Für mich bedeutete der diesjährige Urlaub mehr Entspannung als gedacht. Die schwierigen Situationen, die natürlich immer vorhanden sind, traten deutlich in den Hintergrund. Manchmal musste ich mich selbst schützen bzw. ablenken, wenn diese „Miracoli-Familien“ zu präsent waren. Ihr wisst schon, Mama ruft: „Das Essen ist fertig!“ und alle Kinderleins kommen angelaufen, setzen sich brav an den Tisch und die Familie schlemmt gemeinsam. So etwas gibt es bei uns nicht, wir essen nahezu immer getrennt. Meistens macht es mir nichts aus, aber manchmal eben doch, wenn man es direkt vor der Nase hat, wie es auch sein könnte. Zum Glück gab es diese Situationen nicht allzu oft.

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Niklas und ich in seinem Womo-Bett

Ich genoss es sehr, dass ich viel zum Lesen gekommen bin und wenn es ein persönliches Mama-Fazit zu diesem Urlaub gibt, dann ist es „carpe momentum“ – genieße die Momente, die sich auftun, ohne Dich mit anderen zu vergleichen. Davon gibt es mehr als man denkt, in meinem Fall, mehr als ich vorher zu hoffen wagte.

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Sonnenuntergang in Schweden

Zum Weiterlesen:

KOMMENTARE

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    1. Danke, liebe Moni, ja wenn ich an die vielen Jahre zurückdenke, dann war es dieses Jahr relativ entspannt. Es kommen noch mehr Bilder….. ;-) LG Silke

  1. Wir müssen auch unbeding mal mit einem Wohnmobil verreisen. Deine Berichte sind sehr ermutigend. Ein normale Hotelanlagen oder Ferienwohnungen können wir mit unserem Sohnemann leider auch nicht gehen, das wäre für alle schrecklich. Ja, ich denke, wir werden mal ein Wohnmobil mieten. Grüße, Anja

  2. Danke für diesen Bericht. Er macht Mut, denn Verreisen geht so gar nicht bei uns. Jetzt weiß ich zumindest, dass wir mit unseren Problemen nicht alleine sind. Ich werde zu Deiner Lesung nach Konstanz kommen. Freue mich schon so sehr darauf.

  3. Hm, mein Problem der Mangel an Womofahrern, ich traus mir nicht zu, die eine andere Autofahrperson kann nur noch kurze Strecken, die nächste ist auch schon älter, eine andere mag lieber allein was unternehmen nicht mit der Family. Ehrlich gesagt hasse ich Autofahren, mitfahren geht ja aber selber am Steuer, nee is mir zu heiß, wenn ja was passiert auf so ner engen skandinavischen Straße. Theoretisch hab ich ja eine Fahrerlaubnis, hab aber während einer Ausbildungsfahrt in der Sächsischen Schweiz 10% Steigung sooo Herzflattern bekommen, dass ich dachte nee ich und Auto, das geht nur auf kürzeren Strecken und halbwegs eben. Enge, steile Straßen gehen für mich nur als Mitfahrer, auf dem Pferderücken oder halt zu Fuß. Beim Pferd würd ich mich halt am Sattel festhalten und wissen dass mein vierbeiniger Partner mitdenkt. Ein Auto ist so seelenlos. Nen Partner der Fahren könnte hab ich nicht. Deshalb gab/wird es geben bisher halt nur Urlaubssziele wo man mit dem Zug hinkann plus Abholung von der Zughaltestelle oder das Domizil war nicht weit vom Bahnhof entfernt. Wir testen demächst mal ein Familotel, ist zwar S….-teuer soll aber sehr kinderfreunlich und all-inklusive sein. Hoffentlich passen mir dann noch meine Sachen ich und Essen ist wie Hobbits und Essen.

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